28.07.2020, 08:03
Das leise Rascheln von Stoff ihm gegenüber hielt an und der Dunkelhaarige unterbrach sich in Gedanken. Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Geräusch ihres Atems, das sich inzwischen verändert hatte. Das kürzer und flacher geworden war. Lucien hatte so oft über den Schlaf seiner kleinen Schwester gewacht, dass er den Unterschied erkannte und wusste, was es bedeutete, noch bevor Shanaya sich im Bett aufrichtete.
Sein Blick huschte zu der Schwarzhaarigen hinüber, die sich noch halb im Traum gefangen die Augen rieb und im dämmrigen Licht der flackernden Kerze blinzelte. Er wartete einen Moment lang darauf, ob sie sich wieder hinlegte, gar nicht richtig wach wurde und ihn einfach nicht bemerkte. Doch die blauen Augen – so getrübt vor Müdigkeit und Fieber sie auch waren – richteten sich auf ihn und als sie die Füße aus dem Bett schwang, stieß Lucien leise die Luft aus.
Er setzte dazu an, ein Bein auszustrecken, um aufzustehen und Shanaya mit sanfter Gewalt zurück auf die Matratze zu befördern, doch da blieb sie schon vor ihm stehen und er hielt mitten in der Bewegung inne. Sah zu ihr auf. Begegnete ihrem Blick. Und blieb sitzen.
Umständlich und verschlafen ging sie vor ihm in die Hocke, schien mit ihrem Verstand noch weit entfernt zu sein, und das war es wohl auch, was dem Dunkelhaarigen ein flüchtiges Lächeln entlockte und ihn nachgeben ließ. Er ließ zu, dass sie sich zwischen seine Beine schob, machte ihr ganz unbewusst mehr Platz, damit sie die Position finden konnte, die für sie am bequemsten war. Er ließ zu, dass sie sich an seine Brust schmiegte, sich an ihn kuschelte wie eine Katze und als sie schließlich wieder still lag und sich in ihre Decke hüllte, legte er wortlos den Arm um ihren Körper, zog sie näher an sich und sah auf ihr Gesicht hinab.
„Solltest du nicht lieber im Bett bleiben und dich ausruhen?“, fragte er ebenso leise, wie sie zuvor, um die anderen beiden Männer im Raum nicht zu wecken. Er hob die verbundene Rechte, strich ihr sanft eine Haarsträhne hinters Ohr und unterdrückte ein Schmunzeln, als er feststellte, wie ähnlich Shanaya seiner Schwester in diesem Moment war. Und dass er wohl nur deshalb tat, was er eben tat, weil dem so war.
Sie würde Talin nie ersetzen. Sie würde ihn auch nicht retten können. Aber ihre Nähe war um so vieles leichter zu ertragen, als die der Blonden. Deshalb zog es ihn zu ihr.