27.08.2019, 22:38
Liams Retourkutsche folgte auf dem Fuß. Ließ sie erneut kurz glucksen und die Augen zusammenpressen, ehe das Kissen sie traf und vor ihr auf dem Haufen zum Liegen kam. Breit grinsend reckte sie ihm das Kinn entgegen, ob er seiner beleidigt ausgesprochen Worte, die für sie mehr mit einer typischen „Floskel“ denn ernst gemeinter Worte gemein hatte. Öffnete erst das eine, dann das andere Auge und schenkte ihm einen schmatzenden Luftkuss. “Sei doch nicht beleidigt Prinzchen. Du weißt doch, wie lieb ich dich hab.“ Und noch ehe sie sich über ihre eigene Worte Gedanken machten konnte, nahm sie das Kissen in die eigene Hand und pfefferte es Liam entgegen. Gluckste unter einem breiten Grinsen hinweg und begann wieder eines der Hemden zusammen zu legen.
Ob es etwas gab, was er ihr ernsthaft übel nahm? Absolut nicht. Aber gerade das machte diese Neckerei so unbekümmert, so kindlich. Leider stand Skadi auch nach dem Kissenbeschuss noch – wie erwartet – ziemlich aufrecht, als hätte sie seinen Angriff mit einer Leichtigkeit abgewehrt, die kaum der Rede wert war. Abermals verdunkelte sich sein Blick, als sie ihm eben dies derart deutlich unter die Nase rieb, dass er sich kurzerhand nach anderen Dingen umsah, die er ihr entgegenwerfen konnte. Doch da flog bereits sein Kissen zurück und prallte an seinem gehobenen Unterarm ab, ehe es zu Boden fiel. Skadi hatte sich dahinter bereits wieder einem der Hemden gewidmet, als wäre sie völlig unbeteiligt an den diesem heraufbeschworenen Kissenkrieg. Und auch, wenn das der Punkt gewesen wäre, die Waffenruhe anzunehmen, setzte Liam ein weiteres Mal an, zielte aber auf den Masten, in deren Nähe sie stand, „Irgendwann, Fräulein. Irgendwann erwische ich dich, wenn du nicht damit rechnest.“, drohte er ihr mit scherzhaftem Ton und behielt sie im Auge, ehe er zum dritten Mal ansetzte, um das Hemd in seinen Händen zusammenzulegen.
Hatte sie es erst für eine kleine Neckerei gehalten, die Liam nur unternahm, um sich für ihren Lachanfall auf seine Kosten zu revanchieren, entlockte ihr der erneute Wurf des Kissens und der sanfte Luftzug an ihrem Kopf ein verwirrtes Blinzeln. Nur langsam hob sie den dunklen Haarschopf. Ließ das zusammengelegte Hemd zur Seite auf die Kiste gleiten und war nun selbst in der Position die feinen Züge des Älteren mit verengten Augen zu mustern. Er wollte also einen Kissenkrieg, wie? Mit einem spitzbübischen Lächeln in den Mundwinkeln, das aufgeregt zitterte, nahm sie eines der freien Hemden auf und klatschte es geräuschvoll auf die Kiste, um Liams Aufmerksamkeit zu erhalten. Umklammerte wenig später die Kante mit beiden Händen und lehnte sich provokativ voraus. “Ach ja? Aber nicht, wenn ich dich zuerst erwische.“ Ruckartig sprang der hohe Körper die Kiste hinauf, fand unter dem Knarzen und Wackeln nur kurz Halt, bevor sie sich Liam entgegen werfen wollte.
Im nächsten Moment war tatsächlich sie es, die dreinblickte, als hätte sie ihn oft genug gewarnt, dass er das Echo vertragen musste. Tatsächlich hatte Liam nur wenige Probleme mich Echos und auf dieses hier freute er sich fast sogar schon. Mit einem Lächeln, bei dem er sich kaum darum bemühte, es zu verbergen, beobachtete er von der Seite her ihre Reaktion, bis sie ihm fast schon in trevormanier mit einem der alten Hemden zu drohen versuchte. Belustigt wandte er sich herum und harrte abwartend der Dinge, die da kamen. Damit allerdings, dass sich Skadi kurzerhand selbst zum Geschoss ernannte, hatte er wirklich nicht gerechnet. Voller Überraschung weiteten sich seine Augen, als er Skadi eine Sekunde später auch schon reflexartig auffing und nach hinten taumelte, bis er mit dem plötzlichen Zusatzgewicht sein Gleichgewicht zurückerlangt hatte. Kaum, dass er wieder festen Halt hatte, schlich sich ein siegessicheres Grinsen auf seine Züge, ehe er die Nordskov kurzerhand über die Schulter hievte und den Kopf in den Nacken legte, um noch etwas von ihrem Gesicht sehen zu können. „Und jetzt? Vielleicht sollte ich dich einfach Trevor ausliefern.“, überlegte er laut, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Wie ein kleiner Haufen hockte sie vorerst auf Liams Hüfte und klemmte Knie und Fußgelenke an seine Seite, um bei einer plötzlichen Rückwärtsbewegung nicht hinab zu purzeln. Doch dass er sie mit einer solchen Leichtigkeit schlagartig auf seine Schulter warf, entlockte Skadi ein abruptes Ausatmen, das nur zu Teilen durch die Schwere ihres eigenen Körpergewichts aus ihren Lungen heraus platzte. Schnaubend reckte sich der dunkle Haarschopf zurück, um nicht noch unkontrolliert im formschönen Hintern zu landen, auf den sie sanft mit der flachen Hand schlug. Was für ein Blödmann. Das war doch gar nicht ihr Plan gewesen. Noch ehe sich die Nordskov weiterführende Gedanken über ihre Situation machen konnte, hörte sie bereits den Älteren in ihrem Rücken sprechen. Versteifte sich schlagartig, um ihren Oberkörper federleicht hinauf schnellen zu lassen und mit schockiertem Blick auf das breite Grinsen zu starren, das sich bereits im Klang seiner Worte niedergelassen hatte.
“Das wagst du nicht… so böse war ich doch gar nicht!“ Nur langsam begann sie auf seiner Schulter zu zappeln. Verdeutlichte damit ihre Gegenwehr und verkeilte abstützend ihre Hände im Rückenstoff seines Hemdes. “Hasst du mich etwa noch so sehr, dass ich das verdient habe?“ Oh, wie gut sie doch diese traurige Miene aufsetzen und ihre Unterlippe zitternd voraus schieben konnte. Man erlag beinahe dem Glauben, dass sie tatsächlich sehr bestürzt über die Wahl seiner Foltermethode war. “Liam… komm schon. Sei ein lieber Straßenköter und wirf mich nicht dem Raubein Trevor zum Fraß vor. Wo ist denn dein Ehrenkodex… eine Jungfrau in Nöten rettet man doch!“
Zugegeben - guter Versuch. Sie hatte ihn wirklich überrascht. Aber wie es schien, hatte sie nicht damit gerechnet, dass er den Spieß einfach wieder herumdrehen würde. Er sah allerdings auch wirklich nicht nach Muskelberg aus, legte keinen sonderlich großen Wert auf Training oder ähnliches. Aber er war ein Mensch, der eigentlich hauptsächlich irgendwo durch die Gegend kraxelte, sich im Zweifel auch nicht von einer erklimmbaren Felswand abhalten ließ und damit durchaus eher trainiert als untrainiert war. Skadi auf die Schulter zu hieven, war also durchaus machbar und der protestierende Schlag auf seinen Allerwertesten spornte das siegessichere Grinsen in seinem Gesicht nur noch mehr an, während er ihr die Chance gab, sich herauszureden. Die Trevordrohung zog nämlich - ganz gleich, ob sie davon ausging, dass er es wirklich tat oder nicht. „... ‚Prinzchen‘?“, wiederholte er ungläubig mit einer gehobenen Augenbraue, um der Nordskov den fehlenden Charme ihrer Verniedlichung vorzuhalten, die sie eben noch gewählt hatte.
Als sie fortfuhr, war er es allerdings, der kurz überrascht darüber auflachen musste, dass sie das noch nicht vergessen hatte. Eine Richtigstellung blieb er ihr allerdings schuldig - die Antwort darauf, wie sehr er sie noch ,hasste‘, kannte sie wohl selbst. Aber guter Versuch. Unbeeindruckt begutachtete er ihre schmollende Miene, machte aber keine Anstalten, sie absetzen zu wollen. Und dann brachte sie den Ehrenkodex zur Sprache, der den Lockenkopf unweigerlich zum Lachen brachte. Jungfrau in Nöten. War Auslegungssache, ob man es auf Skadi oder Trevor bezog, denn jeder von beiden schien einen Teil davon zu erfüllen. Statt sich nun aber Trevor im Beisein einer willigen Frau vorzustellen, ließ sich Liam lieber dazu erweichen, Skadi tatsächlich herunterzulassen, stützte sie mit dem Arm, bis sie wieder den schwankenden Boden des Schiffes unter den Füßen hatte. „Dein Glück, dass ich das mit dem Ehrenkodex etwas enger sehe als manch andere.“, brummte er gut gelaunt und zog der Jüngeren kurzerhand das Hemd aus den Fingern, mit dem sie eben noch gedroht hatte, versetzte ihr einen freundschaftlichen Schlag damit auf Hüfthöhe und machte sich danach dran, es tatsächlich wieder zusammenzulegen.
Liams erstes „Problem“ offenbarte sich bereits nach wenigen Augenblicken. Und die demonstrativ unbeeindruckte Augenbraue ließ kaum einen anderen Schluss zu, dass ihm Skadis Wortwahl mal so gar nicht behagte. Die Nordskov indes schenke ihm ein unterdrücktes Grinsen, hatte sie doch bereits so sehr an ihrem „unschuldigen Mädchenblick“ gearbeitet, dass es eine Schande gewesen wäre, sich jetzt von ihm davon ablenken zu lassen. Ganz offensichtlich zog ihre Unterstellung. Zumindest brachte es den Lockenkopf endgültig dazu, sie lachend aus der luftigen Höhe zu befreien und ihren schmalen Körper langsam auf dem Boden abzusetzen. Dagegen wirkte ihre herausgestreckte Zunge fast schon übermäßig frech und kindlich.
Nur das darauf folgende verschmitzte Grinsen machte aus der Nordskov wieder die erwachsene, selbstbewusste Frau, die sie war. Wehrte sich nicht einmal gegen den zurecht weisenden Schlag und ging nahtlos dazu über, Liam provokativ in den Po zu kneifen, als er sich abwandte. “Alles andere hätte mich beim Prinzchen auch gewundert.“, murmelte sie mit einem schalkhaften Blick zu ihm hinauf und senkte ihre Lippen augenblicklich zu einem beschwichtigenden Kuss auf seine Schulter, ehe sie sich neben ihn stellte und selbst nach einem der Hemden griff. “Wie gut kennst du dich eigentlich mit Tinkturen aus?“ Es war als durchbräche ihre Stimme die angenehme Stille zwischen Ihnen, die nur kurzweilig, durch ein melodisches Summen bereichert worden war.
Sie spielte mit ihrer neugewonnenen Freiheit und schien sich nicht einmal wirklich bewusst, dass der fehlende Ehrenkodex eine Anspielung an ihre erste Begegnung gewesen war. Doch statt seine Drohung nun doch einfach wahr zu machen, sie wieder einzufangen und ein Deck höher einfach als Trevors Aufpasserin abzustellen, ließ er sie dieses Mal noch mit einem warnenden Blick und einem sachten Schlag mit dem Hemd davonkommen, ehe er sich wieder an die Arbeit machte. Doch auch dieses Mal bemühte sich die Nordskov um das ‚letzte Wort‘, kniff ihm gnadenlos in den Po, den er reflexartig zur Seite schob, als es bereits zu spät war. Ein fluchendes Zischen verließ seine Lippen, welches so gar nicht mit seinem amüsierten Gesichtsausdruck harmonierte. „Ich glaube, ich hetze Trevor heute Abend doch noch auf dich.“, zog er ob ihrer ungenierten Wiederholung mit schmalen Augen in Erwägung und ließ sich durch ihre Beschwichtigung zumindest davon abhalten, seine Rache sofort in die Tat umzusetzen. Das kindliche Gehabe zwischen ihnen legte sich allmählich. Sie beide nutzten ein paar der Hemden, um zu verschnaufen, ehe Skadi wieder zu sprechen begann und Liam aufmerksam den Kopf hinüberwandte. „Was meinst du? Diese Zaubermittel, die einem selbsternannte Hexen gegen jedes mögliche Problem andrehen wollen? Ganz egal, ob Zahnschmerzen, Herzlosigkeit oder Übergewicht?“, überlegte er und legte das nächste Hemd beiseite. „Hätte nicht gedacht, dass du dem etwas abgewinnen kannst.“ Erst einen Augenblick später erinnerte er sich daran, dass sich Skadi ziemlich bewandert gezeigt hatte, was Kräuter und Giftpflanzen anging. „Ah, du meinst Kräutermittelchen?“
Entweder ignorierte sie seine Anspielung auf ihre erste Begegnung gekonnt oder hatte es tatsächlich vergessen. Immerhin brachte der Lockenkopf nicht zum ersten Mal dergleichen zustande, das eher untypisch für die Jägerin war. Lockte verschollene Seiten an ihr zurück ans Tageslicht, die womöglich nicht einmal Enrique für existent hielt. War sie noch bis vor wenigen Monaten ein eher zurückgezogener, verschlossener und ernsthafter Charakter gewesen, der stets wirkte, als sagte und tat er nie etwas, ohne es innerlich mehrere Male zu diskutieren und abzuwägen, wandelte sich die Nordskov zu einem Kind der Unbekümmertheit. Ließ sich von der Situation treiben und verschwendete nicht einen überflüssigen Gedanken an Konsequenzen. Sie lebte. Etwas, das sich endlich wieder richtig und gut anfühlte. Mit Liam war sie wieder ganz sie selbst. Fühlte sich stark genug, um zu ihrer Entscheidungsfreude zurück zu finden. Damit klar zu kommen, dass sie viel in ihre Bindung zu Enrique investierte und womöglich nie selbiges zurück bekam. Stand zu ihrem Entschluss und würde sich von nichts und niemanden hinein reden lassen. Mit ihm war sie stark und selbstbewusst. Erhielt emotionalen Rückhalt, wenn sie ihn brauchte, ohne dass sie ihn wirklich hatte haben wollen. Doch je mehr Zeit sie mit dem Musiker verbrachte, desto bewusster wurde ihr, wie seine offene Art und sein zunehmendes, ernsthaftes Interesse an ihrer emotionalen Gesundheit sie aufbaute. Noch nie gehörte die Dunkelhaarige zu der besonders gefühlsduseligen Sorte Frau und machte die meisten ihrer Sorgen nur mit sich allein aus. Doch Liam verstand sich wie kein anderer darin ihre Zweifel und Bedenken aus ihr heraus zu kitzeln und sie ohne viel Brimborium aus der Dunkelheit zu vertreiben. Einfach nur indem er so war, wie er war. Unverfälscht, ehrlich und … zuckersüß. Mit einem kurzen Seitenblick bedachten die braunen Augen das bärtige Gesicht.
Schenkten ihm ein spitzbübischen Funkeln und tauchten in das amüsierte Gesamtbild ein, das die Nordskov schmunzelnd neben ihm innehalten ließ. Ihm sogar unmissverständlich, aber sanft für seinen Spruch in die Seite knuffte und abwertend schnaufte. “Herzlosigkeit und Übergewicht? Was bist du denn für ein Klatschweib?“ Natürlich wusste sie es besser, doch es entlockte ihr ein verkrampftes Magenziehen, wenn er die Kunst ihrer Großmutter auf solcherlei Schandflecke reduzierte. Da brachte es ihm nicht einmal mehr etwas, sich eines besseren zu entsinnen und den eigenen Fehler einzugestehen. Mit einem Kopfschüttel legte die Jüngere nun ihr gefaltetes Hemd an die Seite und schnalzte mit der Zunge. “Natürlich meine ich Kräutermittelchen… bei den Göttern… ich bin zwar der Meinung, dass es vieles gibt, von dem wir absolut keine Ahnung haben… aber dermaßen verblendet bin ich nicht.“ Nicht, dass Liam es angedeutet hätte, doch sie wollte hier einen Standpunkt vertreten. “Also… kennst du dich damit aus oder nicht?“ Mit hinauf gezogenen Augenbrauen, wandte sich der hoch gewachsene Körper auf den Zehenspitzen herum und führte in einer gleichsam fließenden Bewegung die Hände verschränkend vor ihre Brust. Lehnte kurz darauf mit der Hüfte an der Kiste und ließ das Gesicht des hübschen Lockenkopfes keine Sekunde aus den Augen.
So unernst, wie sie es nahm, hatte er es gar nicht gemeint. Hatte man sie noch nie in eines dieser aromatisierten, geheimnisvollen Zelte geleitet, um ihr mit derartigen Zaubermitteln den Weltfrieden zu versprechen? Liam erinnerte sich nur zu gut an all die Wahrsager und zwielichtige Gestalten, die einem damals Hilfe für seine Mutter versprochen hatten. War also nicht weiter verwunderlich, dass er nicht sonderlich viel davon hielt. Weder von Menschen, die die Zukunft vorhersagen wollten, noch von Liebes- und Heiltränken, die auf Zauberei basierten. „Hey!“, beschwerte er sich bei ihrer kleinen Rüge, ahnte aber, warum Skadi glaubte, dass er sie verdient hatte. Trotzdem war er auf eine gewisse Art und Weise erleichtert, als sie seine zweite Vermutung bestätigte und sich somit von derlei Wundertränken distanzierte. „Hätte ich auch nicht erwartet. Aber es beruhigt mich dennoch, es aus deinem Mund zu hören.“ Das konnte er ihr wirklich guten Gewissens versichern, ehe er kurz überlegte, dann aber langsam den Kopf schüttelte. „Nicht wirklich. Ein paar Sachen kennt man, aber vermutlich würde ich die Pflanzen dazu nicht einmal erkennen, wenn du sie mir unter die Nase reiben würdest.“ Da kannte er sich weitaus besser mit Tee aus, wobei er auch da eher der Trinker als der Kenner war. Lubaya hatte die Ahnung über Zubereitung und Wirkung gehabt.
Hätte sie nur im Ansatz erahnt, dass die Hintergründe dieses Zweifels tiefgründiger waren, hätte sie ihn wohl nach den Beweggründen gefragt. So empfand sie seine Worte nur als die übliche Reaktion auf jene Arbeit, die Generationen von Frauen ihrer Familie vorbehalten geblieben war und weitergetragen wurde. Ein mattes Lächeln zierte ihre Lippen, kaum dass Liam einlenkte und erneut betonte, dass es für sie in seinen Augen ein absolut unübliches Verhalten gewesen wäre. Gut für ihn, dass er offenbar gelernt hatte, sie in solchen Dingen einzuschätzen. “Gut… vielleicht ist es an der Zeit, dass du ein paar Grundlagen lernst… könnte dir für die Zukunft von Nutzen sein. Hättest du Lust?“ Und wieder wirkte die Nordskov entspannt und sorgenfrei. Lächelte offen und zufrieden mit sich und ihrer derzeitigen Gesellschaft.
Skadi war vieles, aber gewiss kein Träumer, der Gespenstern hinterherjagte. Sie erlaubte sich ein gewisses Maß an Kindlichkeit, wobei dem Lockenkopf allmählich bewusst wurde, dass sie das nicht jedem gegenüber tat. Ein Eindruck, der sich mit jedem Mal bestätigte, dass er sie beiläufig an Deck im Gespräch mit den anderen Crewmitgliedern sah. Aber er dachte sich nichts dabei, sondern schätzte einfach die Sorglosigkeit, die sie miteinander teilten. Ansonsten wirkte sie bodenständig und realistisch und sich der Grausamkeit der Welt durchaus bewusst. Musste ja nicht gleichsam bedeuten, dass man sich ihr ergab. Als sie ihm anbot, ihn im Thema Kräuterkunde ein wenig zu unterrichten, legte sich seine Stirn kurz überlegend in Falten, ehe er gleichzeitig mit den Schultern zuckte und nickte, während er das letzte Hemd auf den ungleich zusammengelegten Stapel warf. Man konnte deutlich erkennen, welche Skadi und welche er zusammengefaltet hatte… „Klar, warum nicht. Schaden kann’s sicher nicht.“ Mit einem bereitwilligen Lächeln wandte er sich dem zierlichen Antlitz der Nordskov zu. „Und eine bessere Lehrerin werde ich wohl kaum finden.“ Selbst, wenn es ihr abermals schmeichelte – und sich Liam der Wirkung seiner Worte durchaus bewusst war – sprach er sie aus Überzeugung aus, weil er sie ernst meinte. „Gregory wird sich vermutlich nicht beschweren, wenn wir ihm die Lumpen erst heute Abend bringen, oder?“
Ehrlich gesagt war es nicht nur für ihn selbst von Vorteil, sich zumindest etwas mit den bekanntesten Kräutern auszukennen. Denn insgeheim erhoffte sich die Nordskov, dass er dann im Fall der Fälle wenigstens die nötigen Vorkehrungen treffen oder sich zumindest von einer folgenschweren Vergiftung fern halten konnte. Immerhin würde ihn seine unbekümmerte Art nicht jedes Mal aus der Patsche helfen. Er war nicht Trevor, dessen Glückssträhne nicht nur unergründliche Ausmaße annahm, sondern obendrein noch für unbestimmte Zeit andauerte. Mit einem Nicken wandte sie sich also ihrem Wäschestapel zu und ignorierte das künstlerische Chaos, das Liam hinterlassen hatte. Die Hemden waren ohnehin mehr als Reserve denn als Garderobe für die feinen Herrschaften an Deck gedacht. Es kümmerte sie also herzlich wenig, ob eine ungewünschte Falte mehr oder weniger auf dem groben Stoff zurück blieb. Ganz davon abgesehen scherte es sie auch herzlich wenig. Ihre Arbeit hatten sie erledigt – in diesem Punkt der Lockenkopf sogar noch wesentlich besser, dessen Kompliment sie mit einem Lächeln und einem Zwinkern entgegnete und die flachen Hände unter den Stoffstapel schob, um ihn flink auf den Unterarmen zu balancieren. “Wir können es auch jetzt tun. Ich muss ohnehin an seinen Medizinschrank, um den Mörser, Alkohol und ein paar Flaschen zu holen.“ Skadi wirkte nicht, als hätte sie Probleme damit, sich an jemandes Vorrat zu bedienen. Was womöglich daran lag, dass sie sich lediglich den Mörser von Gregory auslieh und den Rest auf Milui nach ihren etlichen Streifzügen durch den Wald selbst organisier hatte. “Hoffentlich sind ein paar Kräuter an Deck beim Trocken heil geblieben. Sonst muss ich Trevor doch noch versohlen.“ Wieso auch immer es ihn traf, wenn man davon ausging, jemandes Unfug ausbaden zu müssen, konnte die Jüngere kaum beantworten. Presste nur tief einatmend die Lippen aufeinander, ehe sie sich abwandte und mitsamt Hemden die Treppenstufen hinauf marschierte.
Er hatte eigentlich keine Ahnung, was genau ihn nun erwartete. Nachdem sich seine Gedanken von der Vorstellung an Zaubertränke verabschiedet hatte, musste er unweigerlich an die Verbände denken, die man hier und da mit heilenden Kräutern auslegte, um die Heilung zu beschleunigen oder das Infektionsrisiko zu senken. Aber auch der Gedanke verflog, als die Nordskov ihm offenbarte, dass sie ohnehin noch Utensilien aus Gregorys Medizinschrank benötigte. Liam ließ sich nichts anmerken, nickte stattdessen bereitwillig mit einem „Ah, na dann bietet es sich wirklich an.“ Skadi trat mit den Hemden an ihm vorbei, während er die restlichen Lumpen aufsammelte und ihr folgte, sich dabei allerdings dabei erwischte, wirklich darüber nachzudenken, ein paar der Lumpen für „andere Zwecke“ beiseite zu schaffen. Erst lag sein Blick auf dem alten Stoff, dann an Skadis Silhouette, die ihm im Zusammenspiel mit seiner Überlegung ein unscheinbares, verschmitztes Lächeln auf die Züge zauberte. „Ach, das waren deine? Ich dachte, Rayon hätte sie ausgelegt, um uns kulinarisch etwas zu verwöhnen. Und die machst du klein und mischst sie zu Kräuterschnaps?“
Liam war unfassbar gut darin seine Abneigung gegen die Thematik “Mediziner” zu verbergen. Ergriff ohne Umschweife die Aussage der Nordskov und wandelte sie in seine eigenen um, ohne dass es ihr sonderlich auffiel. Statt sich also erneut zu ihm herum zu drehen und mit zusammengezogenen Augenbrauen nach dem Grund seiner „vermeintlichen“ Zögerung zu fragen, die es offensichtlich nicht gab, hüpfte die junge Frau die Treppenstufen empor. Schlich sie an den Hängematten vorbei und verstaute die Hemden in einer der Kisten und klatschte sich den Staub abreibend in die Hände. “Das meiste wäre wohl zu bitter, um es für Eintöpfe oder sonstiges zu verwenden.“ Und wiederum in großen Mengen auch zu giftig, um es in die Mahlzeiten der Crew zu mischen. Das hatte sie Rayon unmissverständlich klar gemacht, als sie sich einen sicheren Ort für ihre Kräuter gesucht und vor allem die Giftigen als optischen „Blumenstrauß“ mit ablenkenden Wildblumen zusammengebunden und zum Trocken aufgehängt hatte. Wenigstens konnte sie so sicher gehen, dass Trevor sich nicht unbedacht etwas davon in den Mund stopfte. Immer wieder erinnerte sie der Kerl ihren kleinen Bruder, der sich weder für Regeln noch Konsequenzen interessierte. “Aber wenn du es so ausdrücken möchtest… ist es irgendwie wie Kräuterschnaps. Nur konzentrierter und zum Teil auch… matschiger?“
Der dunkle Schopf lugte mit einem grübelndem Blick hinter einem der Pfeiler in Richtung des Lockenkopfes hervor. Hatte sich, noch während sie die Worte an Liam richtete, an Gregorys Medizinvorrat begeben und presste nun Mörser, Fläschchen und Utensilien schützend an ihre Brust. Zuckte angesichts ihrer wenig zutreffenden Umschreibung mit den Schultern. Die verschiedenen Konsistenzen ihrer Tinkturen ließen sich nur schwer in Worte fassen und lieber zeigte sie es Liam, bevor sie sich weiter darüber den Kopf zerbrach. Huschte in Windeseile an ihm vorbei auf’s Oberdeck hinauf und blendete fast schon in einem Mechanismus die verschiedenen Gestalten darauf aus. “Aber es wird definitiv nicht schaden, wenn der ein oder andere beim nächsten Landgang vorsorglich etwas dabei hat. Und das nicht nur, um schlimmere Infektionen zu vermeiden.“ Automatisch huschten die dunkeln Augen auf den hochgewachsenen Musiker in ihrem Rücken zurück. Ließ den eigenen schlanken Körper folgen, der sich noch im Lauf herum wandte und nun rückwärts weiter in Richtung der aufgehängten Kräuterbüschel marschierte.
Er lauschte aufmerksam und reckte verstehend das Kinn, als Skadi ihm offenbarte, dass sie Kräuter zu bitter für eine Mahlzeit waren. Und er versuchte, es sich zu merken, obschon er sich noch nicht sicher war, ob „Bitterkeit“ ein allgemeines Erkennungsmerkmal waren für... was auch immer. Essbare Kräuter waren genießbar, aber bittere Kräuter konnten unmöglich automatisch giftig sein, oder? Sonst würde man sich ja keinen Kräuterschnaps daraus mischen? Skadi verstaute die Hemden, während Liam nach einem Zettel kramte und der Jüngeren schließlich in Gregorys Reich folgte, das unbeobachtet auf den Wellen schaukelte. Gemeinsam mit einem kurzen Hinweis hinterließ er die Lumpen auf der Anrichte und trat dann an Skadis Seite, um ihr seine Arme zum Tragen zur Verfügung zu stellen. „Solange die Wirkung stimmt.“ ... machte die Konsistenz keinen großen Unterschied, wie er scherzhaft klarstellte. Neugierig begutachtete er all die Utensilien, die sie einsteckte und es dämmerte ihm, dass das Ganze wohl doch komplizierter war, als er bislang annahm. Liam runzelte die Stirn und blinzelte Skadi fragend entgegen. „... Wovon genau gehst du aus, was auf unserem nächsten Landgang passiert? “ Er schnaubte belustigt und folgte ihr bereitwillig zu den Kräutern, ohne groß auf das Treiben an Deck zu achten. In den Sträußen erkannte er vorerst nichts, was ihm irgendwie bekannt vor kam, sodass er es hätte benennen können. „Hast du all das von deiner Familie gelernt?“, fragte er schließlich mit leiser Ehrfurcht, als ihm die Artenvielfalt bewusst wurde, die Skadi dort aufgehängt hatte.
Zaghaft hatte sie einige der Fläschchen in Liams Arme gleiten lassen, bevor sie nach draußen getreten war und sich nun damit beschäftigte, die Sträußchen Stück für Stück aus ihrer Aufhängung zu lösen. “Meine Großmutter meinte immer, dass man auf ALLES vorbereitet sein sollte.“ Und die Nordskov wusste mittlerweile aus eigener Erfahrung, dass sie gut daran tat sich daran zu halten. Mochten es Prellungen oder tiefschürfendere Verletzungen sein – bei einer steigenden Anzahl an Problemfällen wie auf diesem Schiff war es fast schon mehr als eine reine Vorsichtsmaßnahme. “Und die Vergangenheit hat wohl deutlich gezeigt, dass wir sogar mit Toten rechnen müssen.“ Noch während die Worte über ihre Lippen huschen, wandte sich der Blick aus dunklen Augen ernst herum und fixierte den Lockenkopf, als müsse er begreifen, wie ernst ihre derzeitige Situation noch werden konnte und bereits war. Allem Spaß und er Heiterkeit von vor wenigen Minuten zum Trotz. Kaum dass er allerdings fortfuhr, legte sich wieder ein Lächeln auf ihre feinen Züge. Zwang die Nordskov nun in Richtung Schatten und ließ sich einige Meter neben einem der anderen nieder. Hörte doch nicht einmal dem Gespräch gegenüber zu, sondern wandte sich, nun im Schneidersitz verweilend, zu Liam hinauf. “Von meiner Großmutter… ja. Und so unheimlich wie sie manchmal war… ich bin froh, dass ich den Großteil nicht direkt wieder vergessen habe.“
Anfangs noch ruhte das ungläubige Lächeln auf seinen Zügen, ehe es mit einem Mal erstarb. Sein Blick wurde ernst, als sich auch Skadi bedeutungsschwer zu ihm herumdrehte und auf Cornelis anspielte. Liam seufzte nachgiebig und schwieg, was deutlich offenbarte, dass er sich von ihrer Vorsicht geschlagen gab. Cornelis‘ Tod war leider ein Todschlagargument, gegen das er nicht ankommen konnte - und wollte. In einer Ecke des Decks kamen sie zum Stehen. Liam ließ die Fläschchen vorsichtig auf das Holz gleiten, ehe er sich selbst Skadi gegenüber in einen Schneidersitz gleiten ließ. „Wow.“, beteuerte er. „Ich glaube, ich habe davon bewusst noch nie irgendeines gesehen. Wirken die alle gleich?“
Obwohl sie selbst Schuld an diesem Ausdruck trug, war es befremdlich Liam mit solch einer Miene zu sehen. Es machte ihn schlagartig erwachsen und herb. Nichts, dass ihr sonderlich missfiel, doch passte es so gar nicht zu dem sonnigen Gemüt, das tagtägliche seine Miene überzog. Als hätte sie ihn schlagartig zu einem verbitterten Mann gemacht. Widerlich. Mit einem tiefen Atemzug quittierte sie seine stillschweigende Akzeptanz und ließ sich wenige Meter weiter auf dem Boden nieder. Schüttelte vorläufig den Kopf als Antwort auf seine Frage und löste behände den Knoten aus einem der Sträuße. “Nein. Die einen desinfizieren, die anderen senken Fieber und wiederum andere…“ Sie hob einen eher unscheinbaren Halm mit leuchtenden Blüten vor ihr Gesicht, der unter dem Busch aus Wildblumen kaum aufgefallen war.. Drehte ihn behutsam zwischen den Fingerspitzen und sah dann aufmerksam zu Liam hinüber. “… lassen die Lungen deiner Gegner in nur wenigen Minuten kollabieren.“ Ohne es aktiv zu kontrollieren sackte die Lautstärke ihrer Stimme hinab und glich beinahe einem Flüstern. Sie wusste wie er zum Thema „töten“ stand und stellte sich just auf eine abwertende Haltung ein.
Er bildete sich gewiss nicht ein, sich wirklich viel von diesem Exkurs behalten zu können, den Skadi nun startete. Versuchen würde er es dennoch, selbst wenn es nur grobe Kleinigkeiten waren, die sich sein Gedächtnis merken konnte. Davon abgesehen, dass es ihm auch einfach Spaß machte, ihr zuzuhören. Wie vielfältig die Wirkung von Kräutern sein konnte, schien er nämlich bislang unterschätzt zu haben. Dass sie desinfizierend oder heilend wirkten, wusste er. Andere halfen, Übelkeit zu bekämpfen, beruhigten den Magen oder wirkten auf ähnliche, diffuse Arten gegen kleinere körperliche Leiden – wenn man sie zu Tee mischte jedenfalls. Aber Tinkturen würden kaum anders wirken, oder? Liams Blick folgte ihrer Bewegung und blieb schlussendlich an dem kleinen Gewächs zwischen ihren Fingern hängen, das sie ihm vor die Augen hob. Ungläubig sah er erst das Kraut an und spähte dann an dem Halm vorbei in das dahinterliegende Gesicht der Jägerin. „… Und wirklich?“ Er ging tatsächlich davon aus, dass sie ihn gerade auf den Arm nahm. Etwas, was derart einfach zum Tod führen konnte, würde wohl kaum so unscheinbar und harmlos in der Natur wachsen, oder? Trotzdem war er sich nicht wirklich sicher, ob er richtig lag und vermied es, ihr den Halm aus den Fingern zu nehmen, um ihn sich genauer anzusehen. Er fühlte sich eigenartig unerfahren.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen registrierte Skadi, dass Liams Nachfrage absolut ernst gemeint war. Hatte sie sich falsch ausgedrückt oder ein Lächeln aufgesetzt, ohne dass es ihr aufgefallen war? Da sie es nicht mit Sicherheit sagen konnte, sog sie energisch Luft in ihre Lungen und verzog einen Sekundenbruchteil lang die vollen Lippen. “Eingenommen oder als Tinktur auf den Schneidflächen eines Dolchs oder einer Pfeilspitze vergiftet es deinen Angreifer. Das meine ich ernst.“ Erneut blinzelte die Nordskov skeptisch und ließ dann den Halm einige Zentimeter sinken. “Also tu mir den Gefallen und lass die Finger vorerst davon.“ Zwar hatte sie die notwendigen Kräuter für ein Gegenmittel vor Ort, doch es würde zu lang brauchen, um alles wirkungsvoll aufzubereiten und ihm rechtzeitig zu verabreichen.