27.08.2019, 22:34
We share what's in our hearts
Speak what's on our mindsSo much information streaming at us fast
What I really need to know is if
We can make it last
Mittag des 24. Aprils 1822
Skadi Nordskov & Liam Casey
Inzwischen hatte sich die Kombüse wieder fast gänzlich geleert und die meisten waren zurück an die Arbeit gegangen. Rayon war noch damit beschäftigt, dem hinterlassenen Schlachtfeld des Mittagessens Herr zu werden, doch Scortias ging ihm unterstützend zur Hand, wie Liam mit einem Lächeln feststellte, als er von seiner Truhe zurückkehrte und sich wieder dem gekochten Wasser widmete, welches er zuvor aufgestellt hatte. Auf Milui hatte er sich mit ein bisschen Tee eingedeckt und selbst über sich schmunzeln müssen. Eigentlich war es immer Lubayas Aufgabe gewesen, Alex und ihn damit zu versorgen und obwohl er sich anfangs daran hatte gewöhnen müssen, stetig irgendwelche Kreationen vor die Nase gesetzt zu bekommen, schien es inzwischen etwas zu sein, was ihm irgendwie fehlte. Nicht, dass er sich wirklich damit auskannte – er hatte ein wenig ratlos nach ein paar Mischungen gegriffen, die er nun nach und nach ausprobierte, wenn sich die Gelegenheit bot. Wie von selbst reichte Rayon ihm einen Becher, während Liam den Tee aufgoss und sich schließlich im leerer gewordenen Raum umsah. Ein unscheinbares Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln, als er den Hinterkopf erkannte, der noch immer da saß, wo er auch beim Essen gesessen hatte. Ohne groß zu überlegen stieß er sich von der Anrichte ab, um Scortias um einen weiteren Becher zu bitten und ihm selbst einen Tee anzubieten. Schließlich füllte er die drei Becher mit dem Tee, reichte dem Jungen einen davon und wies mit der Hand in die Richtung Skadis, um ihn darum zu bitten, ihr den Becher zu bringen, ehe er die übrigen beiden Tassen in die Hände nahm und dem Jungen zurück an den Tisch folgte.
„Du sahst aus, als könntest du einen gebrauchen.“, erwiderte er auf ihr vermeintlich irritiertes Gesicht, ehe er sich bei Scortias bedankte und ihm einen der beiden Becher reichte, die er mitgebracht hatte. „Hätte ich früher auch nicht für möglich gehalten, aber manchmal weckt ein Tee doch wieder ein paar Kräfte.“ Liam blieb seitlich von ihr stehen und schenkte ihr ein gut gelauntes Lächeln. Für einen kurzen Plausch war schon Zeit, ehe er sich wieder nach unten begab, um sich seiner Arbeit zu widmen. „Wie geht’s dir?“
Rhythmisch flackerte das Bild vor Skadis Augen als sie bei Scortias Worten und plötzlicher Anwesenheit aufsah und dem Jungen direkt in die braungebrannte Miene blickte. Viel zu spät realisierte sie den Teebecher in seinen Händen und lächelte matt, kaum dass sie das kindliche Lächeln bemerkte. “Danke.” Immer noch den Gedanken nachgehend, die sie zuvor in einer vollkommen fremden Welt gefangen gehalten hatten, umschlossen die langen Finger das warme Metall. Hoben das wohlig duftende Getränk an ihre Lippen, als eine ihr bekannte Silhouette an ihrer Seite stehen blieb. Den Platz mit dem jüngsten Crewmitglied tauschte und Skadi beinahe dazu veranlasste sich an ihrem Tee zu verschlucken, kaum dass die dunklen Augen zur Seite huschten. Schlagartig bettete sie den Becher auf dem Tisch und verzog sich räuspernd die feinen Züge. “ Wirke ich etwa krank?“ Skadi selbst trank relativ selten Tee, meist nur beim Anflug einer Erkältung oder sobald sich ihr Unterleib ziepend zu Wort meldete. Somit kam sie gar nicht auf die Idee, dass es mit ihrer abwesenden Haltung zu tun haben konnte.
“Aber trotzdem danke.“, fügte sie mit einem matten Lächeln an und hob den Becher nun mit beiden Händen an die Lippen. Nahm leise schlürfend einen Schluck zu sich und schloss kurz die Augen. Der Geschmack war sonderbar, schob sich jedoch samtig weich durch ihren Hals und landete kühlend in ihrem Magen. Was auch immer Liam dort zusammen gebraut hatte, es schmeckte verdammt gut. Seine Frage ließ sie allerdings unter den schweren Augenlidern hervor lugen und mit einem Zucken der Lippen reagieren. Im Prinzip konnte sie sich kaum beklagen. Körperlich ging es ihr gut. Ihr Problemkind kam zwar nur schwer, aber dennoch allmählich wieder auf die Beine zurück. “Ganz gut würde ich sagen. Nur etwas arbeitslos.“ Der plötzlich genervtes Tonfall mischte sich mit dem amüsierten Auflachen zu einem deutlich gelangweilten Bild der Jüngeren, die bei so viel Nichtstun ihre Hummeln im Hintern zappeln spürte. “Und wie steht's mit dir, mein Prinz?“
Der Zwischenfall mit dem Rotbart war nun bald gut einen Monat her. Und obwohl Liam sich nicht wirklich viel Mühe gab, den Geisteszustand des ehemaligen Offiziers zu analysieren, wusste er, dass Skadis Gemüt ziemlich eng damit verknüpft war. Trotzdem – er war nicht da, um sie zwanghaft aufzumuntern. Wenn überhaupt sah er seine Aufgabe darin, sie abzulenken und das schien ihm meist doch ganz gut zu gelingen. „Ein bisschen abwesend vielleicht.“, entgegnete er ohne direkte Antwort auf ihre Frage mit einem Schulterzucken und gab sich mit ihrer Versicherung zufrieden, dass eigentlich alles in Ordnung war. Was auch immer ihre Gedanken so beansprucht hatte – entweder es war unwichtig oder sie war ganz froh, sie einen Augenblick hinter sich lassen zu können. Als sie die Frage zurück gab, lächelte der Lockenkopf ein wenig breiter. Er konnte nicht leugnen, dass ihm dieses kleine Spiel zwischen ihnen irgendwie gefiel. „Ich wüsste nicht, worüber ich mich bei dieser Gesellschaft beklagen sollte.“, zwinkerte er ihr zu und warf einen flüchtigen Blick in die Richtung Rayons, ehe sein Blick wieder auf ihren Zügen lag. Ein bisschen verloren wirkte sie tatsächlich. Himmel, er wäre über ein bisschen Freizeit vermutlich mehr als froh gewesen. Skadi hingegen schien absolut nichts mit sich anzufangen zu wissen. „Wenn du nichts zu tun hast… Du könntest mir im Lager zur Hand gehen.“, schlug er vor und nahm selbst einen Schluck des Tees aus seinem Becher. „Ich bin immer noch mit dem Flicken der alten Sachen beschäftigt. Ich brauchte nur einen Tee, um der Konzentration wieder auf die Sprünge zu helfen und wollte dann wieder nach unten verschwinden.“
Mit einem Schnauben verzog sich der rechte Mundwinkel und hinterließ ein kleines Grübchen auf Skadis Wange. Liams Beobachtung verwunderte sie nicht. Allerdings war es auf eine seltsame Art und Weise liebenswert von ihm zu glauben, dass er sie mit einer Tasse Tee wieder auf schöne Gedanken brachte. Die sie nicht einmal brauchte, um ehrlich zu sein. Irgendwann würde sie sich bei ihm dafür bedanken. Diese Aufmerksamkeit war schließlich in Anbetracht der Umstände oder vielmehr im Vergleich zu den meisten auf diesem Schiff keine Selbstverständlichkeit. Hier kümmerte sich jeder zumeist um sich selbst. Es gab nur wenige Ausnahmen, die auch einmal über den Tellerrand hinweg schauten und nicht gleich mit zuckenden Schultern abdampften, weil das dargebotene ihnen zu langweilig erschien. “Du kleiner Charmeur.“, drang es unter einem halb erstickten Auflachen heraus, das Skadi nach einem deutlichen Kopfschüttel in einem erneuten Schluck aus dem dampfenden Becher ertränken wollte. Liams knappem Blick auf Rayon schenkte sie keinerlei Bedeutung, als sie die dunklen Iriden von seiner Miene abwandte und die hin und her schwappenden Wellen im Inneren ihres Krugs beobachtete. Schmunzelte sogar matt bei seinen darauf folgenden Worten und sah erst wieder auf, als sie den festen Griff um den Becher löste und die Daumen über den Rand gleiten ließ. “Gern.“ Es brauchte keine Sekunde, in der sie über die Sinnhaftigkeit dieser Arbeit nachdachte, kaum dass Liams Lippen sich verschlossen.
Sie brauchte dringend eine Beschäftigung und war noch nie wählerisch gewesen. Sie hatte als Kind weitaus schlimmeres erledigen müssen. Ein paar alte, zerfetzte Lumpen zusammen zu nähen war vielleicht nicht ihre beste Disziplin, doch eine annehmbare Arbeit, die ihren Kopf beschäftigt hielt. “Vielleicht bringst du mir dann mal zur Abwechslung ein bisschen was von deinen feinen Handwerkskünsten bei. Ich weiß zwar wie man ein Schwein auseinander nimmt und provisorisch Wunden zusammen flickt… aber Nähen ist so gar nicht mein Fachgebiet.“, fügte sie fast schon vergnügt hinzu, während sich der schlanke Körper von seinem Platz erhob und quer durch den Raum blickte, ehe die braunen Augen erneut auf den Zügen des Musikers haften blieben.
Das Lächeln auf ihren Zügen war es allemal wert, selbst wenn sie denken sollte, dass er damit seine Chancen auf irgendetwas verbessern wollte. Er musste sie nicht umschmeicheln – genauso wenig, wie sie es tun musste. Das zwischen ihnen funktionierte anders, einfacher, bedingungsloser. „Hat funktioniert.“, bemerkte er zufrieden und mit einem breiten Grinsen, ehe er ihr ein Angebot unterbreitete, welches sie gleichermaßen annehmen wie ablehnen konnte. Ansonsten wären vermutlich auch Rayon und Scortias dankbar um ihre Hilfe beim Putzen gewesen, wenn es ihr lieber war. Doch sie stimmte zu und die Züge des Lockenkopfs erhellten sich automatisch. Eigentlich genoss er die Ruhe im Frachtraum, die Gesellschaft der Hühner und den fehlenden Trubel. Das war immerhin der Grund dafür gewesen, dass er sich ganz nach unten verzogen hatte, statt sich einfach neben seine Hängematte zu setzen und die alten Leinen dort wieder zu flicken. Aber Skadis Anwesenheit war für ihn vergleichbar mit der Einsamkeit, die er so schätzte – ein eigenartiges, aber durchaus positives Kompliment von seiner Seite. „Das soll das geringste Problem sein. Ich würde es weder mit Ausweiden noch mit dem Zusammenflicken von Hautlappen zu vergleichen.“, bemerkte er nachdenklich und runzelte die Stirn, ehe er selbst einen weiteren Schluck seines Tees nahm. Okay, das Nähen von Wunden von Kleidern war vermutlich wirklich vergleichbar, das fiel selbst ihm einen Augenblick später auf. „… Jedenfalls ist es weniger blutig. Im Normalfall.“ Liam trat einen Schritt zurück, als Skadi sich erhob, um direkt zur Tat zu schreiten. Ihr schien wirklich die Beschäftigung zu fehlen. Aber sein Tee ließ sich auch noch trinken, während er der Nordskov das Nähen beibrachte.
Sie konnte nicht anders als bei seinen Worten das Schmunzeln zu erweitern und die Augenbrauen sichtlich amüsiert hinauf schnellen zu lassen. Liams Umschreibung ihrer Fähigkeiten klang sonderbar abartig und womöglich genauso negativ behaftet, wie er sie tatsächlich sah. Der Musiker war schließlich nicht der Mann für’s unschöne Grobe. Was nicht bedeutete, dass er sich wie ein Pazifist jeder Auseinandersetzung aus dem Weg ging. Doch Skadi vermutete sehr stark, dass es angenehmere Dinge gab, um die sich der Lockenkopf eher reißen würde. “Warten wir ab, wie oft ich mich in die Finger steche… wobei… die sind so vernarbt… da müsste ich die Nadel schon absichtlich tiefer unter die Haut schieben.“
Ein kurzer Seitenblick folgte, als sie sich an Liam vorbei drängelte und einen letzten Blick auf Rayon und Scortias warf, ehe sie die Treppen hinab zum Frachtraum nahm. Den Becher ließ sie wenige Meter hinter der letzten Stufe auf einer der Kisten zurück, die Liam näher an seinen Arbeitsplatz heran gerückt hatte. Ging dann mit einem leisen Knacken in die Hocke und besah sich das Ausmaß der alten Lumpen. Sie selbst hatte die ersten Tage ihres neuen Lebens in den abgenutzten Kleidern ihrer Marineuniform verbracht – zumindest in Hemd und Hose. Doch die hatten weitaus bessere Tage gesehen als das, was just zwischen ihren Fingern klemmte. “Du musst ein Zauberer sein, wenn du es schaffst solch große Löcher zu flicken.“, murmelte sie und schob demonstrativ zwei Finger durch das Leinenhemd, das sie sich aus dem Haufen gesammelt hatte. Wandte dann den Kopf zu Liam hinauf, der neben ihr Platz nahm und lauschte dem leisen Gackern der Hühner in ihrem Rücken.
Es war amüsant, wie unterschiedlich sie und ihre Fähigkeiten doch waren. Skadi war eine Überlebenskünstlerin, die vermutlich aus fast jeder brenzligen Lage einen Ausweg fand. Und er? Er war der Sohn zweier Künstler, begabt in den kleinen Dingen, die zum Wohlstand beitrugen, aber beim reinen Überleben eher unnütz erschienen. Einiges hatte er sich selbst beigebracht, allerdings eher pragmatisch und aus der Notwendigkeit heraus. „Ich kann bestimmt noch irgendwo einen Fingerhut auftreiben.“ Mittlerweile behinderten sie ihn nur. Als Kind aber hatte er sich nicht nur einmal in die Finger gestochen und ihre Nützlichkeit irgendwann zu schätzen gelernt. „Ihr habt mehr mit Leder gearbeitet als mit Stoff, oder?“, fragte er, nachdem er ihr in den Frachtraum gefolgt war und ihr den Arbeitsplatz offenbarte, an den er sich die letzten Tage zurückgezogen hatte. Zwischen den Stapeln aus Leinen lag ein Kissen an eine der Kisten gelehnt, um das Plätzchen zumindest für seinen Rücken etwas angenehmer zu gestalten. „Ich nutze die kaputtesten Hemden, um sie zu stopfen. Sie sollen ja auch zum Glück nur Provisorium sein und nicht unsere neue Uniform.“ Wahrlich zum Glück, denn die Sachen schienen schon einige Zeit in Gesellschaft von Motten verbracht zu haben. Ihren Sinn hatten sie aber zumindest nach der Rettungsaktion bewiesen. „Also Wunden nähen kannst du?“, fragte er, als er sich wieder an seinem angestammten Platz niederließ und eine kleine Holzkiste an seiner Seite öffnete, in der er Nadeln und Faden aufbewahrte. „Auch nicht schlecht zu wissen.“ Er lächelte kurz, ehe er ihr einen Fingerhut, eine Rolle mit hellem Faden und eine Nadel auf seiner Handfläche darbot. „Keine Sorge. Bei diesen Klamotten ist es sowieso egal, wie sie geflickt sind.“
Ein Fingerhut. Skadi musste unweigerlich amüsiert blinzeln angesichts des Bildes, das sich just vor ihre Augen schob und höchstwahrscheinlich kaum von der Wirklichkeit abwich. Sie konnte sich kaum daran erinnern, dass ihre Mutter so etwas besessen hatte. Wobei das genauso wenig Aussagekraft besaß wie alles andere was mit der Näherei zu tun hatte. Als einzige der 3 Töchter war sie nie für das Handwerkszeug empfänglich gewesen. Hatte keine Freude oder Leidenschaft dabei empfunden die Nadel immer und immer wieder in weiche Stoffe zu versenken und schimmernde Perlen an Säumen festzunähen. Bei Liams Frage wiegte sie allerdings den Kopf und zog dabei die linke Schulter in einer schnellen Bewegung hinauf. "Wir haben alles vom Tier verwertet, also war es zum Großteil Leder, ja. Aber meine Mutter war Schneiderin... es wurde also alles was bezahlbar war oder sich mit einem Auftrag an Land ziehen ließ genäht und gefärbt." Eine Tradition der Dorffrauen, die man bei ihrer Arbeit noch etliche Meter in den Wald hinein hatte hören können. Wenn sie damals dafür nur ein Kopfschütteln übrig gehabt hatte, vermisste die den Klang der rauen und heiteren Stimmen. "Mir fielen spontan nur zwei Leute ein, die sich freiwillig in eine Uniform schälen würden.", begann die Dunkelhaarige und ließ sich lautlos neben Liam auf dem Boden nieder. Verschränkte die Beine im Schneidersitz und bettete das Hemd ausgebreitet auf ihren Knien. "Und wir beide gehören definitiv nicht dazu." Was allerdings voraussetzte, dass es nicht zu einem ihrer Spielchen gehörte. Denn dann waren Verkleidungen ganz sicher gern gesehene Mittel.
Wortlos nahm sie Liam die Utensilien aus der Hand und hielt sie prüfend wenige Zentimeter vor ihre Nase. Vielleicht war es ganz gut, dass sie kein Meisterwerk vollbringen musste, um die Löcher und Schlachtfelder der Motten auszubessern. Denn eine Wunde nähte sich sicherlich nicht so filigran wie feines Gewebe. Kurzerhand schob Skadi die Nadel in einer Welle in den Stoff des Hemdes, befeuchtete das Ende des Fadens mit den Lippen und zwirbelte in mit der nunmehr freien Hand zusammen. "Sollten wir uns also mal irgendwo in einem Wald verirren, kann ich definitiv dafür Sorge tragen, dass du überlebst." Mit einem knappen Seitenblick bedachte sie Liam fast schon spitzbübisch und spürte bereits wie ihre Mundwinkel verdächtig zu zucken begannen. Ging dann allmählich dazu über die Nadel aus ihrem Stoffgefängnis zu befreien und den wohl schwierigsten Part dieser Aktion zu vollführen: den Faden ins Nadelöhr zu manövrieren.