20.06.2019, 22:23
Bei jedem zitternden Atemzug senkte sich der dunkle Haarschopf tiefer in seine Halsbeuge. Hoffte dass er endlich wieder in die Realität zurückkehrte und aufhörte ihr so eine scheiß Angst einzujagen. Es fühlte sich an als hielte sie einen steifen, von der physischen Welt abgeschnittenen Körper in ihren Armen. Einen Körper der sie nicht wahrnahm. Der sich in sich selbst verloren hatte und kaum mehr die Kraft besaß zurück zu kehren. Fast erleichtert registrierte sie die Finger an ihrem Rücken, die sich Hilfe suchend in den Stoff ihres Oberteils krallten. Über die ledernen Teile ihres Wams kratzten und ihr ungewollt eine unangenehme Gänsehaut auf die Arme jagte. Enrique war zurück und stieß einen so herzzerreißenden Laut aus, dass es Skadi augenblicklich die Kehle zuschnürte. Noch nie hatte sie ihn so gesehen. Noch nie hatte sie irgendjemanden so gesehen. Tränen sicherlich. Auch solche, die vor Wut aus dunklen Augenpaaren quollen oder in tiefer Trauer an die Oberfläche traten. Doch das hier ging weitaus tiefer. Rüttelte an den Ketten ihrer Selbstbeherrschung und offenbarte ihr, dass der Enrique, den sie glaubte zu kennen, nicht wirklich der Mensch gewesen war, der auf der Morgenwind gedient hatte. In ihren Armen lag ein Häufchen Elend, das schwere Erfahrungen mit sich herum schleppte und beinahe daran zu Grunde ging. Ein Mann, der so viele Gefühle in sich trug und es sich aus unbekannten Gründen zur Aufgabe gemacht hatte, sie unter einer Maske aus Gleichgültigkeit und Wut zu verstecken. Just in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass auch sie selbst eine Teilschuld daran trug. Dass sie ihn in all jenen Augenblicken zurückgewiesen hatte, in denen er ihr mit Mitgefühl und freundschaftlicher „Zuwendung“ begegnet war. Unter einem schweren Seufzen umklammerte sie den weinenden und zitternden Körper fester. Lauschte dem verstörenden Klang, der sich nach etlichen Minuten mit den leichten Wellen vermischte, die sanft gegen den Bug schlugen.
“Es tut mir so leid Enrique...“, wisperte sie leise gegen sein Ohr. Strich ihm unablässig durch die dichten dunklen Strähnen und schloss die Augen. “so unfassbar leid.“