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Bring me to the garden where we'd go
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Feb 2016
#2
Es war ein wissendes Lächeln, welches sich auf seine Züge legte. Er konnte sich gut vorstellen, wie viel Wahrheit in Skadis Worten lag. Man hörte genug Klatsch und Tratsch aus den adligen Schichten und selbst, wenn Liam ziemlich desinteressiert daran war, womit sich die Reichen das Leben schwer machten – die Worte Intrige und Hinterhalt fielen ziemlich oft. Und während Männer eher dazu übergingen, Meinungsverschiedenheiten offen und direkt auszutragen, lag es in der Natur des weiblichen Geschlechtes, sich gegenseitig auszuspielen. Er war gar nicht so traurig drum, damit keine großen Berührungen zu haben. Es reichte ihm, wenn er sich zurückerinnerte, wie wichtig seiner Mutter stets das Auftreten ihrer Familie in der Öffentlichkeit gewesen war und wie stark die Furcht sie zurückgehalten hatte, nachdem sie erkrankt war. Dort ganz oben unterstützte man sich noch weniger als im Bürgertum, in dem er aufgewachsen war. Er wusste schon, weshalb er sich mit den Leuten umgab, mit denen er sich umgab. Skadi klang in ihrer Vermutung aber tatsächlich etwas bitterer als Liam erwartet hatte. Sie hatte aber auch die letzen Jahre viel Erfahrung mit den Weibern bei der Marine machen dürfen. Er beneidete sie nicht.
„Also doch ein Happy End.“, meinte Liam zufrieden, als Skadi geendet hatte. Zudem entschied er, dass es gar keine so schlechte Idee war, es sich ein wenig bequemer zu machen, schob sich ein wenig weiter von seiner ursprünglichen Lehne weg und verschränkte nun seinerseits die Arme hinter dem Kopf, während sein Blick zum Himmel gerichtet war. Es hätte vielen Menschen gutgetan, nicht nur an sich selbst zu denken. Doch stattdessen gierten alle nach Macht und Möglichkeiten, sich anderen gegenüber zu profilieren. „Familie ist halt nicht immer einfach. Und trotzdem das Wertvollste, was wir in unserem Leben besitzen.“, fügte er nachdenklich an und seufzte, ohne über den Umstand nachzudenken, den Skadi ihm so offen dargeboten hatte.
“Hast du darauf gehofft?“ Ein verschmitztes Lächeln schob sich auf Skadis Lippen, kaum dass die dunklen Augen hinauf an den ausgestreckten Beinen des Älteren zu dessen Gesicht hinauf huschten und den braunen Haarschopf in den Nacken streckten. Liams zufriedene Miene ließ zumindest vermuten, dass ihm dieser harmonische Ausgang der Geschichte weit lieber war als das, was er augenscheinlich vor ein paar Minuten noch geglaubt hatte. Mit einem unterdrückten Auflachen wandte sich die Jägerin wieder ab und ließ die angewinkelten Beine abwechselnd zu den Seiten gleiten. Lauschte den Worten des Älteren, ohne etwas von dem leichten Stich Preis zu geben, der ihre Brust durchzog. Familie war das wichtigste das man haben konnte, in der Tat. Und Skadi hoffte inständig, dass es die meisten noch verstanden, bevor es zu spät war. Bevor es so etwas wie ein zu Hause nicht mehr gab, in das man sich flüchten konnte. Es musste nicht einmal ein Blutsband sein, das Menschen miteinander verband. Es konnten auch Freundschaften sein, die über Jahre gewachsen waren und ein tiefes Urvertrauen geschaffen hatten. Nie käme es darauf an, woraus die Familie bestand, solange man sie hatte. Sie fühlte, tief im Inneren. “Liam…“ Kurz verengten sich Skadis Augenbrauen. Formten eine nachdenkliche Falte auf ihre Stirn, während sie über das Gewicht ihr folgenden Worte nachdachte. Skadi war durchaus bewusst, dass sie damit einen Schritt zu weit ging. Dass das hier nicht der rechte Moment war, um ihn danach zu fragen. Er konnte allerdings auch schweigen. Aufstehen und sie allein sitzen lassen. Sie zurechtweisen und ihr unwirsch zu verstehen geben, dass sie das überhaupt nichts anging. All das war für sie in Ordnung. Er musste GAR nichts… und durfte alles. “… wenn Familie für dich so wertvoll ist… wieso bist du dann hier?“ Erst Herzschläge später zog Skadi die Hände unter ihrem Kopf hinweg und rollte sich auf den Bauch. Musterte den Älteren mit funkelnden, braunen Augen.
Es war kein Geheimnis, dass er harmoniebedürftig war. Natürlich gehörten Dramen und Katastrohen zu jeder guten Geschichte dazu, aber seiner Meinung nach gab es in der Realität genügend Elend, dass man sich einen gewissen Hauch Magie in Geschichten erlauben konnte. Es war naiv, zu glauben, dass an jedem Ende ein Happy End wartete, aber solange man selbst etwas dafür tun konnte – warum nicht? Als jemand, der schon oft eigene Charaktere durch die Hölle geschickt hatte, fühlte sich ein Happy End am Schluss fast schon wie eine Versöhnung an. Liam lächelte und zeigte damit deutlich, dass er Skadis Frage nicht widersprechen konnte. Vielleicht war seine Einstellung diesbezüglich ein bisschen hoffnungslos romantisch, aber was sollte er tun? Als die Jüngere fortfuhr und ihre Stimme einen eigenartig bedeutungsschweren Ton annahm, verschwand das Lächeln von seinen Lippen. Abwartend sah er die Kurzhaarige an und fragte sich still, was sie so nachdenklich und vorsichtig gestimmt hatte. Er konnte sich kaum eine Frage oder Aussage vorstellen, was eine solche Reaktion gerechtfertigt hätte. Unruhe mischte sich dementsprechend in seine Magengegend, die sich schlagartig in Luft auflöste, als Skadi die richtigen Worte gefunden zu haben schien. Einen Herzschlag lang blinzelte er die Jüngere ein wenig überrascht an, ehe er nachdenklich den Blick hob, die Lippen verzog und einen Sekundenbruchteil später wieder ein schmales Lächeln auf seine Lippen huschte. „Ich konnte meinem Vater ja unmöglich ewig am Rockzipfel hängen.“, eröffnete er ihr mit einem Schmunzeln, als er den Kopf wieder zur Seite drehte, um sie anzusehen. Er wusste, dass das nicht das war, was sie hatte hören wollen, aber es wäre ihm schwergefallen, dieses ernste Thema ohne einen lockeren Einstieg zu beginnen. Darin war er einfach nicht gut.
„Weißt du… Familie hat für mich nichts damit zu tun, ob man sich jeden Tag sieht oder nicht. Familie bedeutet, sich nahe zu sein, selbst wenn der Ocean zwischen einem steht. Es bedeutet, dass es irgendwo jemanden gibt, der ab und zu an dich denkt und dich mit all deinen Fehlern akzeptiert, ohne auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln. Jemanden, der keine Sekunde zögern würde, dich aus der Scheiße zu ziehen oder dir alles Glück dieser Welt zu gönnen.“ Er schwieg einen Augenblick, hatte noch immer den Hauch eines zuversichtlichen Lächeln in den Wangen hängen, ehe er den Blick abermals in den dunklen Nachthimmel hob. „Und ich weiß, dass keine Zeit dieser Welt daran etwas ändern wird. Erst fühlt es sich an wie eine Ewigkeit, die man getrennt ist. Und wenn man sich dann wiedersieht, ist es, als hätte man sich gestern erst verabschiedet.“ Vermutlich hätte Shanaya jetzt gelacht. Vielleicht würde Skadi auch lachen, aber das kümmerte ihn nicht. Er wusste, was er hatte und woran es sich nicht lohnte, zu zweifeln. Was seinen Vater betraf, wusste er, dass er bereit war, für die, die er liebte, durch die Hölle zu gehen. Und wäre er damals älter gewesen, hätte er ihn mit all seiner Kraft dabei unterstützt. Aber hier ging es nicht nur um seinen Vater, sondern auch um die Bekanntschaften, die er unterwegs gemacht hatte. Es ging um die Menschen, bei denen man sich zuhause fühlte; die Menschen, bei denen man einfach sein konnte, wie man war, ohne den Mutigen oder Vernünftigen spielen zu müssen. Dort, wo man Kind sein konnte, sorglos und frei in diesem tobenden Sturm aus Realität. Aus den Augenwinkeln heraus schielte er in Skadis Richtung und machte kein Geheimnis daraus, dass er an ihrer Einschätzung interessiert war. Ganz egal, ob es nun Gelächter war oder gar Mitleid, weil er manchmal so ein naiver Träumer sein konnte. Aber er war glücklich dabei. Und das konnte ihm keiner nehmen.
Unweigerlich zog sich ein unangenehmes Ziepen durch Skadis Magen, während sie Liam aufmerksam lauschte und dabei kaum eine Miene verzog. Er sagte so vieles, ohne auch nur ein Wort über ebene jene Dinge zu verlieren, die die Nordskov bereits seit einer gefühlten Ewigkeit vermutete. Beginnend auf dem Festplatz mit reichlich Bier und Tanz und darin gipfelnd Wochen später dicht neben ihm auf den knarzenden Planken der Sphinx zu liegen. Die dunklen Augen zum matt beleuchteten Gesicht hinauf blickend, das ihr dann und wann ein unkontrollierbares Lächeln an die Lippen heftete. Instinktiv fragte sich Skadi, ob dem Lockenkopf das Wort „Mutter“ eher unterbewusst nicht über die Lippen gleiten wollte oder er sich ganz bewusst dazu entschied. Wann immer ihre Unterhaltungen auf ihre Vergangenheiten abdriftete, vermied es Liam sie zu erwähnen. Fokussierte sich stattdessen in seinen Erzählungen immer wieder auf seinen Vater. Entweder weil dieser ein wesentlich größerer Bestandteil seiner Kindheit gewesen war, er die einzige Familie darstellte, die ihm blieb oder seine Mutter sich relativ früh bereitwillig aus seinem Interesse verabschiedet hatte. Ganz gleich wie die Antwort darauf lautete: sie akzeptierte es. Vergessen war dieser Part seiner Vergangenheit allerdings genauso wenig wie seine allgemeine Ansicht zum Thema Familie. Beinahe fühlte sich Skadi, als hätte sie diese Unterhaltung schon einmal geführt. Läge nicht mehr just auf den dunklen Planken der Sphinx und starrte unentwegt zu den tanzenden Locken empor, die ihr ein mattes Lächeln entlockten. Es schien ihr, als hörte sie den Klang einer Stimme, die nicht Liams war. Die ihr eine kribbelnde Gänsehaut über den Körper jagte und ihr Herz schlagartig bis zum Kehlkopf hinauf schnellen ließ. Für einen Sekundenbruchteil starrte Skadi durch den Älteren hindurch, ohne zu bemerken, wie ungewohnt samtig sich die Wärme ihres Magens auf ihre Züge schlich. Mit einem tiefen Atemzug rollte sich der hoch gewachsene Körper der Jägerin auf den Rücken zurück und vergrub das Gesicht unter ihren Händen. Seufzte leise, weil ihr erst jetzt bewusst wurde, wie abwesend sie gewirkt haben musste. “Das ist wahr.“,murmelte sie so leise, dass es beinahe in dem Rascheln ihrer Hosenbeine unterging, die sich wie zuvor dicht in Richtung ihres Oberkörpers heran zogen. “Aber vermisst du ihn nicht unheimlich? Ich meine Familie schon… habe ich immer, wenn ich irgendwo mit meinem Vater unterwegs war. Ich konnte es kaum erwarten wieder zurück zu sein und meinen Schwestern und Brüdern von allem zu erzählen, was wir erlebt haben.“
Es gab keinen Grund, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie auf dieses Thema gekommen waren. Besonders nicht für Liam, der die eigenartigsten Fragen aus seinen Gedanken ziehen konnte, ohne seinem gegenüber auch nur einen Anhaltspunkt zu geben, woher das plötzliche Interesse rührte - weil er die Gedankensprünge selbst oftmals nicht bemerkte. Jedenfalls störte es ihn nicht, was Skadi erfragte. Ganz im Gegenteil - er hatte nichts zu verheimlichen. Und Skadis Frage brachte ihm die Möglichkeit, sich selbst wieder an das zu erinnern, was er hatte. Nichts also, was er ihr übelnehmen konnte. Als er zum Schluss kam, schwieg die Jüngere vorerst und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Der Lockenkopf schob es der vorangeschrittenen Nacht zu und wendete den Blick selbst wieder gen Himmel. Erst danach erhellte Skadis Stimme wieder leise die Nacht, erntete ein kurzes, zustimmendes Brummen, ehe sich die Züge des jungen Musikers abermals kurz der Überraschung gegenübergestellt sahen. Seit dem Vorfall um die Ocarina hatte Liam sich damit abgefunden, dass Skadis Vergangenheit ein Tabu war. Er hatte kein Problem damit, das zu akzeptieren.
Aber je mehr Zeit verging, die er nicht danach fragte, desto mehr erfuhr er. Noch wusste er nicht einzuschätzen, ob das gut oder schlecht für ihn war. „Immer.“, antwortete er schließlich, statt sich weiter darüber Gedanken zu machen. „Aber das gehört irgendwie dazu. Umso größer ist die Vorfreude auf das, was er in der Zwischenzeit erlebt hat. Von welchen Abenteuern hättest du deinen Geschwistern sonst erzählen sollen?“ Er machte eine kurze Pause, entschied sich aber, recht schnell weiterzusprechen, um das Tabu-Thema nicht am Ende stehen zu lassen, als wolle er mehr aus ihr herauskitzeln. Das war nämlich gewiss nicht sein Ziel. „Ich weiß nicht mal, wo er sich gerade herumtreibt. Nicht einmal, ob er noch in der Ersten Welt ist oder längst woanders. Wir Caseys sind und bleiben halt Herumtreiber.“ Er zuckte mit den Schultern, so gut es im Liegen eben ging.
Es wären gewiss keine Abenteuer gewesen, die sie ihren Geschwistern erzählt hätte, sondern von denen sie ihrem Vater oder ihrer Großmutter berichtete. Doch was dieses Thema anging, waren sie wohl beide vollkommen unterschiedlich aufgewachsen. Für Skadi gab es nichts schöneres, als bei ihrer Familie zu sein, während Liam es ausreichte sie in seinem Herzen zu wissen. Sich auf ein Wiedersehen und all die Geschichten zu freuen, die sich daraufhin in geselliger Runde erzählt wurden. Wäre es ihr vielleicht ähnlich ergangen hätte sie Zeit ihres Lebens nicht auf der Insel verbracht? Skadi grübelte kurz darüber nach, während Liam fortfuhr und dabei nur beiläufig zu ihr durchdrang. “Und wie hinterlasst ihr euch Lebenszeichen?“ Ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme wandte Skadi den Kopf zur Seite, um den Älteren zu mustern. Sie hatte so eine Vermutung. Doch vorrangig interessiert es sie viel mehr, ob Vater und Sohn solcherlei Dinge überhaupt taten. Schön und gut, dass man durch die Welt reiste und verrückte Dinge erlebte – doch wenn es niemanden gab, den man Wiedersehen konnte?
Am Anfang war ihm ein Familienleben vorgelebt worden. Hatte ihm beigebracht, wie viel es zu lernen gab und wie wichtig es war, für einander da zu sein. Erst danach hatte sein Vater ihn die Abenteuerlust schnuppern lassen und die kindlichen Ausflüge, die er zuvor mit seinen Freunden unternommen hatte, erblassten im Angesicht dessen, was danach gekommen war. Allein das Leben auf See war für einen Jungen in seinem Alter unheimlich spannend gewesen, ganz zu schweigen von all den Gesichtern, die er auf dieser Reise hatte kennenlernen können. Gaukler, Handelsmänner, die die verschiedensten Geschichten erzählt hatten. Und mit der Neugier war das Verlangen nach einem festen Hafen mehr und mehr in die Bedeutungslosigkeit gerückt. Er wusste, wie sich Zuhause anfühlte, aber im Gegensatz zu Skadi nicht mehr, wie es war, nach Hause zu kommen und im heimatlichen Hafen einzulaufen. Eigenartig, ging es ihm kurz durch den Kopf, ehe er die Lippen ein wenig ratlos verzog, ohne Skadi anzusehen. „Naja, das...“, begann er, wohl wissend, dass er keine richtige Antwort darauf hatte. Vermutlich machte das jetzt all das zunichte, was er vorher gesagt hatte, „Das ist so eine Sache, weil wir beide eher ziellos durch die Welt pendeln.“ Es fühlte sich ein bisschen an wie ein Geständnis, obwohl er bislang kein Problem damit gehabt hatte. Aber hätte Noah es anders gewollt, hätte er wohl einen Vorschlag gemacht, oder? „Manchmal stolpere ich über eines seiner Bücher. Das ist fast wie ein Treffen.“ Konnte man jedenfalls so sehen, selbst wenn man Liams Zügen ansah, dass er es nur Halbernst meinte. „Wir sind halt beide recht einfach gestrickt. Außerdem läuft man so weniger Gefahr, Geburtstage zu vergessen und solche Dinge.“ Mit einen Schmunzeln drehte er den Kopf wieder zu Skadi.
Sie wurde das Gefühl nicht los einen wunden Nerv getroffen zu haben, von dem der Lockenkopf selbst nicht einmal gewusst hatte, das er existierte. Beabsichtigt hatte sie es ganz sicher nicht, war ihre Intention doch eine vollkommen andere, eher schon egoistische gewesen. Schweigend musterte sie Liam von der Seite, versuchte sich jedes Zucken seiner Miene einzuprägen und wirkte irgendwie niedergekämpft, als er sich mit einem Schmunzeln herum wandte und ganz offensichtlich die Situation aufzulockern versuchte. “Ich dachte das Vergessen von Geburtstagen gehört allgemein zu einem unausgesprochenen Männerkodex.“, murmelte sie trocken und fuhr nachdenklich mit den Fingerspitzen über den rauen Untergrund der Planken. Ihr wollte einfach nicht in den Kopf gehen, wieso ihm diese lose Nähe zueinander ausreichte. Wieso es ihn nicht wurmte, dass er so gut wie nichts über den Aufenthaltsort seines Vaters wusste. Gab es da etwas, dass sie einander an jemanden oder etwas schmerzlich erinnerte? Flohen sie deshalb durch die halbe erste Welt, weil eine Rückkehr zu unangenehm wurde? “… und was ist… mit deiner Mutter?“ Unweigerlich vermied Skadi vorerst den Blick in die braunen Augen ihres Gegenüber. Schluckte kurz, weil es seltsamer Weise ein unangenehmes Gefühl in ihre Magengegend pumpte, das sich ebenso falsch wie fremd dort anfühlte. Wie lange war es her, dass ihr die Empfindungen eines anderen so dermaßen wichtig gewesen waren? Selbst bei Enrique hatte sie anfänglich nicht so sentimental reagiert – womöglich weil sie ihn Jahre lang als kontrollierten Offizier kennengelernt hatte. Sich allgemein an ihr Miteinander gewöhnen und ihre Beziehung neu definieren musste. Ahnte sie etwa, dass es bei Liam eine Wunde aufreißen könnte? Zumindest konnte er ihre Bedenken deutlich im Zucken ihrer Mimik ansehen. Ebenso in dem unsicheren Blick, den sie ihm nach einer gefühlten Ewigkeit zuwarf.
Voller Ehrlichkeit zuckten seine Mundwinkel auf ihren trockenen Kommentar belustigt nach oben, gefolgt von einem flüchtigen Blick in ihre Richtung. Das hätte es für ihn deutlich einfacher gemacht - er war nämlich nicht nur gut darin, Geburtstage zu vergessen, sondern auch andere Verabredungen jeglicher Art. In diesem Augenblick war es vielleicht ganz gut, dass er ihr nicht in den Kopf gucken konnte. Ihre Gedanken hätten ihn vermutlich zum Lachen gebracht, ohne auch nur im Entferntesten zu erahnen, wie viel Wahrheit in ihrer Vorahnung steckten konnte. Skadi fuhr fort und tastete sich weiter hinein in die Gewässer seiner Vergangenheit. Eigenartiger Weise hatte er mit dieser Frage gerechnet. Und es fühlte sich komisch an, dass sie die so vorsichtig aussprach, als könne etwas daran zerbrechen. „Sie starb, als ich acht war.“, antwortete er und hoffte, dass es nicht allzu verfänglich war, dass er nicht so schwermütig klang, wie sie jetzt vielleicht erwartet hätte. Dass sie allerdings selbst für ihren Tod verantwortlich war, war ein Detail, welches er wissentlich außen vor ließ. Als er den vorsichtigen Blick aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, musste er unweigerlich Lächeln, ehe er sich wieder aufrichtete. Sie war ganz bestimmt kein einfacher Bauerntrampel, wie sie selbst dachte. „Es ist zwar kein Tattoo wie bei dir, aber...“ fing er an und kramte den angeflickten Lederbeutel an seinen Hosenbund hervor. An den Bändern an der Öffnung baumelte ein weiteres, zerschlisseneres Lederband mit drei violetten Steinen daran. Liam zog es von seinem Geldbeutel ab und legte es auf die Fläche seiner rechten Hand. „Ich glaube, ich war fünf, als ich ihr das gebastelt habe.“ Auf seinen Zügen lag ein nachdenkliches, aber nicht gebrochenes Lächeln. Er dachte gern an sie und trotzdem brachte es Erinnerungen mit sich, die nicht ganz so leicht waren. Aber Liam war gut darin, sie zu vertagen.
Es faszinierte sie, wie offen er mit dem Thema umging. Wie augenscheinlich normal er auf diese Frage antwortete, wenngleich es in ihm Gefühle und Erinnerungen ans Tageslicht förderte, die er nur allzu gern wieder vergrub. Hatte es so ausgesehen, als sie damals Enrique gegenüber gestanden und fast schon gleichgültig vom Tod ihrer gesamten Verwandtschaft gesprochen hatte? Nicht, dass es sie störte – am Tod konnte sie genauso wenig verändern, wie an der Vergangenheit. Doch es war ein kurzer Gedanke, der ihr kam und gleichsam wieder verschwand. Dem warmen Lächeln auf ihren Lippen Platz machte, das sämtliche Zweifel hinfort spülte. Einem Spiegel gleich folgte sie Liams Bewegungen. Setzte sich ebenfalls auf und spürte wie der kurze, dunkle Haarschopf fast automatisch zur Seite kippte. Ihn dabei aufmerksam beobachtete, wie er mit langen Fingern an der Öffnung seines Lederbeutels herum nestelte und wenig später ein Lederarmband in seine ausgestreckte Handfläche gleiten ließ. War dieses Schmuckstück ihr jemals an ihm aufgefallen? Mitnichten. Daran würde sie sich gewiss erinnern. “Es ist wunderschön…du musst sie sicherlich über alles geliebt haben…“, kam es leise, beinahe flüsternd über die vollen Lippen. “…wenn du es über all die Jahre bei dir behalten hast.“ Beinahe hätte sie mit ausgestreckten Fingern über die schimmernden Steine gestrichen. Ließ den Blick aus warmen braunen Augen jedoch wieder in seine zurück gleiten, ehe sie ihrerseits nach dem Lederbeutel an ihrem Holster griff und die kleine Okarina aus ihrem tiefen Schlaf erlöste. Irgendwie fühlte Skadi das tiefe Bedürfnis ihm für seine Ehrlichkeit etwas zurück zu geben. Ihrem Versprechen nach zu kommen, dass der Preis für ein Geheimnis stets ein Geheimnis sein würde. Behutsam griff sie nach Liams Handgelenk, erhob die freie Handfläche zum Himmel hinauf und bettete das kleine Instrument vorsichtig auf der warmen Haut, die unter ihren Fingerspitzen vibrierte. “Sie gehörte mal meiner Schwester.“, fügte Skadi leise an und verschränkte ihre Beine zu einem bequemen Schneidersitz. “… sie war immer so vernarrt in Musik und hat mir so viele Nächte in den Ohren gelegen, dass sie nie mit unserem Vater auf die großen Inseln durfte. Irgendwann habe ich sie ihr auf einem Markt auf Trithên gekauft.“ Erinnerungen sprudelten vor ihrem inneren Auge auf und ab und hinterließen ein warmes, wenn auch trauriges Lächeln auf ihren Zügen. “Du hättest sie sehr gemocht.“ Das Funkeln, das sich kurz in den braunen Augen abzeichnete, strahlte deutlich zu Liam hinüber, als Skadi den dunklen Haarschopf erhob und ihm mit offener Miene entgegen blickte.
Warum er das alte Lederband herausgekramt hatte? Weil er sich mittlerweile ziemlich sicher war, dass sie eine von wenigen an Bord der Sphinx war, die den Wert dahinter verstand. Ein Mahnmal, wie er es Shanaya gegenüber genannt hatte. Ein Mahnmal, sie nicht zu vergessen und dem, was sie ihm hinterlassen hatte, erhobenen Hauptes gegenüber zu treten. Liams Blick hatte anfangs auf Skadis Zügen gelegen, hatte ihre Reaktion abgewartet, als er ihr das Band hinhielt wie ein kleines Geheimnis. Erst danach hatten sich seine eigenen Augen auf das Stück Vergangenheit in seiner Hand gelegt. Liams Mundwinkel zuckten bei ihrem indirekten Kompliment, doch das war es nicht, was ihn dazu bewog, es bei sich zu behalten. Es hätte das hässlichste Ding sein können, was er je in seinem Leben gesehen hatte, ohne an Wert zu verlieren. Aber dafür, dass sein fünfjähriges Ich das fabriziert hatte, konnte man es durchaus herumzeigen. „Sie ist und bleibt ein Teil von mir.“, gab er leise zurück und besah sich die Erinnerung zwischen seinen Fingern. Und eines Tages würde ihm das zum Verhängnis werden.
Als Skadi nun ihrerseits in ihrer Tasche kramte, brauchte Liam noch einen Augenblick, ehe er die Finger um das Armband schloss und es schließlich wieder in seinen Geldbeutel gleiten ließ. Er rechnete mit nichts und umso erstaunter war er, als er plötzlich den Griff ihrer zarten Finger um sein Handgelenk spürte und sie eine Sekunde später die Okarina in seine Handfläche gleiten ließ. Fast schon scheu musterte er erst das Gesicht der Nordskov mit einer Falte auf der Stirn, ehe er ihrem Blick auf das liebevoll gefertigte Instrument folgte, welches sie ihm das letzte Mal so bestimmt aus der Hand gerissen hatte. Der Lockenkopf schluckte unschlüssig, während sich seine Finger so vorsichtig auf das Holz legten, als könne Skadis Erinnerung unter der leisesten Berührung zerbersten. Fühlte sie sich verpflichtet dazu? Bis zu diesem Moment hatte er ihre kindliche Abmachung gar nicht mehr auf dem Schirm gehabt – nicht für den Moment jedenfalls. Er hatte es bislang eigentlich als eine Art Spiel gesehen und nicht als Verpflichtung, dem anderen sein Innerstes offen darzulegen, ohne es zu wollen. Aber die Kurzhaarige war niemand, die sich zu Dingen verpflichtet fühlte, die sie nicht tun wollte. So jedenfalls schätzte er sie nicht ein. Ehrenhaft, ja, aber sie hatten keinen Pakt, keine Schuld zu begleichen. Nur ein kleines Spiel, das nichts und doch so viel bedeutete.
Seine Augen weiteten sich vor Erkenntnis, als sie fortfuhr und ihm eröffnete, dass es nicht bloß irgendein Instrument gewesen war. Sie hatte es schon mal in der Hand gehabt, vor Ewigkeiten, weit bevor er sie zu Egbert in den Laden geschleppt hatte. Mit einem Mal verstand er ihre Reaktion am Lagerfeuer kompromisslos und schämte sich fast schon für seine gedankenlose Aktion. Das Lächeln auf seinen Lippen war für den Moment verschwunden und erst, als Skadi mutmaßte, dass ihre Schwester und er sich gut verstanden hätten, kehrte es ein wenig verloren auf seine Züge zurück. Vermutlich hatte sie Recht, aber herausfinden würden sie es wohl nie. „Dann war es kein Zufall, dass sie niemand abgeholt hat.“, vermutete er leise und hob den Blick zu ihren Augen hinauf. Er klang nicht danach, dass er eine Antwort verlangte. Vermutlich würde ihm die Regung in ihren Zügen ausreichen, um sich bewusst zu sein, wie Recht er damit hatte. „Und du… Du bist alles andere als freiwillig hier.“ Damit meinte er gewiss nicht die Sphinx, fand es aber unnötig, das zu erwähnen. Auch jetzt war es nicht seine Absicht, tiefer zu bohren. Er hatte ihre Vergangenheit als Büchse der Pandora wahrgenommen und nun ohne Segel in dieser Ungewissheit herumzurudern war ihm mehr als unangenehm. Es reichte ihm, mehr wollte er gar nicht wissen, wenn sie es bloß als Gegenleistung für sein Geheimnis verstand. „Du musst mir nicht mehr erzählen.“, bot er ihr offen an und fand zu seinem Lächeln zurück, streckte die Hand aus, um die Okarina wieder zurück an ihren neuen Besitzer zu geben und umschloss, kaum dass das Holz wieder ihre Haut berührte, ihre Hand auch mit seiner anderen.
„Aber ich bin froh, dass die Okarina ihren Weg trotzdem zurück nach Hause gefunden hat.“, flüsterte er und verharrte einen Augenblick in ihrer Berührung, während sein Blick noch immer auf dem dunklen Braun ihrer Augen lag. „Und ich bin froh, dass wir vorher diese Diebeshöhle gefunden haben. Ich hätte Egbert wirklich nur ungern bestohlen nach all dem, was ich ihm schuldig bin.“ Es gab nicht vieles, was Diebstahl für ihn rechtfertigte. Überleben gehörte dazu. Und manchmal gehörten Erinnerungen einfach zum Überleben dazu.
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RE: Bring me to the garden where we'd go - von Liam Casey - 16.06.2019, 21:03

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