30.06.2019, 23:26
Sie hatte Ziele. Immer wieder hallten diese Worte durch ihren Kopf. Skadi war sich unsicher, ob sie zu euphorisch geklungen hatte oder Liam etwas in ihr sah, das sie zu gut vor sich selbst versteckt hielt. Zwar hatte sie die eigenen Worte gehört, als sie über ihre Lippen geflossen waren - doch diese Reaktion verwirrte sie innerlich irgendwie. Wieso wurde sie nur so sehr nervös, sobald sie die dunklen Augen auf die Miene des Älteren heftete und dabei den stillen Wunsch verspürte, dass ihr Ziel doch weniger die Jagd nach Legenden denn... etwas anderem sein sollte. Das das plötzliche Pochen gegen ihre Brust, irgendetwas mit der aufkeimenden Hitze zu tun hatte, die ihren Körper vom Zentrum aus durchfuhr und den Blick erst aufmerksam, dann verträumt auf die braunen Augen ihres Gegenüber heftete. "Ein ziemlich Gutes.", bestätigte sie leise. Ihre innere Skadi fluchte innerlich über die unbedachten Worte, die sie unter einem sanften Schmunzeln ausgesprochen hatte. Was glaubte sie eigentlich was das hier war? Moment... was war das hier gerade?
Unweigerlich verschwand die warm gelaufene Wange an Liams Schulter zurück, ohne das verlegene Lächeln verbergen zu können, das sich kurz an ihre Mundwinkel heftete. Dieser Kerl brachte sie gerade irgendwie vollkommen durcheinander - und das sie selbst daran Schuld trug, registrierte sie nicht einmal. Entgegnete dem Druck seiner Fingerkuppen mit einem tiefenentspannten Ein- und Ausatmen und sah erst wieder auf, als eine sehr seltsame Frage durch den Raum waberte. "Ich glaube Drachen stehen eher auf Gold und Lämmer." Zumindest war es immer das, wonach es ihnen in den Geschichten gelüstete oder? "Oder Musik..."
In Skadis Blick interpretierte er, dass er richtig gelegen hatte. So marginal und kindisch dieses Ziel auch klang – sie wäre nicht die einzige gewesen, die sich danach sehnte, die Welt mit all ihren Geheimnissen zu sehen. Und jetzt, wo sie frei war, standen ihr jegliche Türen dafür offen. Es war ein Ziel, welches man unmöglich erreichen konnte, doch mit jeder Entdeckung, jedem Abenteuer fühlte man sich ihm näher denn je. Es gab keine Erfüllung. Also auch keinen Moment, der einem den Boden unter den Füßen wegriss und einen halb schwebend, halb fallend im Leben zurückließ. Ob es wirklich das war, was sie mit ihrem Leben nun anfangen wollte, musste sie ganz für sich allein entscheiden. Aber allein die Idee war ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Schritt zurück zu einem Sinn, der mehr beinhaltete, als den Tag irgendwie herumzubringen. Der Lockenschopf wandte den Kopf herum, als Skadis Wange zurück an seine Schulter wanderte, sie kurz dabei beobachtete, wie sie offenbar angetan von diesem Gedanken unscheinbar in sich hinein lächelte. Da hatte sie Stoff für ihre Träume und für ihre Zukunft, wenn sie denn so wollte. Die Berührung ihrer Hände kam ihm inzwischen schon so selbstverständlich vor, dass ihm gar nicht in den Sinn kam, sie aufzulösen. Stattdessen schob er abwesend Papier und Stift von seinem Schoß, während er die Frage aussprach, die ihm just in diesem Moment in den Sinn gekommen war. Nichts weltbewegendes, nichts von großer Bedeutung, sondern einfach eine Albernheit, über die er sich manchmal gerne Gedanken machte.
„Stimmt. Musik.“, entgegnete er und seine Augenbrauen schoben sich kurz nachdenklich zusammen. „Und Jungfrauen.“ Er sprach es aus, als würde er selbst nicht verstehen, wie die Leute auf solche Ideen kamen, um sie in ihre Legenden einzubauen. „Dann kann ich euch ja vielleicht doch irgendwann mal den Hintern retten.“, verkündete er schließlich stolz mit einem schiefen Grinsen. „Also… Mit ersterem. Bei der Jungfrauen-Sache ist das Schiff glaube ich schon ausgelaufen.“, konkretisierte er mit zusammengekniffenen Augen und lachte.
Es war gut, dass Liam nichts von dem mitbekam, was Skadi gerade selbst nicht so recht einzuordnen wusste. Schnell stopfte sie es deshalb in eine weitere Schublade und schob das Holz quietschend in die Öffnung zurück. Hier und da presste sie noch die überstehenden Emotionen hinein... und schwups war der Schrank zumindest optisch aufgeräumt und sauber.
Somit wandte sie sich wieder entspannter der Situation zu und genoss einfach die Nähe und Wärme, die er mit ihr teilte. Ließ langsam den Daumen über den weichen Handrücken gleiten und betete bei seinen Worten bereits die nun mehr freie Hand auf die Innenseite seines Oberarms. Zeichnete abwesend kleine Male und Kreise darauf.
"Willst du dich jetzt darüber beschweren?", erwiderte sie glucksend und knuffte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. "Aber mal ehrlich... diesen Drachen tanze ich noch um den Verstand. Wirst du schon sehen... ich bin eine meisterhafte Tanzpartnerin." Gespielt stolz reckte sie ihr Kinn in die Höhe. Schüttelte sich die dunklen Haarsträhnen dabei auf dem Gesicht und konnte dann doch nicht anders als in Liams Lachen einzusteigen. "Aber ich wäre dir sehr dankbar für eine Rettung."
Ungläubig zog sich seine Stirn in Falten. „Sehe ich gerade so aus, als würde ich mich über irgendetwas beschweren wollen?“, entgegnete er und schnaubte belustigt. Da gab es weitaus andere Dinge, die ihm in den Sinn gekommen wären, um sich zu beschweren – das hier gehörte zweifellos nicht dazu. Sonst säße er nicht hier, um sorglos mit ihr herumzualbern, währen der Rest der Crew seelenruhig schlummerte. „Das durfte ich schon feststellen.“, bestätigte er zustimmend, als sie ihre Tanzkünste ins Spiel brachte. „Und ich muss zugeben, dass ich lange nicht mehr so eine begnadete Partnerin hatte wie an diesem Abend.“ Es war ein Kompliment, was ihm einfach und ehrlich über die Lippen kam. „Aber ein Problem gäbe es da.“ Er machte eine kurze Pause, spannte sie absichtlich auf die Folter, während er aus den Augenwinkeln zu ihr hinab sah, ehe er fortfuhr. „Ich würde beides nur ungern einem anderen überlassen.“ Weder die Musik noch den Platz an ihrer Seite beim Tanz.
Er sah mehr aus wie eine überglückliche Ente. Selbst wenn der Vergleich mit diesem Tier hinkte, weil Liam mehr Ähnlichkeit mit einem lockigen Hund aufwies, als einem Vogel. Aber auch das war der Nordskov vollkommen egal, die auf seine Worte nur die Lippen zu einem verschmitzten Lächeln verzog. Sein Kompliment hingegen ließ sie kurz innehalten und die Mundwinkel bis zu kleinen Grübchen in den Wangen zurück wandern. Spiegelte sich funkelnd in ihren Augen wider und hinterließ ein knappes Räuspern in der Luft. "Danke... es ist lange her, dass ich überhaupt so getanzt habe. Gut zu wissen, dass ich nicht allzu sehr eingerostet bin." An das letzte Mal konnte sie sich nur wage erinnern. Verdrängte den Gedanken jedoch besser, bevor er ihr unangenehm durch den Magen zog.
Hatte sie sich gerade wieder entspannt an seine Seite lümmeln wollen, pflanzte Liam eine perfide Neugierde in ihren Kopf, die sie sichtlich irritiert aufhorchen ließ. Was konnte an so etwas harmlosen wie Musik und Tanz problematisch sein? Augenblicklich wandte sich der dunkle Haarschopf wieder herum, richtete sich auf die feinen Züge des Musikers mit skeptisch zusammengezogen Augenbrauen. Und dann sagte er nur wenige Worte, die Skadis Kopf für eine Weile leerfegten. Mit halb geöffnetem Mund starrte sie Liam entgegen. Unsicher, ob sie ihn ernst nehmen oder einfach nur geschmeichelt sein sollte. Doch stattdessen ertappte sie sich dabei, wie sie ihre Lippen aufeinander presste und sich dann voraus beugte. Dem Lockenkopf mit einem warmen Lächeln, das sich bis in die dunkeln Augen vorwagte, einen Kuss auf die Wange hauchte und kurz seine Nasenspitze mit der ihren berührte. "Du bist süß..."
Guten Gewissens konnte er ihre Bedenken mit einem langsamen Schütteln des Kopfes aus der Welt schaffen. Eingerostet war sie keineswegs, er war vielmehr überrascht gewesen über das ungeahnte Talent der Nordskov, mit dem sein Abend eine weitere positive Wendung genommen hatte. Doch bevor er sich großzügig zu möglichen Übungsstunden anbieten konnte, kam er zurück auf den Gedanken mit dem Drachen, wobei die schuppige Echse längst in den Hintergrund gerückt war. Stattdessen sah er sich einem anderen Zwiespalt gegenüber, den er nicht zu verbergen hatte. Denn das Tanzen mit ihr machte in etwa genauso viel Spaß wie das Musizieren an sich. Auf eine andere Art eben, die keineswegs besser oder schlechter war. Doch Skadis Reaktion blieb für’s erste aus, ließ das Lächeln auf seinen Zügen ein wenig unsicher verrutschen. Und gerade, als er fragen wollte, ob alles in Ordnung war, lehnte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, der ihm das Blut in die Ohren trieb. Das hier war nicht das Gleiche wie vorhin. Und so nichtig dieser kleine Kuss auch bei allem wirkte, was sie in ihren Erinnerungen verband – Liam wurde das Gefühl nicht los, dass ihm viel mehr Ehrlichkeit innewohnte als allen zuvor. „Na, was wahr ist…“, entgegnete er ein wenig in der Luft hängend, während sein Blick ganz automatisch wieder auf ihre Hände fiel und ihm dämmerte, was gerade passierte.
Liam schluckte und obwohl ihm deutlich bewusst wurde, dass das hier der Punkt war, an dem es ihre Vereinbarung einzuhalten galt, stand er weder auf, noch löste er seine Hand von ihrer. Und er wusste verdammt noch mal nicht, wieso. Seinen Satz brachte er dennoch nicht zu ende, sah ihr stattdessen wieder ins Gesicht, als ihm auffiel, wie lange er schwieg und erhob sich dann doch – sie an der Hand mit hinauf ziehend. „Komm.“, war alles, was er sagte, ehe er sie zu sich heranzog, den Griff um ihre Hand löste und seine Handfläche in ihre legte. „Ich schätze, ohne ein bisschen Übung bekommen wir keinen Drachen beeindruckt.“ Ob sie verstand, worauf er hinaus wollte, als sich das Lächeln zurück auf seine Lippen gestohlen hatte?
Wieder verzogen sich die vollen Lippen zu einem sanften Schmunzeln. Kippten jedoch mit jeder Sekunde die Verstrich und Liams Worte ohne eine weitere Reaktion verhallten. Fast legte sich der Kopf der Nordskov auf die Seite. Ergründete, weshalb der Lockenkopf schlagartig so nachdenklich den Blick senkte und auf ihrer Hände starrte. War damit irgendetwas nicht in Ordnung? Drückte sie zu fest zu? Automatisch lockerte sie den Griff ihrer Finger ein wenig. Sie wollte ihn definitiv nicht einengen. Das er allerdings begann diese ganze Situation mit den Augen eines Außenstehenden zu sehen, kam er ihr gar nicht erst in den Sinn. Wahrscheinlich weil sie es wie so vieles verdrängte, sobald ihr Alarmsystem die ersten Anzeichen registrierte.
Etwas irritiert blickte sie dem Musiker also entgegen als er entschlossen die dichten Locken tanzen ließ und dann ihre Wenigkeit zu sich hinauf zog. Wie eine Puppe folgte sie ihm ohne jegliche Gegenwehr. Stand für einen kurzen Augenblick unsicher auf den Beinen und hielt sich mit ihrer Hand an seinem Oberarm fest, während die andere unverändert in seiner verweilte. Nicht gewillt sie jemals wieder loszulassen. Nur langsam sickerten seine Worte in ihren Kopf. Hinterließen jedoch augenblicklich einen sanften Ausdruck auf ihren Zügen, der erstaunlich oft in den letzten Minuten dort verweilte. "Und das wollen wir ja nicht. Ihm muss schließlich die Kinnlade hinab fallen." Skadi zwinkerte Liam verschmitzt zu. Lockerte die Finger auf seinem Oberarm und straffte augenblicklich ihren Rücken. Dass sie keine Musik parat hatten, war ihr sogar vollkommen gleichgültig. Womöglich hätte sie über ihr wummerndes Herz, das ein angenehmes Rauschen in ihren Ohren hinterließ, ohnehin nichts mehr vernommen. Mit einem kurzen Schritt trat sie näher an den hoch gewachsenen Casey heran, hob die Hand, die immer noch in seiner ruhte und ignorierte das jähe Pochen an ihrem Hals, kaum dass sein Atem ihre Züge streifte. Diese Nähe fühlte sich just so anders an. Vertraut wie seltsam zugleich. Angenehm kribbelnd. Und nicht ansatzweise so aufgeheizt wie wenige Stunden zuvor. Doch das hier war nicht weniger aufregend. Im Gegenteil. Liams Hand auf ihrem Rücken jagte ihr abrupt eine Gänsehaut auf die Arme und wandte den Blick aufs braunen Augen erst zögerlich hinauf. Unter einem sanften Lächeln.
Was redete er sich da eigentlich gerade ein? Er war selbst ein bisschen überfordert mit dem, was ihm plötzlich durch den Kopf spuckte, suchte für alles eine einfache, nachvollziehbare Erklärung, um sich selbst zu überzeugen. Es war nichts dabei. Wie oft hatten Lubaya und er gemeinsam im Sand gehockt, die Hände ineinander in einer Geste aus Freundschaft wie zwei Kinder, die nicht allein sein wollten? Aber bei all der Selbstverständlichkeit, mit der er sich dieser Geste hingegeben hatte – Skadi war nicht Lubaya. Und obwohl ihm das jede Sekunde bewusst gewesen war, war er fraglos davon ausgegangen, dass sie die Sachen ähnlich handhabte wie sie. Es war einfacher gewesen, hatte ihm darüber hinweggeholfen, dass er sich hatte hinreißen lassen, bevor sie eindeutig geklärt hatten, was das hier werden sollte. Denn wie er die Sache auch drehte und wendete – es wäre seine Schuld gewesen und Skadi diejenige, die darunter litt. Und kaum, dass sie vor ihm stand, ihn ein wenig irritiert anblickte, ehe sie verstand, was er vor hatte und ein sanfter Ausdruck auf ihren Zügen erschien, wollte er einfach nicht mehr darüber nachdenken. Was auch immer das hier war – es war ihm egal, solange es sich so anfühlte, wie es sich eben anfühlte. Sollte sich doch der Zukunftsliam damit herumschlagen.
„Jedenfalls lange genug, dass die anderen ihn um seinen Schatz bringen können.“, formulierte er sein Ziel mit einem Schmunzeln. Zu seiner Überraschung fragte Skadi gar nicht danach, woher sie Musik bekommen sollten. Und obwohl der Lockenschopf diese Tatsache nur beiläufig registrierte, nistete sie sich wohlig warm in seinen Gedanken ein und bestätigte abermals, dass sie den Blick für die wichtigen Dinge nicht verloren hatte. Dinge jedenfalls, die Liam als wichtig empfand. Denn wozu brauchten sie schon Musik, wenn sie sie in Gedanken trugen? Wobei Liam gerade eher feststellte, dass ihm sein Herz recht deutlich einen Takt vorgab, als er den fast schon scheuen Blick Skadis erwiderte, bevor er begann, sie sanft über die Holzplanken des Schiffes zu führen. Und was auch immer ihm die ganze Zeit durch den Kopf gespukt war – für den Moment gab es nur sie. Sie und die Melodie, die sich leise in seinem Kopf abspielte wie der Klang einer Spieluhr.
Alles was sich unter den dunklen Haaren abspielte, die wie kleine Wellen im Takt ihres Tanzes hin und her schwappten, war die Freude am Moment. Hätte sie nur eine Sekunde geahnt, wie sehr die Verwirrung, die gerade eben noch sie selbst durchflutet hatte, nun in Liam wütete, wäre sie wohl stehen geblieben, um ihn mit einem derben Spruch zurück zu sich zu holen. Sie war nicht dumm. Ihr war klar, was dieses Kribbeln zu bedeuten hatte. Wieso ihr Herz in den letzten Minuten so außer sich gewesen war. Doch sie hatte für sich entschieden, dass es besser war diese tief schürfenden Gefühle auszuklammern - solange sie konnte und solange Liam keine Anstalten machte etwas daran ändern zu wollen.
Sie war pragmatisch genug, um diese Liebelei als solche wahrzunehmen - als zwei Menschen, die sich gut verstanden und wann immer es die Situation ergab, einen kurzen Abstecher zur Körperlichkeit wagten. Um nichts in der Welt würde die Nordskov dieses Gefühl hinfort geben, das der Lockenkopf in ihr frei setzte. Solange sie sich gut dabei fühlte, gab es keinen Grund neue Grenzen für sich zu setzen. Sich nicht dem hinzugeben, was geschah.
Letztlich war nichts verwerfliches daran, Liams Bewegungen zu folgen und ihn in seiner Leidenschaft zu spiegeln. Sich das erste Mal seit langer Zeit wieder wie eine Frau zu fühlen, die begehrt wurde. Und womöglich war es genau dieser Gedanke, der sie dazu brachte ihr Herz in ruhige Bahnen zu lenken und sich auf die Führung Liams zu fokussieren.
“Aber kannst du auch genauso schnell davon laufen? Ich glaube so ein beraubter Drache verkohlt uns schneller, als wir bis drei zählen können.“
Mit einem halben Lachen auf den Lippen ließ sich der schmale Körper der Nordskov in die elegante Drehung gleiten und tauchte unter Liams Arm hindurch. Drehte sich auf den Zehenspitzen um sich selbst und vollführte die nächsten Schritte ihrer Einlage um ihn herum. Streifte dabei mit den langen Fingern über seine Schulter und kam lächelnd auf der anderen Seite bei seiner ausgestreckten Hand zum Stehen. Wie selbstverständlich bettete sie ihre eigene auf der dargebotenen Fläche und wirbelte - mit Kraft gezogen - dicht an den Lockenkopf heran. Stoppte ihre Geschwindigkeit mit einer Hand auf seiner Brust und hob für einen Moment nachdenklich die dunklen Augen. “Wo hast du eigentlich so zu tanzen gelernt?“
In erster Linie war sein Vorschlag egoistisch gewesen, um den Kopf etwas frei zu bekommen, um sich bewegen zu können. Doch wie es schien, tat es nicht nur ihm gut. Vielleicht lernte er jetzt erst zu schätzen, was Skadi ihm den Abend über offenbart hatte. Ihre Vergangenheit, all das, was sie im Inneren bewegte und was sie all die Jahre hatte unter Verschluss halten müssen. All das, was sie nicht jedem freizügig ans Ohr schwatzte, weil es die Leute schlicht und ergreifend nichts anging. Sie war allein und er vermutlich der erste seit Jahren, der sich überhaupt die Mühe machte, sie wirklich kennenlernen zu wollen, ohne sich an den Ecken und Kanten zu stoßen, die jeder Mensch eben mit sich brachte. Und auch, wenn ihm ihre Situation klarer und klarer wurde, tat er es nicht aus Mitgefühl oder Aufopferung. Er tat es, weil er es wollte und weil er die sorglosen Momente mit Skadi zu schätzen gelernt hatte. Herumzualbern und all den Lasten dieser Welt ihre Bedeutung abzusagen. Tun und lassen zu können, was man wollte, während man sich bei all den anderen um eine möglichst ernste Miene bemühen musste. Sie gab ihm die Freiheit, der zu sein, der er war, ohne einen abschätzigen Blick zu ernten, den er eh nicht für voll nahm. Liam war nicht naiv. Ihm war bewusst, dass das hier nichts anderes als ein weiteres Abenteuer auf seiner Reise war. Eine Begegnung, und war sie noch so intensiv, an die er sich gerne zurückerinnern würde, wenn sie vorbei war. Ein weiteres Gesicht, über das er sich bei einem Wiedersehen freuen konnte. Und Freunden stand man bei, gab ihnen, was sie brauchten und ertrug auch mal die schlechteren Launen. Und wenn es Nähe war, war er der letzte, der es ihr verwehren wollte.
Der kindlich-zerbrechliche Ausdruck auf ihren Zügen verschwand mit jeder Bewegung, die sie gemeinsam zur Melodie des Meeres übers Deck beförderte, mehr von ihren Zügen, brachte wieder die Frau zum Vorschein, die mit Stolz behaupten konnte, jemand zu sein. Er hatte wirklich seit langem niemanden mehr so tanzen sehen, so selbstbewusst und leidenschaftlich und so voller Freude dabei. Und gerade jetzt in der Bewegung, wo er genau wusste, was er tat und was als nächstes kam, fiel es ihm leicht, seine Gedanken in die Bedeutungslosigkeit zu schicken. Wie sollte etwas, was sich so gut anfühlte, falsch sein, bloß weil die Gesellschaft es anders sah? So lange sie wussten, was sie taten, konnten sie tun, was sie wollten. Und sie wussten beide, was sie taten. Skadi kam ihm nicht vor wie eine Frau, die sich an den erstbesten Mann hing, der ihr über den Weg lief. Sie genoß einzig und allein die Freiheit, wieder sie selbst sein zu können. Nicht Kaladar. Nicht sonst wer. Und er gab ihr die Freiheit, zu sein, wer sie wollte.
Mit einem Lachen nahm er ihre Bemerkung wahr, führte sie in die nächste Drehung hinein. „Wer mit dem Feuer spielt, muss wohl damit rechnen, sich zu verbrennen.“, entgegnete er unbeeindruckt, als der zierliche Körper der Nordskov ihn umrundete, ehe er sie wieder zu sich heranzog. „Im Vergleich zu anderen jungen Männern trieb ich mich eben nicht nur in Bordellen herum.“, war seine erste Antwort, die er ihr mit einem Zwinkern verkündete, ehe er sie wieder in einen langsameren Tanz führte. „Meine Mutter legte Wert darauf.“, folgte aber kaum zwei Herzschläge später die Wahrheit. „Sie wollte, dass wir uns bei Gesellschaften wenigstens etwas vorzeigbar benahmen.“
"Wohl wahr.", murmelte sie leise hinter den dichten Locken hervor. Sah ihnen für einen Sekundenbruchteil beim Auf- und Abwippen zu und musste just an die kleinen Löckchen ihrer Schwester denken. An das mürrische Brummen, das sie immer erntete wenn sie wieder einmal vollkommen geistesabwesend ihre Finger darum zwirbelte. "Das erklärt eine von mir nicht gestellte Frage." Mit einem schelmischen Grinsen bedachten die dunklen Augen die braun gebrannte Miene des Musikers, der ihr mit einem Zwinkern offensichtlich eine Halbwahrheit auftischte. Oder zumindest den Versuch unternahm, die lockere Stimmung auf ihre altbewerte Ebene zu heben. Erfolgreich, wie Skadi belustigt feststellte und augenblicklich die Erleichterung in ihrer Brust tanzen spürte. Sie musste sich daran gewöhnen, dass es immer wieder einmal Momente zwischen ihnen gab, die anders waren, als der ganze Rest. Die an irgendwelchen Türen kratzten, die sie wohl beide mit eisernem Willen verschlossen hielten. Jeder aus einem anderen Beweggrund heraus und doch mit demselben Ziel.
"Weil ein verträumter, intelligenter Sohn nicht vorzeigbar ist?" Skadis Miene wurde unweigerlich eine Spur ernster. Doch nicht, weil sie etwas daran auszusetzen hatte, was der Lockenkopf sagte. Sondern weil sie dieses ganze Gehabe der oberen Gesellschaft nicht verstand. Weil ihr noch nie in den Kopf gehen wollte, was so viel besser war einen polierten Schein zu wahren, wenn der Charakter dahinter dem eines verrottenden Tierkadavers glich. "Aber deine Tanzkünste schlagen deinen Arbeitseifer tatsächlich um Längen.", fügte sei mit einem breiten Grinsen und Auflachen hinzu. Auch daran störte sie sich nicht. Jeder besaß sein eigenes Tempo und seine besonderen Fertigkeiten. War ein wichtiges Rädchen in der Maschinerie dieses Schiffes. Was Liam vielleicht nicht an Motivation für schwere Arbeiten mit sich brachte, die er dennoch tat, wenn man ihn dazu nötigte, dass kompensierte er gut in seiner Leichtigkeit und seiner Hingabe zur Musik. Ohne einen Freigeist wie ihn, würde sie wohl in ihren Gedanken versunken an der Reling stehen und kein Wort über ihre Lippen bringen. In dem Alltag der Sphinx untergehen und all ihre wohl gehüteten Geheimnisse für immer mit ins Grab nehmen, sofern Enrique nicht danach grub. "Wart ihr dann viel auf solchen Veranstaltungen, wenn ihr das so wichtig war?" Aufmerksam musterten die dunkelbraunen Iriden, das Gesicht ihres Gegenüber, während sich die flache Hand von seiner Brust über seine Schulter auf seinen Oberarm zurück schob.
In seiner Vorstellung stellte das Ganze sogar einen ziemlich beeindruckten Abgang dar. Furchtlos tanzend in Angesicht der Bestie und nur einen Moment später in der Hitze zu Staub zerfallend. Fast schon bedauerlich, dass man niemandem mehr davon erzählen können würde, wie er fand. Doch statt sich weiterhin in der fragwürdigen Utopie seiner Träumereien aufzuhalten, entgegnete er den Blick Skadis, hinterfragte nicht, ob sie ihm abkaufte, was er da erzählte, denn darauf hatte er absolut keinen Wert gelegt. In seinen Mundwinkeln zuckte der Schalk zwischen dem Vergnügen, welches er im Tanz mit ihr verspürte. Und auch, wenn seine Miene ernster wurde, als das Thema mehr oder minder abermals auf seine Mutter fiel, lag das nicht daran, dass er nicht darüber reden wollte. Es war viel mehr, dass er genauer als üblich über seine Worte nachdenken musste, während er sich gleichzeitig darauf konzentrierte, Skadi ein annehmbarer Tanzpartner zu sein. Ihr indirektes Kompliment belächelte er, ging aber nicht näher darauf ein. Ihre Frage klang ernst und Liam konnte sich gut vorstellen, dass sie bislang – außer bei der Marine – nie groß in die Berührung mit solchen Veranstaltungen gekommen war. „Nicht, wenn er unter den Tischen Verstecken spielt oder seine neue Schleuder an den Kerzen ausprobiert.“, relativierte er seine Aussage und räusperte sich gespielt schuldbewusst. Damals hatte er den Veranstaltungen wirklich nicht viel abgewinnen können. Für ein Kind waren sie mehr als langweilig gewesen, doch mittlerweile hatte er Tanz und Musik sehr zu schätzen gelernt. Heute hätte er sie vermutlich mit anderen Augen gesehen.
Bei Skadis Bemerkung verrutschte sein Lächeln, sah sie mit einer Mischung aus Irritation und Nachdenklichkeit an, während er zu ergründen versuchte, was genau sie damit meinte. Das breite Grinsen auf ihren Zügen allerdings ließ keinen Interpretationsfreiraum für einen Vorwurf, sodass er nach einer kurzen Weile in belustiger Fassungslosigkeit den Kopf schüttelte und die Jüngere kurzerhand mit etwas mehr Schwung als üblich in die nächste Drehung führte. Bislang hatte sich noch niemand beschwert – jedenfalls nicht so, dass er es als ernsthafte Beschwerde verstanden hätte. Damit disqualifizierte Aspen sich automatisch selbst. „Sie genoss es, ja. Aber nicht, weil ihr irgendetwas daran gelegen hätte, unseren Ruf zu beschönigen.“ Dazu hatte sie ihre beiden Chaoten viel zu gern gehabt und außer an manchen dieser Abenden kaum Ernsthaftigkeit von ihnen verlangt. „Des Tanzes wegen. Und der Gesellschaft enger Freunde natürlich. Im Mittelstand waren solche Gesellschaften noch aushaltbar. Im Adel will ich mir die angespannte Stimmung gar nicht vorstellen.“ Seine Mutter hatte sie wirklich genossen. So lange, wie sie jedenfalls noch ungehindert hatte besuchen können. „Aber ihr hattet doch bestimmt auch Feste und Feierlichkeiten?“
Sie musste einen Nerv getroffen haben. Immer wieder verrutschte das Lächeln auf Liams Miene und setzte einen unangenehmen Knoten in ihren Bauch. Dieses Gesicht war so ungewohnt auf seinen Zügen. War es bereits, als sie noch vor wenigen Stunden einander die schönsten und schlimmsten Erinnerungen entlockt und miteinander geteilt hatten. Im Nachgang wirkte es auf Skadi so surreal. Nahm man es genau, kannten sie sich doch nicht mehr als ein paar Wochen, Monate. Und dennoch fühlte es sich seit Miluî an, als wäre der Lockenkopf schon immer Teil ihres Kosmos gewesen und hatte nur eine sehr lange Zeit gebraucht, um von einer langen Reise zurück zu kehren. Nachdenklich musterte sie somit die feinen Züge ihres Gegenübers und lächelte matte bei seinen Worten. Sie konnte sich diesen kleinen Lausbuben lebhaft vorstellen – sie war selbst nicht anders gewesen. Doch statt einer Schleuder hatte sie gern mit einem Blasrohr kleine vertrocknete Maiskörner verschossen.
“Du wärst mein bester Freund gewesen.“, gab sie somit glucksend zu und verkniff sich merklich das breite Grinsen. Fühlte sich just an die tausend Male erinnert, in denen sie vor ihrem Vater davon gerannt und zu Hause einer Tracht Prügel unterzogen worden war. Oder er sie einfach zur Buße den ganzen Tag bis in die späten Abendstunden arbeiten ließ oder wahlweise am Pfahl im Dorf festband. Damit alle Anwesenden sie belächeln und auslachen konnten. Denn seine Tochter war ein dickköpfiges Ding, das man meist nur über seinen Stolz zu packen bekam.
Schwungvoll führte Liam sie in die nächste Drehung und vertrieb damit alle Gedanken. Gab ihr damit sogar eine wortlose Antwort auf ihre Aussage, die sie mit einem Lächeln quittierte. Liam hatte verstanden, dass sie es nicht sonderlich ernst meinte – und Skadi sah ihm an, dass er die Dinge womöglich ähnlich sah wie sie. Mit einem kleinen Schritt voraus, trat sie wieder dichter an den Musiker heran und wiegte sich im Takt der ungespielten Melodie. Ließ die braunen Augen für einen stillen Moment über die breite Schulter auf das dunkle Meer huschen und blickte aus den Winkeln zu Liam zurück. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass ein wenig Wehmut in seiner Stimme mitschwang. Ein wildes Gemisch aus Gefühlen, das nicht so richtig in eine Richtung zuzuordnen war. Ob es da nach all den Jahren immer noch etwas gab, das ihn beschäftigte? Skadi würde es nicht wundern nach allem, was sie nun über ihn und seinen Vater wusste. Alles schrie danach, dass es Dinge gab, die gut hinter verschlossenen Türen verdrängt wurden.
“Und wie wir die hatten. Aber ich vermute stark, dass unsere weitaus zügelloser waren, als eure.“ Ein verstohlenes Lächeln schob sich auf ihre Züge und bohrte sich amüsiert in ihre Mundwinkel. “Zumindest wenn wir auf unserer Insel und nicht direkt auf Trithên waren.“ Denn dort hatte sich die junge Wilde stets benehmen und sogar in festliche Kleider zwängen müssen. Für ein Kind, das gelernt hatte, im tropischen Wald zu leben und mit nicht mehr bekleidet zu sein, als einer knappen Hose und einer Brustbandage, war das die reine Folter. Und erklärt womöglich warum die Nordskov auch jetzt nur das nötigste an Kleidung trug. Selbst das fühlte sich bereits zu viel auf ihrer Haut an. “Konnte deine Mutter auch Geige spielen?“