02.09.2019, 16:01
Ceallagh auf der einen Seite verneinte seine Frage fast bedauernd, Enrique auf der anderen hob mit einem vielsagenden Glucksen die leeren Hände. Der junge Captain warf einen Seitenblick zu Sylas, der vielmehr damit beschäftigt war, sich eine Kugel aus der Schulter zu puhlen, die er sich wohl während der ersten Salve eingefangen hatte. Und auch er zog keine Pistole.
Den Hinterkopf noch immer an den Tisch gelehnt, stieß Lucien ein tiefes Seufzen aus, das sich eins zu eins mit dem Ceallaghs mischte. Halb enttäuscht, halb belustigt. Doch dann ergriff ein Mann auf der anderen Seite ihres Verteidigungswalls das Wort und ersetzte den Anflug von Selbstironie gegen frustrierte Wut.
„Ich schwöre, dafür lege ich diesen verdammten Vollidioten nachher um.“
Er knurrte die Worte mehr, als dass er sie wirklich sprach. Trevor, dieser geschwätzige Trottel. Er hatte ihn vorhin gesehen, umringt von einer Traube neugieriger Zuhörer. Und auch wenn er nicht hatte hören können – und sich zugegebenermaßen auch nicht dafür interessierte – was gesagt worden war, gab es nur einen aus ihrer Crew, der dumm genug war, die Geschichte brühwarm herauszuposaunen. Selbst völlig besoffen.
Weiter als bis zu dieser Erkenntnis kam der Dunkelhaarige allerdings nicht, als mit leisem Rascheln ein Papier zu ihnen hinüber geworfen wurde und unmittelbar vor seinen Füßen landete. Fast sofort rollte sich das Pergament wieder zusammen, sodass er rasch auf die untere Ecke trat und das Blatt mit dem Fuß zu sich heran zog. Ein Bild kam zum Vorschein, das dem Lieutenant an seiner Seite verdächtig ähnlich sah. Darunter prangte sein Name, eine beträchtliche Summe Achter und der Hinweis, ihn lebend gefangen zu nehmen. So, so.
Während Ceallagh neben ihm vor Entsetzen die Gesichtszüge entgleisten, warf Lucien dem anderen Mann neben sich einen kurzen Blick zu, begegnete dabei dem seinen. Enrique wusste längst, zu was sein Captain bereit war. Keiner von ihnen dachte auch nur daran, die Waffen zu strecken, herauszukommen und irgendjemanden auszuliefern. In diesem Moment beherrschte ihn ganz im Gegenteil nur ein einziger Gedanke. Nämlich die Schlussfolgerung, um wen es sich bei diesen Männern handeln musste. Kopfgeldjäger.
Sich aus der Angelegenheit heraus zu reden fiel damit flach. Reden würde ihnen nur eines bringen: Zeit zu schinden, bis sie einen halbwegs brauchbaren Plan zusammen hatten, wie sie entkommen konnten. Dummerweise nahm Enrique ihnen diese Möglichkeit, bevor Lucien erneut das Wort ergreifen konnte. Er sah gerade noch, wie sich dessen Körper spannte, er dann wie eine Schlange zuschlug und den Dolch warf, den der 21-Jährige vorher nicht einmal bemerkt hatte. Mit dem Wurf auch sein Gleichgewicht einbüßend, fiel der ehemalige Soldat zwischen seine beiden Mitstreiter und wieder brach Chaos aus.
Auf der anderen Seite des Tisches schrie der Anführer der Kopfgeldjäger vor Schmerzen auf, das Geräusch eines zu Boden fallenden Körpers folgte, dann blaffte eine schmerzverzerrte Stimme den schlecht gelaunten Befehl, ihn verdammt nochmal aus dem Schussfeld zu helfen. Dann sprang Sylas plötzlich auf, griff nach dem Stuhl, auf dem er vorhin noch gesessen hatte und schleuderte ihn auf einen der Männer, der bereits auf dem Weg um den Tisch herum gewesen war. Der Kopfgeldjäger stürzte samt Möbel unter einem Aufschrei zu Boden und der Pirat selbst sprang auf und hechtete durchs Fenster hinaus.
„Was zum...“
Drei Schüsse knallten durch den Raum, folgten dem Flüchtenden und brachten Lucien dazu, den Kopf noch ein Stück einzuziehen. Doch keine davon hielt Sylas auf und er verschwand in die Nacht. Neben ihm bewegte sich auch Ceallagh, lenkte die tiefgrünen Augen auf sich, ehe er sich plötzlich ins Getümmel stürzte und seinem Freund aus Kindertagen damit einen derben Fluch entlockte.
„Enrique, sieh zu, dass du hier raus kommst.“ Er warf dem Schwarzhaarigen einen Blick zu und nickte in Richtung des Fensters. Seine Stimme duldete in diesem Augenblick keinen Widerspruch. „Wir kommen nach. Los jetzt!!“
Und damit warf auch der Dunkelhaarige sich herum, verließ die Deckung und kam auf die Beine.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen erfasste er das Bild, das sich ihm bot. Ceallagh hatte einen Mann getötet, schlug bereits auf einen weiteren ein. Ein dritter hatte seinen Anführer hinter die Theke in Deckung geschleift und der, der Sylas im Weg gestanden hatte, befreite sich gerade von dem Stuhl der ihn begraben hatte. Die übrigen teilten sich auf. Zwei wollten ihren Kameraden aus Ceallaghs Griff befreien, die übrigen vier wollten sich gerade in dem Moment Lucien und Enrique zuwenden, als ersterer den Degen zog und dem blonden Hünen zu Hilfe kam.
Ein weiterer Schuss knallte, traf den am Boden liegenden Schmuggler kurz bevor der 21-Jährige dem Kopfgeldjäger mit dem Knauf seiner Pistole gegen den Kiefer schlug und die Klinge tief in seiner Brust versenkte. Dann riss er den Arm mit der Schusswaffe herum, richtete die Mündung auf den zweiten Angreifer und schoss ihm aus nächster Nähe ins Gesicht. Damit erschöpfte sich sein Handlungsspielraum, denn von den elf Pistolen waren noch immer vier im Spiel.
„Steh auf und raus hier, Ceallagh!“, blaffte er ihn im Eifer des Gefechts an und wich so weit zurück, bis er direkt neben ihm stand, um seinen Rückzug zu decken. Er konnte nur hoffen, dass sich sein Schatten irgendwo in der Nähe aufhielt und von dem ganzen Chaos Wind bekam. Er konnte sich zwar beim besten Willen nicht daran erinnern, Josiah in der Taverne gesehen zu haben... Aber das hatte bei seinem ehemaligen Zellengenossen schließlich nichts zu heißen. Jedenfalls hätten sie seine Hilfe in diesem Augenblick gut gebrauchen können.