01.12.2019, 15:18
Alte und neue Geschichten
Nachmittag des 01. Mai 1822
Direkt nach Point of no Return
Greo & Shanaya Árashi
Auf Shanayas Lippen lag eine gewisse Genugttung. Kurz hatte sie überlegt, sich noch einmal mit einem vielsagenden Blick zu Lucien umzudrehen. Aber sie beließ es dabei, ließ die zwei Treppen mit einem fast hüpfenden Gang hinter sich. Eigentlich wollte sie unter Deck gehen, ihre Pause sinnvoll nutzen. Bevor sie diesen Weg jedoch anschlagen konnte, fiel ihr eine bekannte Gestalt auf. Ihr Lächeln war dank der Begegnung kurz zuvor noch breit genug, also bewegte sie sich auf den großen Mann zu, der offensichtlich wieder mit irgendwas beschäftigt war. „Dich gibt es genauso wenig in 'nicht beschäftigt' wie mich, oder?“
„Ich verstehe die Frage nicht.“, gab er sofort zurück und blickte auf, zwischen den Händen ein Stück Holz und ein Messer, mit dem er das Material offensichtlich bearbeitet hatte. Was er da zu Schnitzen versuchte, war nicht ganz eindeutig zu erkennen. Mit gerunzelter Stirn blinzelte er sie äußerst aufmerksam an. „Dich gibt es genauso wenig in „nicht euphorisch“ wie -“, da stockte er kurz, denn ‚mich‘ zu sagen, hätte an dieser Stelle nicht gepasst. „Trevor.“, ergänzte er stattdessen und machte eine komische Miene.
Greo war mit ihren Worten scheinbar etwas überfordert... aber gut, genau so stellte sich die Schwarzhaarige den Mann vor, wenn er Nichts zu tun hatte. Überfordert, ein bisschen hibbelig und etwas knatschig. Umso besser war es also vermutlich, dass er Holz und Messer dabei hatte und irgendetwas damit anstellen konnte. Sie munterer Miene kam sie bei dem Dunkelhaarigen zum stehen, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und strahlte Greo entgegen. „Ich weiß nicht, ob es mich jetzt kränken soll, dass du mich mit Trevor auf eine Stufe setzt.“ Shanaya Kopf neigte sich etwas zur Seite, fragend hob sie eine Augenbraue. Das Lächeln schwand jedoch nicht von ihren Lippen. „Ich kann dir gerne eine große Portion von meiner endlos guten Laune abgeben."
Mit leicht geöffnetem Mund verengte er etwas die ungleichen Augen und guckte sie intensiv an. Offenbar war sein Witz nicht bei ihr angekommen – dass er meist einen neutralen Ton wählte, machte die Dinge wohl komplizierter. „Das war’n Scherz.“, meinte er und hobelte einen ordentlichen Span vom Holzblock. „Und das war keine Kränkung.“ Er hob den Holzblock an und deutete damit auf sie. „Sondern ein Stück weit Wahrheit. Sag mir nicht, dass du da gewisse Parallelen im Energielevel zwischen euch nicht erkennst. Davon ab seid ihr sicher zwei vollkommen verschiedene Personen.“ Er schmunzelte sie an. „Du weißt doch ,dass du hier die gute Seele bist.“, sagte er schließlich und hob dann die Schultern. „Nur gute Laune habe ich, die brauch‘ ich nimmer. Seh‘ ich schlecht gelaunt aus?“
Shanaya hob leicht eine Augenbraue, als Greo erwiderte, dass seine Worte bloß ein Scherz gewesen sein sollten. Armer Tropf. Sie trat noch einen Schritt auf den großen Mann zu, klopfte ihm dann kräftig auf die Schulter – er konnte das sicher ab. „Hältst du mich für so stumpf, solch einen Witz nicht zu erkennen?“ Sie grinste ihm breit entgegen, wurde diesen Ausdruck auch nicht los. „Du weißt doch, nicht immer alles ernst nehmen, was ich sage.“ Sie dachte kurz über seine Worte nach, lachte dann leise. „Das absolut nicht... aber ich und die gute Seele? Da ist irgendwie eine Lüge versteckt.“ Seine nächste Frage entlockte der Schwarzhaarigen ein amüsiertes Brummen. Schlecht gelaunt? „Nein, aber ich gebe dir gerne etwas ab, ich habe davon gerade viel zu viel.“
Der Glanz in seinen Augen ließ ein bisschen nach und er guckte sie ausdruckslos an. „Du machst mich fertig.“, erwiderte er und ließ die Schultern locker hängen. Manchmal irritierte sie ihn maßlos. Was zum Himmel ging in ihrem Kopf vor sich? Er wusste oft nicht einzuschätzen, wann sie zu scherzen pflegte und wann sie etwas ernst meinte. Auf ihr Schulterklopfen reagierte er nicht groß, er war es mittlerweile gewohnt, dass sie ihn so mal neckte, mal liebkoste. Dann jedoch runzelte er die Stirn und guckte sie aufmerksam an. „Wieso zu viel? Gabs eine Überraschung? Essen?“
Shanaya Grinsen konnte nicht mehr breiter werden, also funkelte sie dem Dunkelhaarigen einfach aus blauen Augen entgegen. „Ich würde ja sagen, dass mir das Leid tut, allerdings...“ Den Rest konnte Greo sich sicher selbst denken. Er hatte sich von ihr anheuern lasen – und er hätte sich denken können, was ihm da blühte! Seine Frage ließ die junge Frau erneut lachen. „Kommt dem schon ganz nahe, aber nein, ich habe einfach so sehr gute Laune.“ Gut, dass das eventuell auch leicht mit der Begegnung von zuvor zu tun hatte... Ihre Laune war vorher schon blendend gewesen. „Aber Essen klingt trotzdem unglaublich gut. Kannst du... das da unterbrechen und mich begleiten?“ Sie deutete auf das Holz in Greos Hand, lächelte dabei einfach weiter.
Er bleckte die Zähne – hatte er ihr gegenüber nicht schon einmal zu dieser Mimik gegriffen? – und schwenkte dann das Stück Holz vor ihrem Gesicht herum. „Nix unterbrechen, aber sicherlich gleichzeitig bearbeiten.“, sagte er und marschierte kurzum los Richtung Futterquelle. Dabei drehte er, während er sich mit gebeugtem Rücken in das Innere der Sphinx begab, sein Gesicht gen Shanaya. „Wonach ist dir?“ Eine dämliche Frage: es war ja nicht so, als ob sie großartig Auswahl gehabt hätten.
Shanaya hob bei Greos Miene und seinem Gefuchtel mit dem Holz nur eine Augenbraue, während ihr Blick schon genug sagte. „Verzeihung, wie konnte mir das nur passieren? Natürlich machst du das alles gleichzeitig.“ Und wie der Dunkelhaarige so war, marschierte er direkt los, Shanaya holte ihn schnell ein und lief neben ihm. Sie schritten auf die Treppen zu, die unter Deck führten und die junge Frau kam nicht umhin, den Blick einmal zum Steuer zu heben, ein wenig wärmer zu lächeln, woher auch immer das jetzt kam, und sich dann wieder Greo zu zuwenden. „Ich nehme, was mir vor die Nase springt.“ Sie ließ die Arme locker vor und zurück baumeln. „Vielleicht finden wir ja eine kulinarische Köstlichkeit.“
Er registrierte ihren verträumten Blick nach oben und runzelte die Stirn. War da was Schönes vorbeigeflogen? Greo schritt in die Kombüse. Irgendwie fanden sie beide immer mal wieder den gemeinsamen Weg hierher. Das konnte kein Zufall sein. Ihre Freundschaft ging einfach durch den Magen. „Oh, Zwieback mit Maden oder gammelige Äpfel.“, witzelte er ohne Spaß in der Stimme und riss mit einem solchen Schwung einen Schrank auf, dass er die Tür beinah aus den Angeln gerissen hätte. Seine Augen wurden groß und er piekte geistesabwesend mit dem Messer in den Holzblock. „Sag mal, kannst du kochen?“
Greos Worte ließen Shanaya leicht die Augen verengen, sie grübelte nur den Hauch einer Sekunde. „Wenn man zwei Wochen Nichts gegessen hat, ist das vermutlich wirklich eine Delikatesse.“ Irgendwann aß man vermutlich einfach wirklich alles. Der Riese riss die Schranktür auf, Shanaya versuchte dabei an ihm vorbei zu spähen, beobachtete halbherzig, was er mit dem Messer tat. Und lachte dann auf seine Frage hin. „Natürlich. Vermutlich besser als jeder andere auf diesem Schiff. Das war immerhin mit der größte Bestandteil meiner Ausbildung.“ Ihr Blick huschte noch einmal zu dem Holz. „Ich kann dir vermutlich aus allem etwas Essbares zaubern. Außer... aus dem da...“ Sie deutete auf den Klotz und grinste dabei weiter vor sich hin.
Während er eben noch halb in Gedanken versunken mit dem Messer hantierte, entgleisten ihm nun alle Gesichtszüge und er drehte sich entsetzt zu seiner Freundin. „Und wieso zur Hölle bin ich dann derjenige, der die letzten Male Essen gezaubert hat?“, fragte er und schaute sie fassungslos an, „Der liebe Gott weiß, ich mag ja Talente haben, aber ein fulminantes Mahl zu bereiten gehört nun wahrlich nicht dazu.“ Er trat augenblicklich einen Schritt zurück, breitete die Arme mit Holzblock und Messer aus und gestikulierte gen Küchenzeile.
Greo schien entsetzt und die Schwarzhaarige konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. „Vielleicht... weil ich so ein unglaublich gutherziger Mensch bin, der der anderen gern den Vortritt lässt?“ Sie wussten beide, dass das nur so dahin gesagt war, trotzdem amüsierte sich die junge Frau darüber. Dennoch lag ein Hauch Skepsis auf ihrem Gesicht, als Greo einen Schritt zurück trat. „Dann hilf mir wenigstens, Zutaten zu finden. Irgendwas.“ Sie scheuchte ihn ein wenig. „Wenn das mit Holz und Messer geht.“ Sie warf dem großen Mann einen kurzen Blick zu. „Und was kriege ich dafür?“
Ja, ja, war klar, sie hatte ihm den Vortritt gelassen, damit er seine Kochkünste verbessern konnte. Was ein Hohn. Nicht, dass Greo alles vermasselte, was er in die Pfanne haute, aber ausgebildet war er darin beileibe nicht und er hätte sich sehr – wirklich sehr – über eine vernünftige Mahlzeit gefreut. Er ließ sich von ihr durch die enge Kombüse scheuchen, stieß hier und da mit dem Kopf an und kramte in diversen Schubladen. „Du freches Ding.“, kommentierte er brummig und kramte irgendeinen Leinensack mit kleinen Knollen hervor, den er ihr vor die Nase hielt. Derweil hatte er Holzblock und Messer für einen Augenblick zur Seite gelegt, das Knurren seines Magens war für jetzt wichtiger. „Meine tiefste Ergebenheit bekommst du.“, erwiderte er und guckte sie doof an, „Mehr habe ich nicht. Einen abgebrochenen Federkiel vielleicht noch, aber das nutzt dir leider auch nix.“
Shanaya schüttelte nur den Kopf über den Mann, der so gar nicht auf dieses Schiff passte. Zumindest nicht unter Deck. Vielleicht sollte man ihm alles auf dem Deck einrichten? Er hatte sicher Nichts dagegen, bei Wind und Wetter draußen zu schlafen. „Dafür magst du mich doch so gern.“ Die junge Frau zuckte leicht mit den Schultern, warf ihm dabei einen vielsagenden Blick zu. Sie griff nach dem kleinen Sack, schielte hinein und holte dann einige der Kartoffeln hervor. „Daraus lässt sich was machen...“ Sie sprach nicht direkt zu Greo, viel mehr zu sich selbst. „Na gut, das reicht mir. Besser als ein kaputtes Schreibwerkzeug.“ Shanaya suchte nach einem Messer, fing dann fast in Gedanken versunken an, die Kartoffeln zu schälen.
Er kniff wie zur Bestätigung nur kurz die Augen zusammen. Ja, er konnte sie gut leiden – und das musste er ihr gar nicht erst sagen. Zufriedenen Blickes überließ er es ihr, die Kartoffeln zu irgendeiner verdaubaren Köstlichkeit zu bereiten. Mangelnden Platzes lehnte er sich an einen Schrank, winkelte ein Bein an und begann wieder zu Schnitzen. Zweifelsohne würde er am Ende den Boden saubermachen müssen, aber das war ihm gleich. „Sag mal“, setzte er dann an, während er die Messerspitze in die Fasern bohrte, „Wieso kannst du das eigentlich so gut? Hat man bei euresgleichen nicht irgendwelches Personal, dass das Kochen übernimmt?“
Nur kurz hob Shanaya bei der Frage des Mannes den Blick. Kurz überlegte sie, Ehe sie mit ruhiger stimme zu einer Antwort ansetzte, dabei weiter Kartoffeln schälte. "Das habe ich mich auch immer gefragt. Vermutlich wurden da in Wirklichkeit Sklaven herangezogen. Oder sie wussten einfach Nichts anderes mit den Mädchen anzufangen. Beides möglich." Im Prinzip war es ihr jedoch auch gleich. Diese Zeit lag längst hinter ihr. "Jetzt kann ich immerhin meinen zukünftigen Liebsten bekochen." Ein schräges Grinsen in Greos Richtung.
Er nickte langsam und bedächtig und zog mit einem kräftigen Schnitt eine tiefe Kerbe in den Holzblock. Der sah immer noch ziemlich krünkelig aus, aber er wusste, dass das in Stunden geduldiger Arbeit noch etwas hübsches werden konnte. Bei ihrem nächsten Satz blickte er auf und lachte kurz. „Und der wäre?“
Während Shanaya eine nach der anderen Kartoffel von ihrer Schale befreite, lugte sie kurz zu dem Holz, das Greo bearbeitete. Ob er daraus etwas bestimmtes formte? Oder wollte er einfach nur seine Hände beschäftigt wissen? Seine Frage ließ sie leicht aufschrecken, sie blinzelte, ehe sie wieder lächelte, dieses Mal etwas vertiefter. "Da das zukünftig ist... Wer weiß das schon?" Die Schwarzhaarige wog den Kopf von einer zur anderen Seite - und schälte dann weiter.
„Mahh, werd‘ mal nicht so philosophisch.“, maulte er gespielt und hobelte sich fast den Daumen ab. Ihre leicht verschreckte Reaktion war für ihn nicht ganz nachvollziehbar, aber wer wusste schon, ob man sie nicht fast an einen alten Sack verschachert hätte. „Als ob du jemals jemanden bekochen würdest. Außer mich. Jetzt und hier.“
"Das ist für dich schon Philosophie? Das war einfach." Dabei hatte sie es nicht einmal darauf abgezielt, sondern sprach nur Tatsachen aus. Seine nächsten Worte ließen ihren Ausdruck wieder etwas wärmer. Beinahe etwas nachdenklich. "Ein oder zwei gibt es auf diesem Schiff noch, denen ich etwas Gutes tun würde neben dir..." Wie ihr Blick zu den Kartoffeln zeigte. Das waren mehr geworden als geplant.
„Hallo, Bauernkind?“, gab er zurück und ließ weitere Holzspäne auf den Boden rieseln. Greo guckte auf ihren schmalen Rücken und zuckte die Schultern. „Ich sehe schon, du kochst hier für eine ganze Flotte.“ In seiner Kehle gluckste es.
Natürlich, Bauernkind. „Gibt es nicht so etwas wie Bauernphilosophie? Darin wärst du doch bestimmt Meister.“ Sie warf dem Dunkelhaarigen einen vielsagenden Blick zu, legte dann das Messer zur Seite und betrachtete die geschälten Kartoffeln. Jaa, eine ganze Flotte... „Du hast großen Hunger, ich sowieso... und irgendwer wird sich schon finden, der auch etwas davon abhaben will.“ Ein kurzer Gedanke huschte durch ihren Verstand, der sie schmunzeln ließ. Dann kramte sie nach einem Topf der groß genug war, um ihn mit Wasser zu befüllen.
Er gluckste, was ein Bestätigung sein konnte und gleichermaßen eine Verneinung. Greo fing nur kurz ihren Blick auf und drehte den Messergriff zwischen zwei Fingern, bevor er zum nächsten Schnitt ansetzte. „Viele gefräßige Mäuler.“, brummelte er und hatte vermutlich ganz andere Gedanken als sie gerade. Er ließ sie kramen, während sein Blick auf die Kartoffeln fiel. Ob es irgendetwas an Bord gab, was man mit ihnen in den Topf schmeißen konnte? Spontan fiel ihm eines der Hühner ein, aber die Heidenarbeit mit schlachten, rupfen, zubereiten war ihm dann doch zu anstrengend. „Ich hab mal einen Frosch gegessen.“, ploppte ihm aus dem Mund, bevor er drüber nachdenken konnte, was er da sagte und dass dazu gar kein Zusammenhang bestand.
Das Geräusch, das Greo von sich gab, ließ den Blick der Schwarzhaarigen etwas skeptischer werden. Aber, wie so oft, kam keine weitere Antwort, was Shanaya lautlos seufzen ließ. Sie holte einen Topf hervor, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf. Erst dann richtete sie den hellen Blick wieder auf ihr Gegenüber und lachte bei seinen Worten. Einen Frosch? „Ich hoffe, so hast du niemanden geküsst?“ Die Dunkelhaarige lehnte sich rücklings an die Wand, musterte Greo mit einem amüsierten Ausdruck. „Ich hoffe, er hat trotzdem geschmeckt.“
Wieso war ihm jetzt eigentlich diese dämliche Geschichte eingefallen? Peinlich berührt glotzte er Shanaya an, als sie ihn anlachte. „Geküsst, warum das denn?“, fragte er mit überraschter Miene und tausende Gedanken schossen ihm durchs Hirn, die nun wirklich nichts mit einem Frosch zu tun hatten. „N-nein, das heißt doch, irgendwie ja. Wir haben ihn geröstet.“, plapperte und hoffte inständig, sie würde das Thema wechseln.
Greos plötzliche Miene ließ die junge Frau auflachen. Erwischt! Sie hob vielsagend eine Augenbraue. „Ich weiß nicht...“ Vielleicht funktionierte ihr Hirn gerade nur etwas einseitig. „Stelle ich mir nicht sonderlich angenehm vor, von einem Frosch geküsst zu werden.“ Greo sprach weiter und Shanayas Blick wurde ein wenig unnachgiebiger. „Soso. Wir. Grillt man einer Dame einen Frosch?“