18.08.2019, 15:00
Jedes Knirschen trieb die feinen Härchen ihres Nackens erneut in die Höhe. Fühlten sich ihre Bewegungen langsam und zähflüssig an, erlag die Nordskov beinahe dem Glauben, dass das Adrenalin in ihren Adern die Zeit verlangsamte. Ihre eigene wohl bemerkt. Hatte sie gerade noch die Flasche verschlossen und am Gürtel befestigt, trat bereits die erste Silhouette in ihren Augenwinkel. Instinktiv presste sich die Dunkelhaarige dichter an die Hauswand, beobachtete in einem scheinbaren Rausch, wie die Augen des Mannes sich weiteten, während seine Hand mit gezogener Waffe hinauf schnellte und Talin schlagartig im Zentrum der Seitengasse stand. Wie in einem Mechanismus griff Skadi gezielt nach dem schmalen Rohr an ihrer Seite und fixierte bereits den ersten Angreifer, während Talin voraus hechtete und ihren gezogenen Dolch tief im Magen des Zweiten versenkte. Spürte, wie sich ihr Oberkörper automatisch voraus lehnte und der Herzschlag Sekunde um Sekunde verlangsamte. Die Ruhe eines Jägers. Ein Gefühl, das ihr gleichsam vertraut wie fremd vorkam. Und noch während Skadi den ersten Pfeil in die Öffnung des Blasrohrs schob und mit einem gezielten Schuss die Spitze des Giftpfeils im Hals ihres Kontrahenten versenkte, trat "kaputtes Knie" in das schummrige Licht der Seitengasse und versenkte seinen Dolch wenige Zentimeter in der Schulter des blonden Lockenkopfes. Wie in Zeitlupe bewegten sich die Umstehenden, während Skadi selbst stehen blieb und mit geweiteten Augen auf Talin blickte. Eine beklemmende Stille setzte jäh ein und zerbarst in tausend Stücke, als die Worte der Jüngeren ertönten. So laut, dass Skadi kaum mehr über ihre nächsten Züge nachdachte. Wie von selbst schnellte ihr Körper im Halbdunkel voraus, dem Angreifer entgegen, der so sehr auf den Lockenkopf fixiert war, dass er die Dunkelhaarige in seinem Rücken kaum wahrnahm. Ballte die Linke mitsamt Pfeilen zu einer Faust und versenkte sie gezielt in der Niere. Setzte im Anschluss zwei, drei geduckte Schritte voraus und tauchte im selben Augenblick mit einer Drehung unter den angehobenen Armen hindurch, als sich der Ältere vor Schmerz schreiend nach seinem Angreifer herum wandte. Presste in einer schnellen Aufwärtsbewegung die zweite Faust mit Blasrohr von unten gegen den Oberarm und hörte wie das Kugelgelenk der Schulter knirschte und knackte. Umklammerte beinahe im selben Moment mit der nun mehr freien Hand das Handgelenk und zog es in einer schnellen Abwärtsbewegung neben sich. Ein Mark erschütternder Schrei hallte durch die Seitengasse, als der Arm aus der Pfanne sprang und ein Inferno im Körper ihres Angreifers zurück ließ. Doch das, was Skadi zum Aufatmen brachte, war nicht der Schmerz, der sich auf dem bärtigen Gesicht ausbreitete, sondern das metallene Scheppern, das die hinab fallende Waffe auf dem Kopfstein hinterließ. Sie hatten nicht mehr viel Zeit, um die Situation zu ihren Gunsten zu wenden. Und lauschte die Dunkelhaarige nur eine Sekunde den Signalen ihres Körpers, war da bald kein Riegel mehr, der ihre Übelkeit im Zaum halten konnte. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr also nicht mehr. Lediglich das, was ihr Unterbewusstsein ihr suggerierte. Die Bewegungen, die es ihren Muskeln übermittelte und ihr dabei half, die letzten Züge für sich zu entscheiden. Ruckartig schob Skadi ihr Bein zur Seite, nutzte dadurch das schwankende Gleichgewicht ihres Gegners und riss ihn mit einer schnellen Rückbewegung zu Boden. Intensivierte seinen Fall nur noch zusätzlich mit ihrem eigenen Körpergewicht voraus und schickte ihn ins Land der Träume, kaum dass sich der kurzweilige Schwindel legte und ihr Ellenbogen unter einem stechenden Schmerz seitlich den Schädel des Mannes traf.
Mit einem tiefen Atemzug glitt der hoch gewachsene Körper seitlich von der Brust hinab, auf der sie kniete, und wandte die dunklen Augen bereits in der Bewegung über die Schulter zurück, um das schimmernde Metall der Pistole auf dem Kopfstein zu erspähen. Doch der Alkohol verlangsamte schlagartig ihre Reaktion und brachte ein dumpfes Pochen zurück in ihre Kehle. Nicht mehr lange und sie konnte das bittere Gefühl, das ihren Magen stetig hinauf schnellte, kaum mehr unterdrücken. Schwer atmend umfassten die langen Finger endlich den Griff der Waffe und zielten bereits auf den Kopf des Mannes, der immer noch in einen Kampf mit Talin verwickelt war. Der Erste war bereits röchelnd und zuckend neben ihnen zu Boden gegangen und presste erschrocken und panisch die flache Hand auf seinen Hals. Alsbald würden seine Lungen kollabieren – Skadi vernahm es mit jeder Bewegung, die sie erst vom Boden auf die Beine und dann in Richtung der zwei verbliebenen Kämpfer führten.
“Waffe fallen lassen. Sofort!“
Nur langsam kam die Dunkelhaarige zum Stehen. Umklammerte die Pistole mit nunmehr beiden Händen und wirkte nicht im Geringsten, als würde sie viel darauf geben, dass sie mit nur einem Schuss nicht nur ihn, sondern ebenso Talin treffen konnte. Noch standen sie viel zu dicht beisammen, um einen Querschlag oder Streifschuss auszuschließen. Doch die Nordskov vertraute darauf, dass ihre Kapitänin tun würde, was sich ihr just in diesem Moment bot, als der Kopf des Mannes zurück schnellte und die hellen Augen ihr Gesicht in Augenschein nahmen.
[auf der Flucht mit Talin in den Seitengassen]