03.05.2019, 17:57
Skadi wusste ihren Fauxpas von vorhin geschickt zu umspielen, indem sie selbst noch einmal darauf anspielte. Liam wog überlegend den Kopf, ließ ein Schmunzeln aber die einzige Antwort sein, ehe er in der Tiefe verschwand. Vielleicht war Ryan nicht unbedingt der beste Mitwirkende einer solchen Vorstellung. Liam konnte sich nicht genau ausmalen, wie der Meisterdieb auf einen vermeintlichen Überfall einer wilden Bestie reagieren würde, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich zumindest einer dabei ernsthaft verletzte, berechnete er als ziemlich hoch. Ryan war niemand, der frei heraus über sich selbst lachen konnte oder wollte. Dazu kam er ihm viel zu ernst und verbissen vor. Vielleicht würde sich ein ruhiger Abend am Lagerfeuer eher anbieten. Eine Schauergeschichte und plötzlich ganz klischeehaft das Auftauchen des mystischen Wesens, kaum dass der Erzähler geendet hatte. Skadi davon abhalten, sich an Ryan zu versuchen, konnte er aber immer noch, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Oder eben dabei zusehen, wie Ryan den Hintern versohlt bekam, wenn er sich mit ihr anlegte.
Das leise Ticken zwischen seinen Fingern hallte zwischen den steinernen Wänden wider, während er die kleine Uhr in den Fingern drehte und eine Jahreszahl auszumachen versuchte. Sie wirkte noch nicht wirklich verbraucht und war entweder recht neu oder sehr gut erhalten. Wenn man bedachte, dass sie es hier mit Kinderdieben zu tun hatten, die mit großer Wahrscheinlichkeit nirgends eingestiegen waren, um sich zu bereichern, lag die erste Vermutung wohl nahe. Niemand würde solch einen wertvollen und gut gehegten Schatz einfach in der Tasche mit sich herumführen. Als Skadis Stimme hinter ihm nach seiner Aufmerksamkeit verlangte, drehte er sich um und ließ die keine Uhr ganz automatisch ebenfalls in eine seiner Taschen gleiten. Neugierig sah er in die Richtung der Luke und war gespannt, was sie nun wieder aufgetrieben hatte, was ihnen von Nutzen sein konnte. Er brauchte nicht lange, bis er das Stück Stoff als ihr Kleid erkannt hatte und sich ein amüsiertes Grinsen auf seinen Zügen abzeichnete. Er hätte es sich denken können. Und die Tatsache, dass ihr Kleid nun hier unten und Skadi noch dort oben war, gaben ihm die Möglichkeit, sich darauf einzustellen, was er gleich zu Gesicht bekommen würde.
„Das ist natürlich auch eine Möglichkeit.“, gestand er ein und warf einen kurzen Blick in die Richtung ihres Kopfes, den er am Ende der Leiter erkennen konnte, ehe er das Kleid vom Boden pflückte und sich wieder all den kleineren Schätzen im Raum widmete. Hinter ihm folgte schließlich die Jüngere die Leiter hinab. „Außer dem, was Menschen eben so in ihren Taschen mit sich tragen, noch nicht.“
Aber auch der Schmuck und das Gold waren definitiv nicht zu verachten und würden das Vorhaben, die Sphinx wieder auf Vordermann zu bringen, weiter vorantreiben. Sie mussten nur bedenken, dass sie bestenfalls auch noch unbemerkt mit ihrer Beute zurück zum Schiff kommen mussten. Sein Blick wanderte abermals großzügig über die Kisten und Kissen im Raum, doch etwas, was Skadis Beschreibung von Karten und Siegeln ähnlich sah, viel ihm nicht ins Auge. Währenddessen knotete er beiläufig die beiden Laschen ihres Kleides ohne große Berührungsängste zusammen, sodass eine recht einfache Art von Beutel entstand. Wenigstens ein bisschen mehr Volumen stand ihnen damit also zur Verfügung. Liam band ihn kurzerhand locker an der Leiter fest.
Die Jüngere suchte währenddessen weiter nach dem, was ihr offenbar ins Auge gefallen war, während sie sich um die Kinder gekümmert hatte. Der Blick des Musikers blieb kurz auf der Rückseite ihres Oberteils hängen, durch dessen Muster sich unauffällig aber deutlich eine dunkle Malerei erahnen ließ, die ihre Haut zierte. Durch die Stoffstreben war es schwierig, Genaueres zu erkennen, sodass er seine Aufmerksamkeit recht schnell wieder auf die Umgebung richtete und an einem schiefen Schrank zum Stehen kam, dessen Inhalt er sich besah. Ein paar staubige Krüge standen herum, daneben schlecht behandelte Bücher in Einbänden. Auch einen rostiger Brieföffner konnte er entdecken, aber nichts, was sich lohnen würde, mitzunehmen. Langsam arbeiteten sich seine Augen die Ablageflächen weiter nach oben und ließen sich auch nicht abbringen, als Skadis Stimme hinter ihm verkündete, offenbar fündig geworden zu sein. Erst, als er plötzlich ein Gewicht auf der linken Schulter spürte, sah er auf, blickte erst die Jägerin an und folgte dann ihrer Bewegung nach oben, wo er jetzt auch die Schatulle erkannte, die sie gemeint haben musste.
„Die Siegel?“, fragte er für den Fall, dass er nicht mitbekommen hatte, dass sich ihre Suche mittlerweile auf etwas anderes konzentriert hatte.
Neugierig fixierte er den hölzernen Fund, den die junge Frau vom Regal angelte. Als er spürte, dass das Gewicht von seiner Schulter nachließ und sie ihn nicht mehr als Stütze benötigte, ging er selbst in die Hocke, um einen kurzen Blick in eine von zwei verkanteten Schubladen zu sehen, die sich nur mit etwas Gewalt öffnen ließ. Doch auch hier war nicht wirklich etwas von Bedeutung auffindbar. Abermals suchte sein Blick im kleinen Raum nach einem Punkt von Interesse, bis er den Kopf aus der Hocke zu Skadi hob, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich erfolgreicher gewesen war als er. Unwillkürlich wanderten seine Augen dabei ihren Körper hinauf und blieben nicht etwa an dem Teil ihrer Brust hängen, der verführerisch zwischen der locker verschlossenen Lasche ihres Bustiers hindurchblitzte, sondern etwas weiter unten an der dunklen Malerei, die auf ihrem Brustkorb zu sehen war. Liam besah sie sich einen Augenblick schweigend und war dabei nicht wirklich bemüht, unauffällig zu sein. Dass sie ihr Bustier nur locker verschlossen hatte, nahm er weder als Provokation noch als Test wahr. Er konnte sich gut vorstellen, wie unangenehm es sein musste, Tag für Tag verschlossen herumzulaufen. Da wusste er die lockeren Hemden durchaus zu schätzen. Er war kein kleiner Junge, der beim Anblick eines weiblichen Körpers völlig den Verstand verlor und vergaß, was er hatte tun wollen. Er wusste um die Ästhetik weiblicher Rundungen, wusste aber auch, wann Zeit war, sie zu genießen. Viel interessanter fand er in diesem Moment also die geheimnisvolle Zeichnung auf ihrer Haut, die ihn automatisch an fremde Kulturen erinnerte. Denn er schätzte Skadi nicht als eine Frau ein, die sich bedeutungslose Kritzeleien auf den Körper malen ließ. Sie war tiefgründiger, selbst wenn sie damit nicht wirklich hausierte. Liam hatte das Gefühl, dass sie mehr Geheimnisse hatte, als sie einen glauben machen wollte. Wie lange er das Mal einfach nur ansah, wusste er letztlich nicht mehr. Er wusste nur, dass ihn interessierte, was sie damit ausdrücken wollte.
„Was bedeutet es?“, drückte er schließlich seine Gedanken aus und spähte noch immer sitzend zu Skadi hinauf. Wenn sie ihn beobachtet hatte, wusste sie, wovon er sprach.