Dieses Forum nutzt Cookies
Dieses Forum verwendet Cookies, um deine Login-Informationen zu speichern, wenn du registriert bist, und deinen letzten Besuch, wenn du es nicht bist. Cookies sind kleine Textdokumente, die auf deinem Computer gespeichert sind; Die von diesem Forum gesetzten Cookies düfen nur auf dieser Website verwendet werden und stellen kein Sicherheitsrisiko dar. Cookies auf diesem Forum speichern auch die spezifischen Themen, die du gelesen hast und wann du zum letzten Mal gelesen hast. Bitte bestätige, ob du diese Cookies akzeptierst oder ablehnst.

Ein Cookie wird in deinem Browser unabhängig von der Wahl gespeichert, um zu verhindern, dass dir diese Frage erneut gestellt wird. Du kannst deine Cookie-Einstellungen jederzeit über den Link in der Fußzeile ändern.


Hörst du die Trommeln
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
#2
Immer wieder glitten ihre Fingerkuppen über das glatte Holz. Malten die Kurven und Zeichen nach, die ihr so vertraut vorkamen. Sie konnte von Glück reden auf den Musiker getroffen zu sein. Wenn sie sich ausmalte, dass dieser Schatz auf Ewig von ihr unentdeckt geblieben wäre, würde sich ihr Magen schlagartig verkrampfen. Ganz gleich wie gelassen sie äußerlich darauf reagieren würde, weil „so ein kleines Ding ihre Familie auch nicht lebendiger machte“. Dennoch konnte die Nordskov nicht dagegen ankämpfen was gerade mit ihr geschah. Verlor zum ersten Mal seit Jahren die Kontrolle über ihre Schutzwälle und erlaubte es einem Fremden tief in den dunklen Morast ihres Verlustes zu sehen. Offensichtlich hatte Liam verstanden, dass das hier absolut keine alltägliche Sache war und hielt sich bedeckt. Skadi war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie seine Reaktion auf ihren physischen Dank nicht einmal wahrnahm. So musste es sich also für Enrique anfühlen, wenn er diese kleine Puppe in den Händen hielt. Der kleine Rest seines vergangenen Lebens, das er nicht mehr so schnell wiederbekommen konnte. Es war erst diese dumpfe Leere die darauf hin in ihren Magen zurückkehrte und einen kurzweiligen Schatten über ihre Züge legte. Stellte sie sich und ihre Art gerade in Frage? Als wollte sie diese Gedanken abschütteln, wandte die Dunkelhaarige ihren Schopf herum, sog tief die warme Luft der Insel ein und hörte noch im rechten Moment die Stimme Liams zu ihrer Rechten.
Augenblicklich zog sich ein Lächeln auf ihre Züge und spiegelte sich just in den braunen Augenpaaren wieder.
“Du hast auf Ewig etwas gut bei mir... da komme ich gern für den Rest deines Lebens für dein Essen auf.“ Und das war keine daher geredete Floskel. Skadi meinte es genau so, wie sie es sagte. Langsam folgt sie ihm auf die Straße zurück und verstaute das Musikinstrument am Hüftholster, den sei seit geraumer Zeit mit sich führte. Für den Fall der Fälle würde sie den Dolch brauchen, der dort in einer Lederscheide ruhte und vollkommen harmlos daher kam.
“Vielleicht sollten wir deine Violine erst einmal aufs Schiff bringen. Es sei denn, du möchtest sie gern die nächsten Stunden mit dir herum tragen.“ Mit einem weiten Ausfallschritt holte die Jägerin die letzten Meter auf und wirkte beinahe wie ausgewechselt. Der Nebel in ihrem Kopf war verflogen. Fast als hätte Liams Anwesenheit alles in pures Sonnenlicht verwandelt. Er musste ein verdammter Hexer sein!

Für eine Sekunde hatte er gedacht, sie hätte ihn gar nicht wahrgenommen. Zu sehr vereinnahmte sie die kleine verzierte Ocarina und zauberte ihr ein gar kindliches Lächeln auf die Züge. Den Schatten dahinter ignorierte der Lockenschopf gekonnt. Stattdessen erfreute er sich daran, dass sie zumindest nicht mehr so abwesend daher geisterte wie die letzten Tage – oder ‚anders abwesend‘ zumindest. Auf eine gute Art und Weise. Vermutlich hatte er ähnlich gestrahlt, als man seinem vierjährigen Ich die erste Zwille in die Hand gedrückt hatte.
Doch Skadi hatte ihn gehört und ihre Entgegnung klang ernster als ihm lieb war. Er hatte wirklich nicht beabsichtigt, eine große Sache daraus zu machen. Besonders nicht, sie zu ewigem Dank zu verpflichten. Liam schüttelte mit einem Lächeln den Kopf, ehe er ihr, als sie zu ihm aufgeschlossen war, die freie Hand freundschaftlich auf die Schulter legte. „Lass gut sein, Skadi. Dir bedeutet diese Ocarina offensichtlich weitaus mehr, als mir es diese ollen Goldmünzen es je würden. Außerdem war es so gesehen unser Geld, wenn man’s genau nimmt.“
Er zwinkerte kurz, ehe er von ihr abließ und nachdenklich dreinschaute. „Und glaub mir – für meine Verpflegung aufzukommen wäre ein schlechter Tausch für dich.“ Sein Lächeln war ehrlich. Für ihn war nichts weiter dabei. Ein bisschen hatte er sogar das Gefühl, Egbert so zumindest einen geringen Teil für die Geige entgegenbringen zu können. Wenn man es also genau nahm, hatten sie beide davon profitiert. Überrascht hob sich eine seiner Augenbrauen, als er zu Skadi hinübersah, die mit einem Mal wie ausgewechselt schien. „‘Die nächsten Stunden‘?“, wiederholte er neugierig. „Das klingt jetzt aber gar nicht mehr danach, als hättest du nichts vor.“ Er klang dennoch nicht abgeneigt. Die letzten Male hatten immerhin auch einiges an Spaß mit sich gebracht. „Aber du hast Recht. Mir wär’s lieb, wenn sie aus der Schussbahn wäre. Wer weiß, auf was für Ideen du ‚die nächsten Stunden‘ noch kommst.“

Zu gern hätte sie ihm gerade scharf am Ohrläppchen gezogen und deutlich gemacht, dass er noch so viel protestieren könnte wie er wollte - sie würde bei ihrem Versprechen bleiben. Und er hatte das gefälligst nicht in Frage zu stellen. Stattdessen rollte die Nordskov nur mit den Augen und ließ die angestaute Luft durch ihre Lippen pfeifen. “Ist mir egal. Ich weiß, dass nicht jeder so gehandelt hätte - ganz gleich wie viel so ein Klumpen Erz nun wert ist oder nicht. Außerdem...“ Ein verhaltenes Grinsen huschte über ihre Züge. “Ist eh nie schlecht, von mir einen Gefallen einfordern zu können... egal wann und wo.“ Oder was. Diese Option überließ Skadi seiner Fantasie und lachte auf, als Liam ihr einen Plan unterstellte, den sie nicht wirklich hatte, zugebener Maßen.
“Ich mir einfallen lasse?“ Protestierend kniff sie ihm in die Seite. “Also ich habe ja nicht vorgeschlagen ein paar Kindern die Leviten zu lesen.“ Auch wenn sie mit Freuden bei der Sache gewesen war.
Was sie nun allerdings tun sollten, verschwamm zu einem dunklen Brei, kaum dass sich die Nordskov darauf zu fokussieren versuchte.
“Lass uns abwarten. Ich habe das Gefühl, dass uns das Schicksal eh einen Strich durch die Rechnung macht.“ Sicherlich glaubte die Dunkelhaarige nicht an solcherlei Humbug, doch in den letzten Tagen waren ihr die Götter zum Großteil Hold gewesen. Es würde sie also nicht verwundern, wenn sich alsbald von allein ein Weg auftat, der zwischen der Stadt und der Sphinx lag.

Ihm fiel es oft schwer, hinzunehmen, dass Dinge, die für ihn selbstverständlich waren, eben dies bei anderen nicht waren. Aber er hatte auch ganz bestimmt nicht vor, sich darüber nun mit Skadi zu streiten. Wenn sie ihm gern einen Gefallen schuldig war, bitteschön. Blieb nur zu hoffen, dass er sich auch im rechten Moment daran erinnern würde. Liam wog den Kopf in einer Bewegung, die Skadi verdeutlichte, dass es ihm recht war und er keine weiteren Wiederworte leisten würde. Stattdessen wendete er das Thema und tatsächlich – da war die Skadi, mit der er die letzten Tage erstaunlich viel Zeit verbracht hatte. Mit einem Schritt zur Seite versuchte er, ihrem Angriff auszuweichen, ließ es sich aber nicht nehmen, noch einmal nachdenklich die Stirn zu runzeln und schließlich ziemlich überzeugt zu nicken. „Hast du nicht? Mir war so gewesen… Ich meine – sieh mich an. Als ob ich jemals auf solche Ideen kommen würde.“ Die Unschuld in Person, eindeutig! Doch es war klar, dass er sie lediglich aufziehen wollte – jetzt, wo er sich nicht mehr ganz so unempathisch dabei vorkam und sie zu ihrem Lächeln zurückgefunden hatte. „Du hast Egbert doch gehört. Die Landschaft soll auch ganz ansehnlich sein.“ Eine Möglichkeit, der sie nachgehen konnten, sobald sie ihr Hab und Gut in Sicherheit gebracht hatten.
Der Weg zurück zur Sphinx lief sich erstaunlich schnell für sein Gefühl. Und kaum hatte er die Violine vorsichtig neben seiner Truhe verstaut, befanden sie sich auch schon auf dem Weg zurück zum Festland. Ein bisschen trauerte er der Möglichkeit nach, sich seinem neuen Instrument zu widmen, aber spätestens, wenn sie wieder auf See waren, würde er wohl genug Zeit dafür finden. Die Möglichkeit, die Insel zu erkunden hingegen war begrenzt. Kurzentschlossen und ohne wirkliches Ziel vor Augen schlug er dieses Mal einen anderen Weg vor als den, den sie mittlerweile wohl alle auswendig kannten. Irgendetwas würde sich schon finden lassen. „Kannst du angeln?“, fragte er schließlich aus dem Nichts. „Hier wimmelt es doch nur so von Flüssen. Und gegen einen frisch gefangenen, gegrillen Fisch hätte ich nichts einzuwenden.“

Skadi musste angesichts der Unschuldsmiene schmunzeln. Als ob Liam nicht danach aussah, den Schalk im Nacken sitzen zu haben! Bitte. Nach den wenigen Tagen, die sie bereits mit ihm verbracht hatte, wusste sie, wie viel Kind noch in ihm steckte. Und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er die schelmische Skadi aus ihr heraus holte, die sie in den ersten Jahren ihrer Kindheit gewesen war. Die sich liebend gern mit ihren Cousins raufte und mit unbändiger Neugierde ihrer Umgebung widmete.
“Ja ja... Straßenköter und so.“

Enrique hatte sie kurz nach ihrer Ankunft auf dem Schiff nirgends gesehen. Womöglich versteckte er sich im Bauch der Sphinx oder streifte als einsamer Wolf durch die Wälder. Irgendwie war ihr nicht wirklich wohl dabei, dass er allein durch die Gegend geisterte und womöglich ebenso durch den Wind war, wie sie selbst. Schließlich bezweifelte die Nordskov, dass er ebenso einen braunen Lockenkopf bei sich hatte, der das Schlimmste zu verhindern wusste. Doch wohl oder übel musste sie sich eingestehen, dass der Ältere gut auf sich selbst aufpassen konnte. Dass hatte er schon Jahre vor ihr getan und würde es auch noch weit nach ihr tun.
Mit einem grübelnden Blick über die Wasseroberfläche näherten sich die zwei Kindsköpfe wieder dem Festland in ihrer kleinen Jolle. Mit braun gebrannten Gesichtern und der schieren Abenteuerlust in den Augen.
“ Ich würde es nicht unbedingt angeln nennen.“, warf die Dunkelhaarige über ihre Schulter dem Musiker als Antwort zu und sprang bereits ins Knie hohe Wasser, um das hölzerne Gefährt an Land zu ziehen und in einem Dickicht zu verstecken.
“Ich kann dir Fische mit Netzen und Holzspeeren fischen. Oder bringe dir gleich bei, wie es geht.“ Ihr gefiel der Gedanke und nicht etwa, weil die sich ihm auf diese Weise ebenbürtig fühlte, sondern weil damit allmählich das Gefühl von Heimat in ihre Glieder zurückkehrte. Sie hatte mit Freuden den anderen Kindern gezeigt, was ihr Vater oder ihre Großmutter sie gelehrt hatten. Wissen war ein kostbares Gut, das man in der Familie und unter Freunden stets teilte.
“Also... ich wäre bereit für ein bisschen Wassersport.“
Langsam folgten sie den ausgetrampelten Wegen, die Skadi in den letzten Tagen gekreuzt oder beschritten hatte. Erklommen einige Minuten einen steilen Hügel ehe sie unvorhergesehen einen Flusslauf erreichten, der unter den wenigen Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blattwerk drangen, wie Edelsteine zu funkeln begann.
“Da wären wir.“ Drang es breit lächelnd aus der Jägerin heraus. Wirbelte den dicken Stock in ihrer Linken durch die Luft und steuert auf eine kleine Steingruppe zu. Der Kies knirschte unter ihren Füßen und entlockte ihr ein wohliges Summen, kaum dass sie sich niedergelassen hatte und mit dem Dolch aus ihrem Hüftholster das Ende des Stabs bearbeitete.

„Gern.“, stimmte er ihrem Vorschlag zu und freute sich bereits jetzt darauf, am Ende des Tages einen selbst gefangenen Fisch in den Händen zu halten. Selbst gefangen oder gepflückt schmeckte es einfach besser – auch, wenn sie sich definitiv nicht über Rayons Kochkünste beschweren konnten. Er hatte oft abends auf der Sphinx gesessen und versucht, den ein oder anderen Fisch an ‚Land‘ zu ziehen, um die knappen Ressourcen ein wenig auszugleichen. Ganz zum Leidwesens Shanayas, die bei jeder weiteren Fischsuppe nur die Nase gerümpft hatte. Aber das war gewesen, bevor Rayon zu ihnen gestoßen war. Nicht mal ganz ein Monat war seitdem vergangen. Und trotzdem fühlte es sich bereits jetzt an wie eine kleine Ewigkeit. Er folgte Skadi schweigend. So tief war er in die wilden Wälder der Insel vertieft, von denen Egbert geschwärmt hatte. Die junge Frau schien ein genaues Ziel vor Augen zu haben, während Liam vermutlich einfach blind losgelaufen wäre, um zu sehen, wo er ankam. „Du hast hier viel Zeit verbracht die letzten Tage, hm?“ Und damit meinte er nicht die Zeit, während der sie herumgegeistert war, sondern die Tage, an denen sie mit Wild im Gepäck zur Sphinx zurückgekehrt war. Und tatsächlich hatte sie ein recht schönes Plätzchen herausgesucht, welches nicht im Entferntesten vermuten ließ, dass sie noch nah an der Stadt dran waren. Skadi widmete sich bereits einem geeigneten Werkzeug, während Liam das Flussufer entlangschritt.
. Der Fluss rauschte leise und bahnte sich seinen Weg zwischen kleineren, strömungsbrechenden Felsen hindurch über den Kies des Flussbetts. Nichts verriet, dass er sich wohl nur wenige hundert Meter entfernt eine der Klippen hinunter in die Tiefe stürzte. Schließlich war er in einem größeren Halbkreis um sie herumgelaufen, hatte sich ebenfalls einen Ast aus einem Baum herausgebrochen und setzte sich flussaufwärts auf einen kleinen Felsen, der in den Fluss hineinragte, um Skadi von dort bei ihrer Arbeit zuzusehen und beiläufig seinen eigenen Stock etwas anzuspitzen. „Habt ihr immer mit Speeren nach Fischen gejagt?“

Für einen kurzen Moment wandte sich der dunkle Haarschopf zur Seite. Senkte sich zu einem bestätigenden Nicken und fuhr zurück zu dem Weg, den sie eingeschlagen hatten. “Ist das so offensichtlich?“ Natürlich war es das. Ihr Tonfall ließ auch keinen Zweifel daran, dass ihr das mehr als bewusst war. “Ich liebe die Wälder. Bist du schon einmal bis ganz hinauf in die Kronen geklettert und hast dir dort oben den Sonnenaufgang angesehen? Es ist beeindrucken.“
Kaum zu glauben, dass ihr letzter Besuch in den Wipfeln ewig her war.

In langsamen Bewegungen schlich Liam um sie herum und setzte sich einige Meter entfernt auf einen der Felsen, dessen Fuß das Wasser in kleinen Kreisen aufwirbelte.
Auf seine Frage hin hob Skadi den dunklen Schopf und drückte die Klinge des Dolches tief in den Scheitel des Stocks. Spaltete ihn in drei gleichmäßige Teile und steckte zwei kleine Ästelchen in die Spalten.
“Es war das erste, das ich als Kind gelernt habe...“
In ihrem Dorf galt das Fischen mit Speer schließlich als erster Teil ihres Überlebenstrainings. Man übte sich in Geduld, Schnelligkeit und Disziplin - wichtige Eckpfeiler für den steinigen Weg zum Erwachsensein.
“Netze zu verwenden ist aber weitaus bequemer.“, gestand die junge Nordskov lächelnd, “du hast sowas in deiner Kindheit nie machen müssen, oder?“ Höchst wahrscheinlich zählte der Lockenkopf zu jenem Teil der Gesellschaft, der sich den Fisch frisch vom Markt holte und nie dafür eigenständig losziehen musste. Doch sie würde ihn dafür ebenso wenig verurteilen, wie jeden anderen. Im Gegensatz zu ihr beherrschte er die feinsten Instrumente und konnte lesen wie ein junger Gott. Das war ebenso viel wert wie ihr scharfes Auge und die tödlichen Spitzen ihres Speers. Allerdings war sie gespannt darauf, wie gut er darin war eines der schimmernde Schuppentiere zu erbeuten und auszunehmen. Ihre Schwestern und kleinen Brüder hatten sich nicht selten davor geekelt und hinter dem Haus erbrochen.

Auf seinen Zügen zeichnete sich ein blasses Lächeln ab, als er den Kopf zu den Kronen hob und sich die Szenerie vorstellte, die Skadi gerade beschrieb. „Nein, bislang noch nicht.“, gestand er und malte sich derweil aus, wie die Morgenröte den Wald am Horizont in Flammen tauchte, die fast bis zu einem selbst reichten. Er hatte sich bislang damit begnügt, dieses Naturschauspiel entweder auf freien Flächen zu verfolgen oder eben zwischen den Stämmen eines Waldes hindurch, wenn es sich ergab. Selbst über dem Fluss hielten die Baumkronen den Himmel im Zaum. Er war nicht breit gebaut, um eine deutliche Schneise Hineinzuziehen, aber dadurch auch nicht zu wild, als dass Fische ihn als Heimat nutzen konnten.
Er hatte die Beine im Schneidersitz verschränkt und widerstand dem Drang, die nackten Füße ins Wasser zu halten. Er wollte ihre Beute nicht verschrecken, bevor die Jagd überhaupt begonnen hatte. So saß er dort, spitze seinen Stock an und beobachtete Skadi, die dabei weitaus professioneller wirkte als er. Die Erklärung folgte aber auf dem Fuß. Liams Versuch war es nicht, mehr über ihre Herkunft herauszufinden, wie man vielleicht vermuten konnte. Es war reine Neugier an ihr, an ihren Fähigkeiten, die in einer komplett anderen Richtung lagen wie die seinen. „Ich war ein paar Mal mit meinem Vater angeln. Aber nicht, weil wir mussten. Und danach hat es mir vielleicht den ein oder anderen Abend gerettet. Manchmal aber auch nicht.“, lachte er. Dann war man eben hungrig geblieben und hatte am nächsten Tag sein Glück versucht.
Allerdings hatte er es nie mit Speeren versucht, sondern mit Routen. Er hatte die Geduld, um am Ufer zu warten, hätte sich aber nie die nötige Konzentration zugesprochen, eines der Tiere gezielt herauszupicken. Aber er war bereit, es zu versuchen. Entweder es klappte oder eben nicht. Er hatte nicht mehr zu verlieren als ein leckeres Abendessen - aber dafür wollte ja ohnehin Skadi für den Rest seines Lebens aufkommen. Schließlich begutachtete er seine einfache Spitze, die zwar nicht an die der jungen Frau herankam, aber ihren Zweck sicher erfüllen würde. „Ich musste dafür andere Dinge tun. Weniger... direkt Praktische. In einer wirklichen Notlage bringt es mir nämlich nur wenig, ein Klavier spielen zu können oder derart.“

Eine Weile beobachtete Skadi den Lockenkopf schweigend, während er sprach und den Stock behände mit seinem Messer anspitzte. Fast zeichnete sich ein amüsiertes Lächeln ab, ob seiner missglückten Angelversuche. Doch sie senkte lieber den Kopf und legte Speer und Dolch zur Seite, um eine Schnurkordel von ihrem Hüftholster zu lösen. Wieder einmal zahlte es sich aus auf allerlei Dinge vorbereitet zu sein. Auf anderen Inseln galt das sicherlich als absolut Vorbild für die Pfadfindergemeinschaft. Mit einem kurzen Ruck trennte sie mit der Klinge des Dolches einen Teil der Naturschnur ab und verstaute den Rest an seinem angestammten Platz.
“Kommt ganz auf die Situation an.“ Entgegnete die Dunkelhaarige mit gespitzten Lippen, währen sie die Schnur kräftig zwischen den Speerspitzen und dem Schaft verwob. “Deine Talente machen es dir einfacher dich in gehobenen Kreisen zu bewegen.“ Unausgesprochen blieb, dass er in diesem Punkt sogar einen großen Vorteil im Vergleich zu ihr und anderen Mitgliedern der Sphinx besaß. Fest verschnürte sie die zwei Enden der Schnur und erhob sich langsam. Steckte den Dolch zurück in seine Halterung und steuerte auf Liam zu. “Wenn du wolltest fändest du mich Leichtigkeit eine Gönnerin, die dich für ein Ständchen oder eine Lesestunde verköstigen würde.“
Ein Grinsen husche jäh über ihre Lippen. Breitete sich über die kantigen Züge aus, während sich Skadi die Schuhe von den Füßen streifte und neben Liam in die Hocke ging. Den Blick erst auf das Wasser gerichtet, als wollte sie abschätzen wie reich der Fluss mit Fischen gesegnet war, sah sie dann über die Schulter auf den braunen Lockenkopf. “Und wenn nicht, gibt’s da noch so einfache Frauen wie mich, die so einen Straßenköter wie dich nie verhungern lassen könnten.“ So langsam entwickelte sich diese Bezeichnung zu einem richtigen Kosenamen, der durchaus liebevoll denn abwertend gemeint war.
“Wie schaut’s aus... bist du bereit?“ Die dunklen Augenpaare huschten über die langen Arme hinab zu seinen Händen. Musterten die grobe Speerspitze, mit der es eine Kunst werden würde, den Fisch halbwegs mittig zu erwischen. Vielleicht hätte sie ihm einfach zeigen sollen, wie er sich ein einfacheres Hilfsmittel zusammenstelle. Aber hey... man lernte sein ganzes Leben. Und zur Not konnte sie ihm immer noch ihren Speer überlassen, so er denn wollte.

Auch, wenn er nicht nachfragte, beobachtete er neugierig aus dem Augenwinkel heraus, wie Skadi ihre Speerspitze noch weiter verfeinerte. Im Vergleich dazu sah sein provisorischer Stock wirklich fast schon primitiv aus. Ob er aber trotzdem Wirkung zeigte, würde sich noch herausstellen. Er selbst glaubte ja nicht wirklich daran, dass sich an seinen Fähigkeiten etwas geändert hatte. Vermutlich würde er den Fisch verjagen, bevor er ihn überhaupt gesehen hatte. Dass es aber funktionieren konnte, hatte er schon öfter gesehen. Es gab tatsächlich Fischer, die sich voll und ganz auf diese Weise spezialisiert hatten. Allerdings eher, weil Netze an diesen Stellen unpraktisch waren und eine Angel nie ausgereicht hätte, ihren Bedarf zu decken. Skadi sah nicht auf, als sie ihm antworte. Dementsprechend entging ihr vermutlich auch sein unschlüssiges Wiegen mit dem Kopf. „Die Frage ist, ob ich das will.“ Trotzdem hatte sie recht. Er kannte viele Lebensweisen, fühlte sich in dieser hier aber weitaus wohler als in feinem Zwirn und gesellschaftlichen Grenzen. Das sah man seinem zufriedenen Grinsen allerdings auch an. Liam fühlte sich alles andere als unwohl mit seinen bisherigen Entscheidungen. Als sie fortfuhr, verkniff er sich hörbar ein Lachen, unterbrach sie allerdings nicht, sondern folgte ihrer Bewegung mit aufmerksamem Blick, bis sie sich neben ihm niederlies.
„Richtig, die Gönnerin kann ich mir ja jetzt sparen, nachdem du dich dieser Sache so großzügig annehmen wolltest.“ Mit einem zufriedenen Ausdruck auf den Zügen spähte er ins Wasser hinab. „Als einfache Frau, die sich jahrelang verdeckt in die Marine geschlichen hat und dort vermutlich mehr geleistet hat, als ein Großteil der starken, kräftigen Männer.“ Sie untertrieb definitiv, als sie sich als ‚einfache Frau‘ bezeichnete. Skadi war vieles, aber mit Sicherheit nicht einfach. „So bereit wie nur möglich.“, bestätigte er schließlich und hob demonstrativ seinen primitiven Speer in die Höhe. „Wir warten auf Anweisung.“

Liam konnte es von seiner Position aus nicht sehen, wie sich Skadis Miene nachdenklich verzog und dann recht zufrieden aufhellte. Der Lockenkopf hatte ihr eine entscheidende Information geliefert, die irgendwann von Bedeutung sein konnte. Wenn es um eine Entscheidung gehen würde, die Skadi nicht von ihm brauchte, weil sie ungefähr erahnen konnte, was der Lockenkopf wollte, der nun neben ihr hockte und bereit für seine erste Lektion war. Sagen würde sie es ihm jedoch nie - die Genugtuung behielt sie ganz für sich allein, dass der Musiker eine Gesellschaft mit „Ihresgleichen“ dem von Aristokraten und Hochwürden vorzog. Es gliederte ihn immer tiefer in eine „Familie“ ein, die die Crew der Sphinx für sie werden konnte. Und die Vorstellung dessen würde ihr gefallen - irgendwann, wenn sie es sich erlaubte alte Gefühle zuzulassen und die Gefahr eines erneuten Verlust geliebter Menschen in Kauf zu nehmen.
“Dann wird aber auch alles gegessen was auf den Tisch kommt. Extrawürste gibt’s bei mir nicht.“, fügte die Nordskov schmunzelnd ein und fühlte sich als spräche sie just mit ihrem kleinen Bruder, der bockig vom Tisch aufgestanden war.
“Du klingst schon fast wie Shanaya, wenn du es so sagst.“ Die Worte der kleinen Navigatorin hallten wie ein Echo in ihrem Kopf. Skadi befand, dass „mehr Mann sein als jeder Kerl auf dem Schiff“ durchaus ein positives Kompliment gewesen war. Noch hatte sie sich selbst nicht wirklich davon überzeugen können. In ihrem Universum gab es keine Schubladen für dieses und jenes. Frauen konnten genauso gut Machtpositionen besetzten wie jeder Mann - was keine Selbstverständlichkeit in der ersten Welt war, wie die Jägerin nach dem Tod Ihrer Familie auf harte Weise lernen musste.
“Na dann wollen wir mal...“ Behutsam glitt der schmale Körper über den Rand des Felsens in kühle Nass. Genoss für einen Moment das Wasser an Zehen und Knöcheln, bis sie den kiesigen Untergrund erreichten und sie mit vorsichtigen Schritten tiefer hinein watete. Der Boden war uneben und glitschig. Skadi musste bei jedem Schritt darauf Acht geben nicht abzurutschen oder sich die Fußsohlen an einem spitzen Stein aufzureißen.
“Pass auf wenn du läufst, die Kiesel sind zum Teil noch recht spitz.“, gab die Liam zur Warnung und machte sich dann bereit. Hielt inne und musterte die Wasseroberfläche stromaufwärts aufmerksam. “Das wichtigste ist, ein bisschen tiefer zu zielen, sonst schlägst du weit über dem Fisch ins Wasser und verscheuchst ihn.“ Sie hätte ihm auch etwas von Lichtbrechung erzählen können, doch gerade in jenem Moment bemerkte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Einen dicken Körper der noch weit entfernt durchs Wasser schwamm und nur gemächlich näher kam.

Wenn man etwas sagen konnte, dann dass Liam seinen Eltern in vielerlei Dingen eigentlich recht ähnlich war. Ein Freigeist, der nur ungern Wert darauf legte, wie er in der Öffentlichkeit auftrat. Nachdem seine Mutter erkrankt war, war sie ohnehin nur noch an guten Tagen gerne vor die Tür gegangen. Sein Vater hatte sich bei Feierlichkeiten dann meist alleine zeigen müssen. Trotzdem hatte seine Mutter ihm beigebracht, dass es manchmal wichtig war, sich zu verstellen. Mal zu lachen, obwohl es nicht witzig gewesen war oder mit einer kleinen, feinen Lüge nirgends anzuecken. Nachdem sie verstorben war, hatten Liam und sein Vater das allerdings nicht weiter beherzigt. Wer Noah unfreundlich gekommen war, hatte sich damit abfinden können, dass kein Handel zustande kam. Nicht unbedingt wirtschaftlich, aber menschlich ein Aspekt, auf den er immer wert gelegt hatte. Liam tat es ihm gleich.
Ihre Drohung nahm er recht gelassen hin. Es gab kaum etwas, was er nicht aß. Und so, wie Skadi redete, war sie im Bereich Zubereitung vermutlich ähnlich bewandert wie bei der Beschaffung. Noch ging er davon aus, diesen Deal nur gewinnen zu können. Vorausgesetzt, sie ließ ihn nicht absichtlich ins Messer laufen. „Ich werde es nicht wagen, mich zu beschweren.“, versicherte er ihr mit einem gespielt ehrfürchtigen Ton.
Als sich Skadi von ihrem kleinen Felsen ins Wasser gleiten ließ, streifte sich der Ältere noch schnell die Sandalen von den Füßen, krempelte die Stoffhose bis knapp unters Knie und folgte ihr in den kühlen Strom des Flusses. Das Wasser umsülte seine Beine bei diesen Temperaturen angenehm und für einen Moment blendete er aus, dass sie eigentlich Fische fangen wollten. Er hätte sich jetzt auch damit begnügen können, einfach die Natur zu genießen – hätte ihn sein Magen nicht früher oder später daran erinnert, dass das Leben mit Essen angenehmer war. Er nickte auf ihre Erklärung hin und besah sich das Bild eines prägnanten Steines im Flussbett, welches unter der Wasseroberfläche auf- und abzuhüpfen schien. Schließlich fielen ihm auch kleine, filigrane Wesen auf, die unscheinbar durch das Flusswasser flitzten. Aber davon würde sie keiner auch nur annähernd satt machen. Er folgte Skadi, achtete allerdings eher auf die kleinen Fische als auf den Untergrund, wodurch er auch prompt kurz ins Rutschen geriet und sich an der Gestalt der Jüngeren festhielt, um nicht ganz ins Wasser zu stürzen. Liam verzog das Gesicht – nicht etwa, weil er wirklich Furcht gehabt hatte zu fallen, sondern weil er fürchtete, ihre Beute damit verscheucht zu haben. Eine stumme Entschuldigung lag auf seinen Lippen, während er sich fast nicht traute, sich noch einmal zu bewegen und daher nur langsam die Hand von ihrem Schulterplatt löste, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erzielen.

Sie hörte das leise Platschen hinter sich und wusste, dass Liam ihr mit bedachten Schritten folgte. Klebte mit den braunen Augenpaaren förmlich an der Wasseroberfläche, bis sie stehen blieb und wartet, bis der große Fisch zu ihr hinab geschwommen kam.
Allmählich blendete Skadi die Welt um sich herum aus. Das Zwitschern der Vögel. Das Rauschen hoch oben in den Baumkronen. Das leise Surren von Bienen und Käfern im Unterholz. Ihr Körper und Geist wurden eins mit dem Fluss. Bis zu jenem Moment als Liam strauchelte und sich gegen ihr Schulterblatt drückte. Wie aus einem Reflex breitete Skadi die Arme aus, verlagerte ihren Schwerpunkt nach unten, um mit breitem Stand nicht direkt vorn über zu kippen. Mit einem schweren Atemzug wandte sich der dunkle Schopf herum, als Liam sich mit entschuldigender Miene in Zeitlupe ausbalancierte und zurück auf seinen Platz glitt. Mit einem leichten Kopfschütteln widmete sich die Nordskov wieder ihrem Ziel... das just nicht mehr an seinem Platz war. Der Lockenkopf hatte die Fische erfolgreich aufgescheucht. Oh man. Dabei hatte sie ihn noch vor dem glatten Untergrund gewarnt.

Eine Weile standen sie regungslos im Wasser, das mal ruhig, mal wild um ihre Beine glitt und leichte Wirbel in der Oberfläche hinterließ. Und gerade als Skadi die Hoffnung aufgegeben hatte, erkannte sie einen dunklen Schatten weniger Meter voraus. Hob nur langsam die Arme, um sich für einen Angriff bereit zu machen und warf den Speer unvorhergesehen mit voller Kraft ins Wasser. Kleine Spritzer erhoben sich in die Luft. Funkelten eine Weile vor ihren Augen, bis Skadi die Stille mit einem siegessicheren “Ha!“ durchstieß und langsam voraus watete. Der erste Schuss hatte gesessen. Wenn auch nicht ganz wie er sollte. Doch wenig später ragte der aufgespießte Fisch noch zappelnd in der Luft, als Skadi sich, mit dem Speer in der Hand, zu Liam herum wandte. “Du musst heute definitiv nicht hungern.“

Er hätte zu gerne behauptet, dass er nichts dafür konnte, doch ihm war leider sehr bewusst, dass er nicht unbedingt zu den aufmerksamsten Menschen gehörte. Den Fisch, den Skadi im Blick gehabt hatte, hatte er auch danach nicht bemerkt gehabt, als er sich rasch aus dem Staub gemacht hatte. Ihm war also gänzlich unbewusst, dass er sie gerade um die erste Chance auf ein Abendessen gebracht hatte. Nichtsdestotrotz mahnte er sich nun, besser aufzupassen; atmete sogar flacher, bevor die Jüngere ihn gänzlich von ihrer Unternehmung ausschloss, um irgendwie Erfolg zu haben. Jedenfalls mahnte er sich so lange, bis ihm der Fluss inmitten des unberührten Waldes wieder andere Gedanken bescherte. Die Zeit verging, während sie schweigend im Wasser standen und auf ihre Gelegenheit warteten. Liam folgte dem Flusslauf flussaufwärts, bis sich sein Blick wieder am Ufer verlor, an den Sträuchern und Bäumen, die sanft im Wind wogen. Und dann erinnerte er sich plötzlich wieder daran, weshalb sie das hier taten und konzentrierte sich wieder auf das, was direkt vor ihm lag – leider kein Fisch in ausreichender Größe. Plötzlich durchstieß etwas hörbar die Wasseroberfläche. Liam sah auf und stellte überrascht fest, dass Skadi wohl mehr Erfolg gehabt hatte als er – jedenfalls was die Sichtung betraf. Doch als sie sich dran machte, ihren Stock wieder aus dem Wasser zu fischen, zappelte an dessen Spitze tatsächlich ein Fisch. „Wow, nicht schlecht!“, bemerkte er anerkennend und musterte das Tier mit einem erfreuten Lächeln auf den Zügen. „Unfassbar, dass du den aus der Entferung getroffen hast.“ Er hätte ihn vermutlich nicht einmal gesehen. Fakt war aber auch, dass sich die restlichen Fische erst einmal vom Acker gemacht hatten.

“Timing ist alles.“, stellte Skadi nüchtern fest und watete langsam zum Ufer zurück. Sie glaubte kaum, dass sie noch einen Fisch aus dem Wasser zaubern konnte, ehe Liam vollkommen die Konzentration verlor. Vielleicht war es besser, sie überließ ihm den Fisch der nun leblos auf der Sperrspitze thronte. Das Magengrummeln seinerseits hatte sie auf ihrem Weg zum Ufer mit einem amüsierten Gesichtsausdruck wahrgenommen. “Ich glaube mehr bekommen wir heute nicht, ehe wir aufs Schiff zurück müssen.“ Geräuschvoll perlte das Wasser von ihren nackten Waden, kaum dass sie mit einem Ausfallschritt aus dem Wasser zurück auf den Felsen kletterte. “Könntest du den Fisch ausnehmen, während ich nach Feuerholz und Beeren suche?“ Mit einem kurzen Blick über die Schulter musterte Skadi den Lockenkopf und war bereit ihm im nächsten Moment den Speer samt Fisch in die Hand zu drücken. “Dann sollte es bis heute Abend zumindest etwas den Hunger stillen.“

Timing, Treffsicherheit und vermutlich noch einige andere Aspekte, die Liam nicht weiter ausführen wollte. Er war beeindruckt. Und tatsächlich auch gewillt, sich das Ganze vielleicht doch nochmal etwas näher zu bringen, wenn er nicht Gefahr lief, Skadi die Jagd zu versauen. Fürs erste sollte dieser Fisch tatsächlich reichen. Vielleicht würden sie später noch einmal Erfolg haben. Jetzt aber schien der Fluss wie leergefegt. Jedenfalls konnte Liam keinen Fisch entdecken, der den Jäger oberhalb der Wasseroberfläche noch nicht bemerkt hatte. Skadi schien es ähnlich zu gehen, denn während er noch immer im Fluss stand, watete sie bereits zum Ufer und verkündete das Ende der Jagd. Kurz lag ihm die Frage auf den Lippen, wer ihnen denn vorschrieb, dass sie auf die Sphinx zurück mussten, doch er schwieg und ließ sich überraschen, was der Abend noch bringen würde. „Ja, klar, kein Problem.“, bestätigte er und fragte gar nicht, ob er sich nicht lieber ums Brennholz kümmern sollte. Einen Fisch ausnehmen konnte er, das tat er öfters. Bei einem Wildtier hätte es wohl anders ausgesehen. „Ich hab Feuerstahl dabei. Am Lagerfeuer sollte es also nicht scheitern.“ Er hatte ihn kurzerhand eingesteckt, als sie ihren Zwischenstopp auf der Sphinx gemacht hatten. Fehlte nur noch etwas Zunder und möglichst trockenes Holz. Inzwischen war er auch umgekehrt und folgte Skadi zurück auf den Felsen, von dem aus sie ihre Jagd begonnen hatten. Seinen eigenen Speer lehnte er an den Stein und nahm schließlich bereitwillig den Fisch entgegen, um ihn herzurichten. Danach würde er noch ein paar geeignete Steine zusammensuchen, um ihr kleines Feuer zu begrenzen. Davon gab es hier immerhin genug.

Kein einziges Wesen tummelte sich mehr im klaren Flusslauf. Es war also die beste Entscheidung gewesen die Jagd vorerst zu beenden und sich dem aufkommenden Hunger zu widmen. Ohne Umschweife legte Skadi den langen Speer behutsam in Liams Hände und bezweifelte keine Sekunde lang, dass er wusste was er tat. Wenn er bereits mit seinem Vater geangelt hatte, sollte er wissen, wie er den Fisch ausnahm ohne all zu großen Schaden anzurichten. Allerdings horchte sie auf, kaum dass der Lockenkopf den Feuerstahl erwähnte. “Im Ernst... du bist doch ein Hexer oder?“ Für einen kurzen Augenblick hielt Skadi den skeptischen Blick aufrecht, den sie Liam zuwandte. Wirkte sogar als glaubte sie diese Vermutung aus vollstem Herzen. Bis zu jenem Punkt an dem sie sich lachend erhob und Richtung Unterholz verschwand. “Dass du mir ja keinen Scheiterhaufen für mich anzündest.“

Eine halbe Stunde später erreichte Skadi den kleinen Platz am Ufer, bepackt mit trockenen Ästen und einem Leinenbeutel, den sie sich wohl provisorisch aus ihrer Hose geknotet hatte, voller Blätter, einzelner Kräuter, Beeren und Pilzen.
“Tschuldige, ich musste etwas tiefer im Unterholz wühlen, um was zu finden.“ Geräuschvoll ließ sie ihr Hab und Gut neben Liam auf den Boden fallen und wischte sich mit dem Handrücken etwas Erde aus dem Gesicht. “Aber damit lässt sich bestimmt was gutes zaubern.“ In einer fließenden Bewegung glitt der schmale Körper auf die Knie und machte es sich dann in einem Schneidersitz neben Liam bequem. Entknotete die Enden ihrer Leinenhose und erlaubte dem Lockenkopf einen ausführlich Blick auf ihre gemeinsame Ausbeute.

Liam runzelte die Stirn, als sie ihm vorwarf, ein Hexer zu sein. Er kannte ihre Gedanken nicht und Feuerstahl war etwas, was sich bislang eigentlich immer als nützlich erwiesen hatte, sofern er denn daran dachte, ihn einzustecken. Ein Scheiterhaufen war allerdings nicht sein Ziel - es sei denn, man sah es als Scheiterhaufen für den Fisch, der Ihnen in die Fänge gegangen war. „Keine Sorge. Wenn ich mich recht erinnere, kommt man mit Feuer nicht gegen Wendigos an.“, konterte er, streckte ihr kurz die Zunge raus und machte sich an die Arbeit.
Während sich Skadi auf den Weg machte, löste den Fisch von ihrem Speer. Er blieb im Wasser stehen und genoss noch ein wenig die angenehme Abkühlung um seine Beine herum, während er seinen Dolch zückte und den Fisch behutsam ausnahm und entschuppte, so gut es ging. Danach spülte er den leblosen Körper im Flusslauf aus und legte ihn beiseite.
Danach begann er, passende Steine zu sammeln und nicht allzu weit vom Flussufer entfernt daraus einen kleinen Kreis zu legen, dessen Inneres er ein wenig aushob. Und schließlich war es Skadi, die ihn mit ihrer Rückkehr davon abhielt, doch nochmal sein Glück in der Fischerei zu versuchen. Allein der Gedanke daran verpuffte, als er feststellte, dass sie offensichtlich ohne Hose zurückkehrte. Sein Blick blieb unweigerlich kurz auf der Bemalung auf ihren Oberschenkeln hängen, doch sie schien auf den ersten Blick nicht ganz so bedeutsam wie die, die er im unterirdischen Tunnel zu Gesicht bekommen hatte. Somit blickte er wieder auf, grinste vielsagend, als sie sich Erde aus dem Gesicht wischte und ging neben ihr in die Hocke, um ihren Fund zu begutachten. „Ich seh‘s.“ Es war immerhin kaum zu übersehen, dass sie sich Tief in die Arbeit gekniet hatte. Ohne große Berührungsängste wischte er ihr schließlich noch ein unscheinbares Stück Rinde von der Schläfe, ehe er sich dem Hosen- eh, Beutelinhalt widmete. „Aber das scheint sich offensichtlich gelohnt zu haben. Was ist das alles?“ Kurzerhand stützte er sich leicht auf ihrer Schulter ab, um in der Hocke nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Liam breites Grinsen ging beinahe in ihrer Entschuldigung und Bewegung unter. Blieb aber letzten Endes nicht gänzlich unbemerkt. Doch sie würde später darauf zurückkommen, wenn die Mägen gefüllt und die Zeit angebrochen war, sich vom Schmutz zu befreien. Für einen kurzen Moment huschten die braunen Augenpaare in die Winkel, kaum dass der Lockenkopf sich näherte und ein Stück Rinde von ihrem Gesicht klaubte. Wie immer unterdrückte sie den ersten Impuls einer Abwehrhaltung und konzentrierte sich darauf, tief in den Bauch hinein zu atmen. Sicherlich gewöhnte sie sich langsam an die Normalität dieser Berührungen. Und es war wohl Liams Verdienst über die letzten Tage, dass sie sich dazu durchrang ihm selbiges zu erlauben wie Enrique. Somit beobachtete sie schweigend seine langen, eleganten Finger und widmete sich wenig später dem kleinen Haufen an Beeren und Pilzen, die Liam in Augenschein nahm.
“Das hier..“, begann sie und nahm einen üppigen Zweig mit dunkelblauen Beeren in die Hand,“ist Holunder. Schmeckt etwas... säuerlich, aber sehr lecker.“ Mit einem Lächeln erhob sich der dunkle Haarschopf und hielt dem jungen Musiker den Zweig vor die Nase. “Allerdings sollte man aufpassen, dass man nicht seinen kleinen Bruder erwischt. Der sieht dem hier zum Verwechseln ähnlich und ist hochgradig giftig.“ Sie hatte einmal gesehen was die Beeren einem der Dorfkinder angetan hatten und sich seitdem mer als freiwillig in die Lehre ihrer Großmutter „der Kräuterhexe“ begeben. “Dann haben wir noch Eichhasen und Birkenpilze.“, bedeutete der dunkle Schopf mit einem Nicken auf den Rest der Beute.

Ihm entging die Anspannung, die er mit seiner flüchtigen Berührung durch Skadis Körper jagte. Für ihn war es etwas völlig Normales, solange es eben nicht die guten Sitten überschritt. Seit ihrem Zögern bei seiner Tanzaufforderung hatte sie auf ihn auch nicht mehr so scheu gewirkt, sodass er den Gedanken gefasst hatte, dass er es sich einfach nur eingebildet hatte. Es war ja auch eigentlich nichts wildes dabei, ihr ein wenig Schmutz aus dem Gesicht zu angeln. Sein Blick folgte dem Zweig, den Skadi schließlich in die Luft hob. Er lauschte angestrengt und motiviert, sich diese Information und den Habitus zu merken, doch er ahnte bereits jetzt, dass das nicht wirklich einfach werden würde. Als sie ihm den Zweig deutlich vor die Nase hielt, zog er den Kopf etwas zurück und nahm ihn ihr schließlich aus der Hand, um sich die Pflanze etwas genauer anzusehen. Sein Lächeln brach etwas, als sie fortfuhr und sein Blick glitt prüfend zu ihrem Gesicht hinüber. „Sehr gut. Das heißt also für mich, dass du auch ganz genau weißt, wie du mich aus dem Weg räumen kannst, wenn dir meine Verköstigung zu lästig wird, ja?“ Er hatte keinen Grund, ihr zu misstrauen – ganz im Gegenteil. Wenn sie sagte, dass es Holunder war, würde es schon stimmen. Und wenn nicht, würde er sich danach auch keine Gedanken mehr darum machen müssen. Ein letztes Mal musterte er den Zweig in seinen Händen mit den auffällig roten Stengeln bis hin zu den dunklen Beeren am Ende, ehe er wieder einen Blick in Skadis Hose warf und die beiden Pilzarten erkennen konnte, die sie ebenfalls mitgebracht hatte. „Dann würde ich sagen, kümmerst du dich ums Essen und ich mich ums Feuer?“ Machte jedenfalls Sinn, denn sie hatte bestimmt schon eine Vorstellung davon, was sie mit all den Zutaten anfangen wollte.

Skadi musste sich ein Grinsen verkneifen. Doch selbst das Schmunzeln auf ihren Zügen hatte etwas latent bedrohliches. Wohl als einer der ersten hatte der Musiker erkannt, dass sie nicht nur ein hervorragender Wendigo war, sondern sich ebenso auf die Kunst des Giftmischens verstand. Für Skadi war es durchaus von Vorteil, dass niemand sonst davon wusste. Nicht etwa weil sie den anderen damit im Vorteil sein, sondern sich eher ihres Vertrauens sicher sein konnte, als anders herum. Auch wenn bislang keiner Anstalten machte, sie als Abschaum der Marine zu behandeln, wusste die Nordskov, dass das instinktive Misstrauen durch ihre Arbeit auf der Morgenwind tiefer wurzelte, als bei anderen Neulingen. Das lag in der Natur der Sache - niemandem würde sie es sonderlich übel nehmen.
“Ja. Zu deinem Pech könnte ich das tatsächlich... wenn ich überhaupt wollte.“, entgegnete der dunkle Haarschopf mit einer Spur tiefer Ernsthaftigkeit und griff nach einem der mitgebrachten Zweige, um die Pilze mitsamt Fisch und Kräutern aufzuspießen. “Aber vielleicht würde ich dir auch einfach ein paar Nettigkeiten abverlangen, um meine Motivation zu steigern.“ Sie sagte es so beiläufig, als wäre ihr plötzlicher Gedanke absolut belanglos, wenngleich der schelmische Ausdruck auf ihren Zügen eine ganz andere Geschichte erzählte. Während Liam das Feuer schürte, steckte Skadi den frischen Fischspieß in den Boden und verschwand mitsamt Hose und Beeren and Flussufer. Wusch die blauen Früchte gründlich, ehe -sie mittlerweile wieder barfuß- zurückkehrte und sich abermals im Schneidersitz an der Feuerstelle niederließ.
“Wie ist jemand wie du eigentlich auf der Sphinx gelandet?“ Diese Frage hatte sie die letzten Tage häufiger begleitet und einen wirklichen Reim konnte sich die junge Fau immer noch nicht so recht darauf machen. Liam war in ihren Augen alles andere als ein typischer Pirat, ebenso wie der Großteil der Crew, wenn sie so darüber nachdachte.

Er wusste nicht, ob ihm eine andere Antwort lieber gewesen wäre, denn genaugenommen war die Giftmischerei im Grunde bloß ein Umstand, der ihnen von Vorteil sein konnte. Liam war nicht berechnend genug, um sich nun oder in naher Zukunft in Gefahr zu sehen. Er hatte weder einen Grund, noch das Bedürfnis, Skadi irgendeine Grundlage zu bieten, ihm gegenüber einen Groll zu entwickeln. Außerdem wirkte sie nicht wie eine Frau, die, kaum dass einmal etwas nicht so lief, wie ihr lieb war, zu derartigen Mitteln griff. Liam schätzte es mehr als eine Art beiläufiges Wissen ein. Wenn man lernte, was nützlich war, musste man auch automatisch lernen, mit welchen Kräutern und Pflanzen man es besser nicht verwechselte. Ganz ohne das Gift im Vordergrund zu sehen. Trotzdem machte sie sehr deutlich klar, dass sie sich ihrer Fähigkeiten sehr gut bewusst war. Die Ernsthaftigkeit schwand recht schnell und stattdessen ließ sie ihn mit einem schelmischen Blick zurück, der ziemlich viel Interpretationsfreiraum ließ. „‚Ein paar Nettigkeiten‘.“, wiederholte er mit unschuldigem Unterton. „So so.“ Während Skadi sich erhob, um die Beeren und Pilze zu waschen, blieb er noch einen Herzschlag länger sitzen und folgte ihr mit dem Blick. Jetzt, wo sie ihm den Rücken zukehrte, wurde auch ersichtlich, dass die unscheinbare Bemalung auf ihren Oberschenkeln nicht das vollständige Bild gewesen war.
Oberhalb der Kniekehlen zeichneten sich zwei Tatzen in derselben Art und Weise wie ihre andere Körperbemalung ab. Doch Liam schwieg vorerst und wandte sich stattdessen lieber der Aufgabe zu, ein Feuer zu machen. Holz war schnell gefunden und auch den Zunder hatte er sich mithilfe seines Dolches schnell zurechtgehobelt, um den Feuerstahl in Mitte der Kuhle anzusetzen und den Dolch daran entlangzuziehen. Nach ein paar Versuchen glomm in den Holzspänen bereits eine kleine Glut, über die er schließlich ein paar schmalere Äste legte. Mittlerweile war Skadi zurückgekehrt und hatte sich wieder am Rande der Feuerstelle niedergelassen. Bei ihrer Frage musste er unweigerlich schmunzeln. ‚Jemand wie er‘ war nett umschrieben. Aber über seine Fähigkeiten als Pirat hatten sie ja bereits diskutiert. Eigentlich hatte er ihr eine bereitwillige Antwort geben wollen, doch gerade, als er ansetzte, kam ihm ein anderer Gedanke, der ihn kurz die Stirn runzeln ließ. Er hatte den Kopf zum Feuer gerichtet, warf der Jüngeren aber einen kurzen Seitenblick zu. „Zählt das als Geheimnis?“, war die erste Frage, die er an sie richtete, würde sich aber damit zufrieden geben, egal wie Skadis Entscheidung diesbezüglich ausfiel. „Wie jede gute Geschichte beginnt sie in einer Taverne.“, begann er verheißungsvoller als es eigentlich war. Er entfernte sich ein paar Schritte vom Feuer und setzte sich neben sie auf den Boden. „… Und mit einer Schlägerei, wenn ich mich recht entsinne. An der… Sineca eventuell maßgeblich beteiligt war.“ Er räusperte sich kurz und erinnerte sich zurück an die Trinkernase, die ihn die Tage zuvor einiges an Wettgewinn eingebracht hatte. „Sineca hat sich an einen Tisch geflüchtet, an dem Talin, Shanaya und Aspen saßen. Und was soll ich sagen? Man kommt ins Gespräch. Talin suchte Leute, die bereit waren, bei der Rettung ihres Bruders zu helfen. Und ich hatte rein zufällig nichts besseres vor.“

Für einen Moment sah sie den gewohnten hellen Ausdruck auf seinen Zügen, ehe Liam wieder die Lippen versiegelt und mit gerunzelter Stirn gen Feuer blickte. Was auch immer ihm gerade in den Sinn gekommen war, wartete Skadi geduldig auf eine Antwort und zupfte sich ein paar Holunderbären vom Geäst. Abrupt verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem vielsagenden Schmunzeln ob seiner Frage. Da wollte wohl jemand etwas wissen, wie? Doch angesichts seiner Heldentat hätte sie ihm bereitwillig eine sehr persönliche Frage erlaubt. Vorausgesetzt sie musste nicht über die Ereignisse berichten, wegen derer sie nun nickend bei ihm saß, statt auf der kleinen Insel nahe Trithên.
Aufmerksam beobachtete sie Liam bei seinen Ausführungen, dachte einen Moment an das kleine Katzenwesen, dem sie bisher weitestgehend aus dem Weg gegangen war. Manchmal glich das einer absoluten Meisterleistung, denn all zu oft erwischte sie die Sanftpfote bei dem Versuch es sich in ihrer Hängematte gemütlich zu machen oder zu schauen, was sie gerade auf Deck trieb.
“Nichts besseres vor...“, wiederholte sie seine Worte trocken und schob sich ein paar Beeren zwischen die Lippen. Entweder war Liam wagemutig oder recht naiv an die Sache heran gegangen. Über den Ausgang der Geschichte konnte sie sich allerdings herzlich wenig beschweren. “Es ist schon erstaunlich wie viele Zufälle mit einem Mal auf diesem Schiff versammelt sind. Manchmal frag ich mich ob das gut oder schlecht ist.“ Tatsächlich hatte Skadi kurzweilig nach ihrer letzten Unterhaltung mit Shanaya darüber nachgedacht. Auch wenn sie sich letztlich eingestand, dass sie nichts daran ändern konnte, wenn das blanke Chaos ausbrach. Zu gehen war nämlich dank Enrique keine Option mehr.

Ihm entging nicht, dass sie in sich hineinschmunzelte, doch so vielsagend es auch war – es war keine richtige Antwort. Aber er war nicht so sehr darauf angewiesen, als dass er ihr nicht so oder so beantwortet hätte, was sie hören wollte. Das Nicken folgte aber auf dem Fuße. Jetzt, wo er sich daran zurückerinnerte, kam es ihm noch weniger so vor, als wäre es gerade mal einen Monat her, dass er in Tokara über Talin und die anderen gestolpert war. Inzwischen war so vieles passiert. Ein nichtssagendes Achselzucken war Reaktion auf ihre Wiederholung, doch das Lächeln auf seinen Zügen definitiv nicht unzufrieden. „Ich war eh auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Warum also in den Wind schlagen, wenn sie sich bietet?“ So einfach es auch klang, das war tatsächlich seine Intention gewesen. Und früher oder später würde ihn wieder irgendetwas dazu treiben, sich eine andere Mitfahrgelegenheit zu suchen. So war es bislang immer gewesen. „Tja. Das kommt wohl ganz darauf an, was wir daraus machen, hm?“ Zuversicht sprach aus seinen Worten. Er wusste zwar nicht mehr darüber, wohin sie die nächste Reise führen würde, aber er hatte auch kein Problem damit, sich überraschen zu lassen. „Und im Zweifel trennen sich die Wege eben. Die Sphinx ist nicht die Morgenwind.“ Es war wohl klar, wie er seine letzte Aussage meinte, ehe er sich wieder nach vorne lehnte, um der Glut ein wenig mehr Luft zu geben und ein paar der kleineren Äste nachzulegen.

Liam erweckte immer mehr den Eindruck eines Fähnchens im Wind. Es blieb also abzuwarten, wann er wieder verschwinden würde. Wobei die Nordskov viel mehr daran interessiert war zu wissen, was ihn in seinen Entscheidungen lenkte. Es konnten weder Familie noch materialistische Gründe sein, dafür hatte er all zu oft gegenteilige Aussagen getroffen. Vor allem in Punkto Familie vermutete Skadi, dass er ebenso einsam sein konnte wie sie. Er erzählte meist nur von seinem Vater - das war ihr durchaus in den letzten Gesprächen aufgefallen, selbst wenn sie es nicht weiter kommentiert hatte. Und wenn Skadi ehrlich zu sich war, erkannte sie in dem Älteren jene Rastlosigkeit wieder, die zuweilen auch in ihr aufkeimte. “So wie eh und je also.“, entgegnete Skadi schmunzelnd und nahm sich zwei dickere Astgabeln, die sie auf gleiche Länge zu brechen begann. “Ich bin auch sehr froh drum, dass keiner oder sehr viele von euch nicht so sind, wie einige dieser Lackaffen und Arschkriecher.“ Beim letzten Ruck mit beiden Hände gegen das Holz hätte sie sich fast beide Enden in die Oberschenkel gerammt. Das Thema „Männer auf der Morgenwind“ schien wohl immer noch ein kleines rotes Tüchlein zu sein. “Das macht es mir um einiges leichter zu bleiben.“ Ganz davon abgesehen, dass sie ganz bestimmte Gesellschaften mehr als nur genoss.
Geduldig wartete Skadi bis der Lockenkopf wieder auf den Boden zurückgeglitten war und beugte sich dann selbst in Richtung Feuer. Drehte die zwei Astgabeln tief in den weichen Boden, damit sie alsbald den Fisch über die heiße Glut legen konnten. Doch bis dahin ließ sich der dunkle Schopf entspannt auf den Rücken gleiten und streckte sich genüsslich.

„Die Crew ist schon… außergewöhnlich.“, betitelte er es. Doch er war recht glücklich darüber. Vielleicht zogen sie gerade deshalb Leute an, die eben nicht so waren wie alle anderen. Wer sonst hielt es mit einer Gruppe Menschen aus, die chaotisch schien, aber doch erstaunlich gut zusammenarbeiten konnte, wenn es nötig war. Skadi schien umso glücklicher darum, nicht mehr bloß von rangbesessenen Primaten umgeben zu sein. Ihr Glück vermutlich, dass die Crew der Sphinx nicht nur Streuner mit offenen Armen aufnahm, sondern auch durchaus Frauen nicht abgeneigt war. Hätte ein anderes Schiff voller Piraten die Morgenwind überfallen, hätte sie vermutlich zwischen Tod und Menschenhandel wählen können und Liam war sich überraschend sicher, dass er wusste, wie es ausgegangen wäre. Vermutlich aber nicht, ohne einige der Angreifer mit in den Abgrund zu ziehen. Das Feuer war indes auf einem guten Weg, brauchte aber noch ein bisschen Zeit, um an Hitze zu gewinnen. Die Jüngere bereitete inzwischen den Spieß vor, der den Fisch über der Flamme halten würde. Liam begutachtete abwesend abermals die beiden Pfoten auf ihrer Haut, ehe sich sein Blick im wachsenden Lodern des Feuers verlor. „Bleibt halt abzuwarten, wie die Sache mit der Zusammenarbeit die nächsten Wochen funktionieren wird.“, meinte er schließlich und lehnte sich mit einem zufriedenen Gähnen zurück, wo er sich mit beiden Armen am Boden abstützte. „Wenn der Ausnahmezustand dem Alltag weicht.“

Da war etwas dran. Der Alltag konnte er wirklich unter Beweis stellen, wie gut sich die Charaktere auf See verstanden. Hier hatten sie allerlei Möglichkeiten sich gepflogen aus dem Weg zu gehen. Skadi sah für sich selbst allerdings keine Probleme, solange ihr niemand weiß zu machen versuchte, dass sie als Frau an den Herd gehörte. “Wir zwei funktionieren auf jeden Fall ganz gut, meinst du nicht?“ Ein zufriedener Ausdruck spann sich über ihre Züge während sie die Hände hinter den Kopf bettete und mit funkelnden Augenpaaren zu Liam hinauf blickte. Sie würde niemandem etwas vormachen müssen, dass sie sich gut riechen konnten. In den letzten Tagen waren ihre Wege oft über Kreuz gelaufen und hatten sie fast schon mutwillig aufeinander los gelassen. Bisher hatte es immer in reichlich Spaß und erstaunlich tiefsinnigen Gesprächen geendet. Etwas das Skadi innerhalb der letzten Jahre selten erlebt hatte. “Ich kann mich auf jeden Fall nicht beschweren.“ Und da war es wieder, das breite Grinsen, das sie seit dem Tod Ihrer Familie eigentlich als ausgestorben geglaubt hatte.

Hätte er ihre Sorgen gekannt, hätte er sie ihr vermutlich nehmen können. Gerade unter Talin wagte es wohl kaum jemand, die Nützlichkeit von Frauen in Frage zu stellen. Und Liam meinte gewiss nicht das, was sich nun wohl ein Großteil der Seemänner darunter vorstellte. Wem das nicht passte, dem stand es nach wie vor offen, die Crew zu verlassen. Der Lockenkopf bezweifelte keine Sekunde, dass die Blonde bestrebt war, derartige Unstimmigkeiten an Board im Keim zu ersticken. Sie alle wussten, dass sie unter einer Frau segelten. Sich dann zu beschweren, dass sie zwei weitere Frauen an Board hatten, wäre in seinen Augen eine eigenartige Doppelmoral gewesen. Besonders dann, wenn sie sich nützlicher erwiesen als Träumer wie er. Noch bevor sich Liams Blick von den Flammen gelöst hatte, hatte sich ein ehrliches Lächeln auf seinen Zügen ausgebreitet, welches bis zu seinen Augen reichte. „Wenn es darum geht, Kindern ihre Schätze abzujagen, zweifellos.“, stimmte er ihr zufrieden zu. „Oder darum, einen Abend gekonnt zu genießen.“ Liam schien ebenfalls recht zufrieden mit dem, was ihnen die letzten Tage beschert hatten. Er erwiderte Skadis Blick mit gedrehtem Kopf und musste beim Funkeln in ihren Augen unweigerlich zurück an den Moment im unterirdischen Geheimversteck denken. Sein Blick wanderte unwillkürlich über ihre feinen Züge, die rundliche Nase und das verhaltene Kinn. Jetzt, wo er sie so sah, kam es ihm fast undenkbar vor, dass sie es all die Zeit bei der Marine geschafft hatte, als Mann durchzugehen. „Du bist schon was Besonderes.“, sprach er seinen gedanklichen Exkurs schließlich als ehrlich gemeintes Kompliment aus und wendete den Blick hinauf zu den Baumkronen. Das Feuer knisterte mittlerweile leise neben ihnen.

Sein Lächeln bahnte sich nur einen schwachen Weg zu ihr hinab. Wurde erst von seinen Schultern verdeckt, während er sprach und zeigte sich dann in voller Blüte, als er sich herum wandte und ihn das schmunzelnde Antlitz der Nordskov blickte. Sie würde ihm in keinem Punkt widersprechen. Hatte einen hervorragenden Wendigo abgeben, den er spielend leicht zu kontrollieren wusste. Hatte mit ihm betrunken auf dem Fest getanzt und sich seit vielen Jahren wieder frei und ungebunden gefühlt. Womöglich verbrachte sie deshalb so gern Zeit mit ihm, sobald sich die Möglichkeit dazu bot. Liam ließ sie sein, wie sie war - und förderte etwas an ihr zu Tage, mit dem sie ausnahmsweise nicht an sich selbst zweifelte. Es war schön nicht pausenlos über alles nachdenken oder hinterfragen zu müssen.
Ein warmer Hauch umspielte die braun gebrannten Züge, als der Lockenkopf fortfuhr und damit eine brennende Wärme in ihren Bauch pflanzte. Sie spürte wie ehrlich er es meinte und seltsamer Weise glaubte sie sogar, dass ihre Wangen zu glühen begannen. Die Dunkelhaarige hätte sich selbst womöglich nie so bezeichnet. Ganz sicher auch so einige andere nicht, mit denen sie bisher zu tun gehabt hatte. Doch irgendwie gefiel es ihr, dass der Musiker so über sie dachte. Viel zu sehr.
"Muss wohl an deinem guten Einfluss liegen." Für einen Moment hafteten die braunen Augen noch auf seinem Hinterkopf, ehe sie die Lider schloss und sich langsam aufrichtete. Dabei die Beine an den Oberkörper zog und ihren Kopf auf die Knie bettete. "Auf die Gefahr hin ziemlich kitschig zu klingen... ich hoffe dass wir noch viele solcher Momente zusammen erleben." Und nun war es an ihr das warme, ehrliche Lächeln auf ihren Lippen zu spüren, das sich bis zu den brauen Augenpaaren stahl. "Ich habe mich schon lange nicht mehr so sehr wie... ich selbst gefühlt." Es war leise ausgesprochen. Über die Knie hinweg, die ihre Lippen bei den Worten berührten und direkt auf das Feuer gerichtet waren, das langsam zurückging und eine schillernde Glut hinterließ. Immer noch haftete die leichte Röte auf ihren Wangen, verschmolz mit dem zufriedenen Lächeln auf ihren Zügen.

Wann hatte er sich das letzte Mal so leicht gefühlt? Und zwar nicht die Leichtigkeit, weil er sich keine Sorgen darum machte, wie er auf andere wirkte – sondern die Leichtigkeit, wirklich er selbst sein zu können. Mit all den Träumen und kindlichen Gedanken, die nun einmal zu seiner Welt gehörten. Mit all der Abenteuerlust, dem Optimismus und der wohlgewählten Naivität, die ihn dazu veranlasste, sämtliche Situationen mit einer ‚wird schon werden‘-Einstellung zu nehmen. Mit all der Einfachheit, die ihn ausmachte und der Stille, die sich manchmal zufrieden über sein Gemüt legte. Liam musste unweigerlich zurück an die Zeit denken, die er mit Alex und Lubaya über wilde Inseln gezogen war, um Freibeutern den Schatz abzujagen. Es war eine Freiheit gewesen, die man eigentlich nur als Kind spürte. Eine Unbekümmertheit, die die Freiheit fast schon perfekt machte. Er kannte Skadi bislang nicht gut genug, um sie mit den alten Zeiten vergleichen zu können, aber sie war auf einem guten Weg dahin. Eine Bekanntschaft, die man nicht allzu oft machte. Eine Chemie, die von Anfang an stimmte und selbst kurze Zeit wie eine Ewigkeit erscheinen ließ.
Obwohl er in Gedanken versunken zum Kronendach hinaufsah, schaffte es Skadis Stimme, ihn wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Er gluckste belustigt, stützte den Oberkörper wieder etwas auf und spähte abermals in ihre Richtung. „Guter Einfluss. Kommt ganz drauf an, aus welcher Perspektive.“ Im Vergleich zu schmierigen Seemännern und blutrünstigen Piraten zweifellos. Aus Blick der höheren Gesellschaft war er wohl eher ein Nichtsnutz, der seine Bildung in den Dreck befördert hatte. „Das klingt in der Tat ziemlich kitschig.“, gab er zu, lächelte aber. „Aber ich wüsste auch nicht, wie ich es anders sagen sollte. Jedenfalls nicht ohne eine Flasche Bier oder Rum, um einfach darauf anzustoßen.“ Da waren sie tatsächlich etwas unvorbereitet gewesen. Aber fürs nächste Mal wussten sie es jetzt ja besser. Als sie fortfuhr, erhellten sich seine Züge erfreut, doch ein großes Wunder war es nicht. „Wie lange war Kaladar bei der Marine?“, weckte es die Frage in ihm und er unterschied absichtlich in Kaladar und Skadi. Nach einer kurzen Pause erhob er sich und legte nun die größeren Holzstücke auf das Feuer. Allmählich konnten sie den Fisch anbringen. „Wo hattest du den Fisch? Das sollte jetzt genug Hitze sein.“ Genug Hitze, dass sie vermutlich auch bei Sonnenuntergang noch ausreichend davon haben würden.

"Aus meiner eigenen natürlich.", entgegnete sie postwendend und schnaubte. Er konnte sich selbst vielleicht als Engel bezeichnen, doch Skadi würde ihn nie als Teufel in Gestalt eines hübschen Musikers sehen. Und wenn musste Liam wohl einiges mehr an Unfug anstellen, damit sie ihn wie eine große Schwester zurechtweisen wollte.
Kurz zuckte es in ihrem Mundwinkel, als der Lockenkopf ihre halb ausgesprochene Befürchtung zementierte und kurz darauf wie eine Seifenblase aufsteigen ließ. Mochte sein, dass ihre ehrlichen Worte etwas sentimental waren und es durchaus erstaunlich war, wie leicht sie ihr vor dem Lockenkopf aber nicht vor Enrique über die Lippen glitten. Ändern konnte und wollte die Nordskov aber nichts daran. Geschweige denn tiefgreifender darüber nachdenken.
"Merken wir uns für morgen.", gab sie mit einem Lächeln zu Protokoll und richtete sich wieder auf. Bewegte ihre Schultern in kreisenden Bewegungen und streckte sich erneut. Wann immer sie in einer Position verweilte, spürte sie diesen unbändigen Drang in ihren Muskeln. Liams Frage holte sie just in die Gegenwart zurück und hinterließ eine Grübelfalte zwischen den dichten Augenbrauen. Früher hatte sie es bis auf den Tag genau gewusst. Doch seit einigen Wochen verschwammen die Grenzen allmählich.
"4 oder 5 Jahre.", schätzte die Dunkelhaarige und verzog nachdenklich die Lippen. Doch ob es nun ein Jahr mehr oder weniger war, blieb letztlich irrelevant. Das Ergebnis zählte. Und da der Lockenkopf ohnehin das Thema wechselte, begnügte sich Skadi damit, ihm den Fisch zu reichen und wieder geräuschvoll auf den Rücken fallen zu lassen. Streckte dabei alle Viere von sich wie ein Seestern und starrte auf das dichte Blätterdach. Nur stellenweise erkannte sie den Himmel, der allmählich an Helligkeit verlor und rötlich färbte. Es musste wohl auf den späten Nachmittag zugehen. Ein Rumoren durchfuhr ihren Bauch und ließ Skadi blinzeln. Wenig später sogar zurück auf ihre Beine rollen, ehe sie sich aufsetzte und spürte, wie die Hummeln in ihrem Hintern surrten. Sie konnte nicht mehr sitzen. Musste sich mit irgendetwas beschäftigen, bevor sie dazu überging den Musiker stumm bei seiner Arbeit zu beobachten.
Mit einem Seufzen richtete sie sich also vom Schneidersitz zur vollen Größe auf und ließ den Blick planlos über die umliegenden Büsche und Baumstümpfe gleiten. Wischte sich dann mit beiden Händen durch die kurzen, offenen Haare, ehe sie sich zu Liam herum wandte und mit einem "Ich geh mich kurz waschen." um die eigene Achse drehte. Wie von selbst glitt das lederne Wams von ihren Schultern, kaum dass Skadi die Schnallen an der Forderseite gelöst hatte und das enge Oberteil von ihrem Körper zog. Es dann auf dem Felsen ablegte, an dessen Fuß sie ins Wasser stieg und wenig später gänzlich im Fluss untertauchte.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Hörst du die Trommeln - von Liam Casey - 13.05.2019, 00:43
RE: Hörst du die Trommeln - von Skadi Nordskov - 15.05.2019, 22:38
RE: Hörst du die Trommeln - von Liam Casey - 18.05.2019, 21:00
RE: Hörst du die Trommeln - von Skadi Nordskov - 19.05.2019, 00:48
RE: Hörst du die Trommeln - von Liam Casey - 19.05.2019, 23:45
RE: Hörst du die Trommeln - von Skadi Nordskov - 05.06.2019, 18:34

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste