07.04.2020, 15:26
Das Zimmer, die abgeschlossene Tür und die Tatsache, dass hier niemand so einfach herein kam, ließen Shanayas Anspannung noch ein wenig von ihr abfallen. Nicht komplett, dafür war es viel zu früh, aber ihr Herzschlag war langsamer geworden, sie musste nicht mehr die Umgebung im Blick behalten und konnte sich ein wenig entspannen. Zumindest für den Moment.
Sie beobachtete still wie Lucien den Schlüssel auf dem Tisch ablegte, sich dann einen Stuhl zurecht rückte, auf den er sich sinken ließ. Sein Blick ruhte nun auf ihr und noch immer stellte die junge Frau sich die stille Frage, was genau er wissen wollen würde. Sein Blick ließ ihr Herz doch wieder einige Takte schneller schlagen und erst, als er schließlich eine so unscheinbare Frage stellte, atmete Shanaya mit einem leisen Seufzen aus. Eine Frage, die so einfach zu beantworten war. Und deren Antwort ihr trotzdem so schwer fiel. Sie sprach nicht gern darüber, hatte das bis zu diesem Zeitpunkt nie auch nur jemandem gegenüber in den Mund genommen. Wieso? Weil es niemanden etwas anging, weil jeder seine Geschichte besaß, die kein Geheimnis war, die er nur einfach nicht t teilen wollte. Aber Lucien wusste so oder so schon mehr als jeder andere... und die junge Frau befürchtete, dass er so oder so nicht nachgeben würde.
Bevor sie jedoch auf seine Frage einging, wurde ihr Lächeln ein wenig schräg und sie erinnerte sich an eine Frage, die er ihr einmal gestellt hatte. Ob sie sich vor etwas fürchtete. Er sollte eine Antwort darauf bekommen, vielleicht verstand er ihre Reaktion an diesem Abend noch ein wenig besser. Ihre Reaktion auf das, was sie erlebt hatte.
„Erinnerst du dich daran, dass du mich gefragt hast, ob es etwas gibt, wofür ich mich fürchte?“ Noch einmal holte Shanaya ruhig Luft, beruhigte sich selbst damit, bevor sie weiter sprach. „Hier hast du deine Antwort. Ich habe vor keinem Menschen Angst, auch nicht vor meinem Bruder. Ich fürchte nur, was er in mir auslöst, weil ich das nicht kontrollieren kann. Er ist alles, was ich hasse, mit jeder einzelnen Faser.“
Unentwegt lag ihr heller Blick auf dem des Dunkelhaarigen, mit den nächsten Worten konnte sie ohne Probleme an ihre vorherigen anschließen und doch ließ sie sich zwei Herzschläge Zeit, ehe sie mit zittriger Stimme weiter sprach. Zittrig vor Wut, vor all diesen Emotionen, die Bláyron in ihr hervor rief.
„Und genau das weiß er. Er weiß um meinen Hass, um die Kontrolle, die ich verliere, wenn ich ihm begegne. Das war schon immer so, so lange ich denken kann. Er spielt es gegen mich aus... allein schon um mir zu beweisen, wer der Stärkere von uns beiden ist. Er ist machtbesessen, will alles und jeden unterwerfen. Und am liebsten seine kleine Schwester, die ihm seit jeher die Stirn bietet. Er würde alles daran tun, um mich zu brechen, um mir zu beweisen, dass ich ihm irgendwann gehören werde.“
Shanaya brachte diese Worte ohne eine weitere Pause über die Lippen, aber mit diesem Satz brach ihre Stimme ab. Einen Moment lang wandte sie den Blick von ihrem Gegenüber ab, richtete ihn auf das kleine Fenster, hinter dem alles in Schwärze getaucht war. Erst einige Augenblicke später richtete sie sich wieder an Lucien, fand wieder die Kraft, um weiter zu sprechen.
„Das ist es, was er erreichen will. Ich, als Spielzeug für seine Crew... und ihn. Er verträgt es nicht, dass ich ihm bisher bewiesen habe, dass ich mich ihm nicht beugen werde, egal, was er tut.“ Das war die kleine Vorgeschichte, ehe sie mit einem erneuten Luftholen zu diesem Abend kam, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, stiegen ihr Tränen in die Augen. „Er hat mir aufgelauert, und... ich habe Glück, dass er schnell aufgibt, wenn er genug Gegenwehr bekommt. Noch zumindest. Es war nicht das erste Mal, dass er versucht hat, mich zu vergewaltigen. Und es wird auch nicht das Letzte Mal gewesen sein.“