28.08.2019, 15:11
Traurig wäre es wahrlich gewesen. Traurig war aber auch, was die Gier und Besessenheit ihrer Familie mit Shanaya angestellt hatte. Mit einem Mal hatte Liam sogar Verständnis für manche ihrer Eigenarten. Für ihren Sturkopf und ihren immerwährenden Drang, andere provozieren und herausfordern zu wollen. Er musste ihre Familie nicht persönlich kennen, um sich sicher zu sein, dass sie aus Leuten bestand, mit denen er vermutlich nichts zu tun haben wollte. Dass Shanaya sich für den Mittelpunkt der Welt hielt, kam vermutlich nicht von ungefähr. Die Vorstellung eines Mannes, der die Schwarzhaarige ans Handgelenk gefesselt bekam, um sie fortan ‚Ehefrau‘ zu nennen, war weitaus amüsanter als ihr vorheriges Thema. Noch rechnete der Lockenkopf nicht damit, dass ihm eben jener Mann eigentlich sogar ziemlich bekannt war – und dass er nichts besseres zu tun hatte, als sich seiner versprochenen Ehefrau an den Rockzipfel zu hängen, während sie zunehmend mehr Pläne schmiedete, ihn aus dem Weg zu räumen. Doch Shanayas Einschätzung überschnitt sich kein bisschen mit der Realität und machte es ihm somit unmöglich, darauf zu kommen, dass er von der Wahrheit gar nicht so weit entfernt war, wie er dachte. Liam hievte das nächste Fass hinauf, trug es an der Dunkelhaarigen vorbei und verstaute es vor der letzten Kiste, um ein wenig Platz zu sparen. Dass sich seine Gesprächspartnerin wirklich von der Arbeit abhalten ließ, überraschte ihn, bestätigte ihn allerdings auch darin, dass die die Ruhe wirklich nötiger hatte, als sie zugeben wollte. Ihre Frage aber überraschte ihn, obwohl sie nicht wirklich weit hergeholt war.
„Mit meinem Vater, ja.“, konkretisierte er und versuchte, einzuschätzen, wie oberflächlich Shanaya dieses Gespräch nun wohl halten wollte. „Wir sind nach dem Tod meiner Mutter aufgebrochen. Das war… 1805.“
Wenn man es aussprach, wurde einem eigentlich erst bewusst, wie viel Zeit mittlerweile vergangen war. Als das Fass sicher verstaut war, wischte er sich kurz mit dem Handrücken eine Strähne aus der Stirn, bis sein Blick abermals auf Shanaya fiel und sich seine Stirn in Falten legte.
„Himmel, warst du da überhaupt schon auf der Welt?“, stellte er lachend fest und kam sich mit einem Mal irgendwie unheimlich alt vor.