07.06.2019, 22:57
Je länger die Unbekannte sang, um so mehr beruhigte sich der Fremde im Eis wieder, doch die Kälte wich nicht zurück. Es schien dem Jungen, als dulde sie nur, dass leichte Wellen den See durchdrangen, weil sie wüsste, dass das Ihren Sieg nur verzögern aber nicht aufhalten würde.
Und ja, so etwas Gleichbleibendes, Fernes verlief sich nach und nach in der Dunkelheit der Tiefe.
Warum also musste der Junge die Melodie immer wieder aus der Trübe hervorholen? Sie stören?
Vergessen wäre so viel einfacher:
Vergessen, dass die Ältere Frau jetzt wahrscheinlich nie wieder zu erreichen war und dass das Fieber ihm die junge auf ewig entrissen hatte.
Wütend hielt sie das dem Knaben vor:
"Sie ist nicht die, an die du dich erinnerst! Die sind nicht hier, haben uns verlassen! Was willst du mit einer Fremden? Woher willst du wissen, dass das für uns ist?
"Und selbst wenn:
"Dass sie nicht geht, wie die Anderen auch?!"
"Nein! Nein!", schrie der Junge, "Das ist nicht wahr! Ich will das nicht hören!"
Doch das Flüstern der Kälte war übermächtig laut in seinem Herzen.
Dann verschwand für einen Moment der Gesang. Fast hätte der Enrique von damals das Kästchen verloren, weil er so verzweifelt versuchte etwas zu greifen, das nicht mehr da war und das Eis sprang ihn förmlich an.
Skadi konnte sehen, dass der Schwarzhaarige unruhig wurde, nicht genug, um sich zu regen, aber doch so, als lausche er in die Stille, um den Gesang vielleicht aus einer anderen Richtung wieder zu hören ...
Nur gerade so schaffte der Knabe es, die Schatulle wieder zu packen, bevor der schwarze Schlamm sie vielleicht für immer verschlungen hätte.
Zitternd rollte er sich darum zusammen. Was auch immer es war, so lange seine Finger noch ein kleines bisschen Kraft hatten, so lange würde er es nicht fahren lassen.
"Habe ich es dir nicht gesagt? Sie geht fort. Sie gehört nicht zu uns.
"Sieh. Es. EIN!"
Der junge Enrique widersprach nicht, weinte nur erneut bittere Tränen, die zu Eis erstarrten, sowie sie sich von seinem Gesicht lösten. Und die Kälte kroch weiter auf ihn zu.
Hätte der Offizier die Kraft gehabt, so hätte er sich ebenfalls auf die Seite gedreht und zusammengekrümmt, so aber erbebte sein Körper nur leicht und es zuckte ein wenig in Armen und Beinen, das Alles begleitet von einem leisen Stöhnen.
Dann plötzlich war sie da.
Schon fast schmerzhaft heiß brannte sich die Berührung durch dass Eis und ließ den Älteren zurückweichen. Blind schlug er um sich und traf mit seiner Wut und Verzweiflung doch nur den Jungen und sich selbst. Sengende Pein bohrte sich in seine Brust und die Stacheln seines Panzers sprossen nur noch dichter hervor.
Er wollte nicht. Wollte einfach nicht noch mehr verletzt werden und wehrte sich deshalb so verzweifelt gegen das, was der Junge umso begieriger annahm:
Nähe.
Dem Kind war egal, wer es tröstete. Alles was es wusste war, dass die Zuneigung Wärme brachte und gut tat.
Gut, da war auch dieser Schmerz, aber den würde sie schon irgendwie weggehen lassen. Das würde sie doch, oder? Und ihn nicht mit noch schlimmerer Pein zurücklassen, wie die frostige Stimme behauptete? Oder?!?
Enrique fuhr unter Skadis Berührung kaum merklich zusammen und stieß einen schwachen, schmerzhaft klingenden Laut aus. Fahrig versuchte er mit dem freie Arm sie von sich zu stoßen, doch nur um ihn erschöpft zurücksinken zu lassen, noch ehe er mehr geschafft hatte als sie flüchtige mit der Hand zu berühren.
Abermals wollte die Kälte das Kind anschnauzen, als die Worte kamen. Leise, wie aus weiter Ferne klangen sie herüber, berührten sanft das blutende Herz und schmolzen das Eis dort.
Ein Riss bildete sich in der eisigen Präsenz und ließ sie für den Moment verstummen.
Die Fremde war tatsächlich wegen ihm hier, stellte der Knabe verwundert fest und zog dieses Wissen wie eine Decke um sich, während der Ältere die Quelle mit blinden Augen ansah.
'Ich bin hier.'
Doch es waren nicht ihre Worte, die bei ihm ankamen sondern seine Eigenen.
'Ich bin hier.'
Wo hatte er das zuletzt gesagt? Wem hatten sie gegolten?
Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück. Beinahe grell stand Cornelis Gesicht vor seinem geistigen Auge — und mit ihm das Wissen über seinen tot.
"Natiao ..."
Das Flüstern drang kaum über seine Lippen. Seine Hände verkrallten sich im Netz, sein ganzer Körper versteifte sich, spannte sich für einen Augenblick an.
"¿Por qué?", kam es erstickt.
Der Schwarzhaarige holte gepresst Luft. Weg. Er musste weg. Das alles war einfach zu viel. Tränen schossen in sein Augen und er fing an, sich zusammenkrümmen, Skadi den Rücken zudrehen zu wollen, doch selbst wenn sie ihn freigäbe und nicht mit ihrem Körper unten hielte, so warf ihn ihr Untergrund doch wieder auf den Rücken, und ihr Gewicht zog ihn weiter, so dass ihm nichts anderes blieb, als der Schwerkraft zu folgen, während er sich einrollte, bis er gegen sie stieß und sein Oberkörper, mit dem Gesicht zu ihr, schwer auf ihrem Unterarm zu liegen kam. Dabei drang abermals die geflüsterte Frage über seine Lippen:
"¿Por qué ...?"