06.04.2020, 21:36
Als sein Blick zu ihr zurück kehrte, erahnte er die Anspannung auf ihren Zügen. Im ersten Moment sah sie nicht ihn an, sondern nahm jeden Zentimeter des Raumes in Augenschein. Jedes Gesicht, jede dunkle Nische, jede Ecke, hinter der sich ein Mensch hätte verbergen können. Sie rechnete noch immer mit einem neuerlichen Angriff. Gehetzt wie eine Katze in der Sackgasse.
Dass sie seinen Vorschlag, sich hier im Schankraum an einen Tisch zu setzen und rasch etwas zu essen daher ablehnen würde, ahnte Lucien bereits in dem Moment, in dem ihr von Unbehagen gefärbter Blick dem seinen Begegnete. Er nickte lediglich verstehend und dachte nicht einmal daran, sie umzustimmen. Immerhin ging es darum, dass sie sich wohl dabei fühlte. Sofern das nach dem, was sie womöglich erlebt hatte, überhaupt möglich war.
Sacht drückte er ihre Hand, nickte dann in Richtung des Tresens und schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln.
„Dann komm, hoffen wir, dass er noch ein Zimmer frei hat.“
Der Dunkelhaarige setzte sich wieder in Bewegung, zog Shanaya sanft hinter sich her und bahnte ihnen beiden einen Weg durch die eng beieinander stehenden Tische, wobei er eher instinktiv die zu dicht beieinander sitzenden Männer mied, die nur zu schnell auf die Idee kamen, ihre Hand auf einen vorbeihuschenden Knackarsch klatschen zu lassen. Eine Kneipenschlägerei und der ein oder andere Tote hätte mit Sicherheit nicht dazu beigetragen, dass sie unauffällig blieben.
Als sie den Tresen erreichten, hob der stämmige Wirt mit dem schmierig-grauen Haar den Kopf von einem Krug, den er gerade mit einem dreckigen Lappen noch dreckiger polierte. Statt einer Begrüßung brummte er ihnen ein fragendes Geräusch entgegen und die kleinen, feuchten Augen huschten recht teilnahmslos von Shanaya zu Lucien.
„Wir brauchen ein Zimmer und etwas zu Essen. Brot und Käse, falls Ihr da habt.“
Das erschien dem jungen Captain zumindest sicherer, als eine undefinierbare Pampe in einer versifften Schale.
Ohne sich zu rühren, brummte der Wirt nur ein „Drei Achter.“, was dem Dunkelhaarigen beinahe ein Schnauben entlockt hätte. Doch er griff mit der Linken in den Geldbeutel an seinem Gürtel, fischte ein paar Münzen hervor und legte sie auf den Tresen. Erst dann kam Bewegung in den Hausherrn. Er griff nach dem Gold, bückte sich unter seine Arbeitsplatte und holte einen groben Eisenschlüssel hervor. „Die Treppe hoch, letzte Tür links.“ - „Könnt Ihr uns das Essen nach oben bringen?“ - „Das kostet extra.“
„Na klar...“, gab Lucien spöttisch von sich und förderte eine weitere Münze zu Tage, die er dem Wirt auf den Tresen legte. Dann wandte er sich an Shanaya und nickte, um ihr zu bedeuten, vorzugehen.