21.05.2019, 17:04
Während sein Blick sich schon zu vernebeln begonnen hatte, suchte er mit diesem noch einmal Enriques Augen und streichelte seinem Freund wie früher durch das schwarze Haar, während er ihn schwach, aber liebevoll anlächelte. Das sollte die letzte Geste sein, die Enrique von seinem alten Freund sah, als dieser noch bei Bewußtsein war.
Dann verschleierte Cornelis Blick völlig, glitt von Enrique ab und ging in die Ferne. Das letzte Aufbäumen des Lebens verlieh ihm noch einmal unerwartete Kraft und sollte für einen letzten Augenblick den Glanz des berühmt-berüchtigten Käpt´n Feuerbart noch einmal erstrahlen lassen.
Plötzlich stemmte sich der zuvor erschlaffte Oberkörper des Hünen in die Höhe, seine Linke griff vor ihm, was auch immer sie zu fassen bekam und umfaßte es mit festem Griff, wie damals die Reling auf der Brücke der Onyx. Die Rechte streckte er nach vorne aus, die Faust geschlossen und etwas eingedreht, als hätte er in ihr seinen Säbel, mit dessen Klinge er auf einen Punkt schräg vor ihnen deuten würde. Dann erklang seine Stimme ein letztes Mal in altgewohnter Stärke und Überzeugungskraft:
„SEHT EUCH DIE FETTE ENTE DORT VORN AN! DAS WIRD REICHE BEUTE GEBEN. MÄNNER, KAMERADEN, SO LASST DIE JAGD BEGINNEN!“ Er hielt einen Moment ein, umgab ihn jetzt doch noch einmal der Jubel seiner Besatzung. „ALLES AUF GEFECHTSSTATION! LOS, IHR FAULEN HUNDE, HINAUF IN DIE TAKELAGE, SETZT VOLLZEUG. STEUERBORDGESCHÜTZE LADEN, NOCH NICHT AUSRENNEN. HISST SCHWARZ, LEGT DIE ENTERHAKEN BEREIT, GEBT WAFFEN UND MUNITION AUS. JETZT IST ES SOWEIT – LASST UNS SIE HOLEN!“
Wieder übertönte der Jubelruf der Mannschaft alle Geräusche der See, das Knarren der Planken, das Sirren der Takelage, dann setzte hektische Betriebsamkeit ein. Finn und Pepe standen neben Cornelis und sahen ebenso erwartungsvoll wie er auf das Beuteschiff vor ihnen, während Finn seine Hand auf die Schulter seines alten Freundes gelegt hatte.
Dann mischte sich plötzlich gerade Erlebtes mit den Visionen aus der Vergangenheit und beschwor vor Cornelis´ sterbendem Geist eine Szenerie hervor, die er nie hatte erleben dürfen. Er wandte den Kopf in beide Richtungen und die nicht mehr sehenden Augen blickten suchend umher.
„Enrique? Enrique, wo steckst du? Mach dich bereit, hol deine Waffen. Nun ziehen wir in den Kampf, Seite an Seite.“
Dann plötzlich verstummte er aprupt und ein Beben lief durch den starken Körper. Das letzte Aufbäumen war vorüber, die Kraft wich aus seinen Gliedern, er kippte nach hinten um und schlug mit dem Kopf unsanft an der Wand auf, was er offensichtlich jedoch schon nicht mehr wahrnahm. Kurzatmig und rasselnd schnappte er noch mühsam nach Luft. Mit gebrochener Stimme kamen noch zwei letzte Worte über seine blutverschmierten Lippen „min hjemmehavn...“, ein Hauch nur, kaum zu hören.
Dann hob ein letzter kräftiger Atemzug seinen Brustkorb noch einmal an und mit der Luft wich auch der Lebensfunke aus dem ehemaligen Piratenkapitän. Seine Augen, zum Himmel gerichtet, brachen und sein Licht erlosch für immer.