09.07.2019, 13:35
Und viel zu wenig, wie ihm, ob ihrer Reaktion, erst langsam bewusst wurde. Enrique hatte gewusst, dass er ihr Unbehagen bereiten, ja sie möglicherweise vor den Kopf stoßen würde. Und das hatte er. Hatte es auf ihrer verschlossenen Miene dunkel erahnen können, gerade weil sie wegsah und dann in der Skepsis lesen können, als ihr Blick zu ihm zurückkehrte.
Die Kälte in ihrer Frage hatte ihm dann einen Schauer über den Rücken gejagt, doch er hatte sie nicht angesehen, sondern sich auf die ersten Sterne und seinen Entschluss konzentriert, sich gesagt, du musst ihn ihr jetzt mitteilen, denn nur dann kann sie frei entscheiden, was sie wirklich tun will — und hatte — ja was eigentlich? Sie wütend gemacht? Ihr den Boden unter den Füßen weggezogen? Sie schwer enttäuscht?
Das konnte es eigentlich nicht sein. Warum aber bekam er dann so schwer Luft, als sie den Blick abwandte und in sich zusammensackte? Lag das an seinen Verletzungen? Daran, dass er nach wie vor, nichts tun konnte, was seine Pläne vorantrieb und ihn das langsam wahnsinnig machte? Oder wohl doch, dass sie ihm bereits viel zu viel bedeutete? Müsste er sich vielleicht eingestehen, dass es mehr als einen Menschen in seinem Leben gab, den er glücklich sehen wollte? Waren aus einem inzwischen drei geworden?
Wehement schob er diesen Gedanken von sich, Gefühlsduseleien konnte er sich nicht erlauben!
Zu dem Zeitpunkt hatte er es nicht verstanden, hatte es, über seine eigene Aufgewühltheit nur geahnt, und sich auch deshalb nur vorsichtig vorangetastet und fest an seine Strategie geklammert.
Ihre Antwort war zwar prompt erfolgt, aber anscheinend war auch diese Frau nicht so hart, wie sie sich gern gab, denn ihr Blick hatte es ihm deutlich gemacht:
Sie, so schien ihm, fühlte sich abgewiesen, allein gelassen und verraten.
Und dennoch rührte er noch weiter mit seinen Worten an ihrer Vergangenheit. Dabei sprach er doch lediglich von seiner. ZU VIEL! Zu viel!, hatte sein Innerstes geschrien und ihn verstummen lassen.
Er hatte zu viel und doch zu wenig gesagt.
Ihr leerer Blick ließ ihn noch mehr frösteln. Wo war die starke, fokussierte Frau geblieben, die er die letzten Jahre gekannt hatte? War sie mit Harper auf dem Meeresgrund gesunken?
Langsam dämmerte ihm, wie sehr Skadi für ihre Rache "gelebt" hatte und wie wenig jetzt zurückgeblieben war.
Der ehemalige Offizier blieb liegen, als sie zum Wasser ging, versuchte sich unter Kontrolle zu bekommen, sammelte Kraft und sortierte seine Gedanken.
Erst als er sich alles gründlich überlegt und seine Emotionen Zügel angelegt hatte, stemmte er sich umständlich in die Höhe und trat langsam ans Wasser, wartete, bis der Schmerz der Rippe wieder ein dumpfes Puckern geworden war.
Und selbst dann brauchte er noch einen Augenblick, ehe er sich räusperte.
"Es tut mir leid."
Sie hätte Zeit, sich ihm zuzudrehen, so sie das wollte. Einen Unterschied würde es allerdings nicht mach, denn notfalls würde er es auch ihrem Hinterkopf erklären.
"Es tut mir leid", wiederholte er, "vielleicht hätte ich erst mit dir über deine Pläne reden sollen. Höflicher wäre es allemal gewesen.
"Doch meine Entscheidung bezüglich meiner Tochter fingen an, Form anzunehmen, seit wir Netara verlassen haben. Und Cornelis ist mein Bruder. Wie könnte ich ihm seine Bitte um Hilfe ausschlagen? So ungern ich das sage, aber deine Wünsche hätten nichts an diesen Tatsachen geändert.
"Es tut mir leid, dass dich das jetzt so trifft, denn ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen. Ich wollte dich auch nicht zu irgendetwas nötigen, indem ich sage, 'Ich brauche dich. Ich will das du an meiner Seite bleibst.' Gerade weil ich dich viel zu sehr dort wissen wollte.
Du hast dir meinen Respekt verdient, bist auch nicht mehr meine Untergebene und allein deshalb werde ich dich nie zu etwas zwingen oder dich versuchen so zu manipulieren, dass du nur auf Grund meiner Einflüsterungen irgendetwas tust. Denn ich will das nicht und werde das auch nie wollen.
"Auch wäre es mir egal gewesen, wie du dich entschieden hättest, ich hätte dich nach Kräften darin unterstützt."
'Denn du bist mir persönlich wichtig', lag ihm auf der Zunge, doch noch wagte er nicht, sich das einzugestehen. Der Schwarzhaarige seufzte, ehe er leise fortfuhr:
"Ich hätte es lediglich sehr bedauert, hätten sich unsere Wege getrennt."
Kurz holte er etwas tiefer Luft und verzog schmerzhaft das Gesicht. Er musste endlich anfangen sich zu schonen.
"Und jetzt nimm dir bitte soviel Zeit wie du zum Nachdenken brauchst, um dir darüber klar zu werden, was du jetzt wirklich willst, denn auch wenn ich weiß, dass du zu deinen Entscheidungen stehst, habe ich doch das Gefühl, dass du das noch nicht getan hast.
"Und egal wie du dich dann entscheidest, du bist mir immer willkommen."
Abermals verzog er das Gesicht und hielt sich die Seite.
'Tres veces la costilla maldita! Déjame hacer lo que tengo que hacer!', fluchte er innerlich.
Mühsam rang er sich ein Lächeln gegen den wieder aufkommenden Schmerz ab.
"Damit ich dich nicht dabei störe, werde ich beim Boot auf dich warten."
Immerhin zog er es vor, in solchen Momenten, allein zu sein, und wenn er sich nicht gänzlich vertat, dann sie auch.
Entschlossen wandte er sich zum Gehen, hielt dann aber inne und sah zu ihr zurück:
"Ach, eines noch Skadi:
"Kaladar hat gute Arbeit geleistet. In jeder Hinsicht.
"Sollte uns jenseits des Nebels nichts erwarten, hat er diese Welt von einem Tyrannen befreit unter dem nie wieder jemand leiden muss.
"Sollte es dort aber etwas geben, dann bin ich sicher, dass die Toten Harper erwartet haben, damit er erhält, was er verdient. So schnell wird der keinen Frieden finden."
'Und wenn ich ihn irgendwann selbst dafür aus dem Abgrund hervorholen muss' versprach sein Blick. Genau so wie er Anerkennung und Respekt ausdrückte.
"Und wenn irgendwann in ferner Zukunft deine Zeit gekommen sein sollte, dann werden die Toten dich freudig willkommen heißen, weil du ihnen diese verhasste Person geliefert hast, da bin ich mir sicher.
"Vergiss das nicht."
Damit wollte er sich endgültig abwenden. Es war mehr als deutlich zu erkennen, dass er, so sie ihn nicht zurückhilte, nun zum Beiboot zurückkehren würde.