01.09.2019, 15:25
„Wenn alles gut läuft, habe ich ja noch ein bisschen Zeit dafür.“, entgegnete er mit einem blassen Lächeln, das für einen Moment über seine Züge huschte.
Mit einem kurzen Blick zu Farley folgte er der Dunkelhaarigen in die Richtung, in die Sineca in den Schatten verschwunden war und lauschte. Doch es blieb still, bis die Stimme der Ginsterkatze leise durch die Nacht hallte und ihm damit verkündete, dass sie etwas gefunden hatte. Shanayas Befürchtung schenkte er nur wenig Beachtung, sondern war viel mehr damit beschäftigt, aus seinem Bauchgefühl heraus zu entscheiden, ob es etwas Gutes oder etwas Schlechtes war, was dort auf sie wartete. Dass es keine Angreifer waren, wusste er, hatte es an ihrer Tonlage ausmachen können. Sie rief und warnte nicht. Dementsprechend zielstrebig folgte er dem Weg auch bis zum Ende der Gasse und tat es der Jüngeren gleich. Doch es blieb still. Keine Stimmen, kein Rasseln von Säbeln oder anderen Waffen. Keine Schritte. Mit dem Kopf nickte er in die Richtung der Straße, in die Sineca gelaufen war, nachdem er sich davon vergewissert hatte, dass niemand in Sichtweite war. Dann erkannte er die schmale Gestalt auch schon in einer Gasse auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wie sie unentwegt etwas im Blick behielt. Möglichst unauffällig huschten die drei auf die andere Straßenseite, drückten sich gegen die Hauswand und sammelten sich, ehe sie – sich mit einem Nicken einig – in den Eingang der Gasse traten.
Hatte bislang noch ein Hauch von Hoffnung bestanden, dass der Überfall auf Shanaya, Farley und ihn ein reiner Zufall gewesen war, wurde sie jäh vom schimmernden Anblick eines Pistolenlaufs zerstört, der bereitwillig vom anderen Ende der Gasse aus auf sie zeigte. Im Gegensatz zu Shanaya hatte Liam der Ruhe seiner Partnerin geglaubt und lediglich die Hand um den Griff seines Degens geschlossen, der wieder an seinem Hosenbund baumelte. Die Pistole allerdings, die man ihnen aus der Dunkelheit entgegenhielt, hatte dem Lockenkopf nicht nur schlagartig mit einem drückenden Gefühl in der Magengegend den Impuls zu Atmen genommen, sondern ihn völlig automatisch die leeren Handflächen fast auf Schulterhöhe heben lassen. Umso überraschter war er schließlich auch, als Shanaya plötzlich den Degen sinken ließ, um erstaunlich entspannt nach vorne zu treten. Liam blinzelte und nach einem weiteren flüchtigen Seitenblick gen Farley glaubte auch er schließlich, die Silhouetten zu erkennen, die wie gejagte Hasen dicht beisammenstehend zu ihnen hinüberspähten.
„Ich wäre euch wirklich verbunden, wenn ihr das Ding runternehmen würdet.“
Im Gegensatz zu Shanaya nämlich sträubte sich alles in ihm, auch noch auf den Pistolenlauf zuzulaufen, der ihm entgegengehalten wurde. Erst, als die Gestalt die Waffe sinken ließ, straffte Liam ganz automatisch die Schultern und atmete durch. Mit einer kurzen Geste mit dem Kopf verständigte er sich mit Farley, der dazu überging, die Straße im Blick zu behalten, während Liam der Schwarzhaarigen tiefer in die Gasse hineinfolgte. Je näher er kam, desto deutlicher wurde, dass seine Vermutung stimmte. Skadi und Talin warteten im Dunkeln und schienen beide zumindest unverletzt genug, um zu verschwinden. Beiden galt ein kurzer, besorgter und erleichterter Blick zugleich, doch während sich Shanaya direkt an die beiden Frauen wandte, drückte sich Liam erst einmal an ihnen vorbei und streifte Skadis Arm dabei kurz mit der Hand. Hinter ihnen lagen vier leblose Körper. Im ersten Augenblick vermied er, genauer hinzusehen, verdrängte die Sorge und vergewisserte sich zuerst davon, dass sie auch aus dieser Richtung – vorerst – nicht überrascht werden konnten. Dann erst fiel sein Blick auf die Männer, die sich zu seiner Erleichterung als niemanden von ihnen herausstellte. Ein tiefer Atemzug folgte, ehe er den vordersten von ihnen kurz deutlich mit dem Fuß berührte, aber keine Reaktion mehr folgte. Sie atmeten nicht. Alle nicht. Und schließlich wandte er sich wieder herum, überbrückte die kurze Distanz zu den drei Frauen und blieb dicht hinter Skadi stehen. Jetzt auch fiel ihm der Riss in ihrer Bluse auf und das Blut, das Talins Schulter zierte. Das ungute Gefühl in seinem Magen wurde wieder schwerer. Aber immerhin standen sie. Allzu schlimm konnte es also zum Glück nicht sein.
„Immerhin können wir uns jetzt sicher sein, dass sie’s nicht nur auf uns abgesehen hatten. Ihr wart in der Taverne. Wisst ihr etwas von den anderen?“
Im ersten Moment wanderte sein Blick von Shanaya über Talin zurück zu Skadi, ehe er wieder aufsah und nach Farley Ausschau hielt.
„Wie auch immer. Wir sollten hier verschwinden. Es ist keine gute Nacht für einen Dorfspaziergang. Wenn wir Glück haben, führt die Straße da vorne aus dem Dorf raus. Auf der Sphinx werden sie vermutlich nur auf uns warten.“