23.05.2019, 12:40
Er rührte sich nicht. Ließ nur dieses leise Stöhnen erklingen, das Skadis Körper mit eisigem Griff packte und ihr sämtliche Härchen aufstellte. De Guzmán hatte jeglichen Glanz verloren, den er einst besaß. Seine Augen waren trüb und leer. Schimmerten unter der Träne, die die Jägerin beim Anheben ihres Kopfes in der Dunkelheit nur erahnen konnte. Ihr schnürte sich schlagartig die Kehle zu bei diesem Anblick. Alles in ihr Rang mit dem Impuls wieder auf das Schiff hinauf zu klettern und dem Leutnant die Zeit zu geben, die er brauchte, um sich zu fangen. Sie wollte nicht in diesen Schlund aus Gefühlen hinein gezogen werden. Wollte nicht spüren, was sie selbst über Jahre hinweg versuchte zu verarbeiten. In dem Wissen, dass diese Wunden zwar dick vernarbt waren, doch nur eine falsche Bewegung sie für alle Zeit wieder aufreißen konnten. Skadi wünschte sich die Distanz zurück, die sie davor schützte ihren Plan aus den Augen zu verlieren. Die es unmöglich machte, dass ihr etwas wichtiger werden konnte als die Blutrache, die sie Ihrer Familie wegen begonnen hatte. Doch sie war nicht mehr der ruhige Sergeant Kaladar, dessen Kleiderordnung wenig mit Etikette denn mit Tarnung zu tun hatte. Sie war befreit von der Last der Morgenwind, die sich all die Jahre wie ein Wurm durch ihre Empathie gefressen hatte. Es gab nur noch ihn. Den einzigen Menschen auf dieser Welt, dem sie nach allem was war tatsächlich noch vertraute. Der eine Familie besaß, die auf ihn wartete. Eine Tochter, die nicht ohne ihn aufwachsen sollte, weil er sich im Selbstmitleid und dem Tod seines Freundes suhlte. Denn so wie Skadi den Älteren musterte, war ihr bewusst, dass sich Enrique nicht selbst aus diesem Strudel herausziehen konnte. Er brauchte sie. Jetzt mehr als je zuvor.
Ihr Gesang verstummte jäh, als sie sich aufrichtete. Die braunen Augen fest auf das Gesicht fixiert, das so unwirklich und falsch aussah. Nur langsam schob sich der schmale Körper über die großen Maschen des Netzes voran. Schlüpfte unter dem ausgestreckten Arm Enriques hindurch und kam dicht neben ihm zur Ruhe. Mit einem tiefen Atemzug bettete Skadi ihre Stirn an seinem Gesicht. Umfasste mit der flachen Hand seine zitternde Brust und begann erneut ihm sanfte Worte zuzuflüstern. Eine alte Weise aus ihrer Heimat.
“Ich bin hier... Enrique... ich bin hier.“