08.04.2020, 20:31
Die Bestätigung seiner Vermutung ließ Lucien leise, in einem Laut hörbarer Erleichterung die Luft ausstoßen. Für einige wenige Herzschläge schloss er die Augen, deutete nur ein verstehendes Nicken an. Eine Vergewaltigung war seine größte Sorge gewesen. Auch wenn es die Tatsache, dass ihr Bruder es überhaupt versucht hatte, wahrscheinlich nicht viel besser machte. Nicht für sie jedenfalls.
Doch die Erleichterung über ihre Unversehrtheit auf der einen Seite ließ die pragmatische Kälte auf der anderen nur stärker werden. In seiner ersten und unmittelbaren Sorge beschwichtigt, konnte der junge Captain sich seiner zweiten Priorität widmen. Lösungen.
Er hob den Blick wieder, richtete die tiefgrünen Augen auf Shanaya und schwieg zunächst einen Moment, in dem er beobachtete, wie ihr stille Tränen über die Wange liefen und sie den Kopf senkte, den Boden unter sich betrachtete. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, die Anspannung kehrte in ihre Schultern zurück.
„Warum hast du ihn nicht getötet?“
In seiner Stimme lag kein Vorwurf, auch nicht die unterschwellige Unterstellung, sie wäre zu schwach. Es war eine simple, ganz und gar nüchterne Frage, die lediglich nach einer ehrlichen Erklärung der Umstände verlangte. Und die Kühle, die nun in seinem Blick lag, ließ zumindest erahnen, was in ihm vor ging. Wie wenig Skrupel er bei dem Gedanken empfand. Wie er ihn dagegen tatsächlich genoss. Ihrem Bruder für das, was er ihr antat, eine Klinge in die Kehle zu rammen.
„Lähmt dich dein Hass so sehr? Oder glaubst du, dass du ihm nicht gewachsen bist?“