20.06.2019, 20:50
Ein letzter Blick folgte der Schwarzhaarigen, als ihr Verfolger sie in Richtung Haustür zerrte, dann kehrten die tiefgrünen Augen zu seinem eigenen Angreifer zurück. Lucien hatte einen entscheidenden Vorteil: Dieser Typ hatte die ganze Treppe noch vor sich, während er selbst bereits oben war. Er hatte also – mehr oder weniger – alle Zeit der Welt.
So leise, wie es ihm möglich war, zog er sich den dunklen Flur entlang zurück, warf einen prüfenden Blick über seine Schulter und entdeckte mehrere Türen, die vom Gang abzweigten. Die, die ihm am nächsten war, stand offen und führte in einen weiteren, vollkommen dunklen Raum. Dort hinein verschwand der junge Captain, verbarg sich allerdings nur im Schatten neben der Tür und zog die Klinge dicht an sein Gesicht, damit kein Lichtreflex seine Position verriet. Dann lauschte er auf die langsam näher kommenden Schritte des Mannes, der ihn verfolgte.
Mit etwas Glück hätte der Dunkelhaarige an ihm vorbei schlüpfen können, ohne die Waffe in seiner Hand überhaupt zu benutzen. Aber er wollte diesem Kampf gar nicht ausweichen. Jeder tote Gegner hieß einer weniger, der ihm auf die Nerven gehen konnte.
„Wo versteckst du dich?“, fragte eine gedämpft knurrende Stimme auf der anderen Seite der Tür.
Das Knarzen einer Diele verriet, dass sein Verfolger inzwischen im oberen Flur angekommen war. Er ließ sich wirklich unglaublich viel Zeit. Jeder einzelne Schritt war langsam und mit Vorsicht gesetzt. Er rechnete mit einem Angriff – versäumte es aber, einen Blick in den Raum zu werfen, in dem Lucien sich verbarg.
Kaum war er an der offen stehenden Tür vorbei, stieß der Dunkelhaarige sich von der Wand ab, kam aus seinem Versteck und ging zum Angriff über. Der Mann wirbelte herum, gerade in dem Moment, in dem der 21-Jährige mit dem Degen gegen dessen Rücken ausholte. Die Klinge verfehlte ihr Ziel, schnitt ihm jedoch eine klaffende Wunde in den linken Oberarm, bevor er selbst seine Waffe auf den Angreifer richten konnte.
Der nächste Schlag glitt am Degen des Gegners ab, bis das Heft sie schließlich stoppte. Das kreischende Geräusch von Metall auf Metall durchdrang ohrenbetäubend laut die Stille. Plötzlich legte sein Gegner Kraft in seine Parade, drückte gegen ihn an und Lucien, der noch immer nicht wieder in Bestform war, ahnte schnell, dass er dieses Armdrücken verlieren würde. Beide Klingen kamen seinem Gesicht gefährlich nahe, als der Widerstand in seinen Armen unter der Gewalt des anderen nachgab – bis er letztlich einen halben Schritt zurückweichen musste und die Degen sich voneinander lösten.
Dann startete Mardocs Schläger seinen Angriff, stürzte auf den Dunkelhaarigen zu und Lucien reagierte rein instinktiv, als er kurz eine Parade antäuschte – und plötzlich mit einer Drehung zur Seite auswich. Sein Gegner geriet ins Straucheln, fing sich am Treppengeländer ab und wirbelte erneut herum. Doch in diesem Moment rammte der junge Captain ihm seine Waffe in den Bauch.
Plötzlich herrschte Stille. Dann fiel ein Degen laut auf dem Holz klappernd zu Boden und der Blick des Hünen wanderte fassungslos nach unten, wo sein Blut einen immer größer werdenden Kreis auf dem hellen Leinenhemd bildete. Dann kippte er langsam, schrecklich langsam, nach hinten, rutschte von Luciens Klinge und krachte die Stufen der Treppe hinunter, bis er leblos an deren Fuße liegen blieb.
Der 21-Jährige stieß einen leisen Fluch aus, zwang sich, kurz tief einzuatmen und setzte sich wieder in Bewegung. Er hatte nicht viel Zeit, Shanaya und ihren ominösen Verfolger einzuholen.