24.03.2020, 18:21
This mark you’ve made on me can’t be erased
Später Abend des 09. Mai 1822Lucien Dravean & Shanaya Árashi
Die Sonne versank langsam über den Dächern der Stadt, tauchte inzwischen alles in ein tiefes Rot. Die Menschen auf den Straßen achteten kaum auf ihre Umgebung, die meisten eilten nach Hause zu ihren Familien. Nur Shanaya schlenderte mit ruhigen Schritten durch die Straßen, ließ den Blick dabei aufmerksam schweifen. Der Hafen war noch ein ganzes Stück entfernt, aber sie hatte alle Zeit der Welt. Sie hatte in der Stadt alles erledigt, wofür sie losgezogen war und so musste sie jetzt nur noch zur Sphinx zurück kehren. Gut gelaunt, mit einem leisen Summen auf den Lippen, bog die junge Frau in eine der Seitengassen ab, die sie als kleine Abkürzung in Erinnerung hatte. Nach wenigen Metern folgte eine erneute Abzweigung, die von einer Laterne spärlich beleuchtet wurde. Jemand stand dort, der Schatten eines Mannes fiel auf den grauen Boden. Aber Shanaya erkannte nicht das Gesicht, nur den Körper des Fremden. Sie störte sich also nicht daran, setzte ihren Weg fort, bis sie die Hauswand erreicht hatte und weiter nach rechts gehen wollte.
„Ich hatte gehofft, dass du diesen Weg gehen würdest.“
Mitten in ihrer Bewegung erstarrte Shanaya. Der Klang dieser Stimme... Sie hatte den Blonden erkannt, bevor er gesprochen hatte – aber erst mit seinen Worten nahm sie ihn vollkommen wahr. Der letzte Mensch aller Welten, den sie sehen wollte. Das Summen war verstummt, augenblicklich wich die Schwarzhaarige einen großen Schritt zurück und zog in der selben Bewegung ihren Degen. Bláyron.
Er stand vor ihr, die Arme verschränkt, den grünen Blick fest auf sie gerichtet. Shanayas ganzer Körper spannte sich an, all ihre Sinne konzentrierten sich auf den Mann, der ihr nun mit einem ruhigen Schritt folgte. Sie hätte weglaufen können, wie bei Mardoc. Irgendeinen verworrenen Weg nehmen, um ihn abzuhängen. Aber ihr Körper gehorchte nicht, der Hass, den sie beinahe auf der Zunge schmeckte, lähmte sie, nahm ihr jegliche Kontrolle und klaren Gedanken. Bláyron kam einen weiteren Schritt näher, den die junge Frau weiter zurück wich, sodass ihr Rücken gegen die Steinwand hinter ihr stieß. Ihr Herz raste, unzählige Gedanken kreisten durch ihren Kopf, aber all das schien sie durch den unendlichen Zorn, der in ihr brodelte, kaum wahrzunehmen.
„Kleine Schwester, du hast doch nicht etwa Angst vor mir?“
Er grinste, sein Gesicht glich mehr einer Grimasse. Ihre Hand, ihr ganzer Körper bebte und trotzdem umfasste sie den Knauf ihres Degens fester, so sehr, dass ihre Hand zu schmerzen begann.
„Wo sind deine kleinen Freunde? Ich an deiner Stelle würde aufpassen, vielleicht ist mir der ein oder andere schon begegnet...“
Seine Worte nahmen ihr einen Moment lang die Luft, schnürten ihr die Kehle zu. Was wusste er? Hatte Mardoc ihm etwas erzählt? Hatte ihr Bruder...? Die Schwarzhaarige schüttelte in einer fast hektischen Geste den Kopf, versuchte diesen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie durfte sich davon nicht ablenken lassen, genau das wollte er. Sie ausspielen, sie ablenken...
Der Mann kam noch einen Schritt näher, stand nun fast direkt vor ihr. Sofort hob Shanaya die Hand, die den Degen umklammerte, holte aus, um den Blonden irgendwie von sich fort zu schlagen. Nur hatte er genau damit gerechnet, hatte selbst den Degen gezogen und wich in einer fließenden Bewegung zur Seite aus. Schneller als Shanaya hätte reagieren können, hob er selbst die Waffe, zielte mit einem Schlag auf die Hand seiner Schwester. Im nächsten Moment zog sich ein deutlicher Schnitt durch ihre Haut auf der Hand, aus Reflex löste sie die Umklammerung um ihren Degen, der laut klirrend zu Boden fiel. Sie wollte sich danach bücken, schnell genug sein, um wenigstens eine kleine Chance zu haben, aber ihr Bruder war längst noch einen Schritt näher gekommen, drückte sie nun mit seinem Körper gegen die Steinwand sodass sie sich kein Stück bewegen konnte. Sie atmtete deutlich schneller, wich dem Blick aus den grünen Augen jedoch nicht aus. Eisiger Hass lag darin, aber auch das änderte nichts daran, dass Bláyron jeden Versuch vereitelte, ihn von sich weg zu schieben, bis er ihre Arme einfach festhielt.
„Du bist einfach verschwunden, ohne dich richtig zu verabschieden.“
Mit diesen Worten ließ der Blonde einen ihrer Arme los, zog einen Dolch von seinem Gürtel, den er an die Schnüre ihrer Corsage legte. Der Zorn, der mehr und mehr in Shanaya kochte, trieb ihr Tränen in die Augen, während sie den Druck der Klinge spürte, die jetzt langsam die Schnürung durchschnitt. Tränen rannen ihr über die Wange, ihre Stimme war nur ein leises Flüstern.
„Verschwinde...“
Er hörte nicht auf, schnitt die letzte Schnur durch, die Corsage rutschte an ihrem Körper hinab auf den Boden.
„Ich verstehe dich nicht, du musst schon lauter sprechen...“
Mit jedem Wort des Blonden spürte sie mehr Hass, mehr Zorn und das Verlangen, Bláyron jeden Schmerz der Welt zu zufügen. Sie zitterte, wollte sich wehren und konnte doch Nichts tun. Bis zu dem Moment, in dem Bláyrons Hand, die den Dolch wieder weg gesteckt hatte, sich an ihre Bluse legt, sie mit dem lauten Geräusch von reißendem Stoff aufriss. Und wieder kam er näher, legte die Lippen an ihren Hals. In diesem Moment packte Shanaya eiskalte, blinde Wut. Ihre freie Hand löste sich aus ihrer Starre, griff nach ihrem eigenen Dolch und zielt mit aller Kraft auf das Gesicht ihres Bruders. Die Klinge traf, schnitt ihm quer über die Wange, als der Mann etwas zurück wich.
„VERSCHWINDE!“
Für den Hauch einer Sekunde ließ er von ihr ab, wich jedoch nicht zurück. Shanaya wollte sich frei kämpfen, den Moment nutzen, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber Bláyron war wieder schneller, legte ihr die Hand um den Hals und drückte sie rücklings gegen die Wand, drückte ihr die Luft ab. Er kam ihrem Gesicht noch einmal näher, in der Stimme eine deutliche Drohung.
„Merk dir eins, Shanaya. Du bist allein und daran wird sich nie etwas ändern. Ich werde dafür sorgen, dass du niemals glücklich wirst. Das verspreche ich dir. Diesmal lasse ich dich gehen, aber nur, damit wir uns bald wieder sehen.“
Noch einen Moment hielt er die Schwarzhaarige fest, ehe er sie los und von ihr abließ, sodass die junge Frau mit einem Keuchen nach Luft schnappte. Er hatte genug fürs Erste, aber das war gewiss nicht ihre letzte Begegnung gewesen.
Ihr Bruder war fort und mit einem Mal herrschte Stille. Shanaya hörte Nichts, außer dem schmerzenden Schlagen ihres gehetzten Herzens. Zitternd sank sie auf die Knie, die Wangen voller Tränen, die nicht versiegten. Die junge Frau schlang die Arme um ihren Körper, versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Den Schmerz der Wunde auf ihrer Hand nahm sie kaum wahr, genau wie das Blut, das ihre zerrissene Bluse beschmierte. Sie wollte hier weg, zur Sphinx, irgendwohin. Aber ihr Körper gehorchte nicht, gab ihr keine Chance, sich zu bewegen.