26.05.2019, 23:58
Nicht ein Funke von Anspannung fiel von der jungen Frau ab, deren Blick wachsam auf den Männern ruhte. Sie waren zu fünft – auf ihrer eigenen Seite standen nur Lucien und sie. Und auch, wenn der Dunkelhaarige in diesem Moment nicht den Anschein machte, dass er sie allein lassen würde... sie musste mit allem rechnen. Und allein gegen fünf bewaffnete Männer... Es hätte ihr geholfen zu wissen, wieso Lucien blieb. Noch zumindest. Aber für diese Frage war keine Zeit, dazu blieb ihnen viel zu wenig Zeit. Sie musste sich also darauf gefasst machen, jeden Moment allein zu sein... und gerade dann war weglaufen der bessere Plan. Luciens Blick glaubte sie einen Augenblick auf sich zu spüren, tat es ihm jedoch nicht gleich. Sie ging jede Möglichkeit durch, bis Bewegung in die Männer kam – und sie erst einmal in Sicherheit kommen mussten. Auf Luciens Kommando hin setzte sich die Schwarzhaarige gemeinsam mit ihm in Bewegung, nicht verwundert über den Schuss, der wenige Moment später durch die Luft knallte.
Ein bitterer Geschmack lag ihr auf der Zunge, ein ungutes Gefühl. Es passte nicht, es waren zu viele Puzzleteile, die nicht zusammen passten. Nicht nur was Lucien anging, auch wenn er einen großen Teil dazu beitrug. Aber auch Mardoc... war ihr Vater auf dieser Insel, dass er so schnell jemanden zu ihr hatte schicken können? Oder wussten sie schon lange, wo sie sich aufhielt? Hatten sie sie doch die ganze Zeit beobachtet? Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken daran, dass Bláyron irgendwo in der Menge gestanden hatte.
Auf Luciens Worte reagierte sie kaum, nur ein flüchtiges Nicken folgte, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Sie konzentrierte sich auf den Moment, auf diese Flucht, gegen die sich alles in ihr strebte. Und doch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken immer wieder um all diese Fragen kreisten.
„Mardoc wird nicht schießen, bevor er nah genug ist“
Sie kannte ihn. Er ging kein Risiko ein. In ihrer Stimme schwang also eine gewisse Sicherheit mit. Aber sie folgte dem Weg, den Lucien deutete ohne Widerworte. Nach einer Kurve ging es ein Stück geradeaus, hinter ihnen die schnellen Schritte ihrer Verfolger. Nur wenige Schritte, dann kam die nächste Kurve. Es gab keinen anderen Weg, also bog Shanaya nach rechts ab. Nur zwei weitere Schritte, ehe sie mit einem plötzlichen Ruck stehen blieb. Die Augen geweitet musterte sie die Gruppe, die vor ihnen aufgetaucht war. Mit einem Mal übertönte ihr Herzschlag jeden Gedanken, jede Frage. Einzig und allein dem Mann, der in der Gruppe stand, schien nun ihre Aufmerksamkeit zu haben. Ein Hüne, blonde Haare, abgetragene Kleidung. Die Zähne fest aufeinander gebissen krallte sich ihre Hand wieder um den Knauf ihres Degens, einen Moment unfähig, sich zu bewegen. Erst, als die Schritte hinter ihr lauter wurden, schien sie ihre Umgebung wieder wahr zu nehmen. Der Blonde drehte sich verwirrt um, in der Hand einen Krug, der Blick deutlich vom Alkohol verschwommen. Er war es nicht. So ähnlich er ihrem Bruder auch sah... nicht Bláyron stand vor ihr. Diese Erkenntnis hatte zu viel Zeit gekostet... Zeit, die ihre Verfolger genutzt hatten und ein ganzes Stück aufgeholt hatten.