01.09.2019, 18:51
Er hatte ehrlich gesagt keine Ahnung was in den letzten Minuten hier in diesem Wirtshaus passiert war und um ehrlich zu sein war es ihm gerade auch vollkommen egal. Seit dieser komische Kerl an ihrem Tisch aufgetaucht war und ein Verhalten an den Tag gelegt hatte, als wäre er der Schöpfer der Menschheit höchstpersönlich, war eigentlich komplett schief gelaufen. Vielleicht hätte er über dieses Verhalten noch hinwegsehen können, aber spätestens in dem Moment, an dem der Kerl den Tisch umgeworfen und ihm somit die Tischplatte beinahe gegen den Kopf geknallt hatte, war bei Sylas jegliches Verständnis verebbt. Er hatte der Tischplatte gerade noch so ausweichen können, indem er sich mitsamt dem Stuhl hatte nach hinten kippen lassen, was nicht gerade angenehm gewesen war, aber allemal noch angenehmer, als die Kugel die nun in seiner linken Schulter steckte. Ihm war es egal, ob es jetzt nur eine war, weil es schlechte Schützen gewesen waren oder weil er nicht ihr Primärziel gewesen war. Ja, es war ihm scheißegal, denn eine Kugel war noch immer eine zu viel. Mit dem Rücken lehnte er an der Tischplatte und während er versuchte mit den bloßen Finger die Kugel aus seiner Schulter zu holen, hörte er nur mit halbem Ohr den Gesprächen um sich herum zu. Aber das wenige was er zu hören bekam, reichte dennoch aus, um ihm ein schmerzhaftes „Vollidioten“ zu entlocken. Er hatte in seinem Leben schon viele Dummheiten gemacht, aber ein Schiff der Marine anzugreifen hatte nicht dazu gehört. Es gab Dinge in dieser Welt, die machte man nicht. Außer natürlich man seines Lebens überdrüssig und wollte, dass es so schnell wie möglich ein Ende fand. Aber das lag nicht in seiner Absicht und noch weniger lag es in seiner Absicht nun für das Vergehen anderer mit büßen zu müssen. Er konnte gut und gerne darauf verzichten in Ketten gelegt zu werden und schon gar nicht für Leute, denen gegenüber er sich in keinster Weise verpflichtet fühlte. Sie waren ihm, in seinen Augen etwas schuldig gewesen und er hatte eine Gelegenheit gebraucht um von der Insel wegzukommen und er hatte diese Gelegenheit genutzt. Mittlerweile jedoch war er sich sicher, dass er diese Gelegenheit besser hätte verstreichen lassen sollen. Vermutlich wäre es besser gewesen, an diesem Tag erst gar nicht aufzustehen und sich einfach auf die andere Seite zu drehen. Vermutlich wäre es besser gewesen, das Rufen der junge Frau auf dem Marktplatz einfach zu ignorieren und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Ja, er hätte sich einfach fern halten und weiter seines Weges gehen sollen, dann wäre ihm so einiges erspart geblieben.
Noch immer versuchte Sylas die Kugel zu fassen zu bekommen, während er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ und ihre Chancen für eine erfolgreiche Flucht abschätzte. Es war nicht einfach, aber zumindest nicht unmöglich. Zumindest nicht, wenn jetzt keiner irgendwelche Dummheiten machte. Er war gerade dabei sich auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren, als der Wortwechsel von Enrique und dem offensichtlichen Anführer seine Aufmerksamkeit erregten. „Bei den sieben Höllen“, knurrte Sylas bei Enriques Erwiderung und im nächsten Moment konnte er aus den Augenwinkel etwas über den Tisch fliegen sehen. Da war sie also die Dummheit. Sie hatte ja nicht besonders lange auf sich warten lassen. Für Sylas war das allerdings ein Zeichen, für eine ganz andere Entscheidung. Er hatte gesehen, dass die Männer noch dabei waren ihre Pistolen zu laden und somit konnte er abschätzen, dass ihm nicht wirklich mehr viel Zeit blieb, um zu handeln. Also handelte er. Blitzartig beugte er sich nach vorne, griff nach dem umgekippten Stuhl und warf ihm dem Mann mit Wucht entgegen, der direkt vor ihm stand. Ein Angriff mit dem dieser nicht gerechnet hatte und der ihn somit aus dem Konzept brachte. Lang genug für Sylas aufzustehen, in Richtung Fenster zu laufen und sich mit der Schulter zuerst vollen Schwunges gegen das Glas zu werfen. Er hatte Glück und es zerbarst unter seinem Gewicht und schmerzhaft kam er auf dem harten Boden der Gasse auf. Mit zusammengebissenen Zähnen rappelte er sich auf und ein kurzer Blick zur Seite offenbart ihm, dass er mit seinem Schicksal besser nicht hadern sollte, denn es hätte ihn schlimmer treffen können. Nur eine handbreit von ihm entfernt erhob sich ein frischer Hundehaufen. Ein kleines bisschen mehr Schwung und er hätte getroffen. Sylas warf einen Blick über seine Schulter ins innere der Taverne und suchte dann sein Heil in der Dunkelheit und den Schatten. In diesem Moment hegte er kein schlechtes Gewissen, dass er andere zurück und somit ihrem Schicksal überlassen hatte. Er war ihnen gegenüber nichts schuldig und warum sollte er seinen Kopf für Personen riskieren, bei denen er nicht willkommen gewesen, sondern nur geduldet worden war? Was man von ihm hielt, hatte man ihn ja spüren lassen und ganz nebenbei hätte ihm die Tischaktion ja auch das Leben kosten können. Etwas, das er so schnell nicht vergessen würde.
[In der Kneipe am Tisch | bei Lucien, Enrique und Ceallagh | dann in der Hintergasse auf der Flucht]