10.03.2020, 14:10
Langsam sickerte die Realität zu ihm durch und beruhigte ihn weiter. Das Rauschen der Wellen, Stricke, wie die der Hängematte aus seinen Kindertagen, sanftes Schaukeln, ein leichter Wind: das Alles war vertraut. Gerade das Skadi einfach nur friedlich da lag und summte, half, denn nichts Anderes hatten Nahia und Abene früher immer getan. Gerne wäre er auf ewig in diesem zeitlosen, friedlichen Zustand verblieben und so lange der vorhielt war auch er einfach nur. Erst hinterher sehnte er sich dorthin zurück, schien ihm der Moment viel zu kurz und nicht mehr zeitlos. Eine wage Erinnerung war es, die sich dazumischte und leisen Schmerz mit sich brachte, den auch Cornelis hatte das getan. Sie war es, die ihm seinen Frieden nahm:
'Cornelis.'
Einem einzelnen Tropfen gleich fiel dieser Name in die inzwischen wieder spiegelglatte See aus Einsamkeit in seinem Inneren und hallte mit jeder weiteren ringförmigen Welle nach. Darunter sank er, wie ein Stein, hinab, wühlte die Schwärze ein wenig auf und löste ein leichtes Zittern aus.
Auch draußen erschauerte der Schwarzhaarige. Plötzlich wurde ihm klar, dass ihm kalt war; aber auch, dass ihn Arme hielten, die ihn wärmten und in denen er lag.
'Wer?'
Vorsichtig regte er sich, versuchte mit blinzeln seine Sicht zu klären und stellte fest, dass auch er jemanden hielt.
'Gegenseitig?'
Langsam kehrte die Erinnerung zurück und brachte Übelkeit mit sich. Wieder drohte er in den Abgrund zu stürzen.
'Ich muss zu ihr zurück. Sie ist nicht sicher.'
Ein tiefes Seufzen entglitt seinen Lippen. Ja. Er musste zurück zu ihr und der einzigen Person, die derzeit noch blieb, die ihm helfen würde. Er musste zurück zu Skadi.
Und noch bevor er die Gestalt in seinen Armen erkennen konnte, wusste er, dass sie es war, die bei ihm lag.
Die Dunkelhaarige rührte sich kaum, bewegte sich nur träge und mit leichtem, unartikuliertem Protest, atmete mehr rhythmisch, als dass sie sanfte Töne formte. Sie wirkt erschöpft und sehr verletzlich. Schließlich bewegte sie leicht ihren Arm, kalte Haut rutschte auf warme, und umgekehrt. Für ihn fühlte sich die Wärme heiß an, für sie musste sich seine Haut eisig anfühlen.
Wie war sie hier her gekommen? Wo war hier überhaupt? Wie lange hatten sie hier draußen so gelegen? Wenn ihm so kalt war, wie kalt war ihr dann?
Und doch dachte er verwirrt zunächst an eine Andere:
'Isa? Nanichi?'
Für einen Augenblick lag sie wieder in seinen Armen, seine Schwester, wie so häufig, als sie noch gelebt hatte, verschwommen überlagerte die Erinnerungen die Gegenwart.
"Du sollst doch nicht so lange draußen bleiben!", flüsterte Enrique, nahezu unverständlich, so rauh war seine Stimme. Wie oft hatte er das doch zu ihr gesagt? "Du holst dir noch den Tod."
Isabella lächelte, dann verschwand die Vergangenheit, aufgelöst von der Erkenntnis, dass genau das passiert war. Dabei wurde ihm klar, dass seine Sorge, in diesem Punkt, jetzt Skadi galt.
Wäre er nicht so erschöpft gewesen, er hätte sie jetzt herangezogen. So hielt er sie (oder sich an ihr?) einfach nur fest, suchte ihren Blick, hinter der verblassenden Illusion, mit dem seinen — und stand kurz davor abermals zu weinen.
Wann sie aufgewacht war konnte er nicht genau sagen, doch sie sah ihn an.
Und was er eben noch gewollt hatte, wurde plötzlich zu viel. Der 26-jährigen sah weg. Er hatte ihr das nicht aufbürden wollen, gesehen, dass sie Schwierigkeiten mit solchen Dingen hatte. Und doch — es war passiert. Jetzt musste es auch hinaus. Er musste es ihr jetzt sagen. Das hatte sie sich mehr als verdient:
"Es — es tut mir leid, ich—
"Er ist — tot. Mein Bruder ist heute gestorben. Ich—"
Er schluckte mehrmals heftig.
"Cornelis, mein — mein über alles geliebter Bruder, ist— ist—"
Weiter kam er eine ganz Weile nicht, kämpfte mit Tränen und um jeden Atemzug, bis er für einen Augenblick die Kontrolle gewann:
"Er starb in meinen Armen und ich konnte nichts tun. Genau wie bei meiner Schwester. Ich—"
Dann war es vorbei und die Verzweiflung schwemmte jede Zurückhaltung fort.
'Ich habe schon wieder versagt ...'
Dieses Mal wollte er sich nicht an Skadi klammern und drückte sich doch an sie. Jetzt weinte er wirklich um ihn, ließ zum ersten Mal seit langem, im Wachen, Trauer zu.