06.07.2019, 20:56
Keine Sekunde lang ließ sie den Blick aus dunklen Augen hinab gleiten. Sah nur die bauschige Spitze des Schwanzes in ihren Augenwinkeln tanzen und schluckte für einen Moment. Zwar hatte sie sich für das was kam bereit gemacht, doch auch nach all den Wochen wurde sie mit der Ginsterkatze nur langsam warm. Zumindest waren sich beide wortlos überein zu kommen, dass das gemeinsame Leben auf der Sphinx okay für sie beide war. Doch irgendwie beschlich Skadi die Vermutung, dass das Tier es liebte ihr immer wieder einen Schauder über den Rücken zu jagen und sich unangekündigt in ihre unmittelbare Nähe zu begeben. Denn von sich aus suchte sie nicht die Berührung zu dem gefleckten Tier, dessen Körper sich fast schon provokativ gegen ihre Beine drückte.
“Beim letzten Mal als ich auf dir lag, fand sie das nicht so lustig.“, entgegnete die Nordskov mit einer seltsamen Mischung aus Amüsement und Ernsthaftigkeit, während sie dem Lockenkopf in seiner Bewegung nachsah und tief ein- und ausatmete. Beinahe wirkte es, als erholte sie sich von dem kleinen Liebesmarathon, der immer wieder neuen Fahrtwind aufnahm. Doch eigentlich sehnte sich ihr ganzer Körper bereits nach seiner Nähe, weil sie ohne ihn die Nervosität in ihren Gliedern spürte, die Sineca immer wieder schürte. Fast hätte sie zusammengezuckt als die kleine raue Zunge über ihr Schienbein fuhr. Fast als erinnerte sie den seltsamen Menschen neben sich daran, dass sie anwesend war und ihr jederzeit die spitzen Zähnchen in die Haut bohren konnte. Oder wie Skadi es seit ihrer Kindheit glaubte, ihre Seele verspeiste. Natürlich wusste die Dunkelhaarige, dass es ein abstruser Aberglaube war. Dennoch konnte sie ihren Körper kaum beherrschen, wenn sich eine Katze in ihre Gegenwart verirrte. Er lief beinahe auf Autopilot und entfernte sich ohne jegliches Zutun. Auf einem Schiff war das jedoch nur schwer umsetzbar.
Demnach war sie dem Musiker umso dankbarer, als er mit der Wasserflasche zurückkehrte. Es lenkte sie von dem kleinen Fellball ab, der ihm an die Seite geeilt war und dessen winziges Gesicht sie wie versteinert anblickte. Nur um sofort zur Seite zu blicken und die Dunkelheit des Meeres zu betrachten.
Erst als Liams Stimme an ihr Ohr schwappte, wanderten die braunen Augen in die Winkel zurück. Musterten die feinen Züge des Lockenkopfes, ehe sich ein tatsächlich müdes Lächeln auf ihre Lippen stahl. An Schlafen dachte sie nun erst Recht nicht mehr. Doch auch wenn sie gerade noch etwas hatte erwidern wollen, verstummten ihre Stimmbänder schlagartig. Ein kindlich genervter Ausdruck stahl sich für einen Sekundenbruchteil in ihre Miene und trieb ihre Mundwinkel fast schon schmollend hinab. “Neulich hätte ich mich fast hineingeworfen.“ Kurz wanderte ihr Blick hinab. Umriss das kleine Wesen, das friedlich um Liams Beine strich und fast zu einem Sprung auf seine Schulter ansetzte. “Scheinbar findet sie es besonders interessant, wenn jemand mal nicht pausenlos versucht sie anzufassen oder ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Was irgendwie schon etwas divenhaftes an sich hatte. Mit einem schweren Seufzen nahm Skadi einen tiefen Zug aus der Wasserflasche und schloss die Augen. Lauschte dem leisen Meeresrauschen, ehe sie den Kopf im Nacken kreisen ließ und mit einem zusammengekniffenen Auge zu Liam hinüber sah. “Vielleicht sollte ich einfach mal an ihrer statt bei dir in der Hängematte schlafen.“ Vielleicht erhöhte das die Chance, dass sie eifersüchtig die Hängematte wieder frei gab.
Er hatte Skadis Beziehung zu Katzen nie hinterfragt und besonders nach der Geschichte mit dem Affen, der sie fast das Leben gekostet hatte, hatte er keinerlei Ambitionen, das jetzt nachzuholen. Und trotzdem musste er sich den gefleckten Körper der Schleichkatze kurz als gewaltigen Tiger oder Löwen vorstellen, der wirklich in der Lage gewesen wäre, ihnen ernsthaft etwas anzutun. Sineca war zwar äußerst praktisch und die perfekte Ablenkung in vielen Situationen, aber eine ernsthafte Gefahr stellte sie mit ihrem geringen Gewicht kaum da. Man musste sie nur einmal erwischen. Ohne, dass Skadi es sehen konnte, runzelte sich die Stirn des Musikers für einen kurzen Moment, während er die Flasche vom Boden aufnahm und der Ginsterkatze kurz über den Kopf strich. Er überlegte, ob der kleine Nachtschatten bislang je dabei gewesen war, wenn sie zusammen gewesen waren, bis der Gedanke an die Morgenwind vor seinem inneren Auge aufblitzte und er unweigerlich Schmunzeln musste. „Damals hast du auch noch auf der anderen Seite gestanden.“, erinnerte er sie, als er ihr die Flasche übergab. Und ohne Sineca hätte er definitiv – jetzt, wo er sie kannte – den Kürzeren gezogengehabt. Ohne den kurzen Moment der Unachtsamkeit Skadis wäre die Geschichte wohl schneller zu Ende gewesen, als ihm lieb gewesen wäre. „Vermutlich braucht sie einfach ein bisschen Zeit, einen Feind als Freund zu sehen. Sie ist da manchmal etwas eigen.“ Liam zuckte mit den Schultern, bedachte dabei die kleine Gestalt zu ihren Füßen, die ihn gnädiger Weise mit einem Sprung auf seine Schulter verschonte, denn außer blanker Haut hätten ihre Krallen nichts gefunden, um sich festzuhalten. Er hatte mit sowas offensichtlich weniger Probleme.
Je länger Sineca um sie herum schlich, desto mehr wandelte sich die vermeintliche Gelassenheit Skadis in Anspannung und Nervosität. Wäre es ihm früher aufgefallen, hätte er sich seinen Kommentar vielleicht verkniffen, doch auch jetzt ließ sich die Jüngere trotz der Anwesenheit des Pelztiers aus ihrer Schale herauskitzeln. Der Lockenkopf lachte leise und musste gestehen, dass das der Genette leider ziemlich ähnlich sah. Vielleicht hätte eine Vereinigung der beiden in einer Hängematte aber auch Wunder gewirkt. „Versuch’s doch mal mit umgekehrter Psychologie.“, schlug er scherzhaft vor, denn vielleicht würde ihr das die Genette vom Hals schaffen. Insgeheim glaubte er aber eigentlich eher, dass Skadi bei dem Versuch, Sineca mit ein wenig Zuneigung – und wenn sie am Anfang auch nicht der Wahrheit entsprach – irgendwie in ihr Herz schließen würde. Eigentlich war Sin nämlich gar nicht so. Während Skadi die Augen schloss, um sich für einen kurzen Moment zu sammeln, schob sich Liam hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schulter und wollte ihr gerade versichern, dass die Ginsterkatze ihr nichts tun würde, als die Nordskov ihm zuvor kam und ihn ihr kurz entgegen blinzeln ließ. „Könnte etwas eng werden.“, vermutete er mit einem angedeuteten Schulterzucken und ohne auch nur im Entferntesten danach zu klingen, als würde es ihm etwas ausmachen. „Meine Hängematte steht dir immer offen, wenn deine eigene von solch einer wilden Bestie belagert wird.“
Mit einem bübischen Grinsen erwiderte er ihren Blick, ehe er über ihre Schulter hinweg wieder Sineca beobachtete, die nun skeptisch an den Pergamenten und Skadis Buch schnupperte. Die Anspannung unter seinen Fingern war noch immer spürbar, sodass er kurzerhand mit beiden Händen über die Oberarme strich, um sie zu verjagen. „Keine Sorge. Wenn sie dich hätte beißen wollen, hätte sie das längst getan. Das ist etwas, worum sie sich nicht lange bitten lässt. Frag Shanaya.“ Ein kurzes Zwinkern galt Skadi, „Ansonsten kannst du versuchen, sie wegzulocken, indem du ihr eine Nuss hinwirfst. Das funktioniert meistens.“
Damals hatte sie auch eigentlich nicht vorgehabt sich einem zusammengewürfelten Haufen von Piraten anzuschließen. Doch das Leben tat nun einmal das, was es am besten konnte: ein ziemlich unberechenbares Arschloch sein. Zudem hatte die Nordskov nie weiter als bis zum Tode Harpers gedacht. Schließlich konnte sich um alles weitere auch die Zukunftsskadi kümmern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Weite gesucht hätte und nie mehr gesehen worden wäre. Doch nun stand sie hier an der Deck der Sphinx, fühlte sich trotz all der emotionalen Umstände ziemlich wohl in ihrer Haut und vermisste den Lockenkopf bereits jetzt schon, obwohl er dicht hinter ihr stand. Sogar in einer beruhigenden Geste seine Hände auf ihre Schultern bettete und Skadi für einen Herzschlag zurück in den Musikladen versetzte. Etwas skeptisch musterten die dunklen Augen die feinen Züge für einen Moment. Lugten an der Flasche vorbei, die sie erneut an ihre Lippen setzte. Umgekehrte Psychologie. Sowas hatte nicht einmal bei ihrem Sohn funktioniert. Woran sie höchstwahrscheinlich auch noch selbst Schuld war, wenn sie sich an die Worte ihres Vaters erinnerte. Sie selbst sei manchmal ein Teufelsbraten gewesen, der nie tat was man ihm sagte und immer alles besser wusste. Musste wohl ein Wink der Götter gewesen sein, dass sie ausgerechnet diese Willensstärke ihrem Sohn vermacht hatte. Mit einem kurzen Schulterzucken, schluckte Skadi somit den schweren Kloß aus Wasser hinab und seufzte, kaum dass sich Liams Finger in ruhigen Bahnen über ihre Oberarme schlichen. Es war bemerkenswert wie gut er die Signale ihres Körpers zu verstehen wusste oder zumindest ein sehr großes Talent darin besaß ihren Puls zu beruhigen, wenn es Not tat. Dieser Hexer.
“Ich kann deinem Charme wohl kaum wiederstehen, mein liebster Straßenköter.“, huschte es etwas säußerlich über ihre Lippen. Doch ganz konnte die Dunkelhaarige das schelmische Zucken in ihren Mundwinkeln nicht verbergen, kaum dass das bübische Grinsen Liams die Dunkelheit überstrahlte. Sie würde sein Angebot vielleicht irgendwann annehmen, wenn Sineca sich das nächste Mal über ihre Hängematte hermachte. Und wehe dem er murrte! Blieb nur zu hoffen, dass die Balken das doppelte Gewicht aushielten und sie nicht noch der Länge nach auf dem Boden aufschlugen. “Aber dann musst du bitte immer ohne Hemd schlafen gehen. Sonst werde ich nicht gut auf dir einschlafen können.“, fügte sie mit einem breiten Grinsen an und wandte dann ihrerseits den Kopf herum. Musterte die zierliche Silhouette der Ginsterkatze und atmete tief ein- und aus. “Nüsse? Ich hätte ihr ja lieber was von der Jagd mitgebracht. Vielleicht werden wir ja noch irgendwann beste Freundinnen… dann bekommt sie jederzeit Gratisfutter für gute Zusammenarbeit.“ Ganz unvorstellbar war dieser Gedanke nicht, auch wenn sich Skadi nur schwer vorstellen konnte, dass sich die Samtpfote freiwillig von Liam entfernen und mit ihr gemeinsam im Wald verschwinden würde. Nachher schoss sie Farley doch noch über den Haufen, weil Sin der Meinung war, sie zu Tode zu erschrecken. Für den Rothaarigen wäre das ein sehr undankbares Ende.
„Und ich kann das gar nicht nachvollziehen.“, entgegnete er wohl ehrlicher, als er sich anhörte, doch es lag ihm fern, sich darüber zu beschweren. Liam war insgesamt niemand, der sich im vornherein irgendwelche Chancen ausmalte. Er lebte die Spontanität und nahm die Momente, wie sie kamen. Im Planen war er sowieso kein großes Talent, dazu ließ er sich viel zu sehr von kleineren Gelegenheiten ablenken, die ihm über den Weg liefen – und schon war er vom eigentlichen Pfad abgekommen. Aber bislang hatte sein Leben dadurch einiges zu bieten gehabt. Einiges, was er nicht missen wollte. Und auch seine Anwesenheit auf der Sphinx war so gesehen nichts weiter als eine spontane Schnapsidee an Ermangelung einer anderen Möglichkeit – auch da: etwas, was er definitiv nicht missen wollte. Als Skadi eine Bedingung über die Lippen ging, war es zuerst ein ganz anderer Gedanke, der ihm in den Kopf schoss. Doch Liam überspielte es mit einem unscheinbaren Räuspern und einem flüchtigen Schmunzeln, das genauso gut seiner Antwort geschuldet sein konnte. „Bin ich in der Position, das gleiche zu verlangen?“ Den unschuldigen Ton bekam er dennoch gut hin, wandte den Blick von Skadis Gesicht ab und angelte sich kurzerhand die Flasche aus ihrer Hand, während die Nordskov abermals die Ginsterkatze im Blick behielt, als fürchte sie, sie könnte jeder Zeit aus der Dunkelheit angreifen. „Das würde ihr natürlich noch besser gefallen. Aber auf See sind Nüsse vielleicht etwas komfortabler. “, überlegte er, während er die Flasche kurz von seinen Lippen absetzte und kurz die pelzige Gestalt über Skadis Schulter hinweg bedachte. „Sie freut sich aber auch, wenn man ihr ab und zu eines der Hühnereier überlässt.“
Irritiert blickten die braunen Augen einen Moment zur Seite, als Liam ihr halb ernst, halb lächelnd zu verstehen gab, dass er die Wirkung seines vermeintlichen Charmes nicht verstand. Mittlerweile fragte sie sich wirklich ob er es einfach ignorierte oder tatsächlich blind für seine Wirkung auf andere Menschen war. Ein Zwicken drückte sich jäh in ihre Magenwand, als sie darüber zu philosophieren begann und sich ganz von allein ein Augenrollen über ihre Züge stahl. Irgendwie konnte sie ja froh sein, dass er offensichtlich nicht zu der Sorte Mann gehörte, die mit Frauen spielte wie Schachfiguren. Manchmal hatte sie sogar den Eindruck als liebte der Lockenkopf ohnehin vielmehr die knisternde Romantik eines Augenblicks, denn die Schnelllebigkeit einer oberflächlichen Körperlichkeit. Beschweren würde sie sich darüber keinesfalls. Es machte ihn zu einem weitaus besseren Liebhaber als die meisten, die ihr bisher untergekommen waren. Doch es spornte sie ebenso insgeheim dazu an, ihn immer wieder wissen zu lassen, wie anziehend er doch sein konnte. Auch wenn dafür nur ein hochroter Kopf und ein ebenso nervöser Musiker heraussprang.
Ein schweres Seufzend drang angesichts seiner Frage über ihre Lippen und ließ den hoch gewachsenen Körper der Nordskov fast automatisch zu ihm herum drehen. Auf halber Streckte hielt sie inne und bettete die langen Finger ihrer Linken auf seine Brust. Musterte ihn unter einem demonstrativen Augenaufschlag und schmunzelte verwegen. “Mein Lieber… du bist in der glücklichen Position nahezu alles von mir verlangen zu können.“ Und das ließ sie nicht über ihre Lippen huschen, weil es sich angenehm weich auf ihrer Zunge anfühlte. Oder weil sie seinem Ego einen sanften Klaps auf den Po verpassen wollte. Vielmehr meinte es die Nordskov tatsächlich so, wie sie es ehrlich aussprach. Dennoch wandte sie sich mit einem Augenzwinkern wieder Sineca zu, dessen winzige Stupsnase an den vergilbten Seiten ihres Buches schnupperte.
“Es wundert mich, dass sie noch keines der Hühner angegangen ist.“ Tatsächlich war das für eine Wildkatze eher ungewöhnlich. Aber höchst wahrscheinlich hatte Sin zu lange unter dem Einfluss Liams gelebt und wusste, wann es sinnvoll war sich zu benehmen und wann sie liebevolle Bisse verteilen konnte. Zumal es wohl auf diesem Schiff immer jemanden gab, der sie mit reichlich Futter versorgte. Da lohnte sich kaum der Aufwand selbst auf Jagd zu gehen. “… muss wohl an deinem guten Einfluss liegen.” Wieder stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Hinterließ ein sanftes Funkeln in den braunen Augen, die kurz aus den Winkeln zu Liam lugten, bis die Nordskov sanft mit der flachen Hand auf seine Brust klopfte. Nur langsam wandte sie sich ab und steuerte auf Sineca zu. Schlich vorsichtig um die wachsamen Augen herum, die kurzweilig zu ihr hinauf blickten und den hoch gewachsenen Körper dabei beobachteten, wie er sich an der Reling mit beiden Händen auf die Kante gestützt hinauf hob und mit Blick auf das Schiff sitzen blieb. “Hast du ihr eigentlich jemals besondere Kunststückchen beigebracht.“ Immer wieder huschten die dunklen Iriden auf den eleganten Körper des Tieres hinab. Nur zur Hälfte aus wachsamer Vorsicht.
Es hätte ihn nicht gewundert, wenn Skadi ihm diese Aussage nicht abgekauft hätte. Er verhielt sich diesbezüglich tatsächlich etwas sonderbar, hatte aber auch keinen Grund, diese Sonderbarkeit groß nach außen zu tragen. Früher oder später würde sie vermutlich merken, dass gar nicht so viel Unwahrheit in seinen Worten gelegen hatte und wenn nicht – hatte er eigentlich auch nicht groß etwas daran auszusetzen. Er sah sich nicht in der Notwendigkeit, sich Skadi gegenüber in irgendeiner Weise zu behaupten. Genau das machte das zwischen ihnen so einfach, so angenehm. Niemand musste jemand sein, der er nicht war. Und jeder konnte sein, wer auch immer er wollte. Mit dem offenen Angebot der Nordskov wären einigen Männern wohl die wildesten Fantasien in den Sinn gekommen – Liam hingegen war bereits unfassbar zufrieden mit dem zurückliegenden Tanz und der Aussicht, dass es nicht der letzte gewesen war. Himmel, war er genügsam. „Bring mich nicht auf Ideen.“, lachte er leise und umschloss Skadis linke Hand kurz mit seiner eigenen, ehe sich die Jüngere wieder der Ginsterkatze zuwandte und Liams Blick ihrem folgte. „Das musste ich ihr austreiben. Sonst hätten wir uns ziemlich lange nach Mitfahrgelegenheiten umgucken müssen.“, mutmaßte er ernst und runzelte kurz die Stirn.
„Also Tierflüsterer bin ich noch nicht.“ Er konnte unmöglich einem Wildtier abgewöhnen, ein Wildtier zu sein. Natürlich benahm sich Sineca längst nicht mehr wie eine Ginsterkatze in freier Wildbahn. Ihre Scheu hatte sie fast gänzlich abgelegt, hielt sich zwar gerne in den Schatten auf, scheute aber keinerlei Konfrontation, wenn sie nötig war. Still beobachtete er, wie Skadi sich auf Sineca zubewegte und sich ein paar Meter neben ihr auf die Reling hob. Er bekam gar nicht bewusst mit, wie ihn seine eigene Bewegung hinterher trieb, wunderte sich aber auch nicht darüber, als er sich mit den Ellenbogen auf die Reling gestützt neben ihr wiederfand und ihren Vorschlag lächelnd mit einem Kopfschütteln verneinen musste. „Nicht wirklich bewusst, nein. Ein bisschen was hat sich automatisch ergeben. Aber im Grunde würde ich sie auch nicht als Haustier bezeichnen. Sie hat jederzeit die Möglichkeit zu gehen. Wollte es nur nie.“, erzählte er und spähte nach einem kurzen Seitenblick auf die Dunkelheit des Meeres hinaus.
Das seichte Schmunzeln umspielte bereits ihre Lippen, als sie mit einem leichten Sprung auf der Reling Platz nahm und die Füße an der Schiffswand abstützte. Skadi konnte sich allzu gut vorstellen, wie umständlich dieses Unterfangen gewesen sein musste. Letztlich blieb Sin nun einmal ein wildes Tier, das sich vielleicht an einen Menschen gewöhnen konnte, aber nach wie vor die Verhaltensweisen einer Wildkatze an den Tag legte. Dass die Hühner vor lauter Panik nicht tot umgefallen waren, glich wohl einer schicksalhaften Fügung. Für einen kurzen Moment ruhten die braunen Augen auf der tänzelnden Silhouette Sinecas, die dem Lockenkopf auf seinem Weg einige Meter folgte, ehe sie stehen blieb und aufmerksam zwischen den beiden hin und her sah. Nur um sich dann wieder herum zu drehen und den Rest ihres kleinen Lagers zu erkunden. “Wenn sich jemand Zeit meines Lebens so um mich gekümmert hätte, sähe ich auch keinen Grund darin zu gehen.“, entgegnete Skadi mit etwas ernsterer Miene und lugte aus den Augenwinkeln zu Liam hinüber. Dieser Lauf der Natur sicherte schon seit jeher das Überleben von Kindern. Man blieb dort, wo man sich aufgehoben und sicher fühlte. Ein Instinkt der unweigerlich in jedem schlummerte, ganz gleich wie bärbeißig oder unabhängig man auch war oder zu sein behauptete. “Da würde ich es auch verkraften keine Hühnchen jagen zu dürfen. Und vielleicht findet sie es ja auch ganz interessant zu lernen, wie man auf Kommando Schlüssel oder Papiere klaut. Nützlich wäre es allemal.“ Das breite Lächeln, das sich just über ihre Miene stahl, verfing sich in den braunen Augen, während Liam sich in Richtung Meer abwandte.
Es war schon seltsam wie respektvoll er mit der Freiheit anderer umging, ohne dass es ignorant oder desinteressiert wirkte. Skadi verstand mit jedem Tag mehr, dass der Musiker nicht nur den Sinn von Selbstbestimmung lebte, sondern ihn regelrecht verkörperte. Er stellte keine Erwartungen an jemanden, ließ selbst sie so sein, wie sie wollte und drehte ihr keinen Strick aus rauen, unbedachten Worten. Es war verdammt lange her, dass ihr so jemand begegnet war. Und es erfüllte sie für einen kurzen Augenblick mit sichtbarer Wehmut, ehe sie sich wieder vom Anblick des Älteren loseisen konnte und auf ihre Knie starrte. Dem sanften Rauschen in ihrem Rücken lauschte und die Stille genoss, die zwischen ihnen aufzog. Hier und da stahl sich ein sanftes Trappeln von Pfoten in die Geräuschkulisse. Und erst als Skadi sich zaghaft räusperte, hob sie den dunklen Haarschopf um nach Sineca Ausschau zu halten. “Liam…“ Ein drückendes Gefühl schob sich tief in ihre Magengegend und schnellte schlagartig zu ihrem Kehlkopf hinauf. Hinterließ ein heftiges Wummern hinter den ächzenden Rippenbögen, die sich unter einem leisen Seufzen auseinander zogen. “Danke.“ Nur langsam wandte sich die feine Miene der Jägerin herum. Trug ein warmes, ehrlich gemeintes Lächeln auf den Lippen. “Für alles. Ich weiß wirklich nicht, wann ich mich das letzte Mal wieder so sehr wie ich selbst gefühlt habe.“ Zu gern hätte sie eine der dicken Locken um ihren Zeigefinger gezwirbelt. Wäre in ein Lachen ausgebrochen, weil sich gerade eine unangenehme Hitze durch ihren Körper schob. Sie war seltsam glücklich und losgelöst in jenem Moment. Trug diesen Schimmer von Leichtigkeit auf ihrer Miene, der selbst Enrique vollkommen unbekannt sein durfte. “Und sag mir jetzt nicht, dass du nichts besonderes getan hättest. Das wäre gelogen.“ Mit einem erhobenen Zeigefinder wandte sich der schmale Oberkörper zur Seite und bemerkte im Augenwinkel, wie Sineca kurz an ihren Füßen vorbei schlich und zwischen ihr und dem Lockenkopf auf die Reling sprang. “Also… könntest du mir etwas versprechen?“ Ihr Stimme senkte sich jäh, als sie sich voraus beugte und kurz Sinecas Nase an ihrem Kinn spürte. Es wunderte sie selbst wie ruhig ihr Körper dabei blieb. Womöglich weil sie zu sehr auf den Lockenkopf fixiert war, dem sie ein sanftes Schmunzeln schenkte. “Verändere dich niemals. Für nichts und niemanden. Ich wäre ernsthaft traurig drum, einen solchen Freund zu verlieren.“
Ein bisschen fürchtete er sich vor dem Tag, an dem sie doch verschwand. Die Ginsterkatze war längst ein fester Teil seines Lebens. Etwas, was er nicht in Frage stellte und trotzdem wusste, dass ihre Anwesenheit nicht selbstverständlich war. Ein wenig abwesend bedachte er kurz die neugierige Gestalt der Schleichkatze und vertagte den Gedanken daran, dass sich ihre Wege irgendwann trennen würden, weiter nach hinten. „Ich glaube nicht, dass sie ein Wildfang war, dazu war sie zu jung. Im Grunde kennt sie also nichts anderes als einen Käfig oder mich, wobei ich wohl das kleinere Übel bin.“ Zweifellos. Zu großer Wahrscheinlichkeit hatte sie weitaus mehr in ihrem Leben gesehen als jede andere Ginsterkatze zuvor. Nicht immer Gutes, aber die meiste Zeit waren sie ja doch recht unbeschadet davon gekommen. Und welche Katze konnte schon behaupten, eine Schiffexplosion überlebt zu haben? „Tu dir keinen Zwang an.“, bot er Skadi an und sah zu ihr auf, als sie die Möglichkeiten laut durchdachte, die sie mit einer trainierten Sineca hätten. Auch, wenn er wusste, dass es die Nordskov einiges an Überwindung kosten würde. Aber wer wusste schon – vielleicht würde sie das Ziel ja beflügeln? „Sie ist ziemlich clever, kann aber ebenso eigenwillig sein. Ich hab‘ mir nie Gedanken drum gemacht, wie ich ihr gezielt irgendetwas beibringen könnte. Sie ist immerhin kein Hund.“ Was nicht heißen sollte, dass es von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Liam hatte sich nur einfach mit der Tatsache abgefunden gehabt, dass die Chancen nicht unbedingt hoch waren, sie wirklich zu dressieren. „Nützlich wäre es allemal.“, wiederholte er letztlich die letzten Worte der Jägerin zustimmend.
Nachdenklich sah er aufs Meer hinaus, erahnte den Horizont irgendwo in der Ferne, während sich die Sterne in der Finsternis des Oceans spiegelten. Für den Augenblick war die Stille sogar ziemlich angenehm. Nicht erzwungen oder Worte fordernd, sondern einvernehmlich. Erst Skadis Räuspern weckte ihn aus seinen nicht zu greifenden Gedanken, ließ ihn aufhorchen, ohne die Augen von einer unbestimmten Ferne zu nehmen. „Hm?“, ertönte es leise fragend, die Bedeutung allein im Klang seines Namens noch gar nicht wahrnehmend. Als sie schließlich fortfuhr, wandte er sein Gesicht wieder ihren feinen Zügen zu, überrascht und darüber nachdenkend, wofür ihm Dank gebührte, ehe Skadi ihn aufklärte und ein blasses Lächeln auf seinen Zügen erschien. Doch noch bevor er zu einem Kopfschütteln ansetzen konnte, erstickte die Jüngere sein Vorhaben im Keim, als hätte sie genau gewusst, was er vor hatte. Das Lächeln auf seinen Zügen verschwand für einen skeptischen Augenblick, ehe sich der Ausdruck zu dem eines Kindes wandte, das gerade bei seinem Plan erwischt worden war, ohne ihn in die Tat umsetzen zu können. Denn eigentlich hatte er nichts Besonderes getan. Nicht wissentlich jedenfalls. Vielleicht war es auch bloß reiner Zufall. Weil sie nicht mehr Kaladar sein musste, sondern Skadi sein konnte. „Gut. Aber danken brauchst du mir trotzdem nicht. Das ist doch…“ Liams Blick wanderte überlegend zurück aufs Meer, ehe er mit einem Schulterzucken feststellte, dass er dennoch kein besseres Wort fand als das, was er von Anfang an benutzen wollte. „Selbstverständlich. Was wär‘ das denn für eine Freundschaft, wenn wir dem anderen vorgaukeln müssten, jemand anders zu sein?“ Doch er ahnte, dass auch das nicht das war, was Skadi nun hören wollte.
Er schnaubte belustigt über sich selbst, ließ den Kopf kurz sinken, ehe er die Jüngere wieder taxierte und den Kopf leicht zur Seite neigte. „Jedenfalls… Gern geschehen, Skadi.“ Wieso war es eigentlich immer so schwer, einen Dank anzunehmen? Natürlich – Liam hatte nie das Gefühl, eine große Hilfe zu sein, aber oblag es nicht seinem Gegenüber, ob es ihm einen Dank wert war oder nicht? Als Sineca hinauf auf die Reling sprang, fuhr er der Katze kurz mit einer Hand durchs Fell und beobachte aus den Augenwinkeln heraus die Reaktion der Nordskov. Vor allem, als sie wieder zu sprechen begann und sich seine Stirn abermals kurz in Falten legte, bis das Lächeln auf seinen Zügen wieder kräftiger wurde. Kurz beobachtete er, wie Sinecas Nase unter der Berührung wieder vorsichtig ein paar Millimeter zurücksprang und ihre Schnurrhaare zuckten, ehe er Skadi wieder in die dunklen Augen sah. „Mach dir da mal keine Gedanken. Ich habe nicht vor, damit anzufangen.“ Und wenn es etwas gab, was er ihr mit gutem Gewissen versichern konnte, dann war es das. „Ich bin mal gespannt, was uns als nächstes erwartet. Ich glaube, ruhig wird es so schnell nicht mit diesem chaotischen Haufen.“
Nein. Sineca war mit jeder Faser ihres Körpers eine Katze. Dennoch machte es in Skadis Augen keinen Unterschied. Man konnte jedem etwas beibringen, wenn man nur mit reichlich Geduld gesegnet war – und vielleicht einer gewissen Portion gutem Geschicks und Talent. Ein leichtes Schmunzeln reichte vorerst jedoch zur Antwort. So schnell ließ sie sich in Punkto Ginsterkatze nicht überreden. Es genügte bereits jetzt schon, dass sie das Tier so nahe an sich heran ließ. Jedes Mal, wenn der Schatten in ihren Augenwinkeln schneller zu laufen begann, musste die Nordskov ein Zucken unterdrücken. Nach außen drang davon nichts. Dennoch konnte sie sich in jenem Moment wirklich angenehmeres vorstellen.
Eine Weile musterten sie Liams Züge schweigend, während er die Bedeutung seiner Handlungen klein zu reden versuchte und dabei ein Gesicht aufsetzte, das sie just an einen kleinen Lausbuben erinnerte. Ganz gleich wie sehr sie ihm auch den Wind aus den Segeln nahm, fand der Lockenkopf erneut Worte, um alles was er tat als Selbstverständlichkeit hinzustellen. Skadi wusste nicht, ob sie das nun positiv oder genervt auffassen sollte. Sicherlich mochte das zu einer Freundschaft dazu gehören. In diesem Punkt widersprach sie ihm in keinster Weise. Allerdings hatte es einem großen Vorschuss an Vertrauen und einer vorurteilsfreien Denkweise bedurft, um das überhaupt zu ermöglichen. Doch darauf etwas zu erwidern erschien ihr genauso sinnlos, wie Talin oder Shanaya etwas aufzuzwingen. Somit seufzte sie einfach nur unter einem wissenden, sanften Lächeln und schloss für einen Moment die schweren Augenlider. Genoss den leichten Windhauch auf ihrer Haut, ehe die dunklen Augen wieder hervor traten und den elegante Körper der Ginsterkatzen erblickten. Spürte das weiche Fell Sinecas an ihrem Hals kitzeln und wich im selben Moment zurück, als Sin unter der Berührung das feine Näschen tanzen ließ. Immer noch skeptisch musterte Skadi das gemusterte Gesicht und verzog die Lippen grübelnd zur Seite. “Aber das wäre doch sonst auch ziemlich langweilig oder?“
Ein knapper Blick huschte hinauf. Umspielt von einem kecken Funkeln in den braunen Augen, das sich bis zu dem schelmischen Lächeln hinab bahnte. Letztlich war es ihr egal, was in den kommenden Tagen passierte. Sie hatte nichts zu verlieren. Und lieber ließ sie sich in einen Kampf verwickeln, als in philosophische Gespräche über das Hier und Jetzt oder in eine ausgedehnten Fragerunde zu geraten. “Kennst du denn unseren nächsten Zwischenstopp?“ Es würde sie nicht verwundern, wenn dem so wäre. Immerhin hatte er einen wesentlich besseren Draht zu Shanaya und dem Kernteam der Crew als sie selbst.