12.06.2019, 14:39
Sein Blick wanderte von Shanaya zurück zu Skadi während ihres leisen Schlagabtausches und ließ ihn blinzeln. War das jetzt sowas wie eine kleine Wette, deren Ausgang davon ausging, ob er seinen Eintopf gegen die kleine Elster verteidigen konnte oder nicht? Noch bevor einer von beiden auffallen konnte, was ihm durch den Kopf ging, wandte er sich mit einem liamtypischen Lächeln wieder dem Papier zu. Liam hatte tatsächlich nicht vor, sein Abendessen an Shanaya abzutreten. Wo ging eigentlich alles hin, was sie verschlingen konnte, denn äußerlich sah man ihr definitiv nicht an, wie unersättlich das schwarze Loch war, was offenbar ihren Magen darstellte. Hätte sie nichts abbekommen, dann hätte es der Lockenkopf ja noch verstanden und ihr großzügig seine Portion abgetreten. Aber da er davon ausging, dass sie unten nicht nur von Greo stibitzt hatte, nachdem ihr eigener Teller leer gewesen war, wäre es sogesehen eine weitere Niederlage für sein Geschlecht an Bord dieses Schiffes gewesen, wenn er ihr nun einfach nachgegeben hätte. Nachdem er das Pergament den beiden Damen hingeschoben hatte, führte er den ersten Löffel des Eintopf zu seinem Mund, ohne die Schüssel aufzunehmen. Dieses Mal klappte es noch ohne Malheur. Es war allerdings keine große Überraschung, dass dieser Zettel Shanaya nicht von ihrem eigentlichen Objekt der Begierde ablenken konnte. Kaum war der Löffel in seinem Mund verschwunden, stockte er und warf der Schwarzhaarigen einen Blick zu, der deutlich verriet, dass er diese Erwähnung fast schon unfair fand. Dagegen konnte er ja fast schon nichts mehr sagen. Schulden musste man begleichen. Jedenfalls wenn man daran dachte. Oder dran erinnert wurde. Mist.
„Ist das dein Ernst?“, seufzte er mit hängenden Schultern, während er den Löffel wieder in die Schale mit Eintopf gleiten ließ. „… Wenn du diesen kostbaren Gefallen, den ich dir schulde, wirklich gegen diesen schnöden Pott Eintopf eintauschen willst, dann sind mir wohl die Hände gebunden.“
Im nächsten Moment hätte er ihr fast schon bereitwillig den Teller abgetreten. Wenn es ihr Wunsch war, ihn lieber um sein Essen zu bringen, als seinen Gefallen in einem wichtigeren Moment einzufordern, war es eben so. Wäre er nicht Liam gewesen, hätte es ihn vielleicht gekränkt, dass ihr sein Wort nicht mehr wert war als Eintopf. Liam aber nahm genügsam entgegen, dass es so einfach gewesen war, sich von seiner Schuld ihr gegenüber zu befreien. Hätte schlimmer kommen können. Indes brachte Skadi etwas zum Vorschein, was ihn ehrlich überraschte. Wie ein Hund, der gerade dabei erwischt worden war, etwas zu tun, was er gar nicht hatte tun wollen, blickte er die Jüngere an. In seinem Kopf ratterte es, denn wenn es wirklich so war, wie sie sagte, hatte er es nicht bewusst getan. Im Kopf, ja, um es nicht zu vergessen und am nächsten Morgen aufschreiben zu können, aber offenbar war er der einzige, der davon ausgegangen war, dass es nur ihn im Schlaf begleitet hatte. Etwas verlegen fuhr er sich durch die Haare.
„Immer noch besser als Schnarchen, oder?“, entschuldigte er sich indirekt. „… War ich wirklich so laut?“
Er konnte es sich kaum vorstellen. Er hatte noch nie im Schlaf geredet. Oder gesummt. Jedenfalls… War er bislang nicht davon ausgegangen, dass er es tat. Das sollte er wohl besser im Auge behalten. Doch die Frage danach, ob er im Schlaf öfter irgendetwas von sich gab, ging in Shanayas möglicher Vorfreude unter. Er hoffte jedenfalls, dass es Vorfreude war.
„Bis es fertig ist, wollte ich dich nicht belästigen. Aber wenn du schon mal da bist… Könnt ihr’s lesen? Dann würde ich euch zeigen, wie der momentane Stand ist.“
Seine Schrift war nicht zwingend leserlich, wenn er sich keine Mühe dabei gab, sondern nur so schnell wie möglich Gedanken auf Papier kritzelte. Reichte ja, wenn er es noch lesen konnte in diesem Fall. Im Zweifel würde er es ihnen einfach einmal vorlesen, damit wurde aus dem kryptischen Zeichen meist schon beim zweiten Lesen ein erkennbares Wort.
Wir wollen nicht auf der Welle reiten, sondern mitten rein
Wir hängen die Fahne nich in den Wind und woll’n kein Treibgut sein
Und sollte uns das Wasser auch mal bis zum Halse steh’n
Wir werden niemals sang- und klanglos untergeh‘n
Ja wir sind ein Geisterkutter und den meisten ein Phantom
Dafür sind wir kein Fischfutter hier im immergleichen Strom
Wir woll'n keine Feier flauten
Nie von unsern Kurs abweichen
Nie zu lange sonst wo Ankern und niemals die Segel streichen
„Mit vollem Mund kann man allerdings nicht singen.“, warf er schließlich noch ein und schob sich einen weiteren, vollen Löffel Eintopf in den Mund.