14.06.2019, 14:00
Glühend heiß brannte sich die Hand in seine Schulter; eine Konstante, ein Anker, aber auch ein Zwang, erinnerte sie ihn doch erbarmungslos daran, dass er keine Wahl hatte, wenn er Cornelis nicht verlieren wollte.
'Und falls doch, dann will ich es gleich hinter mir haben!'
Schließlich stemmte er sich in eine halb sitzende, halb kauernde Position hoch, wild entschlossen, sich dieser Sache aufrecht zu stellen und schüttelte die Hand dabei ab.
Da er ihn brauchte, beschloß er, seinem Zorn keine Zügel anzulegen und ihm an Energie zu geben, was er noch hatte.
'Hoffentlich bin ich zu erschöpft für ernsthafte Wutausbrüche ...'
"Ich", hob er heiser an, "hab eine deiner und Nahias Grundsätze immer versucht zu befolgen.
"Wenn du einen Zwist mit jemandem hast, kläre ihn persönlich und lieber Heute als Morgen.
"Aber in der Marine und im Adel funktioniert das nicht.
"Ich habe Harper viel zu lange ertragen, weil er mein Capitán war, und ich das als sein oficial zu tun hatte. Es war definitiv viel zu lange, auch weil er sich nicht um seine Leute kümmerte, schon gar nicht um die, die ihm nicht nach dem Mund redeten. Die hatte er immer im Visier. Mich wundert immer noch, dass ich tatsächlich, trotz allem, weiterhin was auf der Morgenwind zu sagen hatte. Bei den Ahnen, hätte ich nicht ständig an die Familien der Seeleute gedacht oder mehr Rückhalt durch sie genossen, ich hätte gemeutert!
"Aber er hat sie förmlich bestochen, und ihre Dummheit hat sie zu willigen Werkzeugen in seiner Hand gemacht.
"Die almirantazgo hat es natürlich nicht interessiert, was ein mestizo zu sagen hat. Den Admirälen ist ein adliger Tyrann allemal lieber!"
Er musste sich zwingen nicht gänzlich in die Redeweise der Shilainen zu verfallen, wie es ihm in seiner Wut so leicht fiel.
"Kurz: Er hatte mich aus vielen Gründen mehr oder weniger in der Hand, weil ich, im Gegensatz zu ihm, die verdammte Verantwortung für meine Aufgaben übernommen habe, ich ein g— fähiger Offizier sein wollte und weil ... weil ich wohl immer noch gehofft hatte, dass sich irgendwie irgendwann alles zum Guten ändert.
"—
"Aber auch das ist nur ein weiterer Aspekt, der zu dieser Misere geführt hat:
"Während er den Adligen fröhlich in den Arsch kroch, für ein paar lachhafte Privilegien und Gefälligkeiten", er musste hoch, auf die Füße, sich bewegen, doch er wusste, es würde nicht gut gehen, trotzdem versuchte er sich hochzustemmen, "habe ich ihnen die Richtlinien der Marine förmlich um die Ohren geschlagen."
Schwankend kam er auf die Füße. Sein Körper protestierte und ließ ihn schmerzhaft aufstöhnen.
"Einer der Adligen hat mir das nie verziehen. Dieser Mann hat mich auf seiner Abschussliste, er versucht schon seit Jahren mich mit allen Mitteln klein zu kriegen. Bis jetzt habe ich ihn einfach auflaufen lassen, weil ich, im Gegenzug, egal was ich tat, seiner ebenfalls nicht habhaft werden konnte."
Enrique schluckte schwer und sah zu Boden. Er wagte nicht, einen Schritt zu machen, möglich, dass er das Gleichgewicht verlöre.
"Die Fehde zwischen ihm und mir stört mich nicht. Wie — wie ich allerdings vor kurzem erst erfahren musste, ist dieser Mann weit schlimmer als ich geglaubt hatte. Wenn es sein muss, dann — dann — nimmt er seinen Feinden Frau und Kinder. Er hat sogar Spaß daran, sie zu quälen, wenn er seinen Feind längst vernichtet hat.
"Ich darf ihn nicht noch näher zu Isa bringen. Um keinen Preis der Welt."
Ein Zittern durchlief den Schwarzhaarigen. Leiser huschte noch ein Satz über seine Lippen, er konnte ihn nicht daran hindern, so sehr plagte ihn diese Vorstellung:
"Wenn es nicht bereits zu spät ist ..."
Cornelis blieb sitzen und hinderte Enrique auch nicht, als dieser sich qualvoll hochstemmte. Er kannte diese Situationen durchaus, auch wenn er nicht so leicht hinein geriet wie sein Freund. Stumm lauschte er Enriques Worten, registrierte dabei dessen leichtes Schwanken, griff dennoch nicht ein.
Bis Enrique dann zu dem Absatz kam in dem er erklärte, zu welchen Missetaten sein Feind fähig war. Schon bei dem Satz "..., ist dieser Mann weit schlimmer als ich geglaubt hatte." schwante ihm Böses. Da erhob er sich doch, stellte sich neben seinen Freund, hörte aber vorerst weiter schweigend zu, bis dieser geendet hatte.
Als Enrique sein letzter leiser Satz entfuhr, hob Cornelis die Hände und legte sie von hinten auf die Schultern des Jüngeren.
"Ich kann es nicht wissen, aber ich glaube es einfach nicht. Ich glaube nicht, daß er sie gefunden hat. Was sagt dein Herz dazu?"
Doch noch bevor Enrique auf diese Frage antworten konnte, drehte Cornelis ihn zu sich um, legte ihm eine Hand unters Kinn und drückte Enriques gesenkten Kopf soweit hoch, daß er seinem kleinen Bruder in die Augen sehen konnte. Sein Blick war ernst, aber ein kleiner Zweifel lag darin.
"Und deswegen meinst du, ich würde dich verachten? Meinst du wirklich, ich bin so weltfremd, daß ich nicht wüßte, daß es nicht immer geht, diesen Grundsatz zu berücksichtigen? Ja, ich lebe nach diesem Grundsatz, aber er ist nicht immer zu halten. Vor allem dann nicht, wenn man nicht die Freiheit eines Piraten hat. Nicht in der Marine, erst recht nicht mit dem Adel, aber selbst in der normalen Handelsschiffahrt nicht. Denk doch mal an meine Geschichte mit Russell zurück. Da war es doch nicht anders. Ich... ich habe ihn nicht abgestochen, wie ich es hätte tun sollen, nicht einmal, nachdem er mich persönlich ausgepeitscht hat. Und warum? Weil ich an die Männer auf der Seepferdchen dachte, weil ich mich ihnen verpflichtet fühlte und sie nicht dem Druck einer peinlichen Befragung aussetzen wollte, wenn der Kapitän nicht mehr nach Hause kommt - mit einer Lüge bewaffnet. Denn die Pfeffersäcke und ihre Kapitäne sind kaum besser als der Adel..."
Enrique war so in Gedanken, dass er unter Cornelis Berührung zusammenzuckte und, hätte er sich bewegt, mindestens gestolpert wäre. Und das Umdrehen hätte es dann fast doch noch geschafft ihn stürzen zu lassen. Mühsam hielt er sich an einem der Arme, die ihn bewegten, fest.
"Ich weiß. Nein. Nein, das ist es nicht. Ich—
"Ich hoffe nicht", kam es leise.
"Es ist unwahrscheinlich, aber ich habe sie so lange nicht mehr gesehen und ich wüsste nicht, was ich täte, wenn ihr etwas zustoßen würde."
Immer wieder wanderte sein Blick ab, selbst mit der Hand des Anderen an seinem Kinn. Er wusste doch, wo das Problem lag, hatte es sich schon fast eingestanden, aber es auszusprechen war ...
Dazu kam, dass er Irgendwie nicht glaubte, dass der Hüne ihm irgendetwas davon nicht verzeihen würde. Aber das war es ja gerade:
So lange er das Ziel nicht erreicht hatte, so lange wäre alles umsonst gewesen, all die Opfer und Grausamkeiten. Und das konnte er sich nicht verzeihen. Dennoch zwang er sich weiterzureden:
"Und egal was ich tue, ich habe das Gefühl, sie zu verlieren. Ich — ich bin jetzt wahrscheinlich ein gesuchter Mann. Ich weiß nicht, ob ich noch zu ihr gehen kann, ohne die Marine oder potentielle Attentäter zu ihr zu führen. Ich habe einen Gefangenenausbruch unterstützt. Ich habe _den_ Attentäter der ersten Welt auf freien Fuß gesetzt, damit er mir diesen Mann bringt. Dazu habe ich _mein_ Schiff versenken lassen, _meine_ Männer geopfert und nicht nur den ersten Offizier eigenhändig hinter den Nebel geschickt. Ich habe _alles_ verraten, was mir heilig war. Für sie. Und für einen Fremden, der mir nach einem einzigen Gespräch mehr ein Freund war als die meisten, langjährigen Bekannten.
"Ich habe dieses adelige Schwein vorher, gegen den Willen meines Capitáns, zu einem Duell gefordert und was weiß ich nicht noch. Ohne Erfolg.
"Und wofür das Alles?"
Der Schwarzhaarige machte sich los, langsam schlug die Wut durch und ließ ihn sich abwenden.
"Für die schwache Hoffnung, dass Yaris ihn vorher erwischt. Dafür, dass ein anderer sich darum kümmert sie zu beschützen, weil ich nicht mehr weiß wie."
Zornig schlug er in die Luft, missachtete seine schmerzende Rippe, begrüßte sie fast schon wie eine gerechte Strafe.
"Ich habe Angst, finde keine Ruhe und egal wie ich es drehe und wende, ob ich mir vorrechne, was ich alles erreicht habe, es fühlt sich, verdammt nochmal!, an, als hätte ich versagt!"