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Kapitel 5 - Melodie des Frühlings
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
Es war sogar mehr als das. Letztlich brauchte es auch keine Tinte unter der Haut. Keinen Talisman, von dem Skadi nicht wusste, das Liam selbigen trug. Dass er noch vor wenigen Tagen panisch danach im Unterholz gesucht und Shanaya ihm bereitwillig geholfen hatte. Nicht einmal im Geringsten hätte sie seinen Verlust mit Worten umreißen können – auch wenn sie mehr als jeder andere dazu im Stande war, das Gefühl zu teilen. Tausendfach. Nur der kleine Schimmer, der sich in seinen braunen Augen abzeichnete, machte deutlich, dass hier nunmehr zwei Menschen standen, denen die Familie wichtiger war, als alles andere auf der Welt.
Ein Lächeln schob sich über Skadis Lippen, als sie Liam eine Weile schweigend beobachtete. Verschwunden waren die bittersüßen Züge auf ihren Wangen, die ihr letztlich niemanden aus dem Totenreich zurück brachten. So sehr sie sich auch die Zeiten von damals zurück sehnte, gestand sie sich, wenn auch schmerzlich, immer wieder ein, dass es ihren Weg voraus nur erschweren würde. Ein zurückgewandter Blick verschloss die Augen für den Pfad, der vor ihr lag. Brächte sie dazu, unweigerlich zu stolpern oder an Ort und Stelle zu verwurzeln wie ein alter Baum. Weder das eine, noch das andere war etwas, womit sich Skadi zufrieden gab. Ganz gleich ob sie derzeit ein Ziel besaß, für das sich das Leben überhaupt lohnte – sie würde nicht stehen bleiben, um dem nachzutrauern, was sie vor vielen Jahren verloren hatte. Selbst wenn es bedeutete die harte Schale enger zu ziehen, die sich um ihre Seele gebildet hatte. Die unter Liams Worten knackte und ächzte.
Für einen Moment schien es ihr, als wandte er sich ab. Kurz darauf war ihr klar, weshalb sein Blick dem ihren nicht stand hielt. Sie sah die Bürde, die auf seinen Schultern thronte wie ein dunkler Schatten, dessen breites Grinsen dämonisch zu ihr hinüber blitzte. Hörte den unterdrückten Schmerz tief versteckt in seinen Worten und dem schwankenden Klang seiner Stimme. Fühlte das schwere Gewicht just auf ihrer Brust, als ihr eines deutlich bewusst wurde: sie hatte nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, dass sie neben den ganzen Bastarden auch Unschuldige hinein zog. Sie selbst war so hasserfüllt und blind vor Rachsucht gewesen, dass ihr jegliche Verbindung zur Menschlichkeit gefehlt hatte. War sie also letzten Endes doch das Kind ihres Vaters? Darauf trainiert über Leichen zu gehen, ohne sie wirklich voneinander zu unterscheiden? Ein Schauer durchfuhr sie, drang von der Spitze ihres Scheitels bis tief in ihre Eingeweide und überzog ihre Miene mit dunklen Schatten. Als Kind hatte sie nie so werden wollen wie er. Ganz gleich wie wichtig ihr die Regeln und Normen ihrer Kultur waren und sie auf andere deshalb kalt und unbarmherzig wirken musste - wer sich bereitwillig in einen Kampf begab, wusste worauf er sich einließ. Wer allerdings zur falschen Zeit am falschen Ort war, sollte nicht Teil ihrer Blutspur werden, die sie seit Trithên mit sich zog. Sie hatte sich immer als Verfechterin des „ehrlichen Kampfes“ gesehen und nie eine Pistole gegen jemanden erhoben. Lediglich ihre Fähigkeiten genutzt, um Monster zu bestrafen, die – wie Liam es richtig ausdrückte – tot für die Allgemeinheit besser waren, als lebend.
Ein entkräftetes Seufzen stob durch die vollen Lippen. Gefolgt von einer kurzen Handbewegung, die ihre staubigen Finger über ihr Gesicht rieben.

“Du kannst leider nicht zurücknehmen, was du getan hast.“

Und dass er es gewesen war, der die Morgenwind in die Luft gesprengt hatte, erstaunte sie. Sie hätte alles darauf verwetten können, dass Talin oder Shanaya der Auslöser dafür gewesen waren. Aber niemand der so viel Moral besaß, wie der Lockenkopf, dessen Silhouette sie immer wieder mit den Augen umriss.

“Das kann niemand von uns.“

Langsam trat sie näher, lauschte in die Stille des Raumes hinein. Horchte auf das stetige und lauter werdende Pochen hinter ihrer Brust.

“Aber es liegt allein in deinen Händen, das Beste daraus zu machen.“

Ob es Sühne war, der tiefe Wunsch nie wieder dergleichen zu tun oder ab da an für andere einzustehen – es oblag ganz allein seiner Entscheidung. Denn das war es, was sie letzten Endes ihr Leben lang taten. Entscheidungen fällen, ohne zu wissen, welchen Ausgang sie nehmen würden. Und Skadi zweifelte nicht daran, dass Liam dazu im Stande war, das Richtige zu tun. Dass er wusste, wie er die Leben, die er unfreiwillig genommen hatte, ehrte.

“Und das wirst du, da bin ich mir sicher.“

Langsam wandte sich sein Kopf herum, als sie nur noch eine Hand breit von ihm entfernt zum Stehen kam. Begegnete ihr mit einem Lächeln, das Skadis Brust in warme Watte hüllte und die Schatten ihres Gesichts zurück in ihre Abgründe verbannte. Eine Weile musterte die Nordskov den Älteren schweigend, fixierte das warme Braun seiner Augenpaare, in denen sich immer klarer das flackernde Licht der Lampen und Kerzen abzeichnete.

“Ein Geheimnis für ein Geheimnis.“ flüsterte sie. Spürte wie sich das Lächeln auf ihren Lippen weitete und allmählich von ihren Wangen zu den Augen hinauf klomm. Langsam, fast bedächtig und zaghaft, hob sich die Nordskov auf die Zehenspitzen. Näherte sich wie zuvor ihn der Dunkelheit der Gasse dem braungebrannten Gesicht des Lockenkopfes ohne ihren Blick von ihm zu nehmen. Lehnte sie zur Seite und berührte mit ihrer Wange, fast die seine. Die Wärme, die von ihm ausging, durchfuhr bebend ihre Knochen und hinterließ ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut.
“… und ich besitze viele davon.“, hauchte sie ihm in sein Ohr. Musterte seine Miene aus den Augenwinkeln, bevor sie langsam zurück wich und eine Hand breit vor ihm auf die Füße zurück glitt. Mit einem Schmunzeln auf den verdreckten Zügen, das alles bedeuten konnte.

[In einem Tunnel unter der Erde | direkt bei Liam]
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