26.05.2019, 21:32
Ein Lichtschein durchschnitt die dunkle Gasse, als der Mann die Tür zur Taverne öffnete. Stimmengewirr, Gelächter und Musik quoll nach draußen, dicht gefolgt von dem Geruch nach Essen, schwitzenden Körpern und abgestandener Luft. Dann fiel die Tür zurück ins Schloss.
Einer weniger. Und mit ein bisschen Glück reichte der Lärm in der Schenke aus, um das zu übertönen, was in der schmalen Gasse möglicherweise geschah. Sodass sie zumindest so lange nur fünf Gegner vor sich hatten, bis der Typ drinnen nicht fündig wurde und wieder hinaus kam.
Die Schritte hinter ihm hatten sich mittlerweile so weit entfernt, dass von deren Besitzer keine unmittelbare Gefahr mehr ausging. Lucien richtete seine Aufmerksamkeit also wieder auf den Mann, der direkt vor ihm stand und dessen kantige Gesichtszüge einen widerwärtigen Ausdruck zur Schau trugen. Eine hämische, unheilverkündende Grimasse, für die es eigentlich keine Antwort mehr gebraucht hätte. Natürlich kam sie trotzdem.
„Warum habe ich überhaupt gefragt.“, murmelte der Dunkelhaarige mehr zu sich selbst als zu irgendwem sonst. Seine eigenen Züge waren hart geworden, jedes noch so geheuchelte Lächeln aus seiner Stimme und seinen Augen verschwunden. In seinem Inneren öffnete sich eine Tür, hinter der eine wütende Flamme loderte.
Eigentlich hätte er es sich denken können. War nicht einmal überrascht über die Abartigkeit, die der Mann vor ihm in Sinn hatte. Zweifellos waren Luciens Motive selbst nicht immer ehrenhaft. Er hatte keine Skrupel davor, einer Frau, die ihm nichts bedeutete, das Herz zu brechen. Erst recht nicht, wenn sie es verdiente. Aber das hier hatte mit einer Liebelei wenig zu tun. Das hier war das verdorbenste Verlangen, anderen Schmerzen zuzufügen, sie leiden zu lassen und sich daran zu ergötzen. Und das war etwas von den Dingen, die der 21-Jährige aufs Tiefste verabscheute.
Seine Hand schloss sich fester um seinen Degen.
„Hey Boss, hier...“
Ein vernehmliches Stöhnen unterbrach die Worte. Dann ein Gurgeln. Das Geräusch eines schweren Körpers, der zu Boden sackte. Der junge Captain brauchte nicht über die Schulter zu sehen, um zu wissen, was passiert war. Kurz darauf vernahm er bereits neue Schritte hinter sich, leichter dieses Mal und hörte Shanayas Stimme. Damit waren es nur noch vier. Vorerst.
Allerdings blieb ihm keine Zeit, sich zu fragen, wen sie mit 'er' wohl meinte. Auf den Lippen des Hünen erschien ein siegessicheres Lächeln und ohne weiter auf den Dunkelhaarigen zu achten, setzte er dazu an, sich wie sein armer Kumpane an ihm vorbei zu drängeln. Dieses Mal ließ Lucien das jedoch nicht zu. Mit einem leisen Zischen von Metall auf Metall zog er den Degen – und aus der gleichen Bewegung heraus auch seine Pistole. Die Klinge in der Linken richtete sich auf Murdocs Brust und zwang ihn zumindest für einen Augenblick, stehen zu bleiben, wenn er sich nicht selbstständig aufspießen wollte. Die Mündung der Schusswaffe dagegen zeigte auf seine drei Begleiter, die hinter ihm abwarteten.
„Na, na. Wir haben uns gerade so nett unterhalten...“
Noch während er sprach, wich er einige langsame Schritte zurück, sodass sich die Klinge automatisch wieder von seinem Gegner löste. Aber die Rechnung dazu war auch denkbar simpel. Hätte er versucht, auf ihren Anführer zu schießen, hätte er ihn vielleicht umgebracht. Allerdings hätte dann auch niemand mehr gezögert, das Feuer zu erwidern. Und Lucien hatte nur einen Schuss. So lange er den Beginn des Kampfes also hinauszögern konnte, würde er das tun. Sofern Murdoc mit seiner selbstgefälligen Art lange genug mitspielte.
Nach nur ein oder zwei Schritten rückwärts blieb der junge Captain neben Shanaya stehen und warf ihr den Bruchteil einer Sekunde einen Seitenblick zu.
„Kannst du noch rennen?“, raunte er ihr gedämpft zu. Allerdings nicht sicher, ob der Hüne die Worte noch hören konnte, oder nicht.