02.09.2019, 18:33
"Aber Greg ist--!"
Rúnar knallte Trevor seine freie Hand auf den Mund, bevor er weiter schreien konnte und versuchte ihn festzuhalten, ohne ihn mit der Harpune zu erwischen.
Er schrie ihn in einem Bühnenflüstern an: "Willst du sterben?!" Dann leiser. "Wir helfen Greg, aber das muss vernünftig geschehen." Wer auch immer Greg war und was auch immer vernünftig in dieser Situation definierte. Er ließ Trevor los. Langsam. Um sicher zu gehen, dass er Ruhe gab.
Kurz war alles ruhig. Bis auf das entfernte Getöse von Tavernengetümmel wenn irgendwo eine Tür aufging; und ein paar Leute, die sich irgendwo in einer Gasse übergaben. Blöde Säufer. Er fragte sich, ob Andalónia der einzige Ort in dieser Welt war, wo der Erwerb und Konsum von Alkohol wenigstens etwas geregelt war -- oder ob er einfach so gut erzogen wurde.
Egal. Was jetzt?
Für einen Augenblick kam er in Versuchung einfach zu gehen. Er würde schon eine andere Möglichkeit finden um nach Andalónia zu kommen. Eine friedliche, angenehme Möglichkeit, bei der er nicht verprügelt, eingesperrt, oder sterben würde. Oder alles davon. Auch, wenn es bedeutete, dass er noch länger hier fest säße.
Aber etwas sträubte sich in ihm. So sehr. Er hatte jetzt schon angefangen, der Plan war schon halb durch, wenn er jetzt flüchten würde, dann würde er sich morgen früh darüber ärgern, dass er davongelaufen war, nur weil es etwas kompliziert geworden war. Er hatte schon immer -- musste schon immer durchziehen, was er angefangen hatte, musste schon immer Komplikationen ertragen und regeln. Und es ging ihm gut. Noch immer. Oder wieder.
Es war egal. Er würde jetzt mit diesen verdammten Piraten zur nächsten Insel fahren und niemand, auch keine enternden Vollidioten, würden ihn dazu bringen seinen Plan ändern zu müssen. (Wer enterte überhaupt ein wehrloses Schiff, das besatzungslos im Hafen lag? Erbärmlich und ehrlos war das.)
Außerdem -- er sah zu Trevor. So weniger diesen fremden Typen kannte, so sehr er ihm am Arsch vorbei gehen könnte, und so sehr er Betrunkene hasste; er könnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, ihn allein hier sitzen zu lassen. (Nicht, dass er sich nicht selbst helfen könnte, nachdem Rúnar zusehen durfte, wie er eigenhändig die Frau ausgeknockt hatte, aber das war das einzige hilfreiche und sinnvolle gewesen, das er bisher getan hatte. Der Unsinn überwiegte.)
Dann hörte Rúnar Stimmen. Es ging um die bewusstlose Frau und darum sie auf das Schiff zu bringen. Und dann Schritte. Sie waren noch weit genug weg, aber wurden lauter.
Es war irgendwie eine dumme Idee, aber vielleicht waren ihre Verfolger ja dumm genug.
Im Dunkeln der Gasse konnte er nicht viel sehen, aber er erahnte Trevors schwache Konturen und packte dessen Hand und drückte ihm die Harpune hinein. "Hier hast du dein Spielzeug zurück," flüsterte er. "Warte hier. Wenn jemand kommt, mach damit einfach dasselbe, was du mit der Frau da vorne gemacht hast, dann wäre ich dir sehr verbunden, ja?"
Ohne ein weiteres Wort zog er seine Tasche über seinen Kopf und legte sie auf dem Boden ab, band sein Tuch von der Stirn los und steckte es in die Hosentasche. Er zog seinen Mantel aus, knöpfte seine Weste mit fahrigen Fingern auf -- beides ließ er auf die Tasche fallen. Sein Hemd zog er aus der Hose, sodass es schlaff an ihm herunter hing.
Wenn überhaupt hätten sie ihn vorhin nur für einen kurzen Moment sehen dürfen. Er atmete ein, aus -- ging aus der Gasse. Fing an schneller zu Laufen -- ins Licht. Da waren zwei Kerle. Er versuchte, einen etwas stärkeren Akzent in seine Aussprache zu legen. "He, Sie." Er hob die Hand, hielt an, stützte sich auf die Knie als sei er außer Atem. "Sind Sie die Nachtwache oder die Hafenwache?" Er richtete sich auf, zeigte über die Schulter. "Da sind mir gerade zwei so Halunken entgegen. Haben mich halb im Vorbeirennen ausgeraubt und sind abgehauen." Er griff sich dramatisch ans Herz. (Nicht, dass es nicht sowieso raste wie verrückt.) "Ich brauche Hilfe, bitte."