25.09.2019, 14:46
Das Schicksal ließ niemanden Zeit.
Kaum hatte der Bärtige erklärt, dass Sylas abgehauen war, hatte Enrique festgestellt, dass der Anführer und der Wirt sich aus den Staub gemacht hatten. Dann war er in der Tür hinter der Bar verschwunden, und der Bärtige gleich hinterher.
Der Knall folgte kurz darauf.
Die Explosion fuhr Josiah durch den ganzen Leib. Rotes Licht ergoss sich durch die Fenster in den Raum, ließ die Schatten der umgestürzten Tische, der zerstörten Fenster und Leiber der noch stehenden Menschen tanzen und zauberte ein geisterhaftes Spiel auf die bleichen Gesichter der Toten.
Josiah fühlte sich ungewollt an die Geistergeschichten der alten Hexe erinnert. Als würde ihre Darstellung vom Tod – eine weise Frau, deren Feuer leere, seelenlose Leiber erfasste und zu ihren Dienern machte – hier jetzt auftauchen, die Arme in der Luft gerissen, schrill und heiser schreiend.
Die alte Hexe wäre wohl hier und jetzt tot umgefallen. Doch Josiah, so sehr er ihre Geschichten auch in seinem Herzen aufbewahrt hatte, da man ja nie wusste, welcher abergläubischen Seele man einen Bären aufbinden konnte, hatte ihr nie geglaubt. Schon damals hatte er den Tod oft genug gesehen, um zu wissen, dass er keine Frau war, und dass kein Feuer der Welt den kalten, starren Leibern wieder Leben einhauchen konnte. Und so tat er es auch jetzt nicht, als das Licht erlosch und das Rattern die Straßen entlang hallte. Es war ein seltsames Geräusch. Keines, dass Josiah in den Bruchteilen von Sekunden, die ihnen zwischen den einzelnen Ereignissen geblieben waren, einordnen konnte.
Darum beschäftigte sich sein Kopf nur kurz mit der Erinnerung, die doch ganz freundlich war und in so mancher, ruhigerer Umgebung wohl eine Ahnung von einem Lächeln auf seine Lippen gezaubert hätte. Doch jetzt waren alle seine Sinne gereizt. Noch während Lucien ihm mitteilte, dass sie den Hinterausgang nehmen würden, hatte er sich den Fenstern der Straße hin zugewendet. Sein scharfer Blick flog über das wenige der Szenerie, was er von hier aus sehen konnte. Es überraschte ihn kaum, dass das Ergebnis karg war, und trotzdem zögerte er für einen kurzen, kleinen Moment.
Würde er mehr sehen, würde er es schaffen, jetzt sofort eine bessere Sicht zu gewinnen? War der Gang zu einem der Fenster es wert? Oder war jetzt ohnehin schon alles vorbei, und er würde sobald sie zur Hintertür raus wären ohnehin mehr oder wenigstens genauso viel sehen?
Der Knall war nicht allzu nah, es ließ also vermuten, dass sie wenigstens unmittelbar in der Nähe keine Überraschung zu erwarten hatten, die akut mit dem Knall zusammen hing – oder irrte er sich?
Explosionen und Rattern gehörten nicht zu den Dingen, mit denen er akut umzugehen wusste. Seine Instinkte schrien danach, sich sofort ein Bild davon zu machen, was da passierte, sein Verstand hingegen riet dazu, sich bei den anderen zu halten und erstmal dafür zu sorgen, dass sie in Deckung blieben.
Der Lärm von Kampf nahm ihm die Entscheidung unverhofft ab.
Josiahs Kopf flog herum, gerade noch rechtzeitig, um Lucien durch die Tür hinter den Tresen stürzen zu sehen. Er selber zögerte ebenfalls nicht. Das Messer noch in der Hand folgte er ihn auf den Fersen, mit seiner freien Hand nach der Tür greifend, die durch den Schwung von Luciens Schlag von der Wand abgeprallt war und nun zurückschwang, um sie notfalls als Deckung zu missbrauchen.
Seine Hand hatte gerade den Türgriff erfasst, als zwei, leicht versetzte Schläge ertönten, begleitet von einem metallischen Klirren. Eine Stimme erklang, verstummte wieder, und als Josiah die Tür komplett aufgeschoben hatte, drang das Glucksen an sein Ohr.
Josiah zog die Augenbrauen hoch, als er das Messer aus dem Türrahmen zog und seinen Blick durch den Raum gleiten ließ. Aus dem Augenwinkel sah er Luciens Grinsen, und auch er musste zugeben, dass die Situation von einer Absurdität begleitet wurde, die dazu einlud, dass man sie sich noch später erneut erzählte: Der bärtige Mann, die Pfanne in seiner Hand, und seine Worte zu den beiden Männern, von deren Stirn Blut tropfte.
Josiah fluchte kaum hörbar, als sein Blick die beiden traf. Wirt und Anführer. Es verärgerte ihn mehr, als dass es ihn überraschte, sie hier zu sehen. Er hatte damit gerechnet, dass sie nicht ganz weg gewesen sein konnten, als Enrique sie nicht mehr hinter den Tresen vorgefunden hatte. Aber er hatte sich auch ablenken lassen, anstelle angemessen auf den Gedanken zu reagieren. Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und blieb schließlich kurz neben den Bärtigen stehen, ehe er in die Knie ging, die andere Pfanne zur Seite schiebend. Pragmatisch tastete er mit seinem Blick die beiden zusammen gesackten Körper ab, beobachtete kurz scharf ihre Brustkörbe, ehe er mit seiner Hand nach dem Hals des Anführers ausstreckte. Er brauchte nicht lange zu suchen: seine Finger fanden sofort die Vertiefung in der Nähe des Muskels, und für ein paar Atemzüge spürte Josiah gar nichts.
Dann: ein leichtes Beben. Ein sanftes, kaum spürbares Pochen. Josiah zog die Hand zurück, beobachtete den Mann noch kurz, dann wandte er sich zur Seite und wiederholte seine Tat beim Wirt, die Spitze seines Messers knapp über dessen Oberschenkel schweben lassend, genau dort, wo er aus Erfahrung wusste, dass der Blutverlust ihn vor allem im Zusammenhang mit der Kopfverletzung schnell gänzlich bewegungsunfähig machen würde.
Doch der Puls blieb Tod.
Josiah wartete noch ein paar Atemzüge lang, dann richtete er sich wieder auf.
”Der Anführer ist noch nicht tot. Wenn auch fast.“, verkündete er, den Kopf kurz in die Richtung drehend, in der er Lucien vermutete. Es würde an ihm liegen, was sie mit ihm tun sollten. Umbringen, befragen, als Geisel mitnehmen? Josiah wäre für alles offen.
Dann wandte er sich an dem Mann neben ihm. Der Anführer stellte keine unmittelbare Gefahr dar.
“Ceallagh, nicht?“
Sein Blick huschte über die Gestalt des anderen, dann drehte er in einer knappen Bewegung das Messer aus dem Türrahmen so in der Hand, dass der Griff zu dem anderen zeigte, und hielt es ihm wortlos fragend hin.
“Ist Leichter.“
Er nuschelte selbst diese zwei Worte so sehr, dass das ‚i‘ im ‚ist‘ kaum zu hören war und machte sich nicht den Aufwand, den Hauch von Humor in seiner Aussage auf den Klang seiner Stimme zu übertragen. Stattdessen beließ er es dabei, erklärend in die grobe Richtung der Pfannen zu nicken. Ihm war es relativ egal, ob der andere das Messer nehmen würde oder nicht, oder ob er vielleicht zwei oder drei Worte mehr hätte sagen sollen. Die Geste war rein pragmatisch: er selber hatte genug Messer dabei, wie es um den anderen stand, wusste er hingegen nicht. Und draußen wollte er lieber wissen, dass der andere ebenfalls bewaffnet war – und das mit mehr als nur Pfannen und seinen Fäusten.
[in der Kneipe | zuerst nur bei Lucien, dann bei Lucien, Enrique und Ceallagh in der Küche]