18.05.2019, 21:00
Liam schwieg, doch sein Gesicht zeigte eindeutig das Erstaunen, welches ihn durchfuhr. Skadi hatte sich damit vermutlich selbst eine Antwort gegeben und 4 oder 5 Jahre waren eine beachtliche Zeit – besonders, wenn man sie nicht als man selbst verbrachte. Er schaffte sowas vielleicht einen Tag lang, vielleicht noch zwei, aber über Jahre hinweg jemanden mimen, der man nicht war und Gefahr laufen, nicht minder bestraft zu werden, wenn man aufflog? Allein dafür gebührte Skadi definitiv Respekt und Bewunderung. Ganz gleich, was ihre Gründe dafür gewesen waren. Es fühlte sich noch nicht nach dem richtigen Zeitpunkt an, sie zu erfragen. Eine Rolle spielte es nicht. Wenn, wäre es reine Neugier gewesen. Liam nahm den Fisch entgegen und drapierte ihn an der Vorrichtung, die die Jüngere bereits aufgestellt hatte. Er sah jetzt bereits verführerisch aus und beim Anblick wurde ihm auch wieder bewusst, wie hungrig er mittlerweile eigentlich war. Die Zeit war so schnell verflogen, dass er nicht einmal sagen konnte, wie lange sie jetzt schon hier waren. Aber wenn es nach ihm ging, konnte es ewig so weitergehen. Er nickte, als Skadi beschloss, sich kurz waschen zu gehen, kümmerte sich aber erst noch darum den Fisch richtig zu befestigen, damit er nicht in die heiße Asche fiel. Als er sich umdrehte, hatte sie ihr Oberteil bereits bei seinen Schuhen fallengelassen. Der Lockenkopf erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf das ganze Bild, welches ihren Rücken zierte, ehe die elegante Gestalt auch schon im Wasser verschwand. Ein unwillkürliches Lächeln zuckte über seine Lippen, während er einfach den Anblick genoss, der sich ihm bot. Er hatte keinen Grund, heimlich hinzusehen, immerhin war der Umstand, dass sie sich hier und jetzt dazu entschloss, baden zu gehen, eine förmliche Einladung, die er gerne annahm. Nicht auf die gierende und sabbernde Art, sondern auf die Art, die schöne Dinge einfach zu schätzen wusste und deren Interesse fast einem Kompliment gleichkam. „Wie viele Geheimnisse bräuchte ich eigentlich, um die Bedeutung hinter jeder Bemalung zu erfahren?“, fragte er schließlich neugierig, als Skadi wieder aufgetaucht war. Sie konnte ruhig wissen, dass er hinsah, falls sie es noch nicht bemerkt hatte.
Es war ihm anzusehen, wie viel Bewunderung er für sie übrig hatte, angesichts ihres langen Atems und der Tatsache, so viele Jahre unentdeckt auf der Morgenwind als Mann gelebt zu haben. Doch sie verschwieg ihm, dass es ohne Enrique wohl nicht dazu gekommen wäre. Dass es ihn gebraucht hatte, um sich die lästigen Kerle vom Hals zu halten, die Nachfragen stellten. Denen vielleicht das 1 Mal 1 etwas spät in den Sinn kam, an dessen Gesicht man dennoch deutlich die Skepsis erkennen konnte. So sehr sie auch die Tatsache hasste, nichts davon bemerkt zu haben, so sehr schätzte sie den ehemaligen Offizier für seine anfängliche Neugierde, die Monate später zu einer unangefochtenen Loyalität wurde. Womöglich konnte sie ihn deshalb nicht von sich stoßen, wenn ihr die Emotionen zu nah vorkamen. Wenn sie sich angreifbar fühlte, weil da etwas war, was sich verdächtig in Richtung "Familie" entwickelte.
Skadi wischte all diese Gedanken vom Körper, buchstäblich. Tauchte in das kühle Nass ein, das ihren Körper eisig umspielte und tauchte tief einatmend wieder auf. Gott tat das gut! Wie sehr würde sie diese Möglichkeit vermissen, sobald sie in See stachen und es nur noch Regen oder Salzwasser zur Körperpflege gab. Erst als Liams Stimme die Stille und das Knistern des Feuers durchbrach wandte sich Skadi herum. Wirbelte die schillernde Wasseroberfläche auf und musterte Liam eine Weile, ehe sie sich grinsend von den Knien erhob und bis zur Hüfte im Wasser stand. "Einige... ", raunte sie dem Lockenkopf entgegen und zog vereinzelte Tropfen von ihrem dunklen Schopf. Fuhr sich mit kreisenden Bewegungen beider Hände über die Haut, um den letzten Rest Erde zu entfernen, der von ihrer Suche im Unterholz übrig geblieben war. "Aber wenn du keine mehr hast, bin ich offen für andere Vorschläge." Es erklang so beiläufig aus ihrem Mund, während sie bis zu den Schulter in den Fluss zurück tauchte und den Kopf in den Nacken legte. Die Spitzen ihrer Haare mit den Fingern knete und darauf wartete, was Liam aus diesem Angebot heraus schlug. Wenn er sich clever anstellte, konnte er nahezu alles verlangen.
Als sich Skadi herumdrehte, verdeckte sie ihm die Sicht auf die Malerei auf ihrem Rücken, eröffnete ihm aber gleichzeitig einen Anblick, der kein bisschen schlechter war. Sein Blick wanderte über das Zeichen ihrer Heimat über ihren Oberkörper zurück zu ihrem Gesicht. Auf seinen Zügen zeichnete sich ein Ausdruck ab, der nicht wirklich abgeneigt wirkte – ob nun des Anblicks oder des Ausblicks wegen, dass es anscheinend noch einiges zu entdecken gab, blieb offen. Liam biss sich unwillkürlich auf die Lippen und erhob sich, um abermals nach dem Fisch zu sehen, der im heißen Rauch vor sich hin garte. Eine Handlung, die er nicht tat, weil sie nötig war, sondern weil er etwas hatte tun müssen, was nicht nur daraus bestand, dazusitzen und sie dabei anzusehen, wie sie sich wusch. Mit einem Mal erinnerte ihn die Stimmung mehr an die letzten Minuten, bevor sie mit ihrer Beute aufgebrochen waren. Nicht mehr die beiden Kinder, die sich an der gemeinsamen Zeit erfreuten, die sie hatten. Hier standen zwei erwachsene Menschen, die noch immer etwas unkoordiniert austesteten, wie weit sie gehen konnten. Wie weit sie gehen mussten. Auch, als Skadi in fast beiläufigem Ton fortfuhr, machte es das nicht wirklich besser. Doch er blieb ihr eine Antwort schuldig – vorerst – schlenderte stattdessen zurück zum Felsen, auf dem ihr Oberteil gemeinsam mit seinen Schuhen lag und ging dort, wo sie vorhin bei der Jagd ins Wasser gestiegen waren, in die Hocke. „Ein paar Nettigkeiten?“, wiederholte er ihre Wortwahl von eben und lächelte. Nicht das typische optimistische Liam-Lächeln, sondern ein erwachseneres, charmanteres Lächeln. Von hier hatte er nicht nur bessere Sicht, sondern befand sich auch knapp auf Augenhöhe mit ihr, wenn sie stand. Ihm mangelte es gerade nicht an Geheimnissen – eines hatte er ja ohnehin noch gut! – aber für den Moment waren die Bedeutungen beiläufig geworden.
Jeder Blick aus diesen braunen Augen hinterließ ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut. Breitete sich einem Lauffeuer gleich über die Nervenbahnen ihres Körpers aus und sammelte sich in ihrer Mitte. Wie lange war sie so schon nicht mehr gemustert worden. Vom Scheitel bis zu jenem Punkt, den Liam von seinem Platz am Feuer aus noch erkennen konnte. Skadi machte sich nicht die Mühe die Monate und Jahre zu zählen. Erlaubte es lieber dem süffisanten Ausdruck auf ihren Zügen eine angetane Note zu verleihen, die unweigerlich ihre geschwungenen Brauen tanzen ließ. Das Lächeln auf ihren Lippen hatte kaum mehr etwas mit dem gemein, dass sie noch wenigen Minuten voller Zufriedenheit mit sich und der Welt getragen hatte. Und ganz offensichtlich spiegelte es eben jenen Anblick, den sie mit wachsamen Augen verfolgte. Seine Bewegungen flossen wie in Zeitlupe dahin, als sich der hoch gewachsene Körper endgültig vom Feuer entfernte und auf den Felsen zusteuerte. Als wäre ihr Kopf in Watte gehüllt und nur noch zu wenigen, sehr eindeutigen Gedanken fähig. Unweigerlich wurde das Lächeln auf ihren vollen Lippen breiter, kaum dass der lockige Schopf wenige Armlängen von ihr entfernt zum Stehen kam und in die Hocke ging. Wie von selbst sogen seine warmen Augenpaare Skadis ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ketteten sie mit Leib und Seele an sich, ohne dass sie sich zur Wehr setzte. Sie nahm alles was kam - ganz gleich wie intensiv oder spürbar diese Situation werden konnte, die ein feuriges Knistern zwischen Ihnen freisetzte. Liams Worte nahm Skadi nur beiläufig war. Konzentrierte sich zu sehr auf die Bewegungen seines Mundes und grinste verstohlen, als die Zweideutigkeit seiner Wortwahl ihr Bewusstsein und ihre Libido erreichte.
Biss sich daraufhin ihrerseits auf die Lippen, ehe sich der schmale Körper mit langsamen Schritten in Bewegung setzte. Leise plätscherte das Wasser um ihre Hüfte. Wurde stetig von den langen Fingern der Nordskov unterbrochen, die sich nach wenigen Herzschlägen auf dem angenehm kühlen Felsrand niederließen. Langsam lehnte sich der dunkle Haarschopf voraus. Überbrückte die kleine Distanz, die noch geblieben war und hielt nur knapp einen Wimpernschlag vor seinen weichen Zügen inne. Hielt die braunen Augenpaare fest auf die seine gerichtet und genoss die Wärme seines Atems auf ihren Wangen. “Was schwebt dir denn so vor mein Hübscher?“, flüsterte sie gegen seine Lippen und lächelte verwegen. Abwartend und ziemlich hungrig.
Die freizügig bekleideten Damen, die sich rund um die Bordelle aufhielten, hatten ihn noch nie reizen können. Wenn er ehrlich war, fand er derart günstige und leidenschaftslose Angebote sogar ziemlich unangenehm. Schauen war erlaubt, aber er hatte mittlerweile für sich festgestellt, dass ihm der Gedanke, eine Frau dafür zu bezahlen, mit ihm ins Bett zu gehen, sehr abstoßend fand. Liam war insgesamt kein Mann, der sich jede Chance zu nutzen machte, die sich ihm bot. Er sah in einer solchen Zusammenkunft nicht bloß die simple Befriedigung der Triebe, die sie nun einmal alle erfüllten, sondern gleichzeitig eine gemeinsame Beschäftigung, die es so schön zu gestalten galt wie möglich. Chemie spielte eine große Rolle, ganz abgesehen von einer gewissen Vertrautheit, die nicht unbedingt alt sein musste. Mit einer Fremden ins Bett zu steigen, kam ihm genauso wenig in den Sinn wie mit jemandem, der ihm nicht sympathisch war. Er wusste, dass er diesbezüglich vielleicht ein bisschen zu ‚romantisch‘ statt praktisch veranlagt war, doch er konnte sich ganz und gar nicht beschweren. Er mochte keine Frauen, die einfach zu haben waren. Ihn reizte Sympathie und in Skadis Fall ganz bestimmt auch das Geheimnis, welches sie umgab. Sonst hätte er sich vermutlich weiterhin voll und ganz mit Schauen zufriedengegeben, während sie im Flusswasser verdurstet wäre.
Jetzt aber spürte er die Unruhe, die Skadi in ihm geweckt hatte. Spürte die Hitze und das dumpfe, warme Gefühl in seinem Kopf, welches jegliche Gedanken ins Belanglose überwandern ließ, die nicht direkt mit der jungen Frau vor ihm zu tun hatten. Sein Körper war erfüllt von Kribbeln, sodass er ihn viel bewusster wahrnahm als sonst. Bewusster und empfindlicher gegenüber jeglicher Berührung. Er wartete geduldig auf seiner erhobenen Position, bis sich die elegante Gestalt der Jüngeren ganz so, wie er es erwartet hatte, zu ihm hinüberbewegt hatte. Kaum eine Hand breit von ihm entfernt kam sie zum Stehen, erwiderte seinen Blick erwartungsvoll und mit der gleichen Vorfreude gespickt, die auch ihn erfüllte. Und das hier war vermutlich der intensivste Moment, der ihnen bevorstand. Während die Triebe ihre Körper von innen aufheizten und die Spannung förmlich greifbar in der Luft lag. Liam genoss den Augenblick und schenkte Skadi nicht mehr als ein vielsagendes Zucken seiner Mundwinkel. Er hätte sich nur noch ein Blatt breit nach vorne lehnen müssen, um seine Lippen auf ihre zu legen, doch für einen Sekundenbruchteil musste sich Skadi noch gedulden. So lange, bis er sich kurzerhand neben ihr hinunter ins Wasser hatte gleiten lassen, ihre Hüften sanft mit seinen Händen umfasst und sie zu sich gezogen hatte, um seine Lippen auf ihre zu legen.
Die Luft flimmerte spürbar um sie herum. Trug ein kaum hörbares Knacken und Knistern in sich, das sich wie ein Funkenflug auf Skadis Körper nieder ließ. Auch wenn Liam ihr eine Antwort schuldig blieb, während er schweigend zu ihr hinab sah, konnte niemand mehr leugnen, dass der Schalk der aus ihren Augen strahlte nicht nur ein Spiel war, dessen sie sich seit Tagen angenommen hatten. Das was sich hier innerhalb der letzten Distanz offenbarte, war glühend heiß und hochgradig entflammbar. Für Skadi gab es kein Zurück mehr, sofern Liam selbst nicht die Reißleine zog. Denn das hier durchquerte ihren Körper wie ein Funkenregen, der immer wieder entbrannte, kaum dass sich die braunen Augenpaare des Lockenkopfes auf sie richteten. Was auch immer sie so sehr an ihm in Versuchung brachte, interessierte sie in jenem Moment nicht mehr. Es war unwichtig geworden als sich Liam mit einem Zucken in den Mundwinkeln vom Felsen gleiten ließ und mitsamt Kleidung ins Wasser tauchte. Es war unwichtig geworden, als er mit den Füßen voran die Oberfläche durchbrach und kleine Wellen fast schon eisig gegen ihre nackten Beine schwappten. Für einen kurzen Moment verließ jegliche Luft ihre Lungen und kehrte mit einem kräftigen Herzschlag zurück, als die warmen Hände des Musikers ihre Hüften umfassten und sie leicht und spielend wie eine Puppe zu sich heran zogen. Ganz von selbst umschlagen die langen Arme der Nordskov seinen Nacken. Zogen sie jene Zentimeter weiter hinauf und an ihn heran, die sie mit ihren Zehenspitzen nicht mehr erreichte.
Lehnte sich genüsslich in den sinnlichen Kuss hinein, den Liam ihr von den Lippen stahl und überließ nun mehr ihrem Körper jegliche Kontrolle. Minuten vergingen, in denen sie ihre Hände über seinen Nacken, seine Haare und seinen Oberkörper gleiten ließ. Ihn allmählich von seiner Kleidung befreite, die mit einem lautstarken Aufprall auf dem Felsen landete, gegen den sie nun dicht gelehnt stand. Genoss die intensiven Berührungen auf ihrer Haut, das Kribbeln, das der Musiker immer wieder durch ihre Nervenbahnen jagte, wenn er sie küsste und mit diesem anzüglichen Blick bedachte, der zu einem ganz neuen und aufregenden Liam gehörte. Liebte den Geschmack seiner Lippen und seiner Haut auf ihrer Zunge, wann immer sie seinen Körper mit Küssen bedeckte. Schlang ihre Beine sanft aber bestimmt um seine Hüfte, während sie sich abermals an seinem Nacken hinauf zog und tief die kühle Abendluft in ihre zitternden Lungen sog. ---- Binnen weniger Minuten war der einst strahlend blaue Himmel in tiefes Rot getaucht. Ließ sein warmes Licht nur noch diffus durch die dichten Baumkronen, unter denen das kleine Lagerfeuer weiter vor sich hin knisterte.
Nur langsam ließ sich Skadi an Liams Seite gleiten. Spürte wie ihre Lungen nach Sauerstoff lechzten und ihr Herz spürbar gegen ihren Kehlkopf und ihre Brust trommelte. Sanft umschlang sie seinen Oberkörper mit einem Arm und hinterließ einen fast schon liebevollen Kuss auf seiner Brust. Musterte aus funkelnden Augenpaaren das rot gefärbte Gesicht und grinste ein wenig verwegen. Nie hatte sie geglaubt, dass es so zügellos und befreit werden würde. Doch offensichtlich hatte sie den Liebhaber in ihm unterschätzt. Wenn sie irgendwann einmal darüber nachdenken würde, hätte ihr klar sein müssen, dass Liams Einfühlsamkeit und Hingabe in vielerlei Hinsicht von Vorteil waren. Für sie stand jedoch jetzt bereits ganz klar fest: das hier würde sie auf jeden Fall noch einmal wiederholen wollen. "Alles okay?", glitt es etwas außer Atem über ihre Lippen, während sie die langen Finger auf seine Brust bettete und ihn aufmerksam musterte.
Der Moment, in dem ihm die Entscheidung oblegen hatte, wie diese Begegnung ausgehen würde, gehörte schon lange der Vergangenheit an. Er wäre ein Idiot gewesen, hätte er angenommen, er hätte seine Schritte noch beeinflussen können, als sie ihn langsam schlendernd in ihre Richtung getrieben hatten. Seine Gedanken hatten bereits da nur noch um eine Sache gekreist. Liam hatte sich der Verführung hingegeben und spätestens, als seine Hände sanft ihre Hüfte umfassten, schien der Ausgang dieser Situation besiegelt. Die Hitze ihres Körpers brannte angenehm unter seinen Händen während er ihrem Griff nachgab und seine Lippen immer wieder die ihren suchten. Langsam erkundete er ihren Körper – jetzt nicht mehr mit den Augen sondern physisch. Gierig sog er ihren Duft ein, der sich spielend mit dem herben Duft des Feuers mischte, welches leise knackend in den Hintergrund gerückt war. Er spürte ihre Hände auf seiner Haut, die ihm nach und nach die Kleidung vom Körper streiften, liebkoste ihren Hals und ließ sie die Lust in seinen Lenden spüren, bevor sie sich gänzlich einander hingaben.
Sein Herz klopfe aufgeregt aber zufrieden gegen seine Brust, als er sich rücklings an den Felsen lehnte und die Luft einsog, als wäre ihm die letzten Minuten ganz entgangen, wie wichtig atmen eigentlich war. Er hatte sich von Skadi gelöst, spürte aber noch immer ihre Nähe auf seiner Haut und hörte das aufgeregte Kopfen ihres Herzens hinter ihrer Brust. Das dumpfe Gefühl in seinem Kopf ließ allmählich nach, je mehr Blut wieder die Teile seines Körpers durchflutete, die in den vergangenen Minuten guten Gewissens vernachlässigt worden waren. Eine seiner Hände ruhte noch immer auf ihrer schweißnassen Haut und genoss das Zittern, das unscheinbar darunter pulsierte. Als ihre Stimme noch ein wenig atemlos an seine Ohren drang, holte er noch einmal tief Luft und genoss den Augenblick. Langsam flog sein Blick erst zu ihrer Hand hinab, die auf seiner Brust ruhte, ehe sich seine Augen wieder auf ihre erschöpften, aber glücklichen Züge legten. Auf seinen Lippen erschien unwillkürlich ein glückliches Lächeln, alles andere wäre auch eine Lüge gewesen. „Könnte kaum besser sein.“, versicherte er ihr und hauchte ihr abermals einen kleinen Kuss auf die Stirn.
Erst jetzt hatte er die Gelegenheit dazu, sich darüber bewusst zu werden, dass er damit nicht gerechnet hatte. Zufrieden flogen seine Augen kurz zum feurigen Horizont, der verstohlen zwischen den Lücken im Blätterwerk zu ihnen hinunterspähte. Das Feuer knisterte noch immer melodisch in der einsetzenden Dämmerung und wurde von Grillen und Zikaden begleitet, die unsichtbar im Geäst hockten. Ein kurzes, angenehmes Schaudern durchfuhr ihn bei Skadis Berührung, ehe er wieder zu ihr hinuntersah. „Stimmt schon. Miluis Natur hat einiges zu bieten.“, bemerkte er schließlich mit einem vielsagenden Grinsen und wischte sich mit der freien Hand eine Locke aus dem Gesicht.
Ihre Lungen brannten, wann immer sie tief einatmete und ihr Herz ermahnte, leise zu sein. Sich nicht gegen ihre Rippen aufzubäumen, die unter dem Druck zogen und ziepten. Doch Skadis Gedanken kreisten keine Sekunden lang um den angenehmen Schmerz. Sie waren vollkommen auf den hoch gewachsenen Körper fixiert, den sie noch einmal genüsslich grinsend in Augenschein nahm. Daraus war wohl der Stoff ihrer nächsten Träume gemacht, schätzte sie. Zumindest würde sie diesen Anblick für lange Zeit in ihrer Erinnerung abspeichern, sofern das hier eine einmalige Sache bleiben sollte. Letztlich konnte sie nicht in den Kopf des schönen Musikers hinein blicken - was an und für sich eine Schande war. Sie hätte so viel mehr schöne Dinge gesehen, als das, was er ohnehin auf seinen offenen Zügen trug, die Skadi, kaum dass seine Lippen ihre Stirn berührten, mit einem warmen Schimmern in den braunen Seelenspiegeln musterte. Es war schon ziemlich verrückt, wie nah sie sich mit einem Schlag waren, obwohl ihre erste Begegnung alles andere als "herzlich" gewesen war. Selbst die Jägerin hätte nie damit gerechnet auf dem Schiff auf jemanden zu treffen wie ihn, geschweige denn nach so kurzer Zeit an sich heran zu lassen - wenn auch nur auf körperlicher Ebene.
"Ich hätte nicht gedacht, dass sie so wild sein kann.", fügte sie grinsend hinzu und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Felsen. "Solche Ausflüge sollten wir häufiger machen." Dabei war es vollkommen egal, ob in die Natur, eine Abstellkammer oder eine dunkle Seitengasse, Skadi war da absolut von Scham befreit. Vielleicht würde sie den Anblick des Musikers in seinem schönsten Kostüm nicht mit der allgemeinen Öffentlichkeit teilen. Doch der Nervenkitzel der schummrigen Schatten hatte definitiv etwas für sich. Mit einer Leichtigkeit fuhren die langen Finger ihrer freien Hand durch seine dichten Locken. Fühlten noch einmal dem Empfinden nach, das allmählich zwischen ihren Lenden zu einem angenehm Surren abflaute, ehe sie sich ein letztes Mal über ihn beugte und einen Kuss von seinen Lippen raubte. "Ich schau mal was der Fisch macht." Es fiel ihr schwer sich von der Wärme zu entfernen, die Liam ausstrahlte und ihren ganzen Körper damit füllte. Doch das hier war rein körperlich - sie musste oder sollte nicht bei ihm bleiben, bis sie in seinen Armen einschlief. Sowas hatte sie vielleicht früher einmal getan, als es Menschen gab, die sie über alles liebte. Doch nun konzentrierte sie sich auf die wesentlichen Dinge. Ließ den jungen Mann im Wasser zurück, während sie langsam auf die knisternde Glut zulief und mit einer Armlänge Abstand davor in die Hocke ging. “Wow… er ist nicht angebrannt!“
Ihm fiel es nicht schwer, sich ganz dem Moment hinzugeben, ohne über irgendetwas nachzudenken als das Hier und Jetzt. Die Vergangenheit war ebenso unwichtig wie die Zeit, die sie erwartete. Vielleicht wäre es an der Zeit gewesen, sich zu fragen, was diese Eskapade nun für die anfängliche Freundschaft bedeutete, die zwischen ihnen aufgeblüht war, doch Liam war eher die Art Mensch, die es auf sich zukommen ließ, statt sich vorher den Kopf darüber zu zerbrechen. Die Nähe zwischen ihnen war zweifellos ein angenehmes Gefühl, für den Augenblick jedenfalls, denn dass es sich bald schon wieder ändern würde, stand zumindest für Liam keine Sekunde in Frage. Umso intensiver nahm er die Distanzlosigkeit in sich auf und genoss sie, bevor der Augenblick verflogen war. Als Skadi seiner Bemerkung etwas anfügte, zog sich sein Grinsen nur zustimmend noch etwas weiter. „Ich hätte nichts dagegen einzuwenden.“ Für ihn hörte sich das ganz danach an, dass sie die ähnliche Vorstellung hatten, selbst wenn sie das nicht explizit geklärt hatten. Er erwiderte ihren Kuss, ehe seine Finger ein letztes Mal über ihre Haut glitten, als sie sich von ihm löste. Den Fisch hatte er völlig vergessen gehabt und jetzt, wo Skadi ihn erwähnte, schrieb er ihn im Grunde bereits ab.
Wie viel Zeit auch vergangen war – er hatte keine Ahnung – dass ihre eigentliche Mahlzeit so lange überlebt hatte, bezweifelte er. Erst, als die Jüngere das Ufer bereits erreicht hatte und zum Feuer hinüberschritt, stieß er sich vom Felsen ab und klaubte seine Klamotten wieder zusammen, um mit ihnen im Arm zurück ans Ufer zu treten. „Wirklich?“, fragte er ungläubig, machte aber keine Anstalten, selbst nachzusehen. „Dann haben wir noch ein bisschen Zeit?“ Mit einer Hand wies er über seine Schulter zurück zum Felsen, der Schelm hatte sich aber längst wieder auf seinen Zügen eingenistet. Letztlich zog er sich die teils nasse Hose wieder über, ehe er sich in einem angenehmen Abstand zur Glut auf dem Boden niederließ und Skadi erwartungsvoll anblickte. „Ich bin gespannt, was du da gezaubert hast. Und ob ich es überlebe.“
Es amüsierte sie, mit welcher Leichtigkeit ihm die Worte über die Lippen glitten. Ohne mit der Wimper zu zucken, erklärte er sich damit einverstanden diese Einmaligkeit zu einer zwanglosen Regelmäßigkeit werden zu lassen. Und Skadi spürte bereits, wie ihr Körper vor Freude jubelte und nur im letzten Moment eine Gänsehaut verhindern konnte. Nun war es also - wenn auch nicht im Detail besprochen - beschlossene Sache. Nichts worüber sie sich in Zukunft noch einmal Gedanken machen musste. Liam und sie standen auf Augenhöhe in dieser Angelegenheit. Keiner musste in geraumer Zeit damit rechnen, den anderen zu verletzten, weil sie sich wortlos im Klaren darüber waren, was das hier werden sollte. Und eben jener Ausdruck auf seinen Zügen spiegelte sich immer mehr auf dem ihrigen ab. Selbst als sie sich abwandte und zum Feuer zurück lief. "Wirklich.",entgegnete die Dunkelhaarige, während sie den Fisch kurz auf die andere Seite wandte und bereits den angenehmen Duft wahrnahm, ehe Liam sie mit seinen Worten zum Lachen brachte. "Du solltest deinen Nachtisch genießen mein Lieber." Nicht, dass sie jetzt sein Angebot abgelehnt hätte, doch sie konnte sich noch recht daran erinnern, wie hungrig er gewesen war, bevor sie sich dazu entschlossen hatte ein Bad im Fluss zu nehmen. "Solange du keine Gräten verschluckst, sollte es gehen.", erwiderte Skadi mit einem Grinsen und erhob sich zur vollen Größe. "Ich hol eben meine Sachen, du kannst schonmal anfangen." Damit wandte sich vom Feuer ab und sammelte ihr Lederwams, Schuhe, Leinenhose und Unterhose vom Boden auf. Zog sich Kleidungsstück für Kleidungsstück auf ihrem Weg zurück zum Feuer über und ließ sich dann an Liams Seite nieder.
Na, wenn er nichts zu befürchten hatte, würde es doch gleich umso besser schmecken. Tatsächlich wäre Liam recht einfach zu vergiften gewesen, so ganz ohne Skepsis und Misstrauen. Aber welchen Grund hätte sie auch haben sollen. Und wenn sie jetzt nicht ähnlich fröhlich gestimmt war wie er, wusste er auch nicht. Liam für seinen Teil jedenfalls hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass ihm heute noch einmal irgendetwas die Laune verderben würde. Als Skadi sich umwandte, um sich ebenfalls wieder anzuziehen, erhaschte der Lockenkopf einen weiteren Blick auf die Zeichnung auf ihrem Rücken, wandte den Blick dann allerdings ab, um ihre Mahlzeit vorzubereiten. Er legte sein Leinenhemd neben sich, erhob sich auf die Knie und zog vorsichtig einen flacheren Stein aus dem Steinkreis heraus, um kurz darauf das eine Ende des Spießes, an dem der Fisch nun wohl duftend hing, daraufzustützen. Als er fertig war, war Skadi auch bereits zurück. Liam freute sich ungemein über ihren Fang. Besser konnte der Abend doch wirklich nicht mehr werden. Wie erwartet war der Fisch im Zusammenspiel mit den gesammelten Kräutern und Pilzen eine Wohltat. Einfach zwar, doch wenn es nach Liam ging, brauchte Gegrilltes gar keinen allzu großen Aufwand, um gut zu schmecken. Auch sein Magen freute sich über die Speise, nachdem er eben noch von seinen Trieben völlig mundtot gemacht worden war. „Echt gut.“, bedankte er sich ziemlich zufrieden, ehe er sich einen weiteren Bissen in den Mund schob. „Du könntest Rayon sicherlich gut in der Kombüse unterstützen.“
Klimpernd rutschte der letzte Verschluss ihres Bustiers in die Lasche, während sich die Nordskov im Schneidersitze auf den Waldboden niederließ. Sichtlich zufrieden mit sich und der Welt und einem glücklichen Lächeln auf den Zügen. Kurz blickte sie auf, als sich Liam das erste Stück zwischen die Lippen schob und ihr ein ernst gemeintes Kompliment aussprach. Es beruhigte Skadi zumindest in dem Lockenkopf einen unkomplizierten Esser gefunden zu haben. Wenn sie so an ihre Brüder zurück dachte, hatte sie regelmäßig einem von ihnen die Ohren lang gezogen, sobald er aufmüpfig wurde und ihr Essen verschmähte. "Wer glaubst du war an deinem letzten Eintopf beteiligt?" Grinsend zupfte Skadi etwas Fleisch von ihrem Fisch und genoss den sanften Geschmack auf ihrer Zunge. Die Kräuter harmonierten perfekt mit dem sehr eigensinnigen Geschmack des Tieres. "Ich bin froh, dass er mich mehr machen lässt, als nur die Tiere auszunehmen, die ich schieße." Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihr diese Form der Arbeit zu eintönig wäre. Doch sie konnte einfach nicht abstreiten, dass er ihr damit einiges an Vertrauen zusprach, das angesichts ihrer Stellung innerhalb der Crew eher ungewöhnlich war. "Mir wäre aber auch jede andere Arbeit auf dem Schiff recht.", fügte sie Schulter zuckend hinzu und starrte eine Weile in das flackernde Feuer vor sich.
Wenn es um Essen ging, war er wirklich einfach gestrickt. Im Grunde hatte er sich gemeinsam mit seinem Vater beigebracht, irgendeine Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, nachdem seine Mutter in die Anstalt gebracht worden war. Und im Vergleich zu manch einem missglückten Versuch der beiden Männer war wohl alles, was nicht verbrant oder verkocht war, ein wahrer Gaumenschmaus. Skadis Kochkünste hingegen wirkten dagegen fast wie die einer erfahrenen Küchendame, die damit ihren Unterhalt verdiente. Trotzdem überraschte es ihn, als sie erwähnte, dass sie Rayon bereits unterstützte. Nicht, weil ihn der Umstand wunderte, sondern einfach, weil die Information neu für ihn war. Aber im Grunde war die gesamte Situation neu für sie alle. Die Handgriffe würden sich erst noch einmal neu einspielen müssen, bis alles seinen gewohnten Gang gehen würde. Liam lächelte zuversichtlich und kein bisschen besorgt, obwohl Skadi ein wenig nachdenklich wirkte. „Was denkst du, wie lange wir schon gemeinsam segeln?“, fragte er schließlich, als wäre es eine direkte Gegenfrage auf ihre Aussage und widmete sich einen weiteren Bissen lang erneut dem Fisch vor seiner Nase. Ein Monat war im Anbetracht dessen, was sie bereits gemeinsam erlebt hatten, keine wirklich lange Zeit. Sie mussten sich alle an die Situation gewöhnen, nicht nur die, die seit dem Überfall auf die Morgenwind unter ihnen weilten. Eine eingespielte Mannschaft benötigte auch die Zeit, sich aufeinander abzustimmen und zu lernen, sich aufeinander zu verlassen
Einen Moment verzog Skadi nachdenklich die Lippen. Zupfte geistesabwesend mit den Fingerspitzen Fisch vom Stab und richtete dann ihren Blick über die Schulter auf Liam. Die markanten Züge wirkten im flackernden Licht des Feuers noch verführerischer als zuvor. "Ich habe etwas das Zeitgefühl verloren wenn ich ehrlich bin." Sonderlich wohl fühlte sie sich ob dieser Tatsache nicht. Ein Mensch wie sie brauchte eine gewissen Kontrolle über ihr Leben. Doch seit dem Fall der Morgenwind und der Erfüllung ihrer Blutrache, schwamm alles wie eine kleine Jolle zwischen stürmischen Wogen. Sie konnte jeden Moment kentern und unter gehen, wenn sie nicht aufpasste. "Aber es ist auch ziemlich viel passiert in den letzten Wochen.", fügte sie mit einem etwas breiteten Lächeln hinzu und zwinkerte dem Lockenkopf vielsagend zu.
Auf seinen Zügen zeichnete sich Verständnis ab. Für sie hatte sich die letzten Tage weitaus mehr geändert als für beispielsweise Liam, der lediglich mit einem anderen Schiff übers Meer segelte statt zuvor. Sie hatte ein Leben aufgegeben. Ein Leben zwar, was ihr nicht sonderlich viel wert gewesen war, sie aber immerhin etwa 5 Jahre begleitet hatte. Dass da der Boden unter den Füßen zu wanken begann, war mehr als nur verständlich. „Du hast einiges zurückgelassen, ja.“, stimmte er ihr zu, ohne auf etwas bestimmtes anzuspielen. „Es ist jetzt… einen Monat her, dass ich Talin begegnet bin. Ein Monat, in dem die Sphinx mit ihrer Mission unterwegs war. Da traut keiner dem anderen und wenn, dann lieber dem, den er schon länger beobachten konnte.“ Er zuckte mit den Schultern, denn er selbst hatte damit nur recht wenig ab Hut. „Das wird sich alles schon noch einspielen.“
Wie tief Liam gerade in eine vernarbte Wunde bohrte, wusste er gar nicht. Und Skadi gab ihm auch kein Anzeichen dafür, während sie den Blick wieder auf das Feuer richtete und schwieg. Sie hatte etwas zurückgelassen... weil ihr nicht einmal eine andere Wahl geblieben war. Vielleicht würde sie es ihm irgendwann erzählen, wenn der rechte Moment kam. Vielmehr erstaunte es sie jedoch, dass der Lockenkopf selbst erst seit einem Monat auf dem Schiff reiste - sie hätte es auf mindestens ein halbes Jahr geschätzt. "Auf einem klassischen Piratenschiff wäre es auch reichlich dumm...", gab die Dunkelhaarige zu bedenken und hob skeptisch die dunklen Brauen. Der ein oder andere konnte froh sein, dass diese Crew aus allem bestand, aber definitiv nicht aus blutrünstigen Meuchelmördern und Söldnerverschnitten. "... solange sich jeder nicht so ernst nimmt, lässt sich definitiv etwas machen." Sie spielte auf niemanden im Speziellen an. Letztlich kannte sie nur wenige von den Gestalten. Und der einzige, der für sie kein fremdes, unbeschriebenes Blatt war, gehörte leider zu denen, die sich irgendwie immer noch wie ein Fremdkörper aus der Masse hervor taten. Vor allem jetzt. "Es gäbe größere Probleme, wenn jeder so wäre wie einige Männer bei der Marine... "
Liam sprach unbekümmert und frei heraus, so wie er es meistens tat. Vielleicht wäre ihm bewusst gewesen, dass seine Worte weiter zurück gingen als nur die letzten Wochen, wenn ihm der Moment bei Egbert noch in den Gedanken gewesen war. Dafür jedoch hatte sich der Nachmittag ganz anders entwickelt als erwartet. Skadis Einwand jedenfalls war berechtigt. Aber wäre die Sphinx eine typische Piratencrew, hätte er sich wohl wirklich bloß auf der nächsten Insel absetzen lassen. Er machte keinen großen Unterschied darin, mit wem er segelte, solange er sein nächstes, unbestimmtes Ziel damit erreichte. „Ich glaube, da musst du dir bei den wenigsten Sorgen machen. Aspen kommt nicht so gut klar mit Witzen auf seine Kosten. Aber das interessiert eigentlich niemanden.“ Ein gut gemeinter Rat, aber er war sich sicher, dass Skadi wusste, wie sie mit den störrischen Männern umzugehen hatte, um ihren Platz auf der Sphinx zu finden, wenn sie denn wollte. „Vermutlich ja. Wenn alle das Kommando wollen und niemand weiß, was überhaupt vor sich geht…“ Das konnte nur schief gehen. Umso glücklicher war der Lockenkopf darüber, dass er keinen Grund hatte, daran zu zweifeln, dass Talin schon wusste, was sie tat. Er hatte kein großes Interesse daran, oben mitzumischen.
Sie hatte mit dem hochgewachsenen Schönling bislang nicht sonderlich viel zu tun gehabt. Mit Ausnahme ihrer sehr bescheiden ausgefallen ersten Begegnung auf der Morgenwind, versuchte sie ihn nicht in eine unpassende Schublade zu stecken. Vielleicht war er nicht der hochnäsige Vollidiot, der vor ihr gestanden und sich ob ihrer sehr deutlichen Meinung über sie hinwegsetzen wollte. Er hatte eine Rolle gespielt. Genau wie sie selbst. Doch wenn er ernsthaft nicht über sich selbst lachen konnte, tat ihr der schwach ausgeprägte Humor des Montrose schon reichlich leid. “Manche Menschen müssen eben auf die harte Tour lernen, dass sie nicht der Nabel der Welt sind.“, entgegnete die Nordskov amüsiert und lehnte sich entspannt zurück. Verschränkte die Beine in einem üblichen Schneidersitz und muster Liam eine Weile schweigend. “Zur Not verkrümeln wir uns unter Deck, wenn sie sich die Köpfe einschlagen.“ Denn sonderlich erpicht darauf irgendwelche Machtrangeleien auszubaden hatte sie weiß Gott nicht.
Er schmunzelte unscheinbar über Skadis Bemerkung. In Aspens Fall war es wohl eher, dass er lernen musste, dass seine Meinung nicht immer die einzige und beste war. Manchmal hätte ihm ein bisschen weniger Selbstbewusstsein und ein bisschen mehr Umsicht gut getan, aber der Lockenkopf war nicht derjenige, der zuständig war, ihm die Augen zu öffnen. Liam kam mit ihm klar, konnte mit ihm arbeiten und ansonsten gingen sie sich eben aus dem Weg. Man musste ja nicht mit jedem gutfreund sein, solange man sich nicht dazu herabließ, den anderen anzufeinden. Liam machte gerne seine Späße, meinte seine Worte dabei aber eigentlich nie wirklich böse. Er konnte Menschen Mensch sein lassen, setzte nur einfach ein wenig Selbstironie voraus, womit er bei dem ein oder anderen eben aneckte. Als Skadi sich zurücklehnte, begnügte sich der Ältere noch damit, die restlichen Fleischfetzen von den Gräten zu ziehen. Jedenfalls so lange, bis Skadi ihm unbeabsichtigt wieder ein vielsagendes Schmunzeln entlockte. Im Normalfall hatte er sich immer damit zufrieden gegeben, die Rangeleien an Deck als Unbeteiligter zu verfolgen. Unter den nun gegeneben Umständen allerdings gefiel ihm die Alternative, die sie vorschlug, weitaus besser. Nicht, dass er jetzt jedes Mal darauf aus war, sobald man sie nur alleine im Raum ließ – doch die Endorphine tanzten noch so fröhlich durch seinen Kreislauf, dass es schwer war, nicht daran zu denken. „Manchmal ist es aber auch ganz lustig.“ Dann, wenn wieder irgendjemand auf die Idee kam, sich mit Shanaya anzulegen zum Beispiel. „Und jetzt haben wir ja noch ein paar Protagonisten mehr in diesem ewigen Rangkampf.“ Funkelte da sogar ein wenig Vorfreude in seinen Augen auf? Liam genoss es tatsächlich, in solche Angelegenheiten nicht mit hineingezogen zu werden. Verantwortung, die ihn selbst überstieg, lag ihm ohnehin nicht so sehr. Und im Zweifel hatte er auch kein Problem damit, einem der Captains gegenüberzutreten, wenn ihn etwas störte.
Sein breites Schmunzeln war kaum im Licht des Feuers zu übersehen, gleich wenn es zunehmend dunkler um sie herum wurde. Die Nacht brach langsam herein und erweckte die Kinder der Nacht zum Leben. Wie selbstverständlich nahm Skadi somit seine Zusage hin und schnaubte angesichts seiner Behauptung, dass ein ausgedehnter Zwist äußerst amüsant werden konnte. “Aber nur, wenn eine Frau mit ihm Spiel ist.“, und es demnach wesentlich verbaler als handgreiflicher zuging. Eine gepflegte Diskussion zwischen zwei engstirnigen Parteien, die sich ob ihres Geschlechts vor dem anderen behaupten mussten, war etwas über das die Nordskov aus vollem Halse lachen konnte. Und bei willensstarken Frauen wie Talin und Shanaya war das womöglich ein Punkt der Tagesordnung. Ausreichend Streitpartner gab es auf der Sphinx. Selbst Liam bestätigte es ihr wenige Herzschläge später und entlockte dem kurzen geschnittenen dunklen Haarschopf ein knappes Nicken. “Ich bin gespannt wer als erstes den Schwanz einkneift.“
Bei der Menge Testosteron und Selbstüberschätzung war es schwer einen der Köpfe heraus zu picken. Skadi würde sich auf jeden Fall aus den Angelegenheiten heraushalten, sofern man ihr nicht hochgradig an den Kragen ging. In ihrem Stamm gab es keine Machtrangeleien, sofern man nicht bis auf die Zähne bewaffnet und bereit zum Sterben war. Diskussionen waren womöglich durchaus an der Tagesordnung, doch die Position eines Oberhaupts stellte man nicht ohne triftigen Grund in Frage. “… oder sich eine Kugel von Lucien einfängt.“ Denn DAS war die Quintessence dessen, was passierte, sobald man Talin zu nahe kam. Zumindest schätzte sie den Hitzkopf genau so ein. Und weshalb? Weil sie damals nicht anders gewesen war, sobald es um ihre Familie ging. Langsam beugte sie sich zur Seite, um einen kleinen Teil der Äste vom Haufen zu nehmen und ins Feuer zu geben. Die Dunkelheit nahm mit jeder Minute mehr Licht und alsbald würden sie vielleicht nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen können. Denn das dichte Blattwerk ließ das Licht der Sterne nur schwach zu ihnen hinab.
Das machte es zumindest spannender. Er bezweifelte, dass es auf der Sphinx noch einen Mann gab, der nicht an Shanaya gescheitert war. Mit Ausnahme von Greo vielleicht, der sich ähnlich wie er selbst aus diesem Gerangel heraushielt und auf die spielerischen Provokationen der Schwarzhaarigen einfach nicht einging. Dann nämlich konnte man recht gut die vernünftigere Seite an der jungen Frau herauslocken. Auch Enrique schien ihm einiges an Potential zu haben, Shanayas Position in Frage zu stellen, doch Liam schwieg ob dieses Gedankens. Dass sich Skadi und er recht nahestanden, war ihm nicht entgangen. Auf ihre möglichen Szenarien schnaufte er belustigt. „Oder ‚rein zufällig‘ über Board geht.“ Wobei dieses Ende wohl voll und ganz für Aspen reserviert war, wenn er Shanaya wieder zu sehr auf den Zeiger ging. Liams Blick lag im Feuer, als Skadi ein paar Zweige nachlegte und die Glut fütterte. Die untergehende Sonne hatte dem Wald längst einige der Farben geraubt und durch die Lücken im Blätterdach erinnerte nur noch ein blasser Schleier an die Dämmerung. Doch Liam ließ sich von der hereinbrechenden Dunkelheit nicht stören. Kurzerhand griff er nach seinem Hemd und zog es sich ebenfalls wieder über, selbst wenn die Temperaturen nicht wirklich sanken. Für einen Moment verlor sich sein Blick einfach schweigend im Feuer. „Wie läuft das so bei der Marine? Bestehen die wirklich darauf, dass man zu allem einfach ‚ja‘ und ‚amen‘ sagt?“
Rein zufällig klang nicht nach einer diffusen Vorstellung, die mit jedem Geschichte gefüttert werden konnte. Wenn Skadi sich in dem Blick des Älteren nicht irrte, ahnte er ganz genau wen es in diesem Punkt treffen sollte. Noch wichtiger sogar, wer derjenige war, der den Säbel hob und den anderen von den Planken ins Wasser schickte. Doch sie hakte nicht nach. Solange sie selbst nicht auf Messers Schneide stand, interessierte es sie herzlich wenig, wer sich gerade kaum riechen konnte. Und gerade als sie gegen sein Hemd protestieren wollte, das schlagartig wieder seinen Oberkörper bedeckte – sie hatte sich schließlich immer noch nicht daran satt sehen können! – entlockte ihr der Musiker einen irritierten Ausdruck. Wieso er DAS wissen wollte, war ihr schleierhaft. Doch sie schätzte Liam als neugierige Persönlichkeit ein, die es selten böse meinte. Sein Tonfall und der Ausdruck auf seinen stoppligen Zügen ließen zudem keinen Anlass zur Beunruhigung. “Sagen wir so… es gibt Regeln, an die du dich zu halten hast. Wenn dir etwas nicht passt, kannst du entweder an der richtigen oder der falschen Stelle deine Klappe aufreißen. Wenn du clever bist, musst du nicht einmal ja und amen sagen, um zu bekommen was du willst. Aber dafür musst du auch bereit sein über Leichen zu gehen.“ Speichellecker gab es dennoch zu Hauf. “Aber du kannst dir sicherlich denken, wie oft ich dazu gezwungen war zu tun, was meine Aufgabe war. Ob es mir gepasst hat oder nicht. Wenn es kein Schlupfloch gab, das ich wählen konnte… “, ließ die Nordskov den Satz unvollendet und seufzte, während sie sich zurück lehnte und die Hände auf dem Waldboden abstützte.
Seine Frage war tatsächlich der reinen Neugier geschuldet. Der Blick ins Feuer und Skadis Anwesenheit ließ Platz, die Gedanken einfach kreisen zu lassen. Liam hatte zwar bereits vieles über die Marine gehört, vieles gesehen, aber Berichte aus erster Hand hatte es bislang nicht gegeben. Dazu hielt er sich vermutlich einfach zu sehr in den falschen Kreisen auf und zählte für die hohen Tiere der Marine eher zu den Nichtsnutzen ihrer Gesellschaft. Fernab der Realität und ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern. Der Lockenkopf allerdings fühlte sich eigentlich weder der einen Richtung zugehörig, noch der anderen. Er war kein Gesetzesloser, aber mit Sicherheit auch nicht die Frommheit in Person. Er war ein Lückengänger, der die Regeln nach seinem Belieben auslegte und nicht davor zurückscheute, auch mal über die Grenze zu treten – solange es nicht seine persönliche Grenze betraf. Die Vorstellung, blind auf Anweisung zu handeln allerdings, war ihm zuwider. Und auch die Marine legte die Gesetze nicht selten zu ihrem eigenen Vorteil aus, wie er wusste. Und Skadis Bericht bestätigte seine Annahme. Die Marine war niemand, mit dem er groß zu tun haben wollte – weniger noch auf gleicher als auf gegnerischer Seite. „Also im Grunde Piraten, die unter falscher Flagge segeln.“, philosophierte er leise und schüttelte verständnislos den Kopf, ehe er zu Skadi aufsah. An Skrupellosigkeit kamen sie ihnen jedenfalls gleich. „… ist das eigene Leben immer noch mehr wert als Prinzipien.“ Das hatte Liam bislang auch schon oft am eigenen Leibe spüren müssen. Aber bevor er sich ohne Gegenwehr niederstrecken ließ, griff er doch lieber zu seinem eigenen Dolch. Ein zweischneidiges Schwert, doch ohne Überleben konnte man auch seine Prinzipien vergessen. Mit ein Grund, weshalb die Morgenwind trotz Protest in Flammen aufgegangen war. „Ich glaube, der Unterschied liegt darin, blinden Gehorsam zu leisten oder zumindest nach einem Schlupfloch Ausschau zu halten. Manchmal muss man Prinzipien einfach über Board werfen. Aus welchen Gründen auch immer.“
Skadi nickte auf seine Worte hin und ließ den Kopf den Nacken gleiten. Nie hätte sie ihre Mission gefährdet, nur weil ihr die Art und Weise ihrer Behandlung gegen den Strich ging. Ganz davon abgesehen war sie hart gesotten und hatte auf körperlicher Ebene schlimmeres erlebt als das, was ihr irgendein Frackträger androhte. “Gib einem Menschen Macht und du weißt, wie er wirklich ist.“ Wer die Regeln bog wie er sie brauchte war nicht besser, als jeder andere Gesetzeslose auf dieser Welt. Wenigstens war man bei einem rabiaten Seemann darauf gefasst was kommen musste – schließlich sagte er es stets frei heraus. Bei der Marine schlummerte die Meinung jedoch bis zuletzt hinter verschlossenen Türen und konnte einen hinterrücks erdolchen, sobald man nicht mehr zum Erreichen des Plans gebraucht wurde. Sie vermisst also nichts mehr davon. Hatte es noch nie. “Prinzipien werden von Menschen unter bestimmten Umständen aufgestellt. Liegt es also nicht in der Natur der Sache, dass sich auch Umstände verändern können, wenn es die Menschen tun?“ Kurz huschten die dunklen Bernsteine in ihre Winkel. Umrissen die Silhouette ihres Gegenübers, ehe sie sich seufzend abwandte und den Kopf mit geschlossenen Lidern gen Baumkronen richtete. “Mit Prinzipien ist es wie mit Regeln… manche sind durchaus erhaltenswert… andere… nun ja. Sollte man von Zeit zu Zeit überdenken.“
Ihm wäre es lieb gewesen, hätte an ihren Worten nicht so viel Wahrheit gehangen. Leider aber veränderte wohl kaum etwas Menschen so sehr wie Macht oder Geld. Und das war im Bereich der Marine vermutlich spürbarer als als einfacher Mensch, der von Insel zu Insel pendelte. Aber sämtliche Mühe, daran etwas ändern zu wollen, war vergeblich. Man war für sein eigenes Glück verantwortlich, nicht für das anderer. Skadis und seine Ansicht von dieser Sache ähnelten sich. Wie es in der Realität aussah, würde die Zeit vermutlich zeigen. „Naja, vor allem, wenn man die Verantwortung für seine Handlung auf einen Vorgesetzten abwälzen kann.“, spannte er den Bogen zurück zu der Marine und konnte eine derartige Lebenseinstellung nur belächeln. Es war kaum zu übersehen, dass er mit seinem Leben nicht wirklich unzufrieden war. Er tat es Skadi gleich und lehnte sich nun gesättigt zurück, den Blick noch immer ins Feuer gerichtet, welches in der einsetzenden Dunkelheit tanzte. „Hast du die Ocarina eigentlich noch dabei?“
Oh ja. Diese Diskussion hatte sie mehr als einmal geführt. Es war lästig gewesen ständig die Entscheidung für andere treffen zu müssen, die ihr gehörig am Arsch vorbei gingen. Und das nur, weil sie zu feige waren, es selbst zu tun. Da standen sie allesamt lieber hämisch lachend im Hintergrund, wenn sie für ihren Einsatz einen auf den Deckel bekam. So viel also dazu „seinen Mann zu stehen“. “…oder überhaupt auf jemanden.“, fügte die Nordskov mit einem bitteren Tonfall hinzu und schloss für ihren Teil dieses Kapitel für den Abend. Sie wollte nicht noch mehr über diese Vergangenheit sprechen, die sie nur notgedrungen geführt und durchlebt hatte. Ihr war also durchaus daran gelegen, dass Thema zu wechseln. Was Liam dann allerdings tat, ließ sie innehalten. Schlagartig öffneten sich die braunen Augen und starrten erst aus dem Augenwinkel auf den Lockenkopf, bis sich der kurzgeschnittene Schopf zur Seite wandte. Wie in Zeitlupe setzte sich die Nordskov auf und löste ihre Beine aus dem Schneidersitz. Spürte das kleine Erinnerungsstück an ihrer Seite, das immer noch in einer Tasche ihres Hüftholster steckte. “Ja. Wieso?“
Jedenfalls hatte sich nichts an seiner Einstellung geändert, dass es gut war, dass er nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht hatte, zur Marine zu gehen. Mochte sein, dass man dort zumindest genug Geld verdiente, um seine Familie ganz gut über die Runden zu bringen, doch er hatte weder Familie noch die Absicht, etwas Reichtum anzuhorten, ohne damit etwas anzufangen. Er war dafür reich an Erlebnissen und Begegnungen. Etwas, was ihm viel wertvoller erschien als Gold. Die Ruhe, die folgte, war seinen Gedankengängen geschuldet und auch Skadi schien den Moment einfach zu genießen. Es war keine unangenehme Stille. Mehr eine, die Zufriedenheit ausstrahlte. Doch während der Fluss hinter ihnen leise durch die Nacht rauschte und das Feuer beruhigend knisterte, kam ihm, was ihm fehlte – Musik. Skadis Reaktion nahm er nur aus den Augenwinkeln wahr, sah darin aber keine Notwendigkeit, sie zu deuten. „Darf ich sie sehen?“ Er war vorhin zu sehr von Egbert abgelenkt gewesen, als dass er wirklich auf das kleine Instrument geachtet hatte. Aber ein paar Töne würde die Nachtluft mit Sicherheit erhellen können.
Sie zögerte. Nicht weil es unangebracht war danach zu fragen. Auch nicht, weil sie ihm mutwillig etwas vorenthalten wollte. Es lag womöglich einfach in der Natur der Sache, dass Skadi mit allem vorsichtig war, das mit ihrer „wahren“ Vergangenheit zu tun hatte. Jedoch gab es keinen Grund dem Lockenkopf nicht zu vertrauen – er besaß mehr Feingefühl für den Wert einer Sache als andere auf der Sphinx, abgesehen von Enrique. Nur langsam zog sie das liebevoll gefertigte Instrument aus der Seitentasche und reichte es ihm, ohne es aus den Augen zu lassen. Hob nur kurz den Blick, um jede Regung seiner Miene wahrzunehmen, sollte er irgendwelche Schlüsse ziehen wollen. Ein unangenehmes Kribbeln durchzog ihren Körper und schnürte just ihre Kehle zu.
Abermals trat Stille ein, dieses Mal allerdings eine erwartungsvolle Stille. Etwas irritiert sah Liam auf, setzte sich wieder aufrechter hin und sah Skadi entgegen. Sie zögerte und wirkte nicht unbedingt begeistert von dem Gedanken, ihr gerade erst erstandenes Erinnerungsstück noch einmal aus den Händen geben zu müssen. Ganz so, als befürchtete sie, er würde es just in dem Moment, in dem er es in den Händen hielt, fallen lassen oder auf andere Art und Weise zerstören. Gerade, als Liam überlegte, seine Frage zu revidieren, hielt sie ihm langsam das hübsch bemalte Instrument entgegen. Er streckte die Hände aus, um es behutsam aus ihrem Griff zu nehmen und besah sich die Malereien, fuhr sie mitunter mit dem Daumen nach. Vielleicht ahnte er, welche Frage sie befürchtete, doch in diesem Moment hatte Liam keinerlei Interesse daran, sein übriges Geheimnis einzutauschen. Stattdessen glaubte er, dass es ihr vielleicht eine Freude machte, zu hören, dass sie auch noch funktionierte. Er war nie auf Trithên gewesen. Dementsprechend kannte er auch keine Melodien, die von dort stammten. Ganz davon abgesehen, dass er seit einer gewatigen Ewigkeit nichts mehr in der Hand gehabt hatte, was einer Flöte gleichkam. Aber er konnte es ohnehin nicht lassen, ein Instrument auszuprobieren, wenn er es in Händen hielt. Besonders nicht an einem Lagerfeuer. Langsam hob er Skadis Erinnerungsstück zu den Lippen, testete die Töne, die sie bei den verschiedenen Griffen erzeugte, bis er glaubte, das Schema grob zu kennen und eine kurze Melodie zustande brachte.
Jeder ihrer Muskeln zuckte unter der Haut und zerriss förmlich vor Anspannung. Ihr Atem ging schlagartig flacher, als Liam seine Hände um das kleine Holzstück schloss und die Ornamente bedächtig mit den Fingern nachzeichnete. Sie rechnete mit einer Frage, während sie ihn dabei beobachtete. Doch was er stattdessen tat, verdunkelte ihre Miene für einen Moment. Er legte die Öffnung an seine Lippen und spielte. Hinterließ mit dem bloßen Klang des Instruments eine unübersehbare Gänsehaut auf ihrem Körper, die Skadi schlagartig dazu bewegte sich auf die Knie zu setzen. Doch sie hielt dem Impuls stand ihm die Ocarina aus der Hand zu reißen und dorthin zurück zu stecken, wo sie keine Wunden mehr aufreißen konnte. “Bitte lass das…“, drang es dumpf über ihre Lippen, die sich augenblicklich zusammen pressten, um die flatternden Züge ihres Gesicht unter Kontrolle zu halten. So schön die Melodie auch war… sie vertrug gerade keine Gefühle mehr. War schon überfordert genug mit dem, was Enrique ihr ungefragt überhalf. Irgendwann gäbe es sicherlich den Moment, indem sie ihn freiwillig darauf spielen ließ. Doch aktuell war ihr Nervenkostüm dafür zu sehr angerissen. “Bitte..“, fügte sie leiser hinzu.
Für ihn war es ein einfaches Untergangen gewesen, die kleine Ocarina zu seinem Mund zu heben, und ihr Töne zu entlocken. Hätte er sich nicht so auf das Instrument konzentriert, wäre ihm vielleicht die Schatten aufgefallen, die nicht des Feuers wegen über Skadis Gesicht huschte. Er wusste nicht viel über sie, über ihre Vergangenheit und das, was gut verborgen hinter ihrer Fassade ruhte. Der Moment bei Egbert hatte ihm erstmals nähergebracht, dass da mehr war, was sie antrieb. Etwas, was tiefer wurzelte, als es oberflächlich den Anschein machte. Er hatte sie in keinem Augenblick für eine einfache, oberflächliche Frau gehalten, doch die Schwere ihrer Vergangenheit hatte er unterschätzt. Etwas überrascht senkte er die Ocarina also, wagte nur einen kurzen Blick in Skadis Richtung, ehe er das Stück ein weiteres Mal musterte und sie schließlich wieder bereitwillig ihrer Besitzerin hinhielt. „Sie hat einen schönen Klang.“, fügte er leise hinzu, denn es gab nichts anderes, was er in dieser Situation hätte sagen können. Es gab keinen Grund, ihre Reaktion zu verurteilen. Es war ihr gutes Recht und doch nahm sie ihm gleichzeitig die Möglichkeit, die Situation wieder aufzuhellen.
Schwer schluckend verkeilte Skadi die langen Finger in dem Stoff ihrer Leinenhose, die sich allmählich um ihre Oberschenkel spannte. Starrte auf das Holzstück zwischen seinen Händen, als wäre es ihr aufgebracht schlagendes Herz. Mit zitternden Nasenflügeln nahm sie ihm das Instrument ab, als er die Situation begriff und den lieblichen Klang schlagartig verklingen ließ. Auf seine Worte nickte sie kaum wahrnehmbar. Umschloss mit beiden Händen die Ocarina, die sich unfassbar warm zwischen ihren Fingern anfühlte. “Es liegt nicht an dir.“, flüsterte sie leise und sah unter den langen dunklen Wimpern zu dem Lockenkopf hinüber. Er sollte nicht glauben, dass sie ihm böse war. Ebenso wenig meinte sie es als Entschuldigung auf ihre Reaktion. Sie musste sich nicht dafür rechtfertigen, dass ihr Eigentum unberührt bleiben sollte. Und so wie Liam kurz zu ihr hinüber sah, wusste er das mit jeder Faser seines Körpers. Eine Weile saßen sie nun schweigend da. Um sie herum die tiefe Dunkelheit der Nacht, das flackernde Feuer und das stetige Zierpen und Surren kleiner Insekten und Tiere. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ sich Skadi tief ein- und ausatmend nach vorn gleiten. Krabbelte dem Musiker auf allen Vieren entgegen, auf dessen Schoß sie nun ungefragt ihren Hinterkopf bettete. “Erzähl mir eine Geschichte… irgendeine die dir einfällt.“
Die Stille, die einsetzte, war bedrückender als die Stille zuvor. Liam begnügte sich damit, ins Feuer zu sehen und geduldig zu warten, bis Skadi sich wieder gefangen hatte. Er wusste, wie schwer Erinnerungen manchmal wiegen konnten und wie wichtig einem die Zeit war, sich ihnen hinzugeben. Er wollte nicht, dass sie das Gefühl hatte, dass er irgendetwas erwartete. Ihr Schweigen war in Ordnung und er hatte die Zeit, sie damit allein zu lassen und derweil seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Er war die Art Mensch, die auch in einer Gruppe mit sich alleine sein konnte – und es manchmal auch sein wollte. Nicht umsonst traf man ihn so oft alleine an Deck der Sphinx – vertieft in seine Bücher oder Zeichnungen und mit sich selbst im Reinen. Überrascht hob er die Arme, als plötzlich Skadis Gesicht vor seinem Oberschenkel auftauchte. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er sie nicht hatte kommen hören. Wie selbstverständlich legte sie den Kopf auf seinem Schoß ab und bat um eine Geschichte. Liam blinzelte verdutzt, allerdings eher, weil er einen Moment brauchte, bis ihm eine Geschichte einfallen wollte, die ihr gefallen könnte. Dann aber legte sich ein unscheinbares Lächeln auf seine Züge, auf denen der Schein des Feuers tanzte. Die Nachdenklichkeit legte sich, als sich sein Blick wieder von den Flammen löste und die feinen Züge der Jüngeren musterten, bevor er zu erzählen begann.
„Es gibt Inseln, die wilder sind, gefährlicher. Inseln im Norden mit zwei mannshohen Hirschen oder Inseln im Süden mit Schlangen, fast so lang wie ein Schiff. Doch auch dort leben Menschen, die sich der tödlichen Natur bewusst sind und gelernt haben, mit ihr zu leben. Es gab einen kleinen Jungen, der gerne zeichnen wollte. Und wie er so durch die Natur streifte, sah er eine riesige Schlange, die gerade kurz davor war, ihre Beute am Stück zu verschlingen. Von den Älteren aus dem Dorf wusste er, dass Schlangen nach einer Mahlzeit mehrere Monate brauchten, um ihre Beute zu verdauen. Und so lief er nach Hause und zeichnete, was er gesehen hatte.“ Liam streckte die Hand aus, um sich einen kleine Zweig zu nehmen und in den Staub zu malen. Ein Gebilde, welches einem Hut gleich kam. „Er zeigte seine Zeichnung den Älteren im Dorf voller Stolz und stellte verdutzt fest, dass sie sich gar nicht davor fürchteten. ‚Warum sollen wir denn Angst vor einem Hut haben?‘, fragten sie, doch die Zeichnung stellte gar keinen Hut dar. Es war die Riesenschlange, die gerade dabei war, ein großes Tier zu verdauen. Also zückte er die Feder erneut und füllte das Innere der Boa aus, damit die Älteren erkennen konnten, was es war. Doch sie rieten ihm bloß ab von Bildern von Riesenschlagen und betonten stattdessen die Wichtigkeit von den Wissenschaften, von Karten und Kompanten. Entmutigt gab der Junge seine Zeichnerei auf, denn er wollte den Älteren nicht immer und immer wieder etwas erklären. Stattdessen wuchs er heran und entschied sich für ein Leben als Seemann. Immer, wenn er das Gefühl hatte, an fähigere Leute geraten zu sein, zeichnete er die Schlange, doch die Antwort war immer die gleiche. ‚Ein Hut.‘ Also ließ er es bleiben und sprach lieber von den Dingen, die die Erwachsenen hören wollten. Von Wissenschaft, Kartenspielen, den großen Familien, selbst wenn es nicht das war, was ihn wirklich bewegte. Er lebte allein und unverstanden.
Eines Tages dann passierte es, dass er auf einer einsamen Insel Schiffbruch erlitt. Den ersten Tag suchte er unentwegt nach jemandem, der ihm helfen konnte, bis er erschöpft im Sand einschließ. Umso überraschter war er, als ihn am Morgen eine leise Stimme weckte. ‚Bitte, zeichne mir ein Schaf.‘ Er brauchte einen Moment, bis er hell wach war und den Jungen vor seiner Nase erkannte. ‚Zeichne mir ein Schaf.‘ Er war klein und obwohl weit und breit keine Menschenseele hauste, schien er weder durstig, noch hungrig oder müde von einer langen Reise. Auch wirkte er nicht ängstlich oder so, als wäre er einsam und fernab jeglicher Zivilisation auf einer Insel gestrandet. ‚… Was machst du hier?‘, fragte er den Jungen, doch dieser wiederholte bloß langsam seine Bitte. ‚Bitte. Zeichne mir ein Schaf.‘ Verdutzt zückte der Mann schließlich ein Stück Pergament aus seiner Tasche und nahm die Feder, die man ihm reichte, beichtete dem Jungen dann aber, dass er nicht zeichnen konnte. ‚Kein Problem. Zeichne mir ein Schaf.‘ Da er in seinem Leben aber noch nie ein Schaf gezeichnet hatte, zeichnete er stattdessen das Bild der Schlange auf sein Pergament. ‚Nein, nein! Ich will kein Tier in einer Riesenschlange! Schlangen sind sehr gefährlich und ein Tier wie dieses braucht viel Platz. Bei mir zu Hause ist es viel zu klein. Ich brauche ein Schaf. Zeichne mir ein Schaf.‘ Er war sehr erstaunt, dass der fremde Junge seine Zeichnung erkannte und zeichnete schließlich so, wie er wollte, ein Schaf. ‚Nein! Das hier ist sehr krank. Zeichne ein anderes!‘ Also zeichnete er ein neues. ‚Das ist kein Schaf. Schau nur, das ist ein Widder. Es hat Hörner…‘ Also zeichnete er ein drittes Schaf. ‚Das ist zu alt! Ich brauche ein Schaf, das noch lange leben wird!‘ Allmählich ging ihm die Geduld aus und so malte er eine Kiste aus das Papier. ‚Das ist eine Kiste. Das Schaf, das du willst, ist hier drin.‘ Überrascht stellte er fest, dass sich die Miene des Jungen aufhellte. ‚Das ist ganz so, wie ich es wollte! Glaubst du, es benötigt viel Gras?‘ ‚Warum?‘ ‚Dort, wo ich herkomme, ist alles sehr klein.‘ ‚Es wird sicher genug haben. Es ist ein kleines Schaf.‘ Der Junge beugte sich über die Zeichnung. ‚Nicht so klein wie… Schau nur, es ist eingeschlafen!‘ Und so schlossen sie Freundschaft und der Mann lernte immer mehr über den kleinen Jungen, der so unpassend auf dieser einsamen Insel wirkte. ‚Was ist das für ein Ding?‘, fragte er, als er zum ersten Mal ein Schiff sah, welches am Horizont erschien. ‚Das ist ein Schiff. Mit so einem war ich auch zwischen den Welten unterwegs.‘ ‚Wie? Du kommst auch aus einer anderen Welt? Das ist lustig.‘ Als er anfing zu lachen, war der Mann etwas verärgert, denn er war ja noch immer ein Schiffbrüchiger. ‚Aber mit dem Ding kann man nicht von sehr weit her gekommen sein.‘ Denn der Junge meinte keine der sieben Welten, wie der Mann, dessen Neugier er unweigerlich geweckt hatte. Er wollte also mehr erfahren und fragte ihn, wohin er sein Schaf mitnehmen wollte und erfuhr – die Heimat-Welt des jungen Mannes war kaum größer als ein Haus und lag fern der Welten, die die Menschen kannten.“
Jeder andere hätte Skadi entweder mit Abwesenheit oder unerträglicher Nähe bestraft, angesichts ihrer sehr deutlichen Zurückweisung und dem Schmerz auf ihren Zügen. Vielleicht mit einem Nasenrümpfen die Situation bewertete oder sie ungefragt fest in die Arme genommen und damit alles nur noch schlimmer gemacht. Auf andere mochte Liams Verhalten rücksichtslos und distanziert wirken, doch für Skadi war es das was sie brauchte. Ganz gleich wie unangenehm ihr Herz gegen ihren Kehlkopf klopfte und die Stille gegen ihren Körper drückte, die sich ungewohnt zwischen ihnen aufspannte, führte die ruhige und abwartende Haltung des Musikers dazu, dass sich ihre Muskeln nach etlichen Minuten ganz von selbst entspannten. Er stellte keine Erwartungen an sie, überließ sie im rechten Moment sich selbst und schenkte ihr sogar eine Geschichte, als sie sich wie eine Katze an seine Seite schlich und ihren Kopf auf seinen Schoß bettete. Die Verwirrung stand ihm in jedem Zug und jeder Falte geschrieben, doch kaum öffneten sich seine Lippen, schloss Skadi die schweren Augenlider. Lauschte seinen Worten aufmerksam und versuchte sich das Bild, das er mit seinen Worten malte, vor Augen zu führen. Erst als er endete zog sich ihre Stirn in Falten. Mit fragendem Blick drehte Skadi ihren Kopf weiter in den Nacken, um dem Lockenkopf direkt ins Gesicht zu sehen. “Und von wo kam er her?“ Fast schon kindlich klang die Frage aus ihrem Mund, spiegelte sich die abrupte Neugierde auf ihren Zügen.