16.06.2019, 21:04
Seine Miene zeugte von so viel mehr, als sie oberflächlich Preis gab. Skadi sah dennoch im fahlen Licht der Öllampe die winzigen Schatten in seinen braunen Augen, die er im Alltag scheinbar gut zu verbergen wusste. Mit jeder weiteren Wendung ihres lang anhaltenden Gesprächs wurde ihr erst wirklich bewusst, welche tief schürfenden Gedanken durch die dichte Lockenmähne ihres Gegenübers tanzten. Zumeist ungesehen und ungehört vom Rest der Crew - entweder weil er es selbst nicht anders wollte oder sich schlichtweg keiner dafür interessierte. Während die Nordskov eher auf Letzteres tippte, folgte sie seinen Augen ein letztes Mal auf das verheißungsvolle Armband hinab. "Und ich hoffe ihr geht es gut, wo auch immer sie jetzt ist." Es war das mindeste anzunehmen, dass sie ehrenvoll gestorben war. Angesichts all der Umstände - das Vater und Sohn mit ihrem Ableben nicht so recht umzugehen wussten oder es sie womöglich deshalb auf unzählige Abenteuer lockte- musste sie ein wundervoller Mensch gewesen sein. Eine Seele die schmerzlich vermisst wurde und an die sich zumindest Liam mit einem Angedenken stets zu erinnern versuchte.
Nur langsam richtete Skadi den Blick aus dunklen Augen auf, kaum dass sie Liams Handgelenk sanft mit ihren Fingern umschloss. Bettete die Okarina so behutsam auf seiner Handfläche, als brauche es nur einen Atemzug und sie würde unter der Wucht dieser Welt zerbrechen. Wie der Musiker allerdings reagierte, verwunderte sie. Behutsam umschloss er mit seinen Fingern das verzierte Holz, ganz als wagte er es nicht, sie wie vor wenigen Tagen an die Lippen zu heben und unbedarft ein Lied anzustimmen. Offenbar hatte er gelernt, wie bedeutsam dieses Andenken für sie war. Respektierte ihre Entscheidung und brachte ihr damit ein Verständnis entgegen, dass nichts mehr mit bloßer Nettigkeit einer Fremden gegenüber gemeint hatte. Und beinahe wäre ihr angesichts dieser Erkenntnis ein warmes Schmunzeln über die Lippen gehuscht, hätten seine Worte nicht wie ein Fausthieb gegen ihre Brust geschlagen. Schlagartig verpuffte jegliche Luft in ihren Lungenflügeln. Ließ sie scharf die kühle Nachtluft einatmen, während es nun an ihr war, den festen Kloß in ihrem Hals in die Eingeweide hinab zu schlucken. Eine kribbelnde Gänsehaut überzog ihre Wirbelsäule, als ihre Augen den seinen begegneten. "... nein... weil es niemanden mehr gibt, der es tun könnte..." Ihre Stimme drohte für einen Moment zu brechen. Doch Skadi räusperte sich bereits, noch ehe es groß ins Gewicht fiel. Sie hatte Jahre damit zugebracht den Verlust ihrer Familie zu verarbeiten. Sie erwartete nicht, dass es jemals einen Zeitpunkt geben würde, an dem sie nicht wehmütig wurde. Im Großen und Ganzen war ihr jedoch mit jeder Faser ihres Körpers bewusst, dass es besser war ihre Liebsten in guter Erinnerung zu behalten. Sie für ihren Tod zu rächen und an ihrer statt das Leben zu genießen, das ihr geschenkt worden war. "...ein Mensch ohne Heimat..." Es war fast ein Flüstern. Ein Hauch von Silben und Worten, die sie an Liam wandte, ohne von ihm abzusehen.
Sein Anblick war das Einzige, das sie gerade klar denken ließ. Das sie davon abhielt für einen Moment schwach zu werden und sich irgendeiner Flutwelle an Traurigkeit zu ergeben. Womöglich wäre sie in schiere Wut über sich selbst abgedriftet. So jedoch fokussierte sie sich auf seine Bewegungen. Folgte ihnen aus den Augenwinkeln und senkte erst den Kopf, als er ihr mit leisen Worten das Instrument zurück gab. Sanft ihre Handfläche gen Himmel wandte und das angewärmte Holz darauf bettete. Seinen Worten entgegen sie nur mit einem tiefen Ein- und Ausatmen. Schloss die langen Finger um das Instrument und richtete die dunklen Augen schweigend auf das bärtige Gesicht. Musterte ihn aufmerksam. Spürte die angenehme Wärme auf ihrer Haut, die Liam mit jeder weiteren Berührung auf ihrem Handrücken hinterließ. Es war seltsam wie schnell sie Vertrauen zu ihm gefasst hatte. Wie geschickt er, ohne es zu wollen, ihren Schutzpanzer zur Seite schob und einen Blick auf die Skadi erhaschte, die sie früher einmal gewesen war. Verstehen tat sie es immer noch nicht so ganz. Vertraute nur ihrem Instinkt, der sich Zeit ihres Lebens selten getäuscht hatte.
"Aber du hättest es getan.", entgegnete die Jägerin leise, hielt ihre Augen unverwandt auf denen des Lockenkopfes und konnte nicht anders, als das warme Lächeln auf ihren Lippen zuzulassen, das sich in der rötlichen Färbung ihrer Wangen verlor. Ihr war die Tragweite seiner Aussage mehr als bewusst. Beinahe schlug ihr die Bedeutung regelrecht gegen den Brustkorb und erhielt zur Antwort nur ein aufgeregt pochendes Herz, das sich kaum mehr beruhigen ließ. "Du bist schon ein seltsamer Mann Liam..." Das Lächeln wurde eine Spur schelmischer. Zauberte ein liebliches Funkeln in das dunkle Braun ihrer Augen, ohne auch nur ansatzweise den Blick von ihm zu nehmen. "... aber ein wundervoll seltsamer."
Jedes Mal, wenn er das Violett der Steine bedachte, sah er den kleinen Jungen vor Augen, der sie damals gefunden hatte. Er sah den wirren Lockenkopf, der manchmal über Tage hinweg keine Bürste gesehen hatte, wie er voller Stolz zurück nach Hause kehrte, um seinen Fund seinem Vater zu zeigen, der ihm kurzerhand bei seinem Geschenk geholfen hatte. Manchmal aber sah er auch die dunklen Wolken, die sich am Horizont anbahnten und hämisch grinsend näher und näher zogen. Damals hatte er es trotz all der Anzeichen und all der Ehrlichkeit seiner Eltern nicht erfassen können; jetzt war er sich sicher, dass seine Mutter ihren Ausweg schon längst geplant hatte, als sie ihm dieses Armband damals zurückgegeben hatte. Ein langsames, nachdenkliches Nicken folgte auf Skadis Worte hin, doch er verzichtete auf eine weitere Antwort. Nur in Gedanken sagte er sich, dass es ihr überall besser gehen würde als dort, wo es geendet hatte.
Was sie ihm schließlich offen offenbarte, überraschte ihn nicht mehr und trotzdem ließ ihn diese Erfahrung schwer schlucken. Jetzt, wo er es sicher wusste und nicht mehr bloß vermutete, fühlte es sich realer an, unausweichlicher und endgültig. Es gab kein Schlupflos mehr für seine Hoffnung, denn hätte es dort draußen irgendjemanden gegeben, den Skadi noch hatte, hätte sie ihn nicht verschwiegen. Und obwohl er keinen dieser Menschen je gekannt hatte, verspürte er Mitleid. Nicht für die Toten, sondern für die einsame Frau, die so verloren neben ihm saß. Skadi wusste ihre Schwäche gut mit Stärke zu überspielen, das musste man ihr lassen. Aber vermutlich traf sie die Ziellosigkeit nun härter, als er bislang angenommen hatte. Ihre Mission bei der Marine hatte ihr einen Sinn gegeben, einen Antrieb und nun saß sie hier auf der Sphinx und war gezwungen, sich einfach treiben zu lassen. Abzuwarten. Nachzudenken. Mit einem Mal verstand er ihren Wunsch nach einem Ziel, nach einer Ablenkung und irgendetwas, was sie anstreben konnte. Und er ahnte, wie schwer Ungewissheit werden konnte, ahnte, weshalb sie sich so sehr auf ihren einzigen Anker hier an Bord verlassen wollte. Vielleicht bildete er sich das leichte Zittern ihrer Hand bloß ein, vielleicht waren es sogar seine Hände, die kaum merklich zitterten, als er ihr dieses kleine, feingefertigte Stück Erinnerung zurück in die Hand legte und ihr abermals ein Geständnis entlockte, was er nicht beabsichtigt hatte. Der Griff um ihre Hand und die kleine Welt, die darin lag, wurde für einen Augenblick deutlicher, um ihre Aufmerksamkeit abermals auf das zu lenken, was sie darin geborgen hielt. Vielleicht gab es keinen Ort mehr, an den sie sich zurückziehen konnte. Keinen Ort, an dem irgendjemand auf ihre Rückkehr warten konnte. Doch einen Teil ihrer Heimat hielt sie in Händen und verpflichtete sich, darauf achtzugeben. Einen anderen Teil trug sie in ihren Erinnerungen, geschützt vor allem, was ihr schaden wollte.
Man musste sich damit zufrieden geben, denn es brachte nichts, nach mehr zu streben. Früher oder später würde auch Skadi es verstehen, sobald genug Zeit verstrichen war, um das Gras in ihrem Paradies wieder zum Sprießen zu bringen. Langsam nur löste er den Griff um ihre Hand und die kleine Welt, die darin lag, schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln, während er ihren Blick erwiderte. Sie konnten nichts besser machen, konnten nur lernen mit dem, was passierte, umzugehen. Liam war ganz froh darüber, dass es ihm so einfach fiel, nach vorne zu sehen und Dinge einfach zu akzeptieren und er wollte sich nicht vorstellen, wie es anders war. Entgegen der Vermutung vermutlich aller, die sie hätten belauschen können, war das Ziel seiner nächsten Aussage auch nicht, sich vor Skadi in ein besseres Licht zu rücken und ihr heldenhaft zu eröffnen, dass er ihr dieses Stück Erinnerung im Zweifel auch unrechtmäßig besorgt hätte. So beeindruckend es auf die Nordskov auch zu wirken schien – natürlich hatte er es nicht gesagt, ohne es so zu meinen. Doch entgegen der Einstellung der anderen Mitglieder dieser Crew erfüllte ihn die Vorstellung nicht unbedingt mit Stolz. Er war kein Dieb, der sich nahm, was ihm gefiel. Aber er sah, wie sehr diese Okarina hier gebraucht wurde, um Wunden zu heilen. Heiligte der Zweck nicht manchmal die Mittel? Er war froh, nicht vor dieser Entscheidung gestanden zu haben. Vor allem – hätte er ansonsten überhaupt über den Wert dieses Instrumentes gewusst? Aber was brachte es schon, sich um eine Realität Gedanken zu machen, die es nicht gab – es war alles gut so, wie es war. Auf eine Art und Weise, die man manchmal erst verstehen musste. Der Lockenschopf ging davon aus, dass sie ihr kleines Heiligtum nun wieder wegpacken würde und wandte den Blick abermals zum Himmel, bis ihm auffiel, dass sie ihn noch immer ansah. Mit offener Miene erwiderte er ihren Blick und lächelte schließlich ein wenig schräg, als sie ihm ihr Kompliment aussprach.
Seltsam. Ja. Eigenartig hatten die meisten früher gesagt, aber Skadi meinte es auf eine andere Weise als die Menschen auf Yvenes, wenn sie Ellie gegenüber erwähnten, dass sie Liam mal wieder völlig geistesabwesend durch die Straßen streifen gesehen hatten. „Ich bin nicht groß anders als die anderen.“, meinte er kleinlaut und zuckte angedeutet mit den Schultern. Man sah ihm an, dass er nicht so recht damit umzugehen wusste. Liam sah sich wirklich nicht als etwas Besonderes. Er war mehr ein Schatten im Treiben der Gesellschaft, dem so einiges entging, während er mit dem Kopf in den Wolken hing. Aber er hatte Skadi mittlerweile als jemanden kennengelernt, der die Dinge nicht kopflos aussprach. Er wusste ihr Kompliment zu schätzen, selbst wenn er es nicht so richtig zeigen konnte. „Aber… Danke.“ Das Lächeln auf seinen Zügen reichte den Augenblick bis zu seinen Augen hinauf, als er den Blick abwendete und eines seiner Knie fixierte, um dem Eindruck zu entkommen, dass sie nun irgendetwas von ihm erwartete. „Welcher Ort hat dir am besten gefallen von denen, die du mit deinem Vater bereist hast?“, fragte er schließlich und hob den Blick wieder hinauf zu ihren Zügen. Vielleicht half es ihr, sich an die schönen Dinge zu erinnern. Im Endeffekt aber hatte er einfach drauf los geredet. Das tat er manchmal, wenn er nervös war.
Er nickte nur zögerlich auf ihre Worte. Hielt sich im ganzen Verlauf des Gesprächs mit Worten zurück, die er ihr sonst ungefragt vor die Füße legte. Skadi spürte das Trommeln in ihrem Magen, das ihr eindringlich zu verstehen gab, dass sie sich auf unerforschtem Gebiet befand. Darauf zu achten hatte, nicht blindlings in eine Landmiene hinein zu treten und Liam damit unbewusst zu verletzen. Sicherlich mochte der Lockenkopf stark wirken - als könne er jeglichen Schicksalsschlag akzeptierten. Doch nur weil man etwas hinnahm, bedeutete es nicht, dass keine Narben zurück blieben. Narben die unangenehm juckten und einen daran erinnerten, wer man war und woher man kam.
Somit sog sie jede seiner Regungen in sich auf. Spürte dabei das ungewohnte Kribbeln auf ihrer Haut und den festen Druck an ihrem Kehlkopf. Fühlte, was in Liams Brust unnachgiebig auf und ab schlug. Sah den Ausdruck dessen auf seinen Zügen und schluckte daraufhin kurz und kaum sichtbar. Er hatte Mitleid. Jene Empfindung, die sie all die Jahre über gemieden und schier gehasst hatte. Die sie selbst bei Enrique an den harten Mauern ihrer Selbstbeherrschung hatte zerschellen lassen. Ohne zu wissen, dass sie damit bis zum Tod seines Freundes eine Tür verriegelt hielt. Eine Tür die ihr Wochen später in bitteren Tränen in den Armen gelegen und allen Schmerz zurück gebracht hatte. Der Nachhall all dessen steckte immer noch in ihren Knochen. Selbst jetzt als sie unverwandt zu Liam hinüber sah und kaum den Blick von ihm lösen konnte. Sie musste nicht leugnen, dass sie ihn mochte. Weit über den körperlichen Aspekt hinaus, der sie anfänglich immer wieder in seine unmittelbare Nähe gezogen hatte. Dass ihre Vergangenheit einen schuldigen Anteil an dieser Tatsache trug, ignorierte sie natürlich gekonnt. Wie so oft in den letzten 5 Jahren. Es war einfacher den Kopf auszuschalten und geschehen zu lassen, was ihr Instinkt ihr wortlos vorsetzte.
Ein wissendes Lächeln verwandelte ihre anfänglich traurige Miene in ein Lichtermeer aus Wärme. Während der dunkle Schopf kurz zur Seite kippte und Liam dabei beobachtete, wie er sich etwas nervös seinem Knie widmete und das Thema wechselte, verstaute sie mit einem kurzen Griff an die Seite die kleine Okarina. Irgendwie war es schon niedlich, wie unangenehm ihm dieses Kompliment zu sein schien. Fast war Skadi versucht noch eines anzufügen, verstand jedoch, dass sie ihn wohl oder übel für den Rest des Abends damit verscheuchen konnte. Und da es das letzte war, was sie wollte, stieg sie in sein Spiel ein. Lehnte sich mit nach hinten ausgestreckten Armen ein Stück weit zurück und ließ den Kopf in den Nacken gleiten. Musterte den Sternenhimmel, während sie Liam den Freiraum zurück gab, den er offensichtlich brauchte. Irgendwie glaubte sie, ihn mit ihrer ungenierten Ehrlichkeit ein wenig zu sehr bedrängt zu haben.
"Mal überlegen..." Die langen Beine wandten sich aus dem Schneidersitz und wackelten rhythmisch von rechts nach links, während die aufgestellten Füße auf und ab tanzten. "Meistens waren wir nur an Häfen und Märkten. Haben verkauft was wir erlegt und hergestellt haben..." Die ganze Insel hatte quasi von der Hand in den Mund gelebt und sich mit dem Verkauf von Fellen und gefärbten Stoffen ein Extrabrot verdient. Abgesehen von den zahlreichen Soldaten, die nach Trithên gegangen waren und nun zum Teil auch in der Leibgarde des Königshauses dienten. "... aber ich kann mich an einen kleinen Ausflug in die Berge erinnern... es war schweinekalt dort. So eine Kälte, die sich ganz tief unter deine Haut frisst und am ganzen Körper schüttelt. Aber die Aussicht dort oben war atemberaubend. Ich bin irgendwann auf eines der Hausdächer geschlichen und habe Stunden lang dort oben gesessen. Überall waren diese kleinen Lichter und Fähnchen... in tausend Farben. Es hatte schon ein bisschen was von einem Paradies." Ein leises Lachen entfloh ihrer Kehle. Begleitete die langsame Bewegung ihres Körpers, der sich voraus gleiten ließ und die braunen Augen auf Liam richtete. "Einer der Dorfältesten hat mich dann erwischt und an den Ohren zurück geschleift. Scheinbar durften Mädchen nicht unbeaufsichtigt durch die Gegend streifen. Oder aber er fand es nicht so lustig, dass ich seinen Sohn an einem Baum festgebunden hatte." Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich just in ihre Mundwinkel, strahlte bis zum dunklen Augenpaar empor, das für einen Augenblick ihre Fingerkuppen auf ihrem Weg zu ihren Knöcheln begleitete.
Er war noch nie gut darin gewesen, mit Komplimenten umzugehen. Nicht, weil seine Eltern ihn nicht derart behandelt hätten, sondern einfach, weil er in sich nichts Besonderes sah. Seine Eltern hatten ihm vieles beigebracht und seiner Mutter war es auch stets wichtig gewesen, dass er ähnlich vorzeigbar gewesen war wie die Kinder der anderen Frauen. Aus der Reihe gestochen hatte Liam schon immer. Ganz egal ob durch Tagträumerei oder tatsächlich seine frühen Fähigkeiten am Klavier. Er mochte es einfach nicht, im Rampenlicht zu stehen, selbst wenn es fast schon ironisch wirkte, wenn man bedachte, dass er Musiker war. Aber sein Ziel war weder Ruhm noch Anerkennung. Er wollte den Menschen einfach eine Freude machen.
Tatsächlich ließ sich Skadi sogar recht gefasst auf seine Frage ein, was ihn freute und das flaue Gefühl in seiner Magengegend erstickte. Es fühlte sich noch immer falsch an, in ihrer Vergangenheit herumzufischen, aber wie es schien, ging sein Plan sogar auf. Jedenfalls blieb ihr Gesicht weitestgehend frei von den Schatten, die eben noch hämisch auf ihren Zügen herumgetanzt waren. Neugierig lauschte er ihrer Geschichte, ließ sich einen kurzen Moment vom Anblick ihrer tanzenden Füße ablenken, ehe er den Blick wieder über ihre rundliche Nase hin zu ihren dunklen Augen hob, die im Licht der Öllampe funkelten. Kurz flammte die geheimnisvolle Karte vor seinen Augen auf, als sie Kälte erwähnte, doch der Gedanke war bereits wieder verschwunden, bevor sie geendet hatte. Liam hatte von solchen Orten gehört, war aber noch nie dort gewesen. Hatte von zweimannsgroßen Hirschen gehört, die dort völlig ohne Angst leben sollten und war fest entschlossen, irgendwann mal einem von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen zu wollen. Langsam wandte sich sein Blick wieder von ihrem Gesicht ab, hob sich ins Dunkel des Himmels und versuchte sich das vorzustellen, was sie mit Worten malte. Tausende Lichter, die in der Kälte tanzten, Fähnchen, die in der eisigen Luft wie erstarrt wirken mussten. Als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm, spähte er wieder in ihre Richtung, runzelte gleich darauf belustigt die Stirn und musterte neugierig ihre Züge.
„Warum hast du seinen Sohn an einen Baum gefesselt? Weil er auf die kleine Skadi aufpassen sollte?“, neckte er und blickte einen Augenblick so drein, als hätte er sie durchschaut. „Im Norden gibt es eine kleine Insel. Im Herzogtum Shilain war’s glaube ich. Sie besteht eigentlich nur aus zerklüfteten Felsen, aber die Menschen haben sich ein kleines Dorf in den Stein gehauen. Allein das war schon ein atemberaubender Anblick. Als wir da waren, feierten sie gerade ein Lichterfest. Sie ließen etliche Laternen bei Anbruch der Dunkelheit gen Himmel steigen. In den verschiedensten Farben. Es war ein wirklich unglaublicher Moment.“ Alex und er waren eher zufällig dort vorbeigekommen, hatten es aber keinen Moment bereut nach diesem Anblick. Ein schöner Brauch, wie er fand. Die Dunkelheit erleuchtet durch etliche Lichter, die Hoffnung bringen und die Verlorenen heimleiten sollten.
Skadi lachte unverblümt und schüttelte den dunklen Haarschopf. Die Erinnerungen zauberten einen amüsierten Ausdruck auf ihre Züge, während sie nach vorn gebeugt zu Liam hinauf blickte und die Lippen verzog. "Er wollte mich heiraten... hat sich aufgespielt wie ein verzogener Prinz. Er konnte mich ja nicht einmal zum Lachen bringen." Und das war wirklich ein absolutes Muss, wenn man sie fragte. Aber das tat eigentlich auch niemand so wirklich. War ja auch irgendwie nicht wichtig. Weder auf der Morgenwind noch hier. Sie war und blieb eben eine Karotte. "... und weil er übergriffig werden wollte, hab ich ihn einfach in den Wald gelockt und dort an einen Baum gebunden." Als wäre es das normalste der Welt zuckte die Jägerin mit den schmalen Schultern und sog tief die angenehmen Nachtluft ein. "Aber ich habe ihm einen Apfel in seine Manteltasche gesteckt. So barbarisch bin ich ja dann doch nicht." Vergnügt spitzte sie die vollen Lippen und winkelte abermals die langen Beine an. Bettete dann das schmale Kinn darauf, während sie Liam einen Moment lauschte und sich den Ort an den Felsen vorzustellen versuchte. Es klang schon sehr romantisch - ähnelte vielleicht ihrer Erzählung, doch an Laternen oder ein Lichterfest konnte sich die Nordskov ganz sicher nicht erinnern. "Wer ist wir?" Mit einem kurzen Blinzeln wandten sich die dunklen Augen zu dem Lockenkopf zurück, hatte sich ihr Blick doch kurzweilig über seine Schulter zum kaum erkennbaren Horizont verloren.