22.10.2019, 23:26
Er war ein wenig überrumpelt davon, dass die dritte Frau im Bunde plötzlich neben ihm aufgetaucht war und ihm im Vorbeigehen eine Waffe in die Hand gedrückt hatte. Farley hatte keine Zeit sich höflich zu bedanken und ihr zu erklären, dass er nicht unbedingt ein Freund von Pistolen war und sie lieber mied. Die Gründe dafür waren vielseitig. Der wohl wichtigste: Im Gegensatz zu Messern waren sie ungenau und unzuverlässig. Diese Dinger klemmten ohnehin immer, wenn man sie brauchte – oder gingen los, wenn man es gerade nicht brauchte. Der junge Dieb antwortete also nicht, sondern schloss nur reflexartig und stumm die Hände um die Leihgabe, bevor er sie sich in den hinteren Bund seiner Hose schob und den anderen schließlich als Schlusslicht nahe Liam folgte. Die weiteren Diskussionen und Wortwechsel nahm er nur rudimentär wahr – er verspürte auch ehrlicherweise keinerlei Verlangen danach sich zu beteiligen oder sich mit dieser seltsamen Stimmung auseinanderzusetzen. Eigentlich ging ihm das Ganze langsam sogar etwas auf die Nerven, denn es zeigte, was dieser sogenannten Mannschaft offenbar fehlte: Vertrauen. Es wurde lieber gestichelt und Ratschläge oder alternative Ideen ausgeschlagen, als gemeinsam nach dem besten Lösungsweg zu suchen. Das mochte sicherlich der heiklen Situation und der Eile, die geboten war, geschuldet sein. Dennoch wirkten sie wie ein kleiner zerstrittener Haufen, der am Ende dem Plan der Autoritätsperson im Bund folgten – dem Captain. Das hatte seine Berechtigung, aber in Farley keimte wieder das Gefühl auf, dass er lieber einen Aspen oder einen Elian in dieser Gruppe gehabt hätte. Auf diese beiden konnte er sich wenigstens einigermaßen verlassen – und wusste ihre Reaktionen einzuschätzen.
Als Schritte vor ihnen laut wurden, verstärkte sich dieses Gefühl nur noch. Wäre er allein unterwegs gewesen, der junge Dieb hätte längst die Flucht über die Dächer angetreten. Aber das ging nicht, weil er irgendwie eine Art Verpflichtung eingegangen war. Mitgehangen, mitgefangen. Immerhin blieb ihnen eine böse Überraschung erspart, denn vor ihnen tauchte zumindest ein bekanntes Gesicht auf. Der Lockenkopf, den sie Trevor nannten – das war es dann aber auch schon, was der Braunhaarige über den anderen wusste. Seine Freude und Erleichterung fiel deshalb wohl etwas weniger stark aus als bei den anderen – zumal der junge Bursche wohl einige Bier zu viel hatte. Viel Zeit darüber nachzudenken blieb dem jungen Dieb jedoch nicht, denn kurz darauf war ihre Befürchtung wohl doch wahr geworden. Drei Gestalten schoben sich aus einer Tür – und diese gehörten definitiv nicht zu denen, die auf dem Schiff angeheuert hatten. Als Liam neben ihm herumwirbelte und Farley ein Geräusch hinter sich wahrnahm, wirbelte er herum und erkannte zwei weitere Gesichter, die ihm weder bekannt noch sonderlich freundlich gesinnt schienen – was wohl nicht zuletzt am fauligen Atem und den Pistolen in ihren Händen lag. Während Liam sich mit seiner fauchenden Begleiterin dem einen Halunken annahm, visierte Farley den anderen Kerl an. Der stand mit gezogener Pistole vor ihm und schien zunächst abzuwarten. Farley machte einige Schritte zur Seite, um den Typen etwas von Liam und seinem Kampf wegzulenken, da hatte der andere auch schon mit zittrigen Fingern die Pistole gehoben und schoss nur Sekunden später.
Wenn sich der junge Dieb allerdings auf eines verlassen konnte, dann war es sein Geschick – zusammen mit der Intuition, der Ungenauigkeit der Waffe (sagte er doch – Messer waren hundert Mal präziser) und dem unverschämten Glück, sich gerade so wegducken zu können, kam der Braunhaarige unbeschadet davon – was man weder von einer weiteren Hauswand in der Gasse noch von seinem Gegenüber sagen konnte. Während der sich noch über die fehlgegangene Kugel ärgerte, war Farley mit wenigen Schritten bei ihm und hatte ihm mit der Faust einen Hieb gegen den Kopf versetzt. Die Gegenwehr war erstaunlich kräftig und Farley musste ebenfalls einige Treffer einstecken. Als der andere ihn in der Magengegend traf, musste der junge Dieb gar kurz nach Luft schnappen. Doch der Nachteil gereichte ihm am Ende zum Vorteil. Als sein Kontrahent siegessicher noch einmal ausholte, griff Farley mit einer schnellen Handbewegung nach hinten an seinen Hosenbund, zog die Pistole hervor und versetzte dem anderen einen so kräftigen Hieb mit dem Knauf gegen die Schläfe, dass dieser zu Boden sank. Erleichtert richtete der Braunhaarige sich um und gestattete sich ein kurzes Gefühl des Triumphes, bevor er sich umwandte und nach den anderen sah. Liam hatte sein Gegenüber ebenfalls k.o gehen lassen und war schon auf dem Weg, den anderen zu helfen. Mit einem Stirnrunzeln registrierte Farley, dass auch der junge Künstler blutete. Doch das war wohl nicht der richtige Zeitpunkt, um Wunden zu versorgen. Und Liam war alt genug zu entscheiden, wann er sich aus einem Kampf besser zurückziehen musste. Farley ignorierte die Verwundung des anderen Mannes also zunächst – und tat es ihm gleich damit, den anderen im Kampf zur Seite zu eilen.
[Gassen | mit Liam und den anderen]