10.06.2019, 19:53
Er jagte ihr mit jedem Laut und jeder Regung seiner Glieder eine unangenehme Gänsehaut über Arme und Beine. Noch nie hatte sich Skadi so seltsam gefühlt wie in diesem Moment. Gefangen zwischen dem akuten Wunsch davon zu rennen und dem Drang laut aufzuschreien, um den Dunkelhaarigen in die Realität zurück zu holen. Für einen Moment war sie gefangen in diesem Zwiekampf. Unterdrückte das schwere Schlucken, den flachen Atem, das Zucken ihrer Lungen, die sich schmerzlich unter den zitternden Rippenbögen zusammenzogen. Komm zu dir verdammt… tu endlich etwas! Wie eine regungslose Puppe rollte sich der hochgewachsene Leutnant zusammen und ergab sich dem Schmerz, der seinen Körper beherrschte. Wagte erst die Flucht in die entgegengesetzte Richtung und konnte doch nicht gänzlich gegen die Schwerkraft ankämpfen, die ihn zurück holte. Wortlos beobachtete ihn die Nordskov bei seinem kläglichen Versuch. Spürte bereits dieses brennende Gefühl in ihrem Magen aufsteigen, das sie beim ersten Laut seiner Stimme vollkommen entfesselte. Fest umschlossen die dünnen Arme den kalten Körper. Ignorierten die aufkommende Gegenwehr, die sie nur noch fester an den Älteren heran rücken ließ. Starr, beinahe verbissen lugten die dunklen Augen über die breite Schulter. Wie selbstverständlich bettete sich ihr Kinn darauf und ließ Enrique keine Möglichkeit mehr, sich in sich selbst zurück zu ziehen. Was glaubte er eigentlich wer er war, dass er sich das hier erlauben konnte? Hatte er denn vollkommen vergessen, dass es Menschen gab, zu denen er verdammt noch eins zurück musste?! Die auf ihn warteten?
“Enrique… hörst du mich?“
Ihre Lippen berührten fast seine Ohrenspitze. Hauchten ihm ungefragt ihren warmen Atem gegen den Ansatz seiner dunklen Mähne und ließen die eindringlichen Worte fast einem Mantra gleich in die dunkle Nachtluft.
“Du musst kämpfen verdammt. Sei der Mann für den ich dich immer gehalten habe und kämpfe. Wenn nicht für dich.. oder für mich… dann für deine Tochter.“
Skadis Kehlkopf zitterte bei den letzten Worten. Beinahe versagte ihr die Stimme unter der Anspannung und dem bitteren Gefühl, das sich neben ihre Wut schlich.
“Sie wartet auf dich… auf ihren Vater. Sie braucht dich, Enrique…“
So viele Worte blieben in jenem Moment unausgesprochen. Worte, von denen sie wusste, dass sie ihn nur noch tiefer in dieses Loch gestoßen hätten, in das er sich zu verziehen gedachte. Doch sie würde es nicht zulassen. Selbst wenn es bedeutete all ihre anerzogenen Werte über den Haufen zu werfen. Skadi hatte verstanden – weitaus früher als zu jenem Zeitpunkt – dass es Menschen gab, die anders waren als sie. Die im Selbstmitleid unter dem Verlust einer geliebten Person versanken und keinen Weg mehr heraus fanden. Wieder einmal war sie stark für eine andere Seele. Wich nicht von ihrer Seite, weil es ihr endgültiger Untergang gewesen wäre.
Fast schon liebevoll fuhren die langen Finger ihrer Rechten an den verfilzten Hinterkopf und schoben Enriques Miene mit sanfter Gewalt an ihre Schulter.
“Ich werde nicht von deiner Seite weichen… das habe ich dir versprochen. Weißt du noch? Und ich halte mein Wort. Ich beschütze dich, Enrique. Vor allem was sich dir und deiner Tochter in den Weg stellt. Egal was kommt.“