06.03.2020, 12:33
Josiah hätte die frische Luft fast mit offenen Armen empfangen.
Die Tatsache, dass unter der Erde wenige unangenehme Überraschungen auf sie gelauert hatten, hatte tatsächlich dafür gesorgt, dass es Josiah bedeutend leichter fiel, die Gruppe sich selber zu überlassen. Er hatte nicht lange gehadert und sich nur sehr knapp verabschiedet. Dann war er in dem Schatten eines Hauses verschwunden.
Alleine war es bedeutend entspannter, voran zu kommen. Und schneller. Josiah verfiel, wann immer er sich sicher genug fühlte, in einen leichten Laufschritt. Die Schritte kurz haltend, den vorderen Fuß immer zuerst den Boden berühren lassend, seine Schritte so lautlos wie möglich gestaltend. Das Messer fest im Griff und jederzeit dazu bereit, es zur Verteidigung einzusetzen (wenn auch er es vorzog, der Geschwindigkeit zuliebe jeden Zwischenfall zu umgehen. Aber es verdeckt zu tragen erschien ihm inzwischen auch sehr überflüssig), huschte der Mann von Schatten zu Schatten, die Ohren gespitzt und sich immer wieder aufmerksam umsehend: ihm jetzt noch unbemerkt zu folgen würde einen Menschen einiges an Können abverlangen. Hätte man Josiah gefragt, würde dieser es als nahezu unmöglich erklären.
Aber er war auch realistisch genug, um nichts als Unmöglich abzustempeln. Also schlug er doch hin und wieder unnötige Haken, um hinter mögliche Verfolger zu kommen: ein kurzes Einbiegen in eine Seitengasse, gefolgt von einem kurzen Sprint eine Hauswand entlang, nur um dann wieder an der Stelle der Straße anzukommen, wo er vor wenigen Sekunden noch stand,
Das Ergebnis war jedes Mal dasselbe: eine leere Straße. Und jedes Mal nickte er sich stumm selber zu und setzte seinen Weg mit derselben Vorsicht fort.
Es dauerte nicht lange, bis die Lücken zwischen den Häusern enger wurden. Die Nebenstraßen enger, sodass Josiah bei einen seiner Haken sogar seinen Sprint abbrechen und sich seitlich durch zwei Häuser durchschlängeln musste. Als er diesmal wieder auf seiner eigentlichen Route ankam, und aufmerksam erst nach links, dann nach rechts die Strecke abgesucht hatte, lief er nicht sofort wieder los. Stattdessen glitt sein Blick die Fassaden der Häuser entlang. Er war sich nicht allzu sicher, wo genau er sich befand, oder ob das bereits die Häuserreihen waren, von denen der Neue erzählt hatte. Dennoch versprach ein Weg über die Dächer mehr Vorteile, als das Schleichen durch die Straßen.
Die Häuser dieser Ecke unterschieden sich überraschend wenig: sie waren schlicht, einfach, mit überraschend kleinen Türen und langgezogenen, mit Holzbrettern bedeckten Fenstern. Nichts deutete darauf hin, dass sich dahinter Leben befand.
Josiah trat ein paar Schritte zur Seite, erst nach rechts, dann nach links, um die Häuser etwas besser zu sehen. Er wollte eigentlich keine Zeit mit der Suche nach einem Aufstieg vergeuden: wenn sich hier nicht in den nächsten Sekunden was finden ließ, dann würde er einfach weitergehen und auf eine bessere Gelegenheit warten. Doch so weit sollte es nicht kommen: er wollte gerade wieder umkehren und weiterlaufen, als sein Blick auf eine Holzwand fiel, die ein kleines Stück weit hinter einer Hausecke hervorragte. Josiah zögerte nicht, als er ein paar weitere Schritte darauf zutrat und schließlich ein kleines Holzverdeck erblickte, gerade hoch genug, dass ein ausgewachsener Mann darunter stehen konnte. Jemand hatte gespaltenes Holz darunter gestapelt.
Josiah ließ das Messer noch in seine Tasche gleiten, blickte sich ein letztes mal prüfend um, und überwand dann im schnellen Schritt die letzten Meter. Er nahm sich nicht viel Zeit, um die Stabilität des Gerüstes zu prüfen. Nur kurz rüttelte er an einen der Strebe, ehe er wenige Schritte zurück trat und auf die Wand zurannte. Ein kurzer Sprung, ein Abstoßen an der Hauswand, während er bereits nach dem Dach des Verdecks griff, und ein kurzes Hochstemmen später war er oben: das tatsächliche Dach folgte kurz darauf.
Als Josiah sich aufrichtete, umdrehte und den Turm erblickte, atmete er nur kurz durch – die Luft, die Freiheit genießend – dann lief er auch schon weiter. Er hatte keine Zeit für Pausen.
Die Welt der Dächer war definitiv mehr die seine als dunkle, unterirdische Keller: Josiah genoss den Wind auf seiner Haut, als er geschickt von Dach zu Dach sprang, immer wieder prüfende Blicke nach unten werfend, ob er irgendwelche Feinde erkannte, und gleichzeitig versuchend, nicht allzu offensichtlich den Hampelmann zu machen.
Der Weg bot manche unerwartete, böse Überraschung, war aber stets machbar. Und auch der Turm rückte immer näher – es lief alles glatt. Vielleicht sogar zu glatt.
Als Josiah gerade überlegte, ob er lieber links, oder rechts an einen etwas größeren Haus vorbei sollte und welche Seite vom Turm aus besser einsehbar war, drangen plötzlich Geräusche zu ihm. Ein Schuss, dann Schritte und Stimmen.
Josiah erstarrte kurz, dann ging er intuitiv in die Hocke. Im ersten Moment hatte er fast angenommen, dass die Kugel ihm galt, doch der Gedanke war so schnell gegangen wie er gekommen war. Jetzt kauerte er mit angehaltenen Atem auf dem Dach und horchte aufmerksam: wer war es, von wo kamen sie, und wie viele waren es?
Sie mussten nah sein, so viel stand fest.
Die Antwort auf seine Fragen ergab sich Josiah wiederum schneller, als er erhofft hatte, und das ganz ohne bloßes Lauschen, als sie unter ihm auftauchten: Zwei taumelnde, offensichtlich fliehende Gestalten, kaum erkennbar in den Schatten. Aber die mit Säbeln bewaffneten, laut brüllenden Männer, die hinter ihnen um die Ecke bogen, verschafften der Situation ungewollt eine dringliche Klarheit. Josiah handelte sofort und instinktiv: noch bevor sein erstes Messer einen der Männer treffen konnte folgte das zweite. Doch die fehlende Zeit, die er sich für den zweiten Wurf genommen hatte, rächte sich sofort: der letzte Mann der Truppe riss nur noch überrascht die Augen auf, als das erste Messer ihn traf. Er griff sich an den Hals und stolperte benommen zur nächstbesten Wand. Das zweite Opfer hingegen bekam nur einen Schnitt ab: das Messer verfehlte knapp seinen Hals und kam blutig vor dessen Füßen auf dem Boden auf. Der Mann stoppte ruckartig und fuhr herum. Sein Blick huschte hektisch den Weg hinunter, blieb dann bei seinem Kumpanen hängen. Der wütende Ruf, der seinen Lippen entfloh, brachte nun auch den dritten dazu, sich umzudrehen.
Wenigstens darauf hatte Josiah gesetzt, denn im nächsten Moment bohrte sich das Messer in dessen Seite. Josiah hatte zwar gehofft, dass der Mann beim Umdrehen seinen Hals etwas mehr entblößte, doch die Säbelklinge war einen gutem Wurf im Weg gestanden, also hatte der Oberkörper reichen müssen. Der Mann stöhnte auf, griff sich an die Seite, und beide sahen wütend von links nach rechts. An sich hätte Josiah das Spiel gerne weiter geführt, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die beiden die Erleuchtung kam, dass sich niemand hinter den wenigen Fässern hinter ihnen verstecken konnte, zumal sie ja auch offensichtlich an niemanden vorbei gekommen waren, und ihnen die Dächer einfielen. Dem zweiten Mann, der bisher nur einen oberflächigen Schnitt abbekommen hatte, schien der Gedanke im selben Moment zu kommen, denn er wollte gerade nach oben blicken, als Josiah die vierte Klinge durch die Luft schickte. Sein Blick ging in einen überraschten, von Schmerz begleiteten Laut unter, als das Messer sich in seine Schulter bohrte. Es war schwer zu sagen, ob es der Schmerz war oder ein getroffener Nerv, aber der Mann ließ intuitiv den Säbel fallen.
Doch egal, warum: es war ein Fehler. Denn kaum hatte Josiah das scheppernde Geräusch erreicht, setzte er in seinem gezielten Satz vom Dach, genau auf den Mann.
Als sein Gewicht den Mann traf, schrie dieser erneut überrascht auf, ehe er – vollkommen unvorbereitet, und abgelenkt von erneutem Schmerz als der Angriff das Messer in seiner Schulter zur Seite riss und noch weiter hinein jagte – zu Boden ging. Josiah selber spürte den Aufprall ebenfalls etwas zu deutlich für seinen Geschmack, doch er ließ sich nicht beirren. Noch während sie fielen griff er nach dem Kopf des Mannes und stieß ihm sein letztes Messer in den Hals.
Der Mann war tot, noch bevor er den Boden berührte.
In einer fließenden Bewegung versuchte Josiah, sich von ihm runter zu rollen und das Messer dabei mitzunehmen. Denn bis hierher war sein Angriff gut verlaufen, aber der Grund, weswegen er überhaupt aufmerksam geworden war, war ihm noch sehr deutlich im Gedächtnis geblieben.
Ein Schuss.
Es ergaben sich mehrere Möglichkeiten. Der Mann unter ihm trug definitiv keine Schusswaffe bei sich: Hemd und Hose hingen straff an seinem Körper, wenn er eine bei sich getragen hätte, wäre sie deutlich sichtbar gewesen. Blieben nur noch der Kerl mit dem Messer im Hals, von dem Josiah zwar erwartete, dass er tot war, dies aber noch nicht überprüft hatte, und der erste, mit dem Messer im Unterkörper.
Vielleicht hatten es aber auch die Fliehenden. Unwahrscheinlich, aber möglich. Das wäre die beste Möglichkeit.
Josiah sprang auf, den Säbel, den sein Opfer fallen gelassen hatte, aufhebend und nach vorne blickend. Selbst wenn der Mann mit dem Hals noch lebte, stellte er im Vergleich zum vorletzten Opfer des Wurfmessers nur ein geringes Risiko dar. Und Josiah fehlte die Zeit, sie beide sofort anzusehen: Die Zeit für eine genaue Analyse war zu knapp. Auch, um nach den Fliehenden zu sehen. Nur kurz glitt sein Blick hinter den Kopfgeldjäger, der mit wütender Miene dastand, den Säbel fest umgriffen, und Josiah lautstark verfluchte.
[ neben Aiden & Liam | attackiert ihre Verfolger ]