26.05.2019, 23:18
Ein kühles Lächeln huschte über seine Lippen. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, warum genau jetzt. Vielleicht, weil dieser Kerl aussprach, was Lucien selbst nur Herzschläge zuvor im Kopf noch überschlagen hatte – und ihm damit bestätigte, dass er ihn auf seine ganz selbstgefällige Art und Weise vollkommen unterschätzte. Vielleicht auch einfach, weil er ihn erst jetzt wieder ernsthaft wahrzunehmen schien. Als jemanden, mit dem man sich wohl oder übel beschäftigen musste. Aber auch das lief darauf hinaus, dass er ihn als Variable unterschätzte.
Wahrscheinlich hätte Lucien diese Tatsache irgendwie perfide ausnutzen können. Doch einerseits entsprach das noch nie seinem Wesen. Andererseits, selbst wenn, wäre er dafür längst zu betrunken. Er blieb also bei seinem Plan. Hinhalten – und dann loslaufen. Denkbar einfach. Zumindest so lange, bis sie die Munition in ihren Pistolen losgeworden waren. Danach war zwei gegen vier ... machbar.
Der Hüne wandte sich zu seinen Männern um, war nur den Bruchteil eines Herzschlags anderweitig beschäftigt, sodass der Blick des Dunkelhaarigen noch einmal zu Shanaya hinüber huschte. Er konnte nur ihr Profil im Dämmerlicht erkennen. Trotzdem erahnte er ihre Anspannung. Und vielleicht auch einen Hauch Unverständnis.
Gerade in diesem Augenblick kehrte der fünfte im Bunde wieder aus der Schenke zurück. Das war das Startsignal. Der junge Captain stieß ein leises Fluchen aus. Hatte ehrlich gehofft, er würde noch länger brauchen, um festzustellen, dass seine Suche wenig Erfolg versprach. Aber vielleicht hatte er auch die Wirtstochter getroffen, die in ihrer gekränkten Stimmung hatte verlauten lassen, wohin die Schwarzhaarige tatsächlich verschwunden war. Wer wusste das schon. Lucien nickte nur kurz angebunden auf Shanayas leises Flüstern.
„Dann los!“
Dieses Mal machte er sich nicht die Mühe, seine Stimme zu dämpfen. Ihre Verfolger hatten sich bereits umgewandt, griffen nach ihren Waffen und das einzige, was ihnen als Option blieb, war, hinter der Ecke in Deckung zu gehen, hinter der die Schwarzhaarige kurz vorher gewartet hatte. Also setzten sie sich in Bewegung.
Ein Schuss löste sich, knallte dort in die Hauswand, wo Shanaya und er einen Herzschlag zuvor hinter der Biegung verschwunden waren. Putz und Ziegel flogen ihnen um die Ohren, dann waren sie für einen Moment außer Sicht.
„Wenn wir sie dazu kriegen, ihre Pistolen abzufeuern, wird es ein fairerer Kampf.“ Dieses Mal sah er nicht zu seiner Begleiterin, suchte stattdessen ihre nächste Fluchtmöglichkeit und deutete dann nach vorn, wo nicht weit von ihnen eine weitere Gasse abzweigte. „Da lang.“