12.06.2019, 09:19
Sie hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit. Aber... was brachte es, sich jetzt seinem Willen zu widersetzen? Sie verstand Luciens Kopfschütteln, es strebte sich alles in ihr dagegen. Aber jeder Schritt weg von Mardoc hätte zu einer weiteren Schusswunde geführt. Und egal, was er getroffen hätte, es hätte sie an einer weiteren Flucht gehindert. Also ging sie lieber in die Offensive, damit konnte sie besser umgehen, als ständig nur vor ihm weg zu laufen. Sie wusste, dass die Worte, die sie an den Mann richtete, ihren Zweck nicht erfüllen würden – aber das mussten sie auch nicht. Lucien würde schon zurecht kommen. Und wie auf Kommando schickte Mardoc einen seiner Männer hinter dem Dunkelhaarigen her. Shanaya unterdrückte ein kaltes Lachen. Aber so war nur ein Mann hinter ihrem Captain her, mit dem er fertig werden würde. Und was er dann tat lag nicht in ihrer Hand. Ob er abhaute, wiederkam... es war egal. Sie würde sich allein durchbeißen, egal wie fest Mardoc ihren Arm in diesem Moment hielt. Die blauen Augen richteten sich nur kurz nach oben, wo Lucien verschwunden war.
„Und wieder bist du allein, nicht wahr?“
Die junge Frau wandte den Blick von der Treppe ab, richtete ihn direkt auf das Gesicht des Mannes, nach wie vor lag eisige Kälte in ihrem Blick. Er versuchte sie mit allen Mitteln zu provozieren, sie aus der Reserve zu locken. Aber sie blickte ihn einfach nur an, wartete, was er tun würde. Aber er lachte nur, zog sie mit einem Ruck mit sich – und Shanaya leistete vorerst keinerlei Widerstand. Irgendwo war noch einer seiner Männer, sie musste vorsichtig sein.
Mardoc zog sie zur Eingangstür, gegen die noch immer einer der Betrunkenen hämmerte. Er öffnete die Tür, schlug sie auf und sie blickten in die Gesichter verwirrter Männer, die sie stehen ließen, bevor sie irgendwie reagieren konnten. Er bewegte sich auf eine der Gassen zu, die zum Hafen führten. Irgendwo ankerte sicher ein Schiff, das auf sie wartete, Shanaya würde jedoch nicht so einfach zulassen, dass sie dieses Schiff erreichten. Die Hand, die sie noch immer auf die Wunde drückte, lockerte sich, wollte nach ihrem Degen greifen. Aber bevor sie den Knauf überhaupt berührt hatte, schnellte Mardoc herum, drückte sie gegen die Wand, hob eine Hand an ihren Hals und drückte so fest zu, dass sie gerade noch atmen konnte. Fast so, wie sie es erhofft hatte.
„Ich glaube, dir ist nicht ganz klar, dass es ihm egal ist, in welchem Zustand ich dich zurück bringe.“
Sie zappelte, machte aber den Anschein, als würde sie sich nicht mehr wehren. Eine Hand schloss sie um den Arm, dessen Hand ihr die Luft abdrückte, versuchte sie von ihrem Hals weg zu drücken. Und wie geplant ließ der Mann ihren zweiten Arm los, wollte auch die zweite um ihren Hals legen, als ihre plötzlich freie Hand nach ihrem Dolch griff. So schnell es ihr erschöpfter Körper noch zuließ hob sie die Klinge, die sich mit dem nächsten Herzschlag in die Schulter des Mannes bohrte. Er gab einen schmerzvollen Laut von sich und ließ von ihr ab. Eine Sekunde, in der die Schwarzhaarige zur Seite sprang, den Dolch mit sich zurück zog. Ihr Atem raste, die Wunde pulsierte und trieb Adrenalin durch jede Faser. Sie wollte nicht stehen bleiben, aber Mardoc zog wieder seine Pistole, richtete sie direkt auf ihren Kopf. Sie musste schnell genug sein, brauchte aber einen Moment um zu atmen. Er kam einen Schritt näher, Shanaya blieb jedoch stehen. Wenige Schritte von ihr entfernt war ein Stapel mit Kisten – sie musste ihn nur erreichen. Und der Mann war verletzt, auch er würde jetzt nicht mehr so schnell handeln können.