16.08.2019, 18:35
Ein eisiger Schauer durchfuhr ihren Nacken und stellte sämtliche Härchen kerzengerade auf. Die Schüsse in ihrem Rücken waren kein gutes Zeichen. Und sie bestätigten ihren ersten Gedanken, dass es wohl absolut keine gute Idee sein würde, in die Taverne zurück zu stürmen und sich womöglich einem ungewollten Kugelhagel entgegen zu stellen. Doch das, was ihr wie ein in eisige Flammen getauchtes vor Bild vor Augen sprang war Enrique. Der ächzend zu Boden fiel und dessen Leben schlagartig ausgehaucht sein konnte. Mit einem tiefen Brummen versuchte Skadi sich von diesen Gedanken los zu lösen und so gut es ging auf ihre eigenen Probleme zu konzentrieren. Sie wäre ihm schließlich keine Hilfe, wenn sie selbst in dieser Nacht ihr Leben ließ. Und höchst wahrscheinlich konnte und würde sie mit Talin zurückkehren, sobald sie ihre Verfolger abgehängt oder allesamt funktionsunfähig gemacht hatten. Doch kaum ein Laut folgte auf das heftige Gepolter. Nur dumpfe Stimmen, die entweder von den drei Männern oder von den bewaffneten Angreifern stammen konnten. Es blieb also eine steigende Wahrscheinlich zurück, dass niemand schwer verletzt auf dem Boden der Taverne lag.
Talins Worte übertönten schlagartig jedes Geräusch, dem die Nordskov aufmerksam lauschte. Hatte sie sich gerade noch auf einen der Männer fixiert, wanderten die dunklen Augen zur Seite, um die verschwommenen Züge der Jüngeren zu mustern. Wieso musste ihr eigentlich jetzt zum ersten Mal auffallen, dass sie noch nie die Führungsqualitäten ihrer Kapitänin mit eigenen Augen gesehen hatte? Es war schließlich nicht so, dass sie der kühle Kopf verwunderte, mit dem die Blondine ihr Vorhaben binnen weniger Sekunden schmiedete. Doch hinterließ ein angenehmes Surren in ihrer Brust. Zumindest hatte sie sich auf keinen Haufen hitzköpfiger Volltrottel eingelassen. Wenn es ihr vor wenigen Wochen schon unbewusst klar gewesen war, dann jetzt erst Recht. Mit einem knappen Nicken, das kaum auf die Distanz zu erkennen war, antwortete sie Talin ohne die Lippen zu bewegen. Wandte den dunklen Haarschopf auf ihre Angreifer zurück und hielt ihren Blick auf den Rotschopf fixiert. Mit nur einer Handbewegung in ihrem Rück gab sie Taranis zu verstehen, dass sie verschwinden würden. Sofort. Und es blieb ihm frei, ob er ihnen folgte oder für eine zweite Ablenkung sorgte.
Dann geschah alles Schlag auf Schlag. Während Talin ihr Messer nach Nervösem-Finger warf, zog Skadi eine der kleinen Fläschchen aus ihrer Hüfttasche. Zielte auf den Rotschopf im Zentrum der Gruppe und hörte nur noch, wie das feine Glas zerbarst und jene Substanz frei setzte, die sich mit einem feinen Nebel in der Luft verteilte. Alsbald würde sich ein intensives Brennen in den Schleimhäuten ihrer Angreifer bemerkbar machen – und sie hoffentlich ausreichend auf Abstand halten, um zielführendere Gegenmaßen zu ergreifen. Skadi hörte bereits das leise Fluchen und Husten, während sie sich abwandte und Talin in die Gasse folgte. Ebenso die knirschenden Schritte Taranis, die sich immer weiter von ihnen entfernten und offensichtlich in die entgegengesetzte Richtung hetzten. Er hatte sich also entschieden die Gruppe zu verkleinern. Eine Idee, mit der sich die Nordskov mehr als nur anfreunden konnte. Die sie sogar fast unter dem heftigen Herzschlag lächeln ließ… hätte sich auf den letzten Metern nicht ein Schuss gelöst und ein intensives Brennen in ihrer Schulter hinterlassen. Der Streifschuss zerteilte den dunklen Stoff ihres Oberteils sengend heiß und hinterließ einen schimmernden Blutstreifen auf ihrer Haut. Trieb die Nordskov mit erhöhtem Tempo in die Gasse hinein und in den Schutz der Dunkelheit. Denn kaum hatte sie die Zähne ob des Schmerzes fest aufeinander gepresst, durchschnitt ein erneuter Schuss die Szenerie, verfehlte nur knapp ihren Kopf und krachte mit splitternder Wirkung in die Hauswand dahinter.
“Was zur Hölle haben die geraucht?“, raunte Skadi aufgebracht und eilte nunmehr an Talins Seite die Gasse hinauf.
Nestelte bereits an einem neuen Fläschchen an ihrem Hüftgurt und zog mit der anderen kleine Hand lange Pfeile aus einer der länglicheren Taschen. Nur ein kurzer Seitenblick galt der Blondine, um sicher zu gehen, dass sie unversehrt war. Dann hörte sie auch bereits das Scharren von Füßen in ihrem Rücken. Klemmte sich die Pfeile zwischen die Lippe und drängte Talin mit einem Arm um ihre Schulter zur Seite und in eine abzweigende Seitenstraße hinein. Gerade rechtzeitig, um einem erneuten Kugelhagel zu entgehen. Entweder wollten diese Kerle ihren Tod oder sie auf ziemlich schmerzhafte Art und Weise bewegungsunfähig machen. Ganz gleich welche dieser Absichten auf sie zutraf, es würde ihnen definitiv nicht leicht fallen, die zwei Frauen in die Finger zu bekommen. Ruckartig war die Jägerin stehen geblieben und presste sich mit dem Rücken gegen die Hauswand. Schielte gut versteckt im Halbdunkel der Nacht in die Gasse hinein, um die Anzahl ihrer Angreifer zu prüfen und Talin einen kurzen Moment der Ruhe zu gönnen. Wenn der Alkohol ihr noch schlimmer zu Kopf gestiegen war als ihr selbst, konnte sie wohl kaum noch die Übelkeit überspielen, die ihre Kehle vor Adrenalin hinauf kletterte. Skadi brauchte einige Atemzüge, um den bitteren Geschmack hinab zu kämpfen und mit finsterer Miene auf den blonden Lockenkopf zurück zu sehen.
“Wenigstens hat uns Taranis 3 von denen vom Hals gehalten.“
Und mit Vieren wurden sie allemal fertig. Dessen war sich Skadi mit jeder weiteren Bewegung sicher, in der sie die Pfeile zwischen ihren Lippen entfernte und die Spitzen in die Tinktur ihres Fläschchens tunkte. So einfach würden weder Talin noch sie es ihnen machen. Wer glaubte, dass man mit Frauen ihres Kalibers leichtes Spiel hatte, der musste schmerzhaft eines Besseren belehrt werden.
[erst vor der Taverne unmittelbar hinter Talin mit Blick auf die Angreifer | dann auf der Flucht mit Talin in den Seitengassen]