08.09.2020, 01:01
Als Kind und Jugendlicher war Rúnar manchmal genervt davon gewesen, dass er ständig mit auf die Jagd hatte gehen müssen. Manchmal vor dem Unterricht, als die Sonne noch nicht aufgegangen war und ihm irgendeiner der Walfänger eine Tasse Tee in die Hand gedrückt hatte, die ihm erstaunlicherweise nie vor lauter Müdigkeit aus den Händen gefallen war. Manchmal nach dem Unterricht, wenn Hekla und Hrafn spielen durften und Jón bei den Pferden sein durfte. Rúnars Vater war nicht immer dabei gewesen -- an manchen Tagen hatte Rúnar vom Deck aus sehnsüchtig durch den Schneeschleier auf das gelb leuchtende Viereck gestarrt, welches bedeutet hatte, dass sein Vater neben dem Kamin an seinem Schreibtisch saß.
Aber jetzt ... war er so sehr daran gewöhnt immer etwas zu tun. Er fühlte sich faul und nutzlos, nachdem er ein paar Tage lang fast nur rumgesessen und -gelegen war. Natürlich war ihm nichts anderes übrig geblieben mit seinen verletzten Händen und der langen Naht auf seinem Unterarm, die mit jeder Bewegung juckte und ziepte.
Ablenkung.
Und Geld.
Er wollte (und brauchte) beides. Von dem Geld würde er eine schöne Füllfeder kaufen und endlich ein ordentliches Essen. Er würde sich in seiner sauberen Kleidung in ein Public House setzen wo Herren mit Seidenhalstüchern und Damen mit Handschuhen an den Tischen saßen und er würde ein Glas Wheel of Fortune trinken und Rinderfilet mit saftigem Gemüse essen. Und nebenbei würde er mit seiner neuen Füllfeder einen Brief an Ásta schreiben.
Manchmal hatte er diese Anwandlungen. Aber dann realisierte er, dass es ihm so schlimm eigentlich gar nicht ging und er auf Public Houses und Rinderfilets verzichten konnte. Wenn er einmal verglich, wie verzweifelt er am Anfang gewesen war und wie schnell er sich mit seiner Situation arrangiert hatte. Und er realisierte auch, dass er wichtigere Dinge zu tun hatte -- Dinge, die ihm wichtiger waren als eine Füllfeder und ein aufwändiges Gericht. Sein Vater war irgendwo da draußen. Bei Svavar.
Aber jetzt musste er erstmal dafür sorgen, dass er wieder Heim kam. Wofür er Geld brauchen würde. Wofür er arbeiten musste. Gestern war er an einem kleinen Markt vorbeigegangen an dem mehr als genug Fischer ihre Waren angeboten hatten. Wenn er dort für den Tag wenigstens aushelfen konnte. Jetzt konnte er sich Arbeit gegen Geld immerhin leisten. Bislang war es meistens Arbeit gegen Unterkunft und Verpflegung gewesen. (Er machte sich trotzdem nicht vor, dass er die Crew schon in den nächsten paar Tagen weiterziehen lassen konnte. Er musste in kleineren Schritten denken. Und hoffen, dass sie sich nicht noch weiter von Andalónia entfernten, oder zumindest ziemlich bald in die Richtung zurückkehrten.)
Und ein paar Wäscherinnen über den Weg zu laufen konnte auch nicht schaden. Oder einer Seife. Wenigstens das.