16.06.2019, 21:03
Bring me to the garden where we'd go
And cleanse my soul. Free me of this anger that I hold
And make me whole, make me whole
Darling won't you let it go
You don't have to let it hold you. Listen to the light
Don't let the darkness take you
20. April 1822 |Liam & Skadi | später Abend bis nachts auf der Sphinx
And cleanse my soul. Free me of this anger that I hold
And make me whole, make me whole
Darling won't you let it go
You don't have to let it hold you. Listen to the light
Don't let the darkness take you
20. April 1822 |Liam & Skadi | später Abend bis nachts auf der Sphinx
Die Sonne war vor etlichen Stunden untergegangen und hinterließ noch immer einen seltsamen Schimmer im Nachthimmel. Skadi wusste nicht, ob sie es sich nur angesichts der Öllampe einbildete, die sie mit an Deck gebracht hatte, oder ob sich tatsächlich ein sanfter Rotstich unter das stetig dunkler werdende Blau mischte. Mit einem letzten Blick hinauf zum wolkenlosen Himmel und einem ledernen Buch vor die Brust geklemmt, war sie in die frische Abendluft hinaus getreten und hatte sich schweigend neben den Lockenkopf gesetzt, der wie so oft in eines seiner Bücher vertieft war. Nur kurz hatte sie ihm zugelächelt, ehe sie die dunklen Augenpaare auf den Stapel Papier in seinem Schoß gleiten ließ und dicht bei ihm Platz nahm. Nicht um ihn unauffällig zu berühren, sondern das Licht mit ihm zu teilen, das sie klappernd zwischen ihnen aufstellte.
Es musste eine Ewigkeit vergangen sein, als sich die Nordskov den zwickenden Nacken rieb und mit der freien Hand einen Finger auf die zuletzt gelesene Zeile legte. Wandte dehnend den Kopf in alle Richtungen, um unweigerlich an dem Anblick des Älteren hängen zu bleiben.
“Was zeichnest du heute eigentlich?“ Ihre Stimme durchbrach die angenehme Stille fast schon wie ein Kanonenschuss, obwohl sie beinahe flüsterte.
Er hatte sich mittags bereits eine Pause gegönnt und mit einer kleinen Skizze begonnen, um die Stimmung der Sphinx ein wenig einzufangen. Eine Skizze, die er irgendwann später dazu nutzen konnte, die Situation auszureifen und genauer darzustellen, denn jetzt, wo sie ein beachtlicher Haufen mehr Menschen an Bord waren, war es nicht mehr ganz so einfach, sich unbeobachtet ein wenig zurückzuziehen für derartige Dinge. Als das leise Knarzen der Planken Gesellschaft verkündeten, sah er kurz auf und erkannte im fahlen Licht seiner halb abgebrannten Kerze die feinen Züge der Nordskov, die mit einem Buch im Arm zu ihm in die Abendluft trat. Ihr galt gleichermaßen ein begrüßendes Lächeln, doch er schwieg und widmete sich wieder der Zeichnung auf seinem Papier, die er jetzt im Licht von Skadis Ölkerze viel besser erkennen konnte. Die Jüngere schien die Ruhe zum Lesen nutzen zu wollen. Dem Lockenkopf lag es fern, sie dabei zu stören, doch trotz der Stille, die sie umgab, war es ein angenehmes Gefühl, in Gesellschaft zu sein – obwohl sie sich jeweils um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten. Als ihre Stimme flüsternd die Stille durchschnitt, hob er die Spitze des Stiftes vom Pergament und besah sich die Szenerie für einen kurzen Augenblick, ehe er zu Skadi spähte. „Sineca hat sich heute Mittag mit Shanaya ums Steuer gestritten.“, überspitzte er das Gesehen, denn eigentlich hatte die Ginsterkatze lediglich versucht, auf das Steuerrad zu klettern, während die Schwarzhaarige navigiert hatte. Und jeder Versuch, sie zu verscheuchen, hatte den Willen des Tieres nur noch mehr gestärkt, sich an der Radspinne nach oben zu hangeln. Dementsprechend ermöglichte er Skadi den Blick auf die Zeichnung, die Shanaya von hinten zeigte, wie sie versuchte, der Belagerung Sinecas standzuhalten. „Wäre eigentlich spannend gewesen, wohin sie uns geführt hätte.“, überlegte er laut, grinste dabei aber in kindlicher Vorstellung. „Ist das das Buch aus Milui?“
Für einen kurzen Moment lehnte sich der hoch gewachsene Körper der Nordskov zur Seite, um das Kunstwerkt näher in Augenschein nehmen zu können. Schmunzelte bereits bei Liams Worten, ehe sie auflachte und angesichts der lebhaften Zeichnung des Älteren die Szenerie in ihrem Kopf ausmalte. “Zwei Dickköpfe unter sich.“ Auf seine Frage nickte die Dunkelhaarige nur knapp und hob die braunen Augen auf seine feinen Züge. Musterte das vom Schein der Öllampe beschienene Gesicht, während sie sich langsam wieder zurückgleiten ließ. “Ja… bisher hatte ich irgendwie kaum Zeit gefunden, um mich großartig einzulesen.“ Ganz zu schweigen davon, dass es Ewigkeiten brauchte, ehe sie eine Seite überflogen hatte. Sie hatte erst kurz vor ihrer Zeit bei der Marine intensiv Lesen gelernt. Und selbst das nur, um ihren Plan zu verfolgen und sich unter die Soldaten der Morgenwind einzuschleusen.
Der Kopf des jungen Künstlers neigte sich in Zustimmung zur Seite. Dickköpfe konnte man sie tatsächlich nennen, wobei Sineca vermutlich gefrusteter aus der Begegnung herausgegangen war als Shanaya, die das Bestreben der Ginsterkatze vermutlich eher als willkommene Abwechslung genommen hatte. Immerhin wusste sie, dass sich der wandernde Pelz meist mit Essen in die gewünschte Richtung lenken lies. Hinter der Zeichnung lag ohnehin nicht mehr Sinn als einfache Beschäftigung. Er brauchte das, um sich geistig neben all der körperlichen Arbeit auszulasten. „Jep. Das Treiben hier gleicht manchmal einem Marktplatz.“, stimmte er ihr zu und seine Züge zeigten deutlich, dass er wusste, wovon sie sprach. „Das war etwas einfacher, als wir nur zu fünft waren. Aber dafür waren die Tage stressiger.“ So hatte eben alles seine Vor- und Nachteile. „Sind das verschiedene Geschichten, die zusammengetragen wurden?“ Liam lehnte sich leicht zur Seite, um das Buch in ihren Händen genauer zu mustern. Wenn er sich recht erinnerte, ging es um Sagen und Mythen.
An einen Marktplatz hatte die Nordskov bisher noch nie gedacht. Viel eher an einen surrenden Haufen fleißiger Bienen, die emsig von A nach B schwirrten und eigentlich keine Zeit für Langeweile hatten. “Jetzt wo du es sagst… an einigen ist ein guter Marktschreier verloren gegangen.“ Und beim Rest war es ein bunter Haufen aus herumtollenden Kindern, sich zankenden Händlern und Kunden, sowie dem ein oder anderen Langfinger. “Ich glaube schon… zumindest sind die ersten zwei Kapitel nicht wirklich zusammenhängend.“Vorsichtig schob Skadi die Fingerspitzen über das vergilbte Papier bis zum ledernen Rand, um ihn mit einer Drehung der Hände hinauf zu klappen und das Buch halb geschlossen und halb geöffnet an Liam weiterzureichen. Er sollte sich selbst ein Bild davon machen können – höchst wahrscheinlich überblätterte er den groben Inhalt wesentlich schneller als er. Die Nordskov vermutete es nicht nur, sie war sich zu 100% sicher, dass dem so war. Im Gegensatz zu ihr war er gebildet. Kannte sich in den feinen Künsten aus und ließ sie manchmal dastehen wie einen kleinen Bauerntrampel. “Als ich neulich eine der hinteren Seiten aufgeschlagen habe, hat mich die Erzählung ein wenig an dich erinnert…“ Und das höchst wahrscheinlich, weil es um einen Musiker gegangen war, der Tiere (waren es Ratten? Sie wusste es nicht mehr.) mit seiner Flöte wie magisch anzog.
Manchmal vermisste er die Ruhe. Die Möglichkeit, sich eine Auszeit zu nehmen, wann immer er sie brauchte. Er reiste nicht umsonst selbstverantwortlich durch die Welt statt irgendwo gebannt einer Arbeit nachzugehen. Bislang waren die Zeiten, die er sich an See mit Arbeit seine Mitfahrgelegenheit finanziert hatte, immer überschaubar gewesen. In der jetzigen Phase seines Lebens allerdings war die Arbeit mehr oder minder zu seinem Alltag und die Freizeit zur Besonderheit geworden. Verrückt, wie sich Dinge manchmal verschoben. Verrückt war auch der Gedanke an die Crew der Sphinx, die sich auf einem Markt zu behaupten versuchten. Ein zustimmendes Schmunzeln galt Skadi, unwissend, ob sich ihre Vorstellungen glichen oder nicht. Als sie ihm das Buch rüberschob, runzelte Liam kurz die Stirn. War das Buch tatsächlich so unstrukturiert, dass man die Kapitel nicht voneinander unterscheiden konnte? Einen seiner Finger vergrub er zwischen den aufgeschlagenen Seiten, um das Kapitel zu markieren, während er mit der anderen Hand kurz durchblätterte. „So?“, fragte er überrascht, und widmete sich ganz automatisch den hinteren Kapiteln. „Zeig‘s mir.“ Er war wirklich gespannt darauf, was sie meinte.
“Moment…” Wie von selbst hob sich der schmale Körper voraus, schob bereits sanft Liams Finger zur Seite, um selbst das Pergament nach der großen Zeichnung abzusuchen, an die sie sich erinnern konnte. Sekunden später, während sie endlich auf ihren Versen saß und nun seitlich neben dem Lockenkopf hockte, strich sie sich grübelnd die dunkle Mähne hinters Ohr. Erkannte dann mit einem gedehnten “Ha… na endlich.“, die feinen Linien des Kupferstichs, der einen tanzenden Mann mit lockiger Mähne und einer Flöte in der Hand abbildete. Ob es ihn vielleicht beleidigen würde, wo er doch weitaus exquisitere Instrumente beherrschte als sowas? Skadi machte sich keinen Kopf darüber, als sie wieder zu ihm aufblickte.
Er schob das Buch wieder ein Stück in ihre Richtung zurück, damit sie sich nicht gänzlich über seinen Schoß lehnen musste. Während Skadi die hinteren Seiten durchblätterte, kramte er seine Malsachen unter dem Lederband hervor und legte sie neben die kleine Wachssäule, die von seiner Kerze übrig geblieben war. Einen Augenblick später hatte die Kurzhaarige neben ihm auch schon gefunden, wonach sie gesucht hatte. Liams Blick wanderte über den Flötenspieler, der einen Rattenschwanz hinter sich herzog. „Ah, der Rattenfänger.“, erhellte sich sein Gesicht beim Anblick des Bildes in Verbindung mit der Kapitelüberschrift. „Hat sie dir gefallen? Ich weiß gar nicht mehr genau, worum es genau ging. Ich glaube, ich war Fünf, als ich die Geschichte das letzte Mal gehört habe.“ 20 Jahre her also. Uff. „Kanntest du sie noch nicht?“
Skadi schüttelte kurz den Kopf. Verzog dann die vollen Lippen, während sie über den Inhalt der Geschichte nachdachte und etwas unbeholfen lächelte. “Nun… er befreite die Stadt von einer Ratten- und Mäuseplage, indem er sie mit seiner Flöte aus der Stadt lockte und sie im nahe gelegenen Fluss ins Wasser stürzen ließ.“ So viel also zu der vermeintlichen Ähnlichkeit, die wohl tatsächlich mehr mit dem Instrument gemein hatte als der Geschichte an sich. “Allerdings verweigerten ihm die Bewohner seinen versprochenen Lohn… sodass er wenig später zurück kehrte und nun mit seiner wunderschönen Musik keine Ratten oder Mäuse aus der Stadt lockte…“, fuhr die Nordskov fort und sah grübelnd zur Seite, presste dann die Lippen aufeinander und kratzte sich am Hinterkopf, “… sondern Kinder.“
Sein Blick wanderte kurz über die hübschen Züge der Jüngeren, ehe sich sein Blick wieder auf das Bild vor ihnen legte. Dort führte besagter Rattenfänger gerade die Ratten aus der Stadt heraus in Richtung Wasser, wie Skadi erzählte. Und er erinnerte sich allmählich daran, wie die Geschichte weiterging. „... und sie wurden nie mehr gesehen, wenn ich mich recht erinnere.“, überlegte er und half damit Skadis Gedächtnis auf die Sprünge. „Tja. Und was lernen wir daraus? Haltet den verrückten Musiker besser bei Laune, bevor er... weiß Gott was hinter sich her zieht. Sowas funktioniert bestimmt nicht nur mit Ratten und Kindern.“ Bedeutungsschwer ließ er eine kurze Pause entstehen, während er mit zusammengezogenen Brauen zu Skadi hinüberspähte, sich das Schmunzeln aber nicht lange verkneifen konnte. „In manchen Teilen der ersten Welt wird die Geschichte mit Katzen statt Kindern erzählt. Er führte die Katzen aus der Stadt, wodurch die Ratten wieder die Oberhand gewinnen konnten. ... Jetzt weißt du, wie ich an Sineca kam.“
Hatte es nicht sogar 2 Kinder gegeben, die dem Fänger „entkommen“ waren? Sie konnte sich nicht mehr so Recht daran erinnern, ignorierte das leise Kribbeln in ihrem Kopf und konzentrierte sich lieber auf die Worte des Älteren, die ein fast schon trotziges Schmunzeln auf ihre Züge legte. Beinahe hätte sie vergessen, was für ein Spaßvogel er doch war. Wie in einem Automatismus tätschelte sie ihm für diese Anspielung mit der flachen Hand auf den Oberschenkel und zwinkerte ihm zu. “Ich vergesse immer wieder, was du doch für ein charmanter Straßenköter bist.“ Unter einem Auflachen verschwand die sich aufhellende Miene hinter dunklen Wellen. Kam erst wieder zum Vorschein, als sich die Nordskov zurück auf die Seite gleiten ließ und die Beine von sich streckte. “Ich hätte dich ja jetzt eher für einen Tierliebhaber denn Racheengel gehalten…“
Sein Blick erhellte sich bei ihrer Anspielung auf etwas, was er an ihrem ersten, gemeinsamen Abend gesagt hatte. Er lächelte ob des indirekten direkten Kompliments und fixierte kurz eine der Locken, die in seinem Augenwinkel tanzte. „Man muss doch gucken, wo man bleibt.“, bemerkte er mit einem Schulterzucken. Wobei Racheengel wohl wirklich nicht der richtige Ausdruck war. „Und so eine Armee aus Katzen ist bestimmt auch nicht so übel.“ Wenn eine schon hilfreich war, war eine ganze Armee mit Sicherheit nicht zu verachten. „Außerdem, Fräulein“, begann er schließlich mit belehrendem Ton, aber nicht sonderlich ernst „sind Locken mit Sicherheit nicht das, was einen Engel ausmacht.“ Oh, wie oft hatte er sich das als Kind anhören dürfen. Locken wie ein Engel. Er wäre reich, hätte er jedes Mal einen Achter bekommen.
Eine Armee von Katzen. Allein bei dieser Vorstellung zog sich eine schüttelnde Gänsehaut über ihre Arme und Beine. Hinterließ ein erneutes Kribbeln in Magen und Nacken und ließ die Nordskov kurz scharf die Luft einatmen. “Sie schlägt auf jeden Fall so einige Angreifer in die Flucht.“ Inklusive ihrer selbst. Sein plötzlich belehrender Tonfall ließ sie jedoch aufhorchen und die dunklen Augenpaare irritiert in seine Richtung gleiten. Engelslocken… wenn sie ehrlich war, hatte sie sich nie sonderlich viele Gedanken um Engel gemacht. Sie nahmen keinen großen Teil in ihrem Glauben ein und waren auch sonst nichts, was sie mit ausschließlich positiven Begriffen assoziierte. “Aber sie sind sehr hübsch.“, entgegnete sie stattdessen mit einem zufriedenen Lächeln auf den vollen Lippen und lehnte sich, beide Hände auf den Boden hinter sich stützend, ein wenig zurück. Senkte den dunklen Haarschopf in den Nacken und musterte Liam kurz aus den Augenwinkeln. “In meiner Familie hatte fast jeder welche.“ Es war das erste Mal, dass sie sich so offen zu diesem Thema äußerte und es nicht einmal bemerkte.
Die verquere Beziehung Skadis zu Katzen hatte Liam mal wieder gänzlich ausgeblendet. Es war so unverständlich für ihn, dass es ihm leicht fiel, es wieder und wieder zu vergessen und trotzdem sah er, dass es die Jüngere einiges an Mühe kostete, mit der Ginsterkatze umzugehen, die sie ebenso aus skeptischen Augen beäugte. Aber Ängste waren bekanntlich irrational. Vielleicht würde er ja irgendwann erfahren, woher sie rührte. Dann, wenn der Moment dafür passen würde. Während Liam kurz dem Gedanken seiner Kindheit nachhing, schaffte es Skadi, den Bogen zurück in die Realität zu spannen. Es war nicht bloß ein abergläubischer Seemann gewesen, der seinem Vater die Überfahrt versprochen hatte, weil sein Sohn mit Sicherheit viel Glück bedeuten würde. Er selbst hatte dem ganzen nie viel abgewinnen können. Vielleicht ja gerade weil es ihn als Kind eher gestört hatte. Sein Lächeln war in diesem Moment fast schon verlegen, als er den Blick aus Skadis Augenwinkeln auffing und sich aus dem Übersprung heraus kurz mit der freien Hand durch die Haare fuhr. Das Gute an Locken war: egal, wie sie fielen, es sah immer so aus, als wäre es genau so gewollt. Das Kompliment nahm er also recht zufrieden hin, selbst wenn er nicht viel dafür konnte.
Viel interessanter war allerdings, was Skadi danach preisgab. Liam war nicht aufmerksam genug, um sich darüber zu wundern, dass sie tatsächlich über ihre Vergangenheit sprach, auch wenn es bloß ein oberflächliches Detail mit wenig Bedeutung war. Viel eher wunderte er sich, weshalb das Wort „hatte“ wieder und wieder in seinen Gedanken pochte. Obwohl es nicht mehr als eine Vermutung war, kam er zu dem Schluss, dass sich die Locken ihrer Familie nicht einfach mit der Zeit verwachsen hatten. Das Präteritum hatte eine schwerwiegendere Bedeutung. Doch auf seinen Zügen zeugte nichts von seiner unbewussten Feststellung. Viel eher blickte er erst überrascht, ehe er Skadi neugierig und interessiert zugleich im Licht der Öllampe musterte. „Echt? Dann kann ich ja gespannt sein, was da zum Vorschein kommt, wenn deine Haarpracht wieder länger ist.“ Locken taten bekanntlich was sie wollten, ganz egal, ob als bloße Naturwelle oder stärker und sperriger ausgeprägt. Wenn seine Haare kurz genug waren, ließ immerhin auch nichts vermuten, wie wild sie mit jedem weiteren Zentimeter wurden. Die Jüngere hatte sich mittlerweile etwas zurückgelehnt und Liam schlug etwas abwesend wieder die Seite des Buches auf, auf der sie geendet hatte, um sich die Seitenzahl zu merken, ehe er etwas ziellos hindurch blätterte. Nach kurzer Zeit allerdings klappte er den Lederband zu und sah zu Skadi hinüber. „Was ist deine Lieblingsgeschichte? Also ungeachtet, ob Kindheit oder jetzt.“
Es fühlte sich seltsam an, so intensiv von ihm gemustert zu werden. Doch Skadi ignorierte diesen Gedanken wie bereits viele vor ihm. Begnügte sich stattdessen mit einem Schmunzeln, das recht schief auf ihren Zügen hin und schloss für einen Moment die Augen, während sie die braun gebrannten Züge in Richtung des Nachthimmels streckte. “Mal sehen ob meine Haare sich nach so vielen Jahren noch daran erinnern können.“, sie glaubte zwar nicht, dass es einen allzu großen Unterschied machte, doch hatte sie oft genug das Streitgespräch zwischen ihrer Mutter und Schwester mit angehört. Immer wenn es um das Thema gegangen war – Sólveig war es leid diese traditionellen Flechtfrisuren zu tragen, an denen die Jungs aus dem Dorf herum zerrten, wenn sie sie in die Finger bekamen – hatte sich ihre Mutter dagegen gesträubt und gemeint, dass sie nie mehr so lang werden würden, wie sie waren. Somit erwartete Skadi nicht, dass nach knapp 4 Jahren ihre Mähne noch dieselbe sein würde. Nichts desto trotz wanderten die braunen Augenpaare in die Winkel. Fixierten Liam mit einem knappen Funkeln. “Hoffentlich wirst du dann deine Augen noch von mir abwenden können.“, gab sie gespielt ernst und konnte sich letztlich das verräterische Grinsen nicht mehr verkneifen. Ganz offensichtlich meinte sie davon nichts, wie sie es sagte. Es hätte sie sogar tatsächlich verwundert, wenn dem so war. Schön und gut… sie hatten einen halben Tag lang sehr intime Augenblicke miteinander geteilt, doch bedeutete das etwas? Mitnichten.
Während Liam sich wieder dem Buch widmete, starrte Skadi eine in die Dunkelheit über ihren Köpfen. Ließ sich in der Stille umher treiben, die allmählich auch in ihrem Kopf Einzug hielt. Sie wollte an nichts denken. An niemanden. Ihr Kopf brannte bereits nach all den Tagen. Sie brauchte eine Pause.
Liams Worte mischten sich erst dumpf in die fehlende Geräuschkulisse. Wurden lauter, je mehr Skadi aus dem beginnenden Halbschlaf erwachte, der sie ohne es zu bemerken heimgesucht hätte.
Blinzelnd versuchte sie den Schlaf zu vertreiben, verkniff sich sogar ein Gähnen, während der dunkle Haarschopf zur Seite kippte und mit dem Kinn auf ihrer Schulter zum Erliegen kam. Ihre Lieblingsgeschichte? Kurz verzogen sich die vollen Lippen. Halfen ihrem etwas müden Verstand dabei in den Erinnerungen zu wühlen, die irgendwie in ihrem Unterbewusstsein verstaubten. Eigentlich gab es nicht nur eine Geschichte. Sie hatte es seit jeher geliebt, wenn die Alten Frauen und Männer von ihren glorreichen Tagen oder den Erzählungen der ersten Welt berichtet hatten.
“Nur eine ja?“ Diese Frage galt eher ihr selbst als Liam, dessen sanfte Züge sie bereits aus den Augen verlor und den Kopf in Richtung Öllampe senkte. “Spontan fällt mir nur die ein, die uns meine Großmutter immer erzählte.“ Eine Weile überlegte sie schweigend, verengte die dunklen Iriden während sie sich langsam und kurz die Zehen kreisen ließ. “Sie handelt von einer junge Adelstochter, die mit ihren 3 Brüdern und ihren Eltern hoch oben in den Hochlanden lebte. Schon als kleines Mädchen war sie weniger Adelstochter, denn Stallbursche. Konnte nichts mit den Unterrichtsstunden ihrer Mutter anfangen, die ihr Etikette und die feinen Künste beibringen wollte. Schlich sich lieber zum Ausreiten in die Wälder und lernte von ihrem Vater den Umgang mit Pfeil und Bogen. Sie war wild und liebte die Freiheit. Besaß zuweilen das lose Mundwerk eines Bauerntrampels und brachte damit mehr als nur einmal den Zorn ihrer Mutter auf sich. An ihrem 16ten Geburtstag sollte sie dann mit einem Adligen vermählt werden – zum Fortbestand ihrer Familie und zur Wahrung des Friedens zwischen den Adelsfamilien. Doch du kannst dir vorstellen, was sie davon gehalten hat.“ Mit einem Schmunzeln auf den Zügen und einem knappen Blick auf Liam fuhr sie fort. “Allerdings sollte sie nicht einfach an den nächstbesten verheiratet werden. Stattdessen richtete ihre Mutter einen Wettkampf aus, um dem talentiertesten und schlausten der Adelssöhne heraus zu finden. Was sie nicht bedacht hatte – ihre Tochter schlich sich selbst als Adelssohn verkleidet unter die Kämpfer. Und gewann. Der Streit der daraufhin zwischen den beiden entflammte war der erste Stein, der alles ins Wanken brachte. Wut entbrannt verschwand die junge Frau in den Wäldern und ließ eine aufgebrachte Meute an Adelsfamilien zurück. Was sie allerdings stattdessen fand, hatte nichts Gutes im Sinn. Zwischen hohen bemoosten Steinen und dichtem Blattwerk entdeckte sie ein kleines Haus, das tief in einen Felsen eingemeißelt war. Darin lebte eine alte Hexe, die ihr einen Zauber verkaufte, der ihr die Freiheit zurück geben sollte, nach der sie sich sehnte und der ihre Mutter und ihre Denkweise für immer verändern sollte.“
Das Lächeln auf seinen Zügen wurde breiter, blieb ehrlich, verriet aber nichts darüber, was ihm durch den Kopf ging. Vielleicht, weil ihm gerade wirklich nichts durch den Kopf ging außer die bloße Aussage Skadis, die er so nahm, wie sie kam. Ohne Hintergedanken, sondern als reine Anspielung darauf, wie lange er sie angesehen hatte, um ihr in Gedanken eine ähnliche Lockenpracht wie Talin zu malen. Hätte die Jüngere es abermals als Neckerei genommen und wäre darauf eingestiegen – Liam wäre der Überraschte von ihnen beiden gewesen. Denn im Augenblick konnte man ihm wirklich nichts unterstellen. Sie saßen hier als die flüchtigen Freunde, die sie waren. Nicht mehr und nicht weniger. Liam war alles andere als aufdringlich. Er war mehr der, dessen Anwesenheit im Hintergrund unterging, weil er sich wiedermal mit sich selbst beschäftigte und seinen Gedanken nachhing. Dass er Skadi eine wörtliche Antwort schuldig blieb, lag nicht daran, dass er sich etwa von ihrer Sorge ertappt fühlte, dass er in Zukunft wie verzaubert von ihrem Anblick festgesetzt werden würde. Skadi war hübsch – auch jetzt schon, dazu brauchte sie keine Lockenpracht. Das war nichts, was er leugnen musste. Aber auch nichts, wobei man als Mann den Verstand verlieren musste. Seiner Meinung nach.
Stattdessen also hatte er sich wieder dem Buch gewidmet und der Stille wieder eine Chance gegeben, sich ruhig zu ihnen zu gesellen und lediglich dem Rauschen des Meeres und dem Knarzen der Sphinx ab und zu kleinbeizugeben. Es fühlte sich nicht falsch an, in ihrem Beisein zu schweigen und auch das war etwas, was Liam zu schätzen wusste. Es war wie Alleinsein ohne alleine zu sein. Ein Gefühl, was nicht zwingend selbstverständlich war. Dass Skadi die Schweigsamkeit genutzt hatte, um bereits ein wenig wegzudämmern, war ihm nicht aufgefallen, sonst hätte ihn jetzt vielleicht wirklich ein schlechtes Gewissen heimgesucht. Doch die Jüngere ließ sich kaum etwas anmerken, überlegte und begann schließlich, zu erzählen. Der Lockenkopf schwieg, schob Skadis Buch irgendwann möglichst geräuschlos von seinem Schoß zwischen sie und lehnte sich zurück. Anfänglich hatte er schmunzeln müssen. Die Erzählung passte zu Skadi, wie er fand und tatsächlich kannte er sie bislang noch nicht. Als sie eine bedeutsame Pause machte, sah Liam auf und blinzelte ihr neugierig entgegen. „… Sie wollte sie nicht töten, oder?“, fragte er leise, konnte es sich aber nicht wirklich vorstellen, obwohl der Todestrank in vielen Geschichten eine große Rolle spielte.
Etwas irritiert blickte Skadi zur Seite. “Nein… das war wohl das, woran sie keine Sekunde gedacht hatte. Doch in gewisser Weise…“ Für einen Moment musste sie tatsächlich genauer über diese Worte nachdenken. So gesehen hatte Liam mit seiner unausgesprochenen Vermutung vielleicht nicht ganz Unrecht. Denn letztlich wäre die Mutter nicht mehr sie selbst gewesen. Ein Teil von ihr wäre somit tatsächlich für immer gestorben. “Als sie zum Anwesen zurückfand und ihrer Mutter den Trank in Form eines Blaubeertörtchens überreichte, war sie nicht mehr die Frau, die Jahre lang für 4 Kinder gesorgt und versucht hatte, sie zu edlen Erwachsenen heran zu ziehen. Ob du es glaubst oder nicht… dieser Trank machte aus ihr nicht die entspannte Mutter, die sich die junge Frau gewünscht hatte… sondern verwandelte sie in einen Bären. Ebenso wie ihre 3 Brüder, die heimlich von dem Törtchen genascht hatten.“ Wieder kippte Skadis dunkler Haarschopf in den Nacken. Die geschwungenen Augenbrauen zogen sich für einen Herzschlag scharf zusammen, ehe sich ein vielsagendes Lächeln auf ihre Lippen schlich. “Man sollte sich wirklich zweimal überlegen WAS man sich wünscht.“
Liams Blick wurde etwas finsterer, während Skadi darüber nachzudenken schien, wie man seine Frage auslegen konnte. Als sie fortfuhr, verstand er, weshalb sie gezögert hatte – oder vermutete zumindest, es zu verstehen. Seine Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen, während er schweigend dem Schluss ihrer Geschichte lauschte und sein Blick einen losen Faden am Saum seiner Hose fixierte. Aus Frust einen geliebten Menschen in eine wilde Bestie verwandeln… Theoretisch kam es einem Mord gleich, wenn man denn so wollte. Aber das war nicht die philosophische Frage, die er sich nun stellen wollte. Er sah auf, als Skadi verstummte und nickte langsam auf ihre Worte. Meistens lernten Menschen das allerdings nur, wenn es plötzlich Wirklichkeit wurde. Liam schwieg, schien noch einen Augenblick über ihre Erzählung nachzudenken, ehe sein Blick kurz ihre Züge streifte und schließlich in den Nachthimmel wanderte. „Wünscht du dir manchmal, du wärst nicht als einfache Frau aufgewachsen?“, fragte er mit gedämpfter Stimme. Wenn er sich recht erinnerte, war das damals ihr Wortlaut gewesen. Seine Absicht war es nicht, dadurch mehr über ihre Vergangenheit herauszukitzeln. Er fragte, weil es ihn interessierte. Und weil es ihn interessierte, wie Skadi darauf reagieren würde.
Skadi bemerkte den finsteren Blick Liams nicht. Sah ihn nicht einmal aus den Augenwinkeln, während sie ihre Geschichte weiterzählte. Andernfalls hätte sie sie ihm wohl bis zum Ende erzählt. Ihm nicht diese Frage in den Kopf gepflanzt, die er ihr nach ihrer kurzen Pause stellte und die sie etwas irritiert die dunklen Augen zur Seite wandern ließ. Aufmerksam musterte sie seine Züge, versucht zu verstehen, woher auf einmal dieser Wandel herrührte. Hatte sie ihm mit dem Beginn dieser Erzählung das Gefühl gegeben, dass sie sich nach Freiheit und Selbstbestimmung sehnte? Nun. Eigentlich war der Kern dieser Geschichte eine Lektion über den Wert der Familie. Doch dazu war sie nicht einmal gekommen. Womöglich hätten ihm andere Frauen jetzt mit ernster Miene entgegnet, dass sie aus einem goldenen Käfig heraus brechen wollten. Dass sie nicht mehr unter dem Joch der Männer leben wollten. Doch Skadi tat weder das eine, noch das andere. Sie lächelte sanft. Wandte den schmalen Oberkörper leicht herum und ließ das braune Augenpaar über die bärtigen Züge wandern, ehe sie tief Luft holte und endlich zu einer Antwort ansetzte. “Ich glaube, wenn ich außerhalb Trithêns aufgewachsen wäre, hätte ich diesen Wunsch durchaus verspürt. Außerhalb meiner Heimat scheinen Frauen leider immer noch das niedere Geschlecht zu sein. Zumindest sind das die Erfahrungen, die ich des Öfteren machten durfte.“ Und damit spielte sie auf so viele verschiedene Dinge an, dass es ihr nicht einmal in den Sinn kam auch nur mit einer anzufangen. “Aber nur weil etwas einfacher wäre, heißt es nicht, dass es zwangsläufig richtig ist.“ Die dunklen Augen huschten abermals nachdenklich auf das flackernde Licht der Öllampe. Beobachteten den unruhigen Tanz der Flamme. “Und wir Nordskovs sind…“ Sie hielt kurz inne und presste für einen Moment die Lippen aufeinander. “… waren unheimlich dickköpfige Frauen. Und wenn uns jemand sagt, dass wir etwas nicht dürfen und können – dann wollen wir es erst recht.“ Ein fahles Lächeln schob sich über die vollen Lippen, während Skadi wieder aufblickte und Liam mit offener Miene ansah.
Er war niemand, der Fragen groß zurück hielt, wenn sie ihm kamen. Und auch, wenn diese Frage nicht einmal einen wirklich bedeutsamen Grund gehabt hatte – er war der Meinung, dass man einen Menschen viel besser kennenlernte, wenn es um hypothetische Fragen ging. Man lernte Ansichten kennen, ihre Fantasie und auf eine gewisse Art und Weise auch das, was sie bereits erlebt haben und wovon sie geprägt wurden. Sie schien ihm die Zwischenfrage jedenfalls nicht übel zu nehmen, wenn er ihr Lächeln richtig deutete und zu seinem Erstaunen fiel die Antwort sogar detailierter aus als er erwartet hatte. Ob nun, weil es die Aspekte waren, die er aus dem unglücklichen Zufall heraus sowieso schon erfahren hatte oder weil sie sie ihm noch einmal deutlich preisgeben wollte, blieb fraglich. Nachdenklich biss er sich auf die Unterlippe, als sie eine Tatsache brachte, die er nicht leugnen konnte, selbst wenn er auf diese gesellschaftliche Ansicht nur wenig gab. Aber das hatte Skadi vermutlich bereits selbst gemerkt. Als sie fortfuhr und dieses Mal dieses kleine, bedeutsame Wort so absichtlich verbesserte, zog sich sein Magen kurz unangenehm zusammen. Ihm war das Wörtchen ‚hatte‘ also nicht nur aufgefallen, weil es so unheilvoll geklungen hatte, sondern weil es wirklich so schwer wog, wie es ihm vorgekommen war. Umso mehr glaubte er nun, den Wert ihres Tattoos zu verstehen, der dem seines Armbandes ähnelte. Zu gerne hätte ihre Dickköpfigkeit tatsächlich auf die Probe gestellt, wollte es sich aber für später, für einen passenderen Moment merken, um sie freundschaftlich ein bisschen zu necken. Für den Moment allerdings zuckte er lediglich mit einer Schulter und setzte ein ratloses, schwaches Lächeln auf.
„Du weißt doch, wie Männer sind. Die können nicht damit leben, wenn andere etwas besser können als sie selbst. Also muss man die klein halten, die es könnten.“ Dass er damit sämtlichen Frauen zusprach, in vielen Dingen besser zu sein als das andere Geschlecht, war ihm durchaus bewusst. Wer andere unterdrücken musste, um sich gut und besser zu fühlen, war in seinen Augen eher schwach. „Was hat sie getan, nachdem sie ihre Familie in Bären verwandelt hatte? Hat sie einen Weg gefunden, den Zauber rückgängig zu machen oder musste sie mit ihrem Wunsch leben?“
Männer waren nun einmal wie sie waren. Skadi machte sich keinen Kopf darüber, ob das nun gerecht war oder sie etwas dagegen tun musste. Denn das was Liam letzten Endes aussprach, war auf jeden anwendbar. Ganz gleich ob Mann oder Frau. Somit wog sie leicht den dunklen Haarschopf und zog die langen Beine an ihren Oberkörper heran. Bettete die Handgelenke darauf, um den Blick aus braunen Augen in das schummrige Halbdunkel des Decks zu richten. “Glaub nicht, dass Frauen das besser könnten.“, murmelte sie nachdrücklich und spürte erst zu spät wie bitter das Lächeln wurde, das nur noch halb in ihrem Mundwinkel hing. “Die meisten Männer sind einem vielleicht in ihrer Kraft überlegen und machen davon gut und gern Gebrauch. Doch was einer Frau an Muskelmasse fehlt, machen sie mit Schläue und Arglist wett.“ Giftmischerei war hier das Zauberwort. Intrigen spinnen durch den aufbrausenden Göttergatten, der so leicht zu manipulieren war wie eine Marionette. Skadi kannte sich zwar wenig in den Adelsgeschichten aus und war auch bei weitem nicht so gebildet wie andere, doch sie wusste sehr wohl wie stark eine Frau hinter ihrem Mann sein konnte. Zumeist noch stärker als der Mann selbst.
Bevor sie sich allerdings in dieser Gedankenwelt verlor, holte der Lockenkopf sie bereits mit einem festen Griff heraus und entfernte die dunkle Wolke über ihrem Kopf. Hinterließ wieder den sanften Ausdruck, der immer öfter über ihre Züge glitt, wenn sie sich mit ihm umgab. “Sie hat versucht ihre Mutter aus dem Anwesen zu schleusen, bevor ihr Vater sie noch umbrachte. Sein Verhältnis zu Bären war eher … negativer Natur, nachdem er in früheren Jahren ein Bein durch einen wilden Schwarzbären verloren hatte.“, begann sie ihre Geschichte erneut und ließ sich langsam auf den Rücken gleiten. Führte die Hände stützend hinter den kurzen Haarschopf und sah halb zu Liam hinauf. “Einfach war dieses Unterfangen allerdings nicht. Hatte ihre Mutter zu Beginn noch die Oberhand im Körper des Bären, wurde sie immer mehr zu dem Tier, das sie äußerlich geworden war. Die Hexe war jedoch nicht mehr aufzufinden, um den Zauber rückgängig zu machen und selbst ihre kleine Nachricht an sie war dermaßen kryptisch, dass sie es vollkommen falsch verstanden hatten.
Schicksal wird verändert, Horch in dich hinein, Knüpfe neu das Band, Stolz nur Kummer bringt.
Während sie glaubte, den zerstörten Wandteppich der Familie reparieren zu müssen, den sie in ihrem Streit mit ihrer Mutter mutwillig zerstört hatte, verschwand diese immer weiter aus dem Bärenkörper. Bis es so weit war, dass sie am letzten Abend, kurz vor dem zweiten Sonnenaufgang gänzlich verschwunden war. Nach allem was sie erlebt hatten in der Zeit. Was sie übereinander lernten nach so vielen Jahren, in denen sie sich immer weiter auseinander gelebt hatten. Selbst nach allem was die junge Frau unternommen hatte, um ihre Mutter zurück zu bekommen.“ Der Ausdruck auf Skadis Zügen wurde wärmer, verschmolz mit dem gelben angenehmen Schimmer der Öllampe. “Sie hatte lernen müssen, dass es nicht immer das Beste war, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, nur weil sie etwas wollte. Dass es Gründe gab, die ihre Mutter so handeln ließen, wie sie es tat. Es erinnerte sie daran, wie viele Jahre ihres Lebens ihre Mutter für sie da gewesen war. In guten wie in schlechten Tagen. Und als sie weinend vor dem Bären auf die Knie ging und für ihr Verhalten um Verzeihung bat… nun ja… war es wohl das, was notwendig gewesen war.“ Ihre Großmutter hatte es wesentlich ausschmückender erzählt. Mit ausladender Gestik und diesem Hauch von Zauber im Gesicht. “Sowohl Tochter als auch Mutter haben in der gemeinsamen Zeit im Wald den anderen neu kennengelernt. Und letzten Endes wussten sie beide, dass nichts wichtiger ist als die Familie. Sie haben angefangen einander zuzuhören und akzeptiert, dass ihre Meinung nicht immer die wichtigste ist.“