24.06.2019, 22:28
Jegliche Wut der vergangenen Jahre kochte in einem kurzen rhythmischen Schlag gegen ihren Kehlkopf und verpuffte sogleich, als sich Enriques Miene von ihr abwandte und zum Schiff hinüber blickte. Mit einem Ausdruck auf seinen Zügen, den sie erst verstand, als sie den Ton seiner Stimme vernahm. Seine Worte hörte, die sie nur schweigend entgegen nahm und nicht einmal den Hauch eines Lächelns in den Mundwinkeln spürte. Sie fand seine Anspielung weder besonders amüsant, noch nahm sie sie ernst. Wenn er glaubte, dass er sich selbst im Weg stand, dann war er nicht der Mann, für den sie ihn immer gehalten hatte. Der Mann, der Entscheidungen treffen konnte, der sich bei jedem seiner Worte der Konsequenzen bewusst war und doch nicht vollends zum Spielball seiner Befehlshaber geworden war. Der selbstbewusst war. Stark. Doch Skadi gewann gerade immer mehr den Eindruck, dass ihn die Sorge um seine Tochter aushöhlte wie das Meer das poröses Gestein von Felsen. Sie machte ihn angreifbar. Brachte ihn dazu sein Leben lieber hinfort zu wünschen, anstatt für ihr Überleben zu kämpfen. Zu gern hätte sie ihn in jenem Moment am Kragen gepackt und mit wütendem Gesicht in den Sand gedrückt. Ihm zischelnd entgegnet, dass er wohl dumm war zu glauben, dass sein Tod irgendetwas daran ändern konnte, das man nach ihr suchen würde. Wenn er fort war, wer hätte denn dann noch einen Grund sie zu retten? Wer zur Hölle sagte ihm bitteschön, dass sie nicht dennoch über sie herfielen und all das mit ihr taten, was man einst mit ihr getan hatte? Er war ein dummer, törichter Mann, wenn er allen Ernstes davon ausging, dass Menschen sich durch so etwas von ihrem angekratzten Ego ablenken ließen.
Allein ihre Miene blieb eisern, während sie die dunklen Augen von den bärtigen Zügen des Älteren abwandte und gen Horizont blickte. Versuchte die dunklen Schatten auf ihrem Gesicht unter Kontrolle zu halten und mehrere Male tief durchzuatmen. Es brachte hier niemandem etwas, wenn sie aufeinander losgingen. Das war ihr genauso klar, wie die Tatsache, dass der pure Hass aus de Guzmán sprach, als er fortfuhr und seine ungebremste Aufmerksamkeit auf ihre Silhouette heftete.
Yaris? Schlagartig zogen sich die dichten Brauen zusammen. Hinterließen einen skeptischen Ausdruck auf Skadis Zügen, kaum dass sich der kurz geschnittene Haarschopf herum wandte und Enrique eingehend zu mustern begann. Wie weitreichend waren eigentlich seine Kontakte zum "zwielichtigen" Volk? Wie brachte man einen Assassinen dazu, einem einen Gefallen diesen Ausmaßes zu schulden? Es war ihr unbegreiflich und wenn sie ehrlich zu sich war, wollte sie es nicht so genau wissen. Es verstrickte sie nur noch tiefer in Probleme anderer Leute, die sie weiß Gott nichts angingen. Ihr reichten jene, die Enrique mit sich brachte. Wenngleich er immer wieder gewaltsam gegen ihren Stolz trat, sobald er - höchst wahrscheinlich eher unbewusst - an ihrer Ehrlichkeit und Loyalität zweifelte. Hatte er all die Jahre über nicht gelernt, dass man sich auf ihr Wort verlassen konnte? Dass sie nichts sagte, wovon sie nicht zu 100 Prozent überzeugt war? Fast wäre ihr ein entrüstetes Schnauben entwichen. Doch sie hielt sich zurück und ließ die dunklen Augen unverwandt auf seine Miene gerichtet. Er sollte sehen, dass sie nicht zurückwich. Egal was er ihr sagte. Egal wie oft er beteuerte, dass das eigentlich eine Selbstmordaktion war.
"Glaubst du wirklich, dass ich so dumm bin, mich bei einem Mord erwischen zu lassen?" Was sie sagte huschte eiskalt über ihre Lippen und spiegelte sich in genau derselben Intensität im dunklen Braun ihrer Augen wieder. Sie war eine Frau, die sich in vielen Dingen verstand. Die einen Mann gefügig machen konnte, wenn sie wollte. Die sich mit Kräutern und Giften auskannte und einen Gegner nicht zum ersten Mal lautlos unter die Erde befördert hatte. Vielleicht war sie kein unscheinbarer Assassine und verschmolz nicht mit Leichtigkeit in den Schatten. Doch das was ihr an Schnelligkeit in solchen Situationen fehlte, machte sie mit einem langen Atem und Willenskraft wett. Hätten die Mitglieder der Sphinx sie nicht überrascht, wäre sie Harper auf ebenso unaufmerksame Weise losgeworden. Und niemand wäre je darauf gekommen, dass es Kaladar gewesen war. Mit einem Schnauben wandte sie sich ab und verlor jegliche Wärme, die sie noch zuvor für ihn übrig gehabt hatte. Spürte wie sich Bitterkeit ihren Magen hinauf schlich und als schaler Geschmack in ihrem Mund breit machte. Noch widerlicher schmeckte, kaum dass Cornelis Name ausgesprochen und die Tragweite dieser Information bis tief in ihre Brust hinab gesackt war. Ein Anhängsel. Sie war nichts mehr als das. Ihre Glieder fühlten sich schlagartig dumpf und leblos an. Ihr Kopf versank in einer Blase aus dumpfen Geräuschen und dem langsamen Klopfen ihres Herzens.
Seine unausgesprochene Bitte um Rückendeckung beim Kampf gegen Lowell entgegnete sie nur mit einem schiefen Lächeln. Starrte nunmehr in den schimmernden Sand zu ihren Füßen und ließ nur ein knappes "Sicher." ertönen.
Zu mehr reichte der flache Atem nicht. Für mehr taugte sie nicht. Wenigstens vertraute er auf ihre Kampfkunst. Wie großzügig.
Seinen weiteren Worten lauschte sie mit halbem Ohr. Nahm die Informationen auf. Konservierte sie für die Zukunft in ihrem Gedächtnis und schluckte schwer, als Enrique ihr Lächeln mit dem seiner Schwester verglich und der unsichtbare, schmerzende Dolch tiefer in ihre Brust eindrang. Was hatte sie eigentlich geglaubt, das nach dem Untergang der Morgenwind geschehen würde? Dass sie Hand in Hand in den Sonnenuntergang reiten und die Welt bereisen würden, weil sie auf Ewig gesuchte Deserteure waren? Gewiss nicht. Und dennoch konnte sie das unangenehme Ziehen zwischen ihren Rippen nicht ignorieren, weil ihr klar wurde, dass er ohne sie gehen würde, wenn sie sich nicht selbst dazu entschied, ihm zu folgen. Dass er bereits seine Pläne mit diesem Rotbart geschmiedet hatte und es jetzt in ihrem Ermessen war, ob sie ein kleiner Teil ihrer Gruppe werden oder auf der Sphinx zurückbleiben sollte. Und ja... es war Enttäuschung, die sich just auf ihrem Gesicht abzeichnete und ihre Stimme seltsam weich und vollkommen widersprüchlich zum Ausdruck ihrer Miene werden ließ.
"Ich weiß... er war ein dreckiger Bastard, der noch viel mehr Schmerzen verdient hätte, als ich ihm an dem Abend zufügen konnte. Doch es ist nun einmal, wie es ist, richtig?"
Langsam wandte sie den Kopf herum. Wirkte vollkommen neben sich, als das kurzweilige Lächeln von ihren Lippen rutschte und ihre Miene etwas verloren und leer zurückließ.
"Aber wenn es dein Wunsch ist, werde ich dir helfen, deine Tochter zu beschützen. Mir sind die Konsequenzen egal. Du weißt selbst gut genug, dass ich keinen Grund mehr habe irgendwohin zurück zu kehren. Meine Familie ist tot und wird es für immer bleiben. Wenn ich also die deine retten kann, ist mir das mein Ableben und meine verlorene "Ruhe" vor der Marine wert."
Sie meinte jedes Wort, wie sie es sagte. Ungeachtet des kurzweilig traurigen Ausdrucks in den dunklen Augen, die sie wenig später von Enrique abwandte und erst auf den Horizont, dann auf den dunkler werdenden Abendhimmel richtete. Vielleicht war es besser so, wie es jetzt war. Immerhin fand sie so vielleicht endlich einen neuen Sinn in ihrem Leben und machte sie nicht dermaßen unruhig und unsicher. Doch den Schmerz konnte sie trotz der vielen Atemzüge nicht übertünchen. Nicht herunter spielen. Er hatte seine Entscheidung getroffen und sie musste damit leben. Sie war nicht Teil seiner Welt. Und das ist verdammt nochmal in Ordnung! Reiß dich zusammen.
Mit einem tiefen Seufzen erhob sich Skadi aus dem feinen Sand. Blieb für einen Moment fest auf beiden Füßen stehen, ehe sie sich in Richtung Wasser aufmachte und mitsamt Hose hinein watete. Sie brauchte die angenehme Frische der See, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Tauchte vollständig ins dunkle Wasser hinab, als sie bis zur Hüfte im kühlen Nass stand und wenig später mit einem lauten Plätschern an die Oberfläche zurück kam. Beide Hände strichen die kurze schwarze Mähne glatt, die nass an ihrem Gesicht und ihrem Hals klebte. Wie von selbst schlossen sich die dunklen Augen, während die Hände mit gespreizten Fingern langsam gen Oberfläche huschten und knapp darüber inne hielten. Leise stahl sich ein vibrierendes Summen aus ihrer Kehle. Eine Weise, die ihre Mutter immer gesungen hatte, wenn sie aufgewühlt oder traurig war.