11.09.2019, 00:06
Die Erleichterung, die ihn in dem Augenblick gepackt hatte, in der sich die beiden Gestalten in der Finsternis als Skadi und Talin herausgestellt hatten, war leider so unbeständig wie der Füllstand des Weinfasses auf dem Fest, mit dem der Abend eigentlich harmlos angefangen hatte. Kaum, dass er die leblosen Körper hinter den beiden Frauen erspäht hatte, hatte sich der Knoten in seinem Magen wieder unangenehm zusammengezogen, selbst wenn sie sich recht schnell als Teil ihrer Feinde entpuppten. Den Blick nach vorne gerichtet und konzentriert auf die Ecke der Gasse zusteuernd bemerkte er erst einen Ticken später, dass Skadi sich an ihn gewandt hatte. Er schenkte ihr ein müdes Lächeln und nickte knapp, während ein tonloses „Alles okay.“ seine Lippen verließ, ehe er um das Gemäuer herumspähte und sich gleich darauf davon vergewisserte, dass sie keiner der bereits Anwesenden noch einmal überraschen konnte. Talins Stimme in seinem Rücken vernahm er dennoch, registrierte, dass sie angeschlagen waren, verstaute es aber fast im selben Augenblick als ‚zweitrangig‘. Immerhin krümmte sich keiner von beiden vor Schmerzen und sie wirkten fit genug, um zumindest noch so lange durchzuhalten, bis sie vorrübergehend in Sicherheit waren.
„Ihr habt gute Arbeit geleistet, ja.“
Seine Stimme blieb neutral, doch eigentlich war er im Augenblick gar nicht mal so traurig darum, dass die beiden Frauen sich äußerst effektiv zu verteidigen gewusst hatten. Wer wusste, wie die Sache sonst ausgegangen wäre. Die Blonde bestätigte seine Annahme, doch wirklich weiter brachte es sie auch nicht. Es sagte ihnen nur, dass sie aufpassen mussten und dass ihnen vermutlich jeder derer, die eben noch so ausgelassen mit ihnen gefeiert hatten, ans Leder wollte. Sie mussten verschwinden, schnell, um sich von außerhalb an den Hafen schleichen zu können. Doch so unbedacht Liam seine Worte ausgesprochen hatte, um zum Aufbruch zu drängen, so unvorbereitet traf ihn die kalte Wut der Jüngeren. Und trotzdem: Er hatte es nicht gehofft, aber er hatte irgendwo tief in sich drin mit ihrer Gegenwehr gerechnet. Sein Blick machte es auch den Umstehenden einfach, eben das zu erkennen. Mit einem tiefen Atemzug schloss er für einen Herzschlag die Augen, ehe er zu einer Antwort ansetzen wollte. Doch noch bevor er die Augen wieder geöffnet hatte, war es Skadi, die Talin antwortete und versuchte, ihr auf einfühlsame Art und Weise klar zu machen, dass sie sich nicht zwingend in der Position befanden, um mit dem ‚Kopf-Durch-Die-Wand‘-Prinzip Erfolg zu haben. Das Lächeln auf seinen Lippen blieb unscheinbar. Er schätzte ihren Versuch, aber Liam war sich wohl bewusst, dass es keine wirkliche Möglichkeit gab, Talin umzustimmen. Besonders nicht im Beisein Shanayas, die direkt ebenfalls Feuer und Flamme war, blindlinks in den Tod zu rennen. Liam unterdrückte ein weiteres Seufzen und merkte erst, als Skadis Finger seine Schulter berührten, das sich die Hand um den Knauf seines Degens ein wenig verkrampft hatte. Ein flüchtiger Blick streifte ihre Züge, ehe er in Talins eisiges Gesicht sah. So sehr sich in ihm auch alles sträubte, die begrenzte Zeit, die ihnen blieb, für Diskussionen zu verschwenden – er kam sich gerade unangenehm alt und erwachsen vor. Umgeben von Teenagern, die in allem ein unglaubliches Abenteuer sahen, ohne auch nur einen Schritt weiterzudenken. Und eines konnte er ganz klar zugeben: Er fühlte sich in der Rolle des Vernünftigen absolut nicht wohl.
„Machst du dir Sorgen um dein Schiff oder um deine Crew?“
Für Liams Verhältnisse konnte man fast schon etwas Verwerfliches in seiner Tonlage erkennen. Auch die Belustigung in Shanayas Glucksen, als sie sich an Skadi wandte, war mehr als Fehl am Platz. Im Grunde aber blieb ihnen nichts anderes, als klein bei zu geben. Talins Meinung zu ändern, war unmöglich in der kurzen Zeit, die ihnen blieb. Er verstand durchaus, dass einiges an Herzblut an der Sphinx hing – sie allerdings über das eigene Leben und das derer zu stellen, die einem folgten, war mehr als töricht. Eigentlich wollte er die Antwort auch gar nicht hören – da kam das dumpfe Knallen nicht weit von ihnen entfernt gerade richtig. Instinktiv zuckte er zusammen, als das Geräusch der Pistolenschüsse keinen Sekundenbruchteil schon von der Explosion eines weiteren Feuerwerkkörpers über ihnen Köpfen übertüncht wurde. Skadi sprach aus, was ihm durch den Kopf ging, als er den Kopf kurz zu den Lichtern hob und schließlich abwartend den Blick aus den dunklen Augen vor ihm erwiderte. Schweigend, lauschend und schließlich über Skadis Schopf hinwegblickend, ohne etwas in der Dunkelheit erkennen zu können. Doch es war da, beständig, ratternd. Lauernd. Und was auch immer es war – er wusste ziemlich genau, dass es für sie bestimmt war. Abermals erwiderte er den Blick der Jüngeren, erkannte all die Fragen und die Unruhe und konnte nicht mehr darauf erwidern als eben das. Skadi wandte sich herum und ironischer Weise hofften Liams Gedanken, dass Talin nicht auch etwas gegen diesen Plan einzuwenden hatte. Ein kurzer Blick folgte der Nordskov, doch kaum, dass sie sich über eine der Leichen gebeugt hatte, wandte er sich wieder dem Captain zu.
„Deine Entscheidung, Talin. Willst du die direkte Route?“, forderte er nun eindringlich, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
Ihm missfiel es, zu wissen, dass er ihr folgen würde, ganz gleich, ob sie sich dazu entschied, alles dafür zu geben, sie umzubringen, bloß um in kindlicher Wut nach vorne zu stürmen oder nicht. Was Talin vermutlich außer Acht ließ, war, dass es in diesen Straßen nur so von diesem Pack wimmelte. Dass sie vermutlich damit rechneten, dass sie allesamt blindlinks zu ihrem Schiff fliehen würden, um zu verschwinden. Diese Leute hatten das hier geplant. Sie hatten es gut geplant. Und sie würden gehörig genau so agieren, wie man ihre Spielfiguren übers Spielfeld schob.