03.06.2016, 13:15
.. and left you hurting.
The Future you had hoped for is now burning,
and the Dreams you held so tight lost their Meaning
Skadi & Lucien
15. März 1822 | früher Nachmittag | an Bord der Morgenwind
Mit einem lautlosen Seufzen lehnte Lucien den Kopf zurück an die hölzerne Schiffswand – die einzige Wand seiner Zelle, die nicht aus Gitterstäben bestand und weit genug weg war, von den Nachbarzellen, damit ihn niemand von der Seite her nervte. Schließlich war er nicht der einzige in dem gewaltigen Frachtraum der Morgenwind. Links und rechts von ihm schlossen sich weitere Zellen an, in denen mal ein, mal zwei Gefangene hockten. Einige brabbelten wirr vor sich hin, andere tuschelten miteinander. Doch die meisten blieben, wie er, einfach still. Sein Nachbar hatte ein paar Mal versucht, Luciens Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch der Dunkelhaarige ignorierte ihn. Welchen Sinn sollte es haben, jetzt noch nette Bekanntschaften zu schließen? Keinen, richtig.
Der junge Mann schloss über die Geräusche in der Brig schlicht die grünen Augen, die im dämmrigen Licht der Öllaternen fast schwarz wirkten, und lauschte. Lauschte auf das Brechen der Wellen, die von außen gegen die feuchte Bordwand schlugen. Das stetige Rauschen beruhigte ihn, gab ihm einen Hauch inneren Frieden. Das Wissen, wieder auf dem Meer zu sein, nach der schier endlosen Zeit in Asanus Gefängnis. Doch er vergaß weder, wo er sich jetzt befand, noch den Grund dafür.
Wie immer in solchen Augenblicken kehrten seine Gedanken nach Hause zurück. Zurück zu dem damals 14 Jahre alten Mädchen, das am Kai stand und dem Schiff nach sah, mit dem er aufs Meer hinaus fuhr. In seiner Erinnerung stand sie noch immer da und wartete darauf, dass er zurück kam und das Versprechen einlöste, das er ihr gegeben hatte. Keinen Tag älter als 14. Manchmal versuchte er, sich vorzustellen, wie sie inzwischen wohl aussah. Wie es ihr ging. Was aus ihr geworden war. Jetzt, nach ganz genau drei Jahren. Doch wenn Talin vor seinem Inneren Auge auftauchte, blieb sie 14 Jahre alt.
Lucien glaubte längst nicht mehr daran, sie wieder zu sehen. Die Morgenwind brachte ihn und alle anderen armen Spinner hier unten nach Esmacil, in dessen Hochsicherheitsgefängnis sie früher oder später den Verstand verloren oder drauf gingen. Oder beides, wobei der Dunkelhaarige es vorziehen würde, zunächst seinen Verstand einzubüßen, bevor er elendig verhungerte. Denn der Hunger war allgegenwärtig, zehrte an seinen Kräften und verfolgte ihn in seinen Träumen.