04.05.2019, 15:14
Ziellos führten ihre Schritte sie durch die Stadt, vorbei an leeren Gassen, vollen und lauten Wirtshäusern und Plätzen und an Hauseingänge, in denen Leute bettelten oder versuchten zu schlafen. Es herrschte immer noch eine ausgelassene Stimmung wegen des Frühlingsfestes, aber Talin nahm nichts davon wahr, völlig in ihren eigenen Gedanken versunken. Wie von selbst suchte sie sich aber die verlassenen Gassen und Straßen. Nachdem, was am Tag zuvor passiert ist, wollte sie nicht von den Stadtbewohnern gesehen werden. Und zusätzlich wollte sie selbst niemanden sehen. Sie konnte sich denken, wie blass ihr Gesicht sein musste. Sie spürte immer noch den Schweiß, der ihr Strähnen im Nacken verklebte, ihr den Rücken hinunterlief. Der schnelle Atem, der sich nicht beruhigen ließ, auch wenn sie nicht mehr rannte. Dieses beengende Gefühl in der Brust...das alles kannte und hasste sie und der Wunsch, alle Erinnerungen mit ihren Augäpfeln zusammen raus zu reißen, ließ sie nicht los.Warum hatte sie das mit ansehen müssen?
Als sie vor einer ganzen Weile in die Stadt gekommen war, hatte sie noch ein paar Sachen für die Sphinx besorgen wollen. Geld war immer noch Mangelware bei ihnen an Bord, mal abgesehen von Werkzeugen, Arzneien...naja, sie konnten eigentlich alles so ziemlich gut gebrauchen. Ein Grund also noch einmal auf die Jagd zu gehen.
Talin war den Gassen gefolgt, die sie vor wenigen Tagen mit Ryan genommen hatte. Sie wollte sehen, ob sie in einem der reicheren Häuser etwas mitgehen lassen konnte. Nach einer ganzen Weile hatte sie nur jegliche Orientierung verloren, sodass die Blonde sich auf einmal nicht mehr im Viertel der Reichen aufhielt, sondern irgendwo anders.
Leise vor sich hin fluchend, war sie um die nächste Ecke gebogen, nur um dann plötzliche inne zu halten. Ihr lief, ohne das sie es recht erfassen konnte, ein Schauer über den Rücken. Schnell wich sie wieder in den Schutz der Mauer zurück und luckte um die Ecke. Trotz Dunkelheit fiel es ihr nicht schwer zu erahnen, was vor sich ging. Eine zusammengesunkene Gestalt, die an der Mauer lehnte und jemand, der über denjenigen gebeugt da stand. Eine normale Szene eigentlich. Aber als die stehende Gestalt wegging und den sitzenden zurückließ, wurde Talin ein wenig stutzig. Als sie sich nährte, stieg ihr zu allererst der Geruch von Eisen in die Nase. Wohlbekannt und trotzdem nicht so leicht zu erfassen. Aber als sie schließlich vor dem...Mann stand erkannte sie es nur zu deutlich. Blut. Der Geruch von viel Blut, das verloren wurde. Sie erkannte, die Schriftzeichen auf seiner Brust, nahm diese aber gar nicht richtig auf, denn viel mehr schockierte sie das, was ihm unten herum fehlte. Sie sollte es brutal finden, sollte davon geschockt sein, aber das war sie nicht. Nein, es waren die Erinnerungen, die über sie einbrachen, die die Mauer einrissen, die sie errichtet hatte, um nicht zusammen zu brechen.
Sie spürte, wie ihr Körper anfing zu zittern, wie sie einige Schritte zurückwich, als würde sie sich selbst dabei beobachten. Blitzschnell drehte sie sich um, rannte in die nächste Seitengasse und übergab sich. Ihr ganzer Körper wollte fliehen, wollte weg von all dem, also rannte sie weiter. Und rannte.
Ein überaus genervter Seufzer riss sie aus der Erinnerung und sie blieb stehen. Am liebsten würde sie sich selbst in den Hintern treten. Nach all den Jahren hatte sie eigentlich gedacht damit abgeschlossen zu haben, aber sie war immer noch das kleine Mädchen von damals. Das sich von ihren Erinnerungen übermannen und unterdrücken ließ. Und das frustrierte wirklich sehr.
Was sie jetzt brauchte war Alkohol und wenn möglich viel davon. Also drehte sie um und lief in irgendeine Gasse hinein, denn momentan gab es überall die Möglichkeit, seine Vergangenheit unter einen schönen Nebel zu vergessen. Sie musste auch verdrängen, wie sie gerade aussah.
Als sie wieder auf eine belebtere Straße trat, stieß sie mit jemandem zusammen. Leise fluchend tänzelte sie ein paar Schritte zurück und sah dann auf, um ihren Gegenüber entweder anzuschreien oder sich zu entschuldigen. Stattdessen blinzelte sie überrascht. Sie hatte nicht damit gerechnet in jemanden hinein zu rennen, den sie kannte.
„Skadi...“