12.07.2019, 19:13
Wie hatte er auch nur davon ausgehen können, dass ihr das genügen würde. Das Schmunzeln auf seinen Zügen lag teils an seiner Belustigung über seine eigene Naivität, als Shanaya ihm eröffnete, wie viel Eintopf er wohl in den nächsten Wochen noch abgeben musste, um ihren Gefallen wiedergut zu machen. Und auch, wenn Liam durchaus bewusst war, dass ihre Forderung lediglich ein Spaß zwischen ihnen war, war ihm ebenso klar, dass er die eine oder andere Ration wohl wirklich an sie abgeben müssen würde. Aber nicht mehr, als vorher auch schon. Immerhin war fast jeder Abend ein Kampf ums Überleben, wenn es ums Abendessen ging.
„Wo steckst du das eigentlich alles hin? Dein Magen ist wie ein Fass ohne Boden. Das Gemeinste daran ist aber eigentlich, dass man’s dir nicht ansieht.“
Beim ersten Mal erwischte es jeden eiskalt, der Shanaya nicht kannte. Aber immerhin hielt sie sich bei den Neuzugängen zurück und belagerte eher den älteren Teil der Crew mit ihrer Unersättlichkeit. Vermutlich gar nicht mal, weil sie wirklich noch Hunger hatte, sondern einfach, weil sie es konnte. Andererseits wäre sie wohl die letzte, die verhungerte, wenn ihnen die Vorräte ausgingen. Skadis Grinsen hingegen erwiderte er vielsagend, verkniff sich aber die Frage danach, ob es Sineca gewesen war, die sie aus ihrer eigenen Hängematte ferngehalten hatte. Mit ein bisschen Glück allerdings wäre es ein Leichtes gewesen, ihm anzusehen, was ihm durch den Kopf ging. Nur langsam löste sich sein Blick von ihren Zügen und bedachte Shanaya, die sich den Zettel nun genauer besah. Neugierig bedachte er ihre Züge, um anhand ihrer Regung einzuschätzen, was sie davon hielt, ging aber nach einer kurzen Zeit wieder dazu über, abwartend an einem Faden zu zupfen, der sich am Saum seiner Hose gelöst hatte.
„Hm, zumindest hat der Jüngere der Gebrüder Eisenherz einen Geigenkoffer an Bord geschafft.“, überlegte er laut ohne aufzusehen und wunderte sich gar nicht mal so groß darüber, dass der Schwarzhaarigen etwas entgangen war. Vielleicht, weil es sich um die Monrose-Brüder handelte, von denen ja zumindest einer eine recht schwere Stellung bei ihr besaß. „Heißt aber ja nicht zwingend, dass er auch ein Instrument darin versteckt. Vielleicht ja auch eine Leiche. Oder es ist ein Versteck für geheime Extrarationen.“
Die Anspielung auf den vermeintlichen Mord Aspens war gar nicht mal geplant gewesen, fiel Liam dieses Mal aber sogar selbst auf. Trotzdem galt das verhaltene Schmunzeln auf seinen Lippen eher dem indirekten Vorschlag, dass Shanaya sich die Sache mit dem Geheimvorrat ja auch mal überlegen konnte.
„Du warst…“ Liam überlegte kurz, wie er es am besten ausdrückte, ohne näher darauf einzugehen. „… Beschäftigt.“
Er ließ vom Faden ab und erwiderte Shanayas Blick einen kurzen Moment. Sie hatte die Zeit gebraucht, um sich ein wenig auszuruhen. Und wenn sie schon tagsüber nicht die Finger davon hatte lassen können, Arbeiten zu erledigen, hatte er sie nicht auch noch nachts wachhalten wollten. Die meiste Zeit hatte er nämlich daran gearbeitet, wenn er nachts keine Ruhe gefunden hatte. Und in diesen Momenten war ihm bestimmt nicht in den Sinn gekommen, die Schwarzhaarige zu wecken, wenn sie ihrer Verletzung gerade mal Ruhe gönnte. Außerdem war er es gewohnt, alleine an solchen Dingen zu werkeln. Er kannte es kaum anders. Shanaya fuhr fort, beschrieb die optimale Person für das, was sie vor hatten und ließ Liam kurz nachdenklich die Stirn runzeln.
„…Stimmt. Wir sollten Talin fragen.“, schlug er vor und bedachte die Dunkelhaarige mit einem möglichst ernsten Blick. „… War sie heute nicht beim Abendessen oder warum sollte sie halb verhungert sein?“
Halb verhungert sah Shanaya nämlich auf keinen Fall aus. Doch kaum, dass Liam geendet hatte, verriet sein Grinsen, dass er sie bloß aufzog. Er schob ihr sogar die Schüssel Eintopf zu, denn das war es ihm allemal wert gewesen.
„Also, was ist? Bist du dabei? Was ist mit dir Skadi?“, wandte er sich einladend und hoffnungsvoll an die Nordskov. „Es wäre mir eine Ehre, für euch beide zu spielen. “