26.06.2019, 09:49
Shanaya nahm Nichts mehr wahr, weder Geräusche um sie herum noch einen Gedanken, der ihr in diesem Moment kam. Sie sah nur den Mann vor sich, spürte den Dolch, der sich langsam fester gegen ihre Corsage drückte. Es fehlte nicht mehr viel, bis er durch den Stoff hindurch war. Und dann? Sie würde nicht kampflos nachgeben... aber jede Bewegung würde in diesem Moment dazu führen, dass die Klinge sich in ihren Bauch bohrte. Kein Grund für sie aufzugeben. Es blieb ihr also nur auf eine Chance zu warten, darauf, dass Mardoc von irgendetwas abgelenkt wurde. Und wenn dieser Fall nicht eintrat... dann würde sie einen Schritt nach vorn wagen müssen. Der Mann würde nicht damit rechnen, aber vielleicht war das ihr einziger Ausweg.
Entschlossen biss die junge Frau die Zähne aufeinander, klammerte die Hand fester um ihren Degen und holte gerade tief Luft, um einen Schritt nach vorn zu treten. Aber mit dem nächsten Herzschlag ging ein Ruck durch Mardocs Körper. Er hielt ihr Handgelenk weiter fest, war ihr jedoch nicht mehr so nahe. Shanaya hob den blauen Blick, einen Moment lag darin vollkommene Verwirrung. Ihr erster Gedanke, dass der übrige Kumpane des Mannes zurück gekommen war erschien ihr zu unlogisch. Und erst, als eine bekannte Stimme an ihre Ohren drang, schien sie vollkommen zu realisieren, dass jemand ihr gerade vermutlich das Leben gerettet hatte. Lucien.
Die Schwarzhaarige hielt einen Moment die Luft an, der kurzen Leere in ihrem Kopf folgte weitere Verwirrung. Er war zurück gekommen. Wieso? Was brachte ihren Captain dazu, sie in diesem Moment nicht allein zu lassen, wie sie es gewohnt war? Ihr Herz schlug einige Takte schneller, ihre Hand umfasste noch immer fest den Knauf ihrer Waffe. Sie bildete sich das nicht ein. Lucien war zurück gekommen und... Mit einem Mal fiel eine unglaubliche Anspannung von der Dunkelhaarigen ab, Erleichterung lag in ihren Augen, mit dem sie den Blick des Mannes erwiderte. Fast hätte sie den Mann vor sich vergessen, all ihre Aufmerksamkeit lag auf dem Dunkelhaarigen, von dem sie nicht geglaubt hätte, ihn hier noch einmal zu sehen. Ihre Mundwinkel zuckten, formten jedoch kein Lächeln. Und trotzdem lag auf ihrem Ausdruck etwas, das über Dankbarkeit hinaus zu gehen schien. Mardoc ganz allein riss ihre Aufmerksamkeit wieder herum, auch wenn er sich nicht viel regte.
Mardocs erste Reaktion wäre beinahe ein Reflex gewesen. Als er gepackt wurde, hätte er beinahe den Dolch nach vorn geschoben, aber mit einem Mal spannte er sich komplett an, achtete auf die Klinge, die an seinem Hals lag. Leben oder sterben. Ein leises, verachtendes Schnauben verließ seine Kehle, während er die Waffe von Shanaya wegbewegte. Langsam, als rechnete er jeden Moment damit, dass er ihr Schicksal erleiden würde.
„Loslassen. Sofort.“
Eine weitere Stimme hallte durch die Nacht, noch einmal das leise Klicken einer ladenden Pistole. Und wieder hatte die junge Frau ihn nicht kommen sehen. Plötzlich war der letzte Mann der noch lebte wieder da, die Pistole direkt auf sie gerichtet. Einige schnelle Herzschläge ruhten die blauen Augen auf dem Blonden, der Lucien fest im Blick hatte. Sie selbst konnte sich nicht wehren, Mardoc hielt ihre Hand noch immer fest im Blick. Stattdessen schloss Shanaya kurz die Augen, richtete sie dann fest auf Lucien und nickte mit einer ruhigen Geste.
„Verschwinde und berichte IHM, dass du Mal wieder versagst hast.“
Sie war sich sicher, das würde eine schlimmere Strafe sein als der Tod selbst. In ihrer Stimme lag noch immer eisige Kälte auch wenn sie sich sicher war, dass er, sollte Lucien ihn loslassen, keine Gegenwehr mehr leisten würde. Und ihr eigenes Herz klopfte noch immer viel zu sehr vor Verwirrung, als dass sie groß hätte etwas unternehmen können.