03.06.2019, 22:26
Talins Gesichtsausdruck war ein wahrer Quell der Übelkeit. Wann immer sie sich herum wandte, spürte Skadi bereits dieses flaue Magengefühl, das sich vehement auf den Zügen der blonden abzeichnete und presste es mit aller Willenskraft herunter. Ihr Captain hatte eindeutig viel zu viel getrunken. Trat leicht schwankend von einem Fuß auf den anderen und schaffte es nicht einmal sich zu ihr herum zu drehen, ohne dass sie grün anlief. Mit einem Seufzen akzeptierte Skadi allerdings die Tatsache, dass sie selbst keinen Deut besser war. Sich womöglich aus denselben Beweggründen der Trunkenheit hingab, wie ihre blonde Begleitung, derer sie sich mit vorsichtigen Schritten näherte. Weil sie endlich vergessen konnte, was sie vergessen wollte. All den Ballast, den sie mit sich herum schleppte, den sie ungewollt immer wieder aufsuchte, weil irgendwie nie so ganz ihre alten Gewohnheiten ablegen konnte. Sie kümmerte sich um andere – um ihre Familie. Doch waren die anderen das für sie? Nein. Definitiv nicht. Umso schwieriger war es, sich mit all dem zu befassen, was hinter ihr lag. Den aufgewühlten Seelen, derer sie sich angenommen und mit denen sie geradewegs hinab in den Morast gesunken war. All das wollte sie vergessen. Wenigstens für einen Moment.
“Wenn ich eines gelernt habe…“, stieß die Nordskov etwas lauter als geplant heraus und blieb mit erhobenen Händen stehen, um ihr Gleichgewicht zu halten. Ließ dann, einen tiefen Atemzug später die langen Finger über die sanften Locken Talins gleiten, ehe sie langsam versuchte sich herum zu drehen und mit den dunklen Augenpaaren das blasse Gesicht in Augenschein zu nehmen.
“… dann auf die weibliche Intuition zu hören. Die ist Gold wert.“
Mit einem zusammengekniffenen Auge tippte sich die Nordskov mit dem ausgestreckten Zeigerfinger der freien Hand gegen die Nasenspitze und schmunzelte. Sah den drei Männern im Vorbeigehen nur mit einem skeptischen Blick hinterher, während sich die geschwungen Brauen bereits nachdenklich verengten.
Sie teilte Talins Befürchtungen, ebenso wie ihre Bereitschaft all das zu ignorieren. Ohnehin wären sie aufgeschmissen, wenn sich die Gastfreundschaft als Falle entpuppen würde. Womöglich wäre es dann vielleicht besser gewesen, nicht ganz so zugelaufen durch die Straßen zu irren. Doch letztlich war Skadi nicht dazu erzogen worden, sofort die Flinte ins Korn zu werfen. Ihr eiserner Wille würde sie schon halbwegs lebendig aus diesem Schlamassel heraus holen. Und wenn nicht, nahm sie vorher noch ein paar ihrer Widersacher mit in die dunkle Ewigkeit. So viel stand fest!
Erst als die helle Stimme ihrer Begleitung die Gedankenblase durchstach, die Skadis Kopf heftig zum pulsieren brachte, klärte sich die Miene der Älteren auf. Wandte sich ohne Umschweife auf das blasse Gesicht, dessen Züge sie erst verschwommen wahrnahm. Verdammt war dieser gepanschte Alkohol!
“Unter echten Piraten wäre ich wohl längst vergewaltigt oder misshandelt worden…“ Sie hatte die Worte schneller ausgesprochen, als ihr lieb gewesen war. Verharrte jedoch mit ehrlichem Blick auf Talin, um ihr wenigstens ihre Offenheit anzubieten, wenn sie schon so direkt und unverblümt war. Letztlich entsprach es der Wahrheit. Die ganze Crew war weit von dem entfernt, was sie auf einem Piratenschiff erwartete und in ihrer Zeit bei der Marine erlebt hatte. Die Vorstellung dessen, was ihr Leben hätte sein können, wenn sie wirklich zwischen Unholden und Schwerverbrechern gesegelt wäre, hinterließ ihr ungewollt eine Gänsehaut auf Armen und Nacken.
“… ich bin also sehr froh, dass ich stattdessen auf euch gestoßen bin.“
Schlagartig legte sich ein sanftes Schmunzeln in ihre Mundwinkel. Strahlte bis zu ihren dunklen Augenpaare hoch, die Talin eine Weile musterten, ehe sie dem plötzlichen Geräuschpegel folgten, den Taranis beim Verlassen der Taverne in die Umgebung frei ließ.
Seine Worte entlockten der Nordskov allerdings keine Danksagungen. Nicht einmal einen geschmeichelten Ausdruck – auch wenn er ihr durchaus ein Kompliment ausgesprochen hatte. Doch das bezog sich wohl lediglich darauf, dass sie Brüste besaß. Wie charmant.
“Klar… wir spielen Marinequartett… das größte Arschloch gewinnt.“
Wollte sie sich gerade noch auf die Zunge beißen, um den bissigen Kommentar wohl behalten in eine ihrer inneren Schubladen zu stopfen, war es bereits zu spät. Stattdessen schloss sie nur mit einem kurzen Seufzen die schweren Lider und schielte aus den Augenwinkeln zu Talin hinüber.
“Hab wohl gewonnen.“
Nicht, dass das auch nur ansatzweise eine Entschuldigung sein sollte. Doch zumindest konnte die Dunkelhaarige in ihrem Zustand halbwegs einsehen, dass sie sich vielleicht zu schnell hatte hinreißen lassen. Doch Taranis machte nicht den Anschein, als wäre er gerade von der Sonne auf den nackten Hintern geküsst worden. Vielmehr strotzte sein Gesicht gerade vor Verbitterung. Womöglich war es DAS worauf die Nordskov so rabiat reagierte. Oder weil er sie im selben Atemzug beleidigte, wie er ihr „nette“ Worte entgegen brachte. Vielleicht aber glaubte er auch nicht an Zufälle. Unterstellte ihr womöglich noch, dass sie unausgesprochene Absichten hatte. Dass sich nicht ohne Grund so viele desertierte Marineangehörige in den Reihen der Sphinx widerfanden.
“Aber Recht hast du… die Marine hat ‘nen ziemlichen Verschleiß an qualifizierten Mitarbeitern, die auch mal ohne ihren hohlen Schwanz denken können.“
Herr Gott… wieso war sie nur so verdammt bissig?
[Vor dem Wirtshaus | zusammen mit Taranis und Talin]