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Shall I compare thee to a summer's day?
Crewmitglied der Sphinx
für Gold gesucht
dabei seit Jun 2019
#5
Jón stand zwar mit dem Rücken zu Rúnar, aber er konnte sich sehr gut vorstellen, wie Jón rot anlief, als Skaði ihm nonchalant—als wäre sie seine Schwester oder Cousine—die Brille auf die Nase schob.

Rúnar verkniff sich ein Lächeln, als Jón kurz zurückzuckte und er ihn antworten hörte: „Äh, kann schon sein.“ Er klang nicht nervös, aber Rúnar konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er es nicht war. Wie machte er das nur immer?

Als Skaðis Vater ihr und Jón die Zustimmung gab, sich entfernen zu dürfen, verbeugte sich Jón noch einmal an Skaðis Vater gewandt, dann an uns, und bevor er sich Richtung Ausgang bewegte, gab er Rúnar ein Nicken, das, Komm mit! bedeutete. Rúnar setzte sich in Bewegung, aber jemand hielt ihn an der Schulter zurück. Er drehte sich um. Frau Tóta. „Möchtest du die beiden nicht fragen, ob es in Ordnung ist, dass du sie begleitest?“

Sie gab Rúnar einen Blick, den Außenstehende wahrscheinlich nur bedingt deuten konnten —die Augenbrauen hochgezogen, die Lippen zusammengekniffen aber trotzdem mit dem Ansatz eines Lächelns—doch Rúnar kannte Frau Tóta zu gut. Du weißt, dass die beiden sich kennenlernen sollen, ja? Das, und, Du weißt auch, dass man sich nicht selbst einlädt, sondern wartet, bis man eingeladen wird—von allen Beteiligten—aber da es jetzt eh schon zu spät dafür ist ...

Rúnar sah fragend zwischen Skaði und Jón hin und her. Er stellte sich gerade hin. „Wäre es in Ordnung für euch, wenn ich euch für eine Weile begleite?“
Jón verneigte sich. Erneut. Dieses Mal an ihren Vater gerichtet, der den Jüngeren nur kurz musterte und mit einem knappen Nicken die Hand von ihrem Kopf löste. Fast fühlte sich Skadi, als nähme er sämtliche Last von ihrem Körper, als er sich entfernte und der Junge vor ihr sich zum Gehen herum wandte. Nur um dann seinem Blick auf den blonden Haarschopf zu folgen, dessen Antlitz so seltsam ungewohnt für sie war. Doch das war nicht das Einzige, das ihren Blick auf die andere Seite des Raumes fixierte. Wie von selbst schnellte das braune Augenpaar auf die Gouvernante, dessen Hand mehr als nachdrücklich auf der schmalen Schulter ruhte, die gerade im Begriff war ihr und Jón zu folgen. Wollte sie etwa, dass sie und der Fremde allein durch das Anwesen liefen? Skeptisch schoben sich die dichten Brauen zusammen. Was läuft hier eigentlich? Beinahe war Skadi versucht zu ihrem Vater hinauf zu sehen, sah stattdessen zu dem hübschen Gesicht neben sich und ließ nachdenklich die Lippen kreisen.
“Ich wüsste nicht was daran falsch wäre?“ Wieso fühlte sie sich, als wäre es unangebracht einen Dritten in ihre Gruppe zu holen? Das war ihr unbegreiflich. Somit schenkte sie also erst dem Dunkelhaarigen, dann Rúnar ein sanftes Lächeln, ehe sie, fast schon grinsend zu der Gouvernante hinauf sah. So. Das hatte dieses hochnäsige Fräulein jetzt davon.
Das Mädchen schien sich mit dem Aufhebens der Situation etwas unwohl zu fühlen und das übertrug sich auf Rúnar. Für einen Moment bereute er, dass er Anstalten gemacht hatte. Er hätte sie einfach in Ruhe lassen sollen. Jón hatte ihn und Ásta auch in Ruhe gelassen. Er wollte ja nicht ihre Situation zerstören, er verbrachte nur gerne Zeit mit Jón—egal wer dabei war.

Aber Jón hatte ihn gefragt. Ha. Er war doch nervös. Wahrscheinlich. Vielleicht.

Rúnar faltete die Hände, presste sie kurz zusammen und lächelte. Dann ging er mit den beiden mit. Jón hielt Skaði die Tür zum Gang auf und er und Rúnar warteten, bis sie zuerst durchgegangen war.
Geräuschvoll war die Tür ins Schloss gefallen und hatte alle neugierigen Augen und Ohren aus ihrem Gespräch ausgeschlossen. Skadi spürte jäh, wie sich jegliche Anspannung von ihrem Körper löste. Niemand richtete mehr einen prüfenden Blick auf sie. Maßregelte sie, wenn sie einer dieser bescheuerten Anstandsregeln zuwider handelte. Sie konnte ihre Aufmerksamkeit auf alles richten, wonach ihr war. Und auch wenn sie immer wieder auf ihrem Weg den Flur hinab die verschiedenen Gemälde in Augenschein nahm, wandte sich der schmale Körper der Nordskov nach etlichen Minuten des Schweigens in einer eleganten Drehung auf den Zehenspitzen herum. Die Hände in den Rücken gelegt und mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Zügen. “Gibt es etwas, das ihr schon immer einmal machen wolltet?“
Rúnar fühlte sich besser, als die Situation sich spürbar entspannte. Skaðis Haltung wurde weniger steif und Jón nahm seine Brille ab und steckte sie sich in die Hosentasche.

Jón blickte sie immer wieder verstohlen mit bewundernden Blicken an als die drei, ohne zu sprechen, den Gang entlang liefen. Dann, als sie sich umdrehte und ihre Frage stellte, fingen Jóns Augen regelrecht an zu leuchten. Er zeigte mit dem Finger auf sie und sagte, „Oh, ich wusste es! Ich dachte es mir schon, als ich dich gesehen hab!“ Sein Mund stand offen in einem stummen Lachen. Und was für eins. Rúnar konnte fast sehen, wie Jón das Herz aus der Brust zu springen drohte.

Rúnar lachte leise und löste seine Hände voneinander. Etliche Dinge gingen ihm durch den Kopf. So viele Dinge, die Jón und er sich schon ausgemalt hatten. Das Lächeln blieb auf seinen Lippen als er sagte, „Zu viel um jetzt nur eins zu sagen.“

„Oh ja,“ sagte Jón. „Und du? Dachtest du an was Bestimmtes?“ Er legte den selben Gesichtsausdruck auf wie sie.
Skadi blinzelte für einen Moment irritiert. Starrte auf die erhobene Fingerspitze, ehe sich die dunklen Augen den Arm entlang zu Jóns Gesicht voran tasteten. Was bei allen Göttern sollte das denn jetzt bedeuten? Der Typ klang ja schon fast, als hatte er sie sich als… ja was denn? Kleines Mäuschen vorgestellt, das sich nun als Draufgänger entpuppte? Ich dachte es mir schon, als ich dich gesehen hab. Ohne es zu wollen, pressten sich die vollen Lippen aufeinander und trugen jene Gefühle nach außen, die Skadi mit klopfendem Herzen gegen die Brust trommelten. Nicht einmal Rúnars und Jón lächelnde Gesichter konnten daran etwas ändern.
Mit einem tiefen Atemzug lösten sich die langen Arme aus der Umklammerung und schoben sich in einer auslandenden Geste zur Seite.
“Eigentlich nicht. Aber hier gibt es bestimmt aufregendere Dinge zu erleben, als eine Führung durch euer Anwesen. Also… nicht dass es nicht schön wäre…“, wandte sich die junge Nordskov in letzter Instanz fast schon entschuldigend an den Blondschopf, dessen blaue Augen die ihren immer wieder magisch anzogen. “Aber… ich habe die letzten Tage viel in engen Räumen verbracht.“
Rúnar zuckte mit den Schultern. Es machte ihm nichts. Er konnte es sogar sehr gut verstehen. Er verbrachte jeden Tag in engen Räumen. Aber es gab eine Sache, die das alles immer ausgleichen konnte.

„Ich weiß, was hilft,“ sagte er. Jón blickte zu ihm. Er wusste, was Rúnar meinte. „Kannst du reiten?“
Reiten? Worauf? Wie von selbst kippte der dunkle Schopf fragend zur Seite. Musterte die beiden Jungen, als müsse sie sicher gehen, dass sie sich keinen Scherz mit ihr erlaubten. “Auf Pferden? Nein… im Dschungel wären die ganz schön unpraktisch.“
Jón und Rúnar warfen sich einen leicht entsetzten Blick zu, als Skaði sie so ansah. Dann sagte Jón, „Hast du—ich meine, heißt das bei euch gibt es keine Pferde?“ Diese angenommene Tatsache überspielte die, dass sie gerade gesagt hatte, dass sie aus dem Dschungel kam.
„Nun… das vielleicht nicht unbedingt. Aber wenige.“ Und wenn überhaupt nutzte man sie mehr zum Lastentransport als für einen Ausritt. Auf dicht bewachsenem und unebenem Waldboden bewegte sich Skadi auf eigenen Beinen ohnehin viel schneller und besser voran. “Bei euch ist das wohl… anders.“
Die beiden nickten und sahen sich wieder an, dann wieder zu Skaði. Rúnar ob die Hand, deutete ein Schulterzucken an. „Willst du—es ausprobieren?“ Rúnar sah wieder zu Jón, um die Idee absegnen zu lassen. Falls sie ja sagte, würde er mit ihnen in den Stall gehen und sie danach zu zweit alleine lassen.
Immer wieder wanderten die dunklen Augen zwischen den beiden Gesichtern hin und her. Warteten auf irgendeine Entscheidung, die die Zwei wohl wortlos ausfochten, ehe sie mit einem matten Lächeln nickte und den Blick auf das Gemälde neben sich schweifen ließ. “Klar. Wieso nicht.“ Ob sie Angst hatte hinab zu fallen? Sicherlich nicht. Wer aus Bäumen purzeln und sich nichts Lebensbedrohliches zuziehen konnte, der vertrug auch den Sturz von einem halbhohen Pferderücken. “Aber… siehst du überhaupt etwas ohne deine Brille… Jón?“ Wie von selbst huschten das dunkle Augenpaar in die Winkel zurück und musterte das Gesicht des Älteren.
Jón bedeutete, loszugehen. Sie waren ohnehin schon auf dem Weg zum Hinterausgang. „Ja, das meiste. Frau Tóta besteht nur immer darauf, dass ich sie trage. Aber ich hab Angst, dass meine Augen dann noch schlechter werden.“ Er machte eine kurze Pause. „Und du kannst Nonni zu mir sagen. So nennen mich eigentlich alle.“

„Entschuldige, aber, ich hab vorhin deinen Namen nicht ganz verstanden,“ sagte Rúnar. „Skaði?“
“Nonni… bedeutet das etwas?“ Allmählich folgte die Nordskov den beiden. Verschränkte abermals entspannt die Hände hinter dem Rücken und wippte bei jedem ihrer Schritte sorglos auf und ab. Auf Rúnars Frage nickte sie mit verzogenen Lippen. Ignorierte die etwas eigensinnige Aussprache und wandte sich erneut Jón zu. “Und ich glaube nicht, dass deine Augen schlechter werden. Wäre doch schade, wenn du die ganzen schönen Dinge dieser Welt nicht sehen kannst, weil du sie aus lauter Angst nicht trägst, oder?“ Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Jón lächelte. „Da hab ich noch nie drüber nachgedacht. Aber ich glaube nicht. Alle, die Jón heißen, werden meistens Nonni genannt.“

Zu ihrer nächsten Aussage sagte Jón nichts. Er lächelte sie nur an, hielt ihren Blick, und nahm die Brille aus der Tasche, zog sie an. Seine Mundwinkel hoben sich etwas mehr, als er Skaði durch die Gläser ansah.

Jetzt war es Rúnar der rot wurde. Er sah weg. Zum Glück war Ásta etwas pragmatischer vor anderen Leuten. Oder allgemein.
Das war eine seltsame Art des Spitznamens, musste sich Skadi eingestehen. Vor allem wenn er standardmäßig von jedem genutzt wurde, der so hieß. Also wäre der Name an sich nicht schon kurz und griffig genug. Sollte er dann nicht einen persönlichen und eigensinnigen Kosenamen bekommen? Vielleicht fiel ihr im Laufe des Tages eine brauchbare Alternative ein.
“Na siehst du. Schon viel besser.“ Neckte sie ihn schmunzelnd, kaum dass das schimmernde Gestell raschelnd von seiner Hosentasche auf seinen schmalen Nasenrücken gewandert war. Fast vergaß die Nordskov weshalb sie eigentlich hier war. Und wie seltsam dieses erste Zusammentreffen anmutete. Wahrscheinlich weil sie das leise Schnauben hinter der Holztür vernahm, vor der sie nun innehielt und zu Rúnar hinüber blickte. War der vorhin auch schon so rot gewesen?
“Geht’s dir gut?“
"Ja, alles bestens," sagte er, aber ihre Frage trieb ihm noch mehr die Hitze ins Gesicht. Zum Glück spürte er es nicht zu stark als er die Tür öffnete und ihm die Winterluft von draußen entgegen kam.

Eines der Pferde wieherte, als es bemerkte, dass jemand kam.

Rúnar bedeutete Skaði mit einer Handbewegung, zuerst hinauszugehen.
Dieser Typ war irgendwie komisch. Je länger sie ihn musterte, desto intensiver wurde die rötliche Färbung seines Gesichts und biss sich regelrecht mit dem hellen Blond seiner Haare. Mit einem Achselzucken wandte sich die Nordskov von ihm ab und folgte seiner stillen Anweisung voraus ins Freie zu gehen. Fast wollte ihr Körper angesichts der Kälte zusammenzucken, doch von der plötzlichen Gänsehaut auf ihren Armen abgesehen, trat von diesem Schock nichts nach außen.
Viel mehr waren die braunen Augen auf die Tiere gerichtet, die nur wenige Meter entfernt standen und ihre Köpfe herum wandten.

„Wow... die sind ja ganz hell.“

Fast war sie versucht auf eines der Tiere zuzulaufen, hielt sich jedoch mit einem Seitenblick auf Jón zurück.
Ganz hell. Waren sie das? Welche Farben hatten die Pferde denn, wo sie herkam?

Jón bedeutete Skaði mit einer Handbewegung, dass sie an die Weide treten durfte. „Welche Farben haben denn eure Pferde?“ fragte er. Selber Gedanke.

Die Zucht von Rúnars Onkel war recht klein und hatte wenig Farbvariation im Gegensatz zu manchen anderen. Zehn Stuten, vier Wallache, zwei Hengste, jeweils zwei Drei- und Zweijährige und sieben Jährlinge, von denen aber der Großteil wahrscheinlich verkauft werden würde. Nur drei davon waren Schecken, der Rest war sehr falblastig. Aber insgesamt waren sie tatsächlich recht hell, wenn man es objektiv betrachtete.

Ein klein wenig Sehnsucht erfüllte Rúnar, wie jedes Mal, wenn er darüber nachdachte. Er würde das hier nie machen. Reiten, sich um die Pferde kümmern, ja. Das schon. Aber es würde nie seine Lebensaufgabe werden.
Erst zögerlich, dann mit schnellen Schritte huschte der Körper der Nordskov an Jón vorbei. Direkt auf die Weide zu, die hier und da mit weißem Schnee bedeckt war.

"Die meisten sind schwarz oder braun."

Zumindest waren es die, die Skadi vor allem auf der Hauptinsel zu Gesicht bekam. Doch das mochte genauso viel bedeuten, wie alles andere, dass sie in ihrem Leben bereits gesehen hatte. Was nicht sonderlich viel war.

"Und die gehören alle euch?"

Nur kurz wandte sich der dunkle Schopf zu Rúnar zurück, kaum dass die Jüngere bereits auf einen der Zaunpfähle geklettert war und mit ausgebreiteten Armen das Gleichgewicht hielt.
Jón und Rúnar gingen ebenfalls auf den Zaun zu. Jón tat es Skaði nach, aber Rúnar blieb unten stehen und sah zwischen den Zaunlatten hindurch.

Eine braune Stute kam schon auf sie zugelaufen. Jarpblesa. "Alle meinem Vater," sagte Jón. "Also--er hat sie gezüchtet, gehören tun sich ihm nicht alle. Die da ist zum Beispiel meine." Er zeigte auf Jarpblesa, die sich jetzt in den Trab setzte um schneller zu ihm zu gelangen. "Und Rúnar hat sogar zwei." Er lehnte sich nach vorn, an Skaði vorbei und sah zu seinem Cousin.

"Meine Mutter hat sie mir geschenkt," sagte Rúnar, wandte sich dann zur Weide. Er pfiff zwei Mal. Ein paar Köpfe hoben sich. Nótt, seine Rappstute, kam sofort auf sie zu und wieherte ihnen entgegen, was Rúnar zum Lächeln brachte. Der Kopf seines Wallachs senkte sich wieder und kümmerte sich um das spärliche Gras. Rúnar schüttelte den Kopf und trat ebenfalls auf den Zaun, hielt sich mit beiden Händen an der obersten Zaunlatte fest. "Rökkur!" rief er. Der Kopf hob sich wieder. "Áfram!" Dann setzte sich der Falbe auch in Bewegung. Gemächlich. "Ich glaub er ist dicker geworden, seit er gelegt wurde." Mit bedauernden Gesicht drehte Rúnar sich zu Jón. Dann zu Skaði. "Ehm. Das bedeutet kastriert." Er hob den Zeige- und Mittelfinger um eine Schere anzudeuten. Dann sah er irritiert auf seine eigene Hand und zog sie hinter seinen Rücken. Unschöne Geste in diesem Zusammenhang.
Das Traben der Pferde vibrierte durch den eisigen Boden. Skadi glaubte es bis durch den Zaun zu ihren Fußsohlen zu spüren, während sie sich mit aufgestützten Händen voraus lehnte und den Blick zu den Stuten gleiten ließ. Diese Weite des Landes hatte schlagartig nichts monotones oder lebloses mehr an sich. Fast hätte die Jüngste im Bunde den Herrschaften kaum mehr zugehört. Streckte auf den letzten Metern ihre Hand dem schnaubenden Pferdekopf entgegen, der sich in tippelnden Schritten auf Jón zubewegte.

Erst als Rúnar fort fuhr, lenkte es Skadis Aufmerksamkeit auf das Gespräch zwischen ihnen. Mit immer noch ausgestreckter Hand sah sie zwischen den Jungen hin und her. Runzelte kurz nachdenklich die Stirn. Gelegt, kastriert. Wovon bei allen Göttern sprachen sie?
“Das heißt ihr habt ihm...“ Just nahm sie auch die zweite Hand vom Zaun und spiegelte Rúnars Scherengeste. “die Haare geschnitten?“
Jarpblesas Nüstern blähten sich, als sie an Skaðis Hand roch. Dann drehte sie ihren Kopf zu Jón, der anfing ihr die Stirn zu kraulen.

Jón lachte laut auf und taumelte ein wenig—musste sich mit beiden Händen am Geländer festhalten. Jarpblesas Nase zuckte weg.

„Ehm. Nein.“ Rúnar kratzte sich am Kopf. „Das heißt wir haben ihm die Hoden abgeschnitten.“ Der Satz kam sehr sachlich raus, aber er spürte, wie ihm wieder die Hitze ins Gesicht stieg. Nótt streckte in dem Moment den Hals über den Zaun, zwischen ihm und Skaði. Ihr Kiefer lag auf der Zaunlatte auf—Rúnar nahm den dicken Schopf und zog ihn sanft durch seine geschlossene Hand. Das Sternabzeichen auf ihrer Stirn kam zum Vorschein.
Der warme Atem des Tieres fühlte sich angenehm auf ihren Knöcheln an. Vertrieb die zunehmende Kälte, die ihre Glieder hinauf kletterte und sie als Kind der Tropen nicht gewohnt war. Doch Jóns herzhaftes Lachen und Rúnars mehr als bedröppelter Blick lenkten sie davon ab. Auf seine Erklärung hin presste sie nur die Lippen zusammen. Senkte die braunen Augen auf den Kopf der Stute neben sich und hielt sich nun mit beiden Händen am Zaun fest.

“Also wenn ihr das mit mir machen würdet, hätte ich auch keine Lust auf euch.“, entgegnete sie mit einem leichten Spott in der Stimme.

“Wieso... macht ihr sowas überhaupt?“

Mit dieser Frage wandte sie sich an Jón, der mit dem unfreiwillig gewählten Thema wohl wesentlich weniger Probleme zu haben schien als Rúnar, der sich lieber seiner Stute widmete.
Rúnar musste auf ihre Reaktion kurz die Lippen zusammenpressen, um nichts Unhöfliches zu sagen. Er wollte Jón nicht die Situation verderben, nachdem er ihn mitgenommen hatte, obwohl er sie hätte allein lassen sollen. Aber es fühlte sich an, als hätte sie ihm sowas gesagt wie: Dein Bruder liebt dich nicht.

Wie um ihn zu bestätigen war Rökkur in dem Moment am Zaun angekommen, streckte den Hals nach oben, und stieß ihm sanft die weiche Nase ins Gesicht. Als würde er ihm einen Kuss geben. Rúnar umgriff seine Nase und küsste ihn zurück, zwischen die Nüstern. Dann stieß Rökkur seine Nase in Nótts Hals und sie zog ihren Kopf wieder zurück.

„Na ja,“ begann Jón. „Wir wollen halt von manchen Hengsten keine Fohlen. Ist ja eine kontrollierte Zucht. Und die sind dann aber frustriert, wenn sie keine Stuten decken dürfen. Deswegen kastriert man sie.“
Skadi blinzelte einige Male, nur um erneut festzustellen, dass sich Rúnars Gesichtsausdruck seltsam verfärbt hatte. Wirkte er etwa verärgert? Schweigend beobachtete sie das Spiel zwischen dem Wallach und seinem Besitzer, wandte dann ihren Kopf fragend an Jón, der wesentlich unbekümmerter antwortete.
“Mh. Und dann sind sie weniger frustriert...“
Fast war das Murmeln zu leise, als dass es bis zu den Jungen durchdrang. Doch Skadi wandte sich ohnehin von beiden ab und ließ den Blick nachdenklich über die Weide gleiten. Zuckte schlagartig zusammen, als ein nur all zu bekannter Laut in ihrem Rücken erklang. Dieses Mal war es nicht die Kälte, die ihr Gänsehaut über die Arme trieb. Wie in Zeitlupe wandte sich der dunkle Schopf herum. Die Hände eisern um die Zaunlatte geschlungen. Und dort stand er. Mitten im Türrahmen und hob mit tadelndem Blick einen dicken Klumpen Stoff in die Höhe.
Rúnar verstand nicht, was sie gesagt hatte -- aber das erübrigte sich ohnehin, als die Tür zum Haus hinter ihnen aufschlug. Rúnar und Jón drehten sich ruckartig um. Skaðis Vater stand im Türrahmen, berührte mit dem Scheitel fast die obere Kante. Als Rúnar realisierte, dass er einen Mantel hochhielt, realisierte er auch, dass sie ja die ganze Zeit keinen getragen hatte. Jón und er sollten sich auch wärmere Sachen anziehen, wenn sie mit dem Pferden raus wollten.
Skadi folgte seiner Anweisung nur widerwillig und schenkte Jón im Vorbeigehen ein mildes Lächeln. Dann beschleunigte sich ihr Schritt, wandelte sich in einen schnellen Trab, der kleine Klumpen Schnee in ihrem Rücken aufwirbelte.

Oddr sah indes zu den Jungen hinüber. Musterte ihre Gestalt von Kopf bis Fuß und bat auch diese mit einem Kopfnicken ins Innere des Hauses zurück.

“Du bist hier nicht zu Hause.“

Brummte der Lockenkopf zu seiner Tochter hinab und klang dabei ebenso wenig begeistert, wie die Miene seiner Ältesten anmutete.

“Sollte ich mich vorhin nicht noch fühlen als wäre ich es?“

Ein lachendes Schnauben durchfuhr seine Kehle und trieb ein amüsiertes Zucken in seinen Mundwinkel. Erst als Jón und Rúnar auf einen Meter heran getreten waren schwand der sanfte Ausdruck.

“Ihr solltet euch wärmer anziehen, wenn ihr hier draußen bleiben wollt.“

Sein Blick sagte allerdings mehr als das. Wirkte beinahe als ermahnte er die Jungen, ab jetzt besser auf seine Tochter aufzupassen, die sich mit blauen Lippen den dicken Mantel über die Schultern zog.
Rúnar und Jón tauschten einen Blick aus, der sagte, dass sie lieber nicht zögern sollten, wenn Skaðis Vater etwas befahl. Oder empfahl, in dem Fall, aber machte das einen großen Unterschied? „Jawohl,“ sagte Rúnar und gab sogar eine leichte Verbeugung.

Sie rannten auf die Tür zu. Jón hielt kurz bei Skaði an und sagte: „Warte hier auf uns, ja? Wir gehen nur schnell unsere Mäntel holen.“

Sie rannten den Gang entlang zurück, rannten fast Kjartan um, der mit einem Tablett auf dem ein Teeservice stand aus dem Treppenhaus kam. „Entschuldige!“ rief Rúnar und Jón lachte ausgelassen. Sie verschwanden in ihren Zimmern, warfen sich die Mäntel um und rannten wieder hinaus. Skaðis Vater war wohl wieder bei den Erwachsenen.

Außer Atem und mit roten Wangen standen die beiden im Türrahmen. „Wollen wir dann ausreiten gehen, oder hast du es dir anders überlegt?“ fragte Jón Skaði.
Die Jungen rannten, als hinge ihr Leben davon ab. Als könnten sie es kaum erwarten, durch den hellen Schnee zu rennen, den Skadi mit der Spitze ihres Stiefels aufwirbelte. Komische Kerle. Aus diesem Rúnar wurde sie noch weniger schlau, als aus Jón, der auf den ersten Blick ganz in Ordnung und ähnlich energiegeladen wirkte, wie sie. Warum sie sich so sehr um sie bemühten, war ihr schleierhaft. Hatte wohl mit Gastfreundschaft zu tun. Zumindest war es das, womit sie ihre eigenen Gedanken zufrieden stellte.
Als sich die Tür in ihrem Rücken öffnete, wirbelte die Nordskov herum und musste sich die dichten Locken aus dem Gesicht wischen.

“War das nicht der Plan?“

Sie lächelte. Legte die Hände abwartend in den Rücken und musterte Jón. Rúnar stand dicht hinter ihm, lugte erst mit den hellen Spitzen über dessen Schulter und zeigte kurz darauf sein blasses Gesicht, das neben Jón noch gespenstischer wirkte.
Jón grinste Skaði mit leuchtenden Augen an. Er klatschte kurz in die Hände. "Schön," sagte er und drehte sich zu Rúnar um. "Blær für Skaði, oder?"

Rúnar nickte. "Hätte ich auch gesagt."

Rúnar drehte sich schon Richtung Gang um während Jón Skaði mitwinkte. "Wir gehen erst Sattel und Zaumzeug holen."
Schweigend folgte sie den beiden Jungen in Richtung der Ställe. Dieser Jón und seine gute Laune waren fast schon ansteckend. Immer wieder erwischte sie sich dabei, wie sich dieses sanfte Lächeln zurück auf ihre Lippen stahl, wann immer sich sein Blick auf sie richtete. “Aber ihr könnt auch ohne all das auf ihnen... sitzen...oder?“
Jón tippte seinen Finger an das Kinn, als sein Blick auf der Suche nach Blærs Sattel an der Wand entlang schweifte. (Auf der einen Seite des Raums waren alle Sättel auf in der Wand eingelassenen Sattelböcken angereiht. Auf der anderen--an Haken--die Trensen.)

"Ah", machte Jón und zog sich die hölzerne Trittleiter heran. Blærs Sattel befand sich auf einem Bock ganz oben. Rúnar sammelte derweil die Trensen zusammen.

"Klar können wir das", ächzte Jón--er war gerade dabei den Sattel vom Bock zu hieven. "Aber wir fordern sehr viel von den Pferden und da ist es besser für den Rücken des Pferdes, wenn man das Equipment verwendet." Er blieb abrupt mit dem Sattel im Arm auf der Trittleiter stehen und starrte Skaði an. "Ehm ... willst du--willst du ohne Sattel reiten? Wenn du dich dabei wohler fühlst ..."

Rúnar presste die Lippen aufeinander um nichts zu sagen. Blær war von sanftem Gemüt und vertraute jedem, der ihr auch nur kurz die Nase kraulte oder den Hals tätschelte--aber es gehörte nicht nur Vertrauen zwischen Pferd und Reiter dazu, sondern die beiden mussten sich auch kennen; wissen wie der jeweils andere tickte. Aber er verstand schon. Jón wollte, dass sich Skaði so willkommen wie möglich fühlte.
Für einen Moment spürte die junge Nordskov den Impuls voraus zu treten und die Arme nach dem Sattel auszustrecken, den Jón vom Bock zog. Sonderlich leicht schien das Ding nicht zu sein, seine Frage hielt sie allerdings davon ab.
“Ich kann gar nicht reiten.“, gestand sie amüsiert, zog dabei die Arme hinter ihrem Rücken hervor und zuckte beiläufig mit den Schultern. War ja nichts wofür man sich schämen musste. “Und die paar Mal, wo ich Menschen auf... Pferden in meiner Heimat gesehen habe und nicht auf der anderen Insel... das war glaube ich ganz ohne... das da.“ Sie nickte auf den Sattel in Jóns Hand und fühlte letztlich dem Impuls nach, den sie eben noch gehabt hatte, um ihm helfend die Hände entgegen zu strecken. “Ich war nur neugierig.“
Jón zuckte ebenfalls die Schultern auf ihre Antwort hin. "Ach so." Er reichte ihr wie selbstverständlich den Sattel runter. "Dann ist es wahrscheinlich besser, wenn du das Equipment verwendest." Er lächelte und stieg von der Trittleiter runter.
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RE: Shall I compare thee to a summer's day? - von Rúnar Rúnarsson - 24.07.2020, 18:24

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